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Datum:   15.07.2004
Ressort:   Wissenschaft
Autor:   Andrea Hertlein
Seite:   15

Scheibchenweise graue Zellen

Ein neuer Atlas des Gehirns wird so genau wie kein anderer. Er soll Ärzten und Hirnforschern die Arbeit erleichtern

Schon der bloße Gedanke löst körperliches Unbehagen aus: Das Gehirn wird vorsichtig vom Schädel genommen, in hauchdünne Scheiben zerlegt und genau inspiziert. Was sich niemand gerne näher vorstellt, ist die tägliche Arbeit von Forschern um Karl Zilles, Direktor am Institut für Medizinische Forschung in Jülich und Anatomie-Professor an der Universität Düsseldorf. Mit seinem Team ist er dabei, einen dreidimensionalen Atlas des menschlichen Gehirns zu erstellen. Mit hochmodernen Techniken analysieren die Forscher den genauen Aufbau des Denkorgans. Das Ziel des ambitionierten Projekts ist die lückenlose Erfassung der gesamten Hirnrinde.

Zwar machen heutzutage hochspezialisierte Kameras den Blick ins Gehirn von lebenden Menschen möglich. "Bei der Interpretation der Bilder sind Hirnforscher jedoch noch immer gezwungen auf uralte Hirnkarten zurückzugreifen", beklagt Zilles. Tatsächlich sind die schematischen Zeichnungen unseres Gehirns in der Regel um die hundert Jahre alt.

Zum Beispiel stammt der Brodmann-Atlas, das für Forschungszwecke meist verwendete Kartenwerk, aus dem Jahre 1909. Für dieses hatte der deutsche Hirnforscher Korbinian Brodmann das Denkorgan des Menschen mit dem Lichtmikroskop durchleuchtet. Bei dieser mühseligen Arbeit stellte er fest, dass jedes Hirnareal ein ganz charakteristisches Zellmuster aufweist und sich dadurch von anderen Arealen abgrenzt. Dabei entdeckte er zum Beispiel in welchen Bereichen Sprache und Sinnesreize verarbeitet werden. Insgesamt identifizierte er fünfzig Areale, auf die sich Wissenschaftler noch heute beziehen.

"Brodmanns Werk ist eine großartige Pionierleistung - vor allem, wenn man bedenkt, dass es in einer Zeit entstand, in der man dachte, alle Gehirnteile hätten die gleiche Funktion", sagt Zilles. Heute jedoch entsprechen die hundert Jahre alten Karten nicht mehr dem Stand des Wissens. Was die Kartenzeichner zum Beispiel nicht berücksichtigt haben: Ähnlich einem Fingerabdruck, ist jedes Gehirn einzigartig in Größe und Form. Mittlerweile weiß man, dass die Größe der Hirnareale beim Menschen um das Zehnfache variieren kann.

Ein weiterer Schwachpunkt ist die allzu enge methodische Herangehensweise. Um die Zellen zu färben und unter dem Mikroskop sichtbar zu machen, standen den damaligen Forschern nur zwei Methoden zur Verfügung - inzwischen gibt es mehr als hundert. Die alten Hirnkarten sind also eher Schemazeichnungen und zu ungenau. "Das ist so ähnlich, als wollten Sie alles über den afrikanischen Kontinent erfahren, haben aber nur eine Karte, in der lediglich Flüsse und Straßen eingezeichnet sind", sagt Karl Zilles.

Zudem konnten die alten Hirn-Kartografen mit den damaligen Mikroskopen winzige Unterschiede in der Zellarchitektur nicht zuverlässig erkennen. Heute ermöglichen es leistungsstarke Computer und moderne bildgebende Verfahren wie die Kernspintomographie, viel präzisere Landkarten des Geistes zu erstellen. "Wir können feine Hirnschnitte automatisch vermessen und das menschliche Gehirn dreidimensional rekonstruieren", berichtet Zilles begeistert.

Für sein Megaprojekt muss er enormen technischen und methodischen Aufwand betreiben. Der erste Schritt zur Kartierung ist die Autopsie. Um eine räumliche Vorstellung von der Hirnstruktur im Originalzustand zu bekommen, wird das konservierte Gehirn zunächst im Computertomographen gescannt. Danach zerlegen die Forscher das in Paraffin konservierte Organ in 6 000 bis 8 000 hauchdünne Schnitte. Gleichzeitig nimmt eine Kamera alle sechzig Schnitte, das sind umgerechnet alle 1,2 Millimeter, ein Bild auf. Erst dann kann die mikroskopische Untersuchung des Hirngewebes beginnen. Mit verschiedenen Färbemethoden analysieren die Wissenschaftler nun Zellgröße, -form und -verteilung und übertragen die gewonnenen Informationen auf ihre Computeraufnahmen. "So können wir die räumliche Struktur rekonstruieren und erhalten dreidimensionale Hirnkarten", sagt Zilles Mitarbeitern Katrin Amunts, Leiterin der Arbeitsgruppe "Brain mapping" (englisch für: Gehirnkartierung).

Auch die individuelle Variabilität der Gehirne berücksichtigen die Forscher in ihrer Auswertung. Insgesamt untersuchen sie nämlich zehn Gehirne scheibchenweise und berechnen anschließend mit mathematischen Verfahren eine Art Durchschnittsgehirn. Am Ende des aufwändigen Arbeitsprozesses entstehen Hirnkarten, die Aufschluss darüber geben, mit welcher Wahrscheinlichkeit eine Stelle im Gehirn in einem bestimmten Funktionsareal liegt.

Der Atlas wird nicht nur Hirnforschern Orientierung geben. Auch Arzneimittelentwickler werden ihn wohl nutzen. Denn Zilles und seine Kollegen verfügen mittlerweile über Methoden, mit denen sich die Position von Bindestellen für Gehirnbotenstoffe ermitteln lässt. Diese Rezeptoren steuern die Signalübertragung zwischen den Nervenzellen und sind damit Angriffspunkte für Medikamente. Indem die Wissenschaftler radioaktiv markierte Stoffe, die sich speziell an einen Rezeptortyp binden, auf die hauchdünnen Gewebeschnitte geben, werden Konzentration und Verteilung der Rezeptoren als schwarze Flecken im Bild sichtbar. "Damit können wir Hirnareale feiner untergliedern, sehen aber auch auf einen Blick, welche Bereiche ähnliche Funktionen haben", sagt Amunts. Die Forscher haben zum Beispiel festgestellt, dass sich Art und Anzahl der Rezeptoren in denjenigen Arealen gleichen, die Sinneseindrücke wie Hören und Tasten verarbeiten.

Kein Wunder, dass "Zilles Karten", wie der Hirnatlas in Fachkreisen genannt wird, von vielen Wissenschaftlern als eine große Bereicherung angesehen werden. "Die Karten sind ein riesiger Fortschritt für die Arbeit mit bildgebenden Verfahren", sagt Yves von Cramon, Direktor des Max-Planck-Instituts für Kognitions- und Neurowissenschaften in Leipzig. Auch für die klinische Praxis sind die neuen Karten hilfreich: Sie helfen dem Arzt beispielsweise, die Lage eines Hirntumors viel präziser zu bestimmen.

Bislang hat die Arbeitsgruppe fast ein Drittel der menschlichen Hirnrinde im Detail kartiert. Obwohl es noch mehrere Jahre dauern wird, bis der neue Atlas vollständig ist, sind einzelne Hirnkarten bereits der Öffentlichkeit zugänglich. "Sobald wir ein neues Areal identifiziert und vermessen haben, wird es im Internet veröffentlicht und steht damit jedermann zur Verfügung", sagt Zilles. Bisher ist der Hirnatlas allerdings für Laien kaum zu entziffern. Zilles Team will jetzt eine Software entwickeln, mit der zum Beispiel auch Mediziner, die sich nicht auf Hirnforschung spezialisiert haben, etwas von seiner Arbeit haben.

Der Hirnatlas im Internet: www.fz-juelich.de/ime/ ime_brain_mapping

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Foto (2) :

So entstehen detaillierte Karten des Gehirns: Ein in Paraffin konserviertes Gehirn wird in ultradünne Scheiben geschnitten. Sie werden eingescannt und daraufhin untersucht, wie die Zellen in ihnen beschaffen sind. Aus diesen Informationen errechnet ein Computer ein dreidimensionales Modell.

Das Gehirn von oben: In das Bild sind verschiedene Funktionsareale eingezeichnet. Der große Bereich in der Mitte ist zum Beispiel für die Bewegungskontrolle zuständig.

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09. Januar 2005
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