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Sag einfach du

Vor dreißig Jahren eröffnete bei München die erste deutsche Ikea-Filiale

Marcus Lucas

MÜNCHEN, 13. Oktober. Kommt ein Schwede ins Echinger Rathaus. Er will ein Stück Land für sein kleines Möbelhaus kaufen, das einen lustigen Namen hat und einen Elch als Maskottchen. Da gibt es aber eine Verordnung, die besagt, der alltägliche Bedarf müsse im Stadtzentrum befriedigt werden und nur da, und so untersagt der Gemeinderat dem "jungen, lässigen Schweden, der mit allen per Du war", wie sich der damalige Bürgermeister Joachim Enßlin erinnert, den Verkauf. Von Schnittblumen zumindest.

Der triumphale Elch-Ritt durch den dunklen Eichenwald deutscher Wohngewohnheiten beginnt im Oktober 1974. Eching, eine kurze S-Bahn-Fahrt nördlich von München, bekommt seinen Spitznamen "Elching" schneller, als man ein Sten-Regal aufbauen kann. Der "junge, lässige Schwede" heißt Ingvar Kamprad und ist fast fünfzig Jahre alt. Und sein kleines Unternehmen auch schon dreißig.

Ein Tisch im Kofferraum

Gegründet hatte es der Enkel eines sächsischen Einwanderers 1943 als Versandhandel für alles mögliche von Kugelschreibern bis Nylonstrümpfen. Ingvar Kamprad vom Hof Elmtaryd in Agunnaryd nahm die Initialen seines Namens und seiner Herkunft zusammen und nannte das Unternehmen: Ikea.

Erst 1950 konzentriert er sich auf Möbel. Die Geburtstunde der flachen Ikea-Pakete schlägt, als der Konstrukteur Gillis Lundgren versucht, einen Tisch in sein Auto zu verfrachten: "Oh Gott", ruft er einem Kollegen zu, "lass uns die Beine abschrauben und sie drunter packen". Gott lässt es geschehen. Es soll ein Merkmal von Ikea werden, Probleme in Lösungen zu verwandeln. Manchmal auch umgekehrt.

1958 eröffnet das erste Ikea-Haus in Älmhult, noch heute die Zentrale des Konzerns. Bald ist Ikea so erfolgreich, dass die Konkurrenz im südschwedischen Småland einen Lieferanten-Boykott anstiftet. Wieder erkennt Kamprad die Chance in der Krise: Er reist nach Polen und schließt mit dortigen Holzlieferanten noch günstigere Verträge ab. Eine andere dort geknüpfte Beziehung hält ebenfalls jahrzehntelang, ist aber weniger vorteilhaft - die zum Wodka. Ingvar Kamprad ist heute nicht nur einer der reichsten Männer der Welt, sondern auch bekennender Alkoholiker.

78 Jahre alt ist er jetzt und inoffiziell noch immer der Chef. Sein Testament schrieb er bereits 1976. Keine Nachlassregelung, sondern vielmehr der Entwurf seiner Ideologie. "Testament eines Möbelhändlers" heißt das Traktat, in dem er neun Gebote entwirft, die für jeden einzelnen Mitarbeiter gelten: Neben Bescheidenheit und dem absoluten Willen zum Profit ist es vor allem das, was Kamprad "die Linie anders" nennt.

Das kleine Möbelhaus aus dem Småland durchbrach so auch hier zu Lande einige Dämme. Etwa in puncto Vermarktung: Groß muss die Irritation gewesen sein, als die Deutschen 1974 aufgefordert wurden: "Fass dir ein Herz und sag du"!

Anders ist Ikea auch, weil es der einzige Weltkonzern seiner Gewichtsklasse sein dürfte, der die Globalisierungsproteste der vergangenen Jahre ohne nennenswerte Imageschäden überlebt hat. "Teflon-Firma" wurde Ikea genannt, ob seiner Fähigkeit, Vorwürfe einfach an sich abperlen zu lassen. Die Devise heißt: Verbünde dich mit deinem Gegner. Giftstoffe in Billy-Regalen, seltene Tropenhölzer, Kinderarbeit in Pakistan und Laos: Stets reichte es Ikea, Fehler einzugestehen, ein paar Millionen locker zu machen und es in Zukunft besser zu machen.

Fehler machen dürfen - dieses weitere Gebot des "Testaments" rettete Kamprad auch den Ruf, als vor zehn Jahren seine einstige Begeisterung für faschistisches Gedankengut publik wurde. Wohl war ihm nicht in seiner Teflonhaut, doch immerhin blieb Ikea sauber.

Der Ikea-Katalog 2005 erschien mit 145 Millionen Exemplaren. 30 Millionen sind es in Deutschland, wo Ikea ein Fünftel des weltweiten Umsatzes macht. Nirgendwo stehen die Filialen so dicht, im nächsten Jahr werden es 36 sein. Und Berlin ist mit dreien in der Weltrangliste ganz vorn dabei. In "Elching", wo es 1974 mit einem Sortiment von dreißig Produkten - keine Schnittblumen darunter - losging, gibt es heute mehr als 11 000 Artikel.

Die schönste Statistik, an der auch die Deutschen ihren Anteil haben, ist aber diese: Jeder zehnte lebende Europäer, so hat man einmal errechnet, wurde auf einem Ikea-Bett gezeugt.

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Namen statt Nummern // Der Sessel Rut war das erste Ikea-Möbel, das einen Namen bekam. Heute gibt es zwei Mitarbeiterinnen in der Firma, die sich die Namen für die Produkte ausdenken.

Sofas und Couchtische sind meist nach Orten in Schweden benannt (Klippan, Göteborg).

Lampen heißen oft nach Begriffen aus Musik oder Meteorologie (Melodi, Storm).

Textilien haben stets weibliche Vornamen (Felicia, Alvine), Stühle männliche (Ingo, Nick).

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Foto: Bei Ikea kann man (fast) alles gleich mitnehmen. Zu Hause darf dann gebastelt werden.