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Atomplan von Schwarz-Gelb wackelt

Widerstand gegen Laufzeitverlängerung inzwischen auch von CDU-Ministerpräsident Chef der halbstaatlichen Energieagentur gegen Weiterbetrieb / Sorge um Sicherheit

Jakob Schlandt

BERLIN. Noch vor Beginn der ersten Koalitionsverhandlungen zwischen Union und FDP sinkt im neuen Regierungslager die Zustimmung für die Kernkraft. Der saarländische Regierungschef Peter Müller (CDU) erklärte gestern, für ihn habe die Verlängerung der Laufzeiten von Kernkraftwerken keine Priorität. "Es gibt einen Fahrplan, wie der Ausstieg aus dieser Brückentechnologie stattfindet. Der ist zunächst einmal verbindlich", sagte Müller der Financial Times Deutschland. Statt den von Rot-Grün 2002 beschlossenen Atomausstieg wieder rückgängig zu machen, wäre es sinnvoller, auf Basis der geltenden Gesetzeslage eine sichere, kostengünstige und nachhaltige Energieversorgung zu erreichen, sagte Müller. "In diesem Sinn arbeiten wir an einer Zukunft ohne Kernenergie." Müller bemüht sich derzeit im Saarland um die Bildung einer Regierung mit den Grünen und FDP.

Sein Parteifreund, der baden-württembergische Ministerpräsident Günther Oettinger (CDU), hatte hingegen erklärt, er gehe davon aus, dass die eher "willkürlich getroffenen Verkürzungsmaßnahmen" über die Laufzeit der Atomkraftwerke aufgehoben würden. Auch Energieexperten von Union und FDP sprachen sich für eine Laufzeitverlängerung aus.

Die Pläne von Schwarz-Gelb stoßen auch außerhalb von Opposition und Umweltbewegung auf heftige Kritik. Stephan Kohler, Chef der halbstaatlichen Deutschen Energie-Agentur Dena, sagte der Berliner Zeitung, er rate von diesem Vorhaben ab und nannte das "Risiko eines schweren Unfalls". Kein deutscher Reaktor würde heutzutage noch eine neue Betriebsgenehmigung erhalten.

Vor allem die alten Siedewasserreaktoren stellten ein höheres Risiko bei schweren Unfällen dar als die neueren Druckwasserreaktoren. "Dazu kommt, dass die alten Kernkraftwerke in der Regel unzureichend nach außen geschützt sind, zum Beispiel gegen Flugzeugabstürze", sagte Kohler weiter. Auch sei in der Frage der Endlagerung von Atommüll keine Lösung in Sicht. Atomstrom werde angesichts des Ausbaus erneuerbarer Energiequellen ohnehin immer weniger benötigt. Die Dena wird unter anderem von den bisherigen CSU-Bundesministerien für Wirtschaft und Verbraucherschutz getragen.

Der Sprecher der bundesweiten Anti-Atom-Organisation "ausgestrahlt", Jochen Stay, begrüßte die Bedenken von Müller. "Jetzt wird öffentlich, dass in der Atompolitik auch ein tiefer Riss durch die zukünftigen Regierungsparteien geht", teilte Stay in Hamburg mit. "Eine Mehrheit der CDU-Wähler lehnt Laufzeitverlängerungen ab", sagte er. Grüne und Linke hatten angekündigt, bei einer Abkehr vom Atomausstieg auch außerparlamentarischen Protest auf der Straße zu organisieren.

Wirtschaft Seite 15

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"Wir wollen den Protest auch außerparlamentarisch organisieren." Bärbel Höhn, Grüne