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Babyknochen im Hocker

Eine Frau hat in Charlottenburg offenbar erst ihre vier Säuglinge getötet und dann sich selbst

Lutz Schnedelbach, Thorkit Treichel, Andreas Kopietz, xtos

Am Mittwochabend meldete sich ein Mann auf dem Charlottenburger Polizeiabschnitt 22 und stellte einen Hocker auf den Tisch. Dieser war frisch mit Stoff bespannt - und stank. Es war jener süßliche Verwesungsgeruch, den die Polizisten sofort erkannten. Als sie den Stoff aufschnitten, fanden sie im Hohlraum des Hockers skelettierte Leichenteile.

In der Gerichtsmedizin stellten die Fachleute noch in der Nacht fest, dass die Körperteile von vier Neugeborenen stammen. Der 49-jährige Mann, der den Hocker zur Polizei brachte, arbeitet als Rechtsanwalt in Potsdam. Er hatte seine Wohnung aufgelöst, nachdem sich seine Untermieterin, die 46-jährige Heike W., am 29. Juli das Leben nahm. Die Frau hatte sich aus dem 12. Stock des 17-geschossigen Hochhauses an der Krummen Straße gestürzt. Sie soll schwanger gewesen sein.

Vieles ist noch unklar

Bisher nehmen die Ermittler an, dass die Kinder nicht zerstückelt wurden. Sie sind wohl eher auf Grund der langen Liegezeit verwest. Die genauen Todesumstände sind noch unklar. Ebenso steht noch nicht fest, wie lange die kleinen Leichen in der Wohnung lagen. Es gibt Hinweise darauf, dass die toten Kinder zunächst in einem Tiefkühlfach aufbewahrt worden sind. Deshalb habe es auch nicht im Haus gerochen, vermuten Fahnder. Unklar ist auch, ob die Frau und deren Kinder beim Jugendamt gemeldet waren und sie möglicherweise als Problemfall galt.

Noch am Abend wurde der 49-jährige Anwalt befragt. Ermittler wundern sich darüber, dass der Mann nicht die Polizei rief, als er den Leichengestank wahrnahm. Er hätte wissen müssen, dass er möglicherweise durch den Transport Tatspuren vernichtet, sagten Fahnder am späten Abend. Nähere Informationen über den Tod der Kinder erhoffen sich die Ermittler von DNA-Analysen. Bislang gehen die Mordermittler und die Staatsanwaltschaft davon aus, dass die Frau allein gehandelt hat. Von der Mutter der Kinder, Heike W., wissen sie bisher nur wenig. Sie war nicht in der Wohnung gemeldet.

Die Gegend gilt als gutbürgerlich. Auch das Haus selbst wirkt sehr gepflegt. Die Mieter dort sind noch immer schockiert über den Freitod der 46-Jährigen am 29. Juli. Die meisten Nachbarn wissen wenig voneinander. Dass Heike W. depressiv war, habe sie nicht bemerkt, sagte eine Frau. Und fügte hinzu, Heike W. hätte auffällig häufig Besuch gehabt.

Dass Frauen ihre Neugeborenen gleich nach der Geburt töten, geschieht selten. Bundesweit werden etwa 30 solcher Fälle pro Jahr bekannt. Experten gehen allerdings davon aus, dass die Dunkelziffer viel höher ist. Denn auch bei den bekannt gewordenen Fällen haben die meisten Frauen ihre Schwangerschaft verheimlicht oder gar verleugnet. Oft haben Angehörige nichts mitbekommen.

"Dass die Frau unbemerkt von ihrem Umfeld vier Babys entbunden und sie anschließend getötet hat, ist kaum nachvollziehbar, wenn die Kinder den gleichen Vater gehabt haben", sagte Werner Platz, Gerichtsgutachter und Psychiater am Humboldt-Klinikum. "Es wäre sehr auffällig, wenn er nichts mitbekommen hätte." Bei verschiedenen Vätern sei dies jedoch denkbar. In diesem Fall seien wahrscheinlich Beziehungsprobleme Auslöser für die Taten. "Solche Frauen töten nicht bewusst. Sie betrachten die Babys als Fremdkörper", sagte Platz. Dies sei vor allem bei Kindern der Fall, die kurz nach der Geburt getötet werden. Daher könne man nicht davon sprechen, dass diese Mütter emotional verroht seien. Bei Kindstötungen zu einem späteren Zeitpunkt hätten die Mütter oder Väter ihre Kinder nicht angenommen. "Sie sind überfordert und wissen nicht, wohin sie sich wenden sollen", sagte Psychiater Werner Platz.

Die Wohnung in Charlottenburg ist mittlerweile aufgelöst und leer. (mit xtos.)

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Karte: Die Krumme Straße in Charlottenburg. Dort wohnte Heike W.

Foto: Im 12. Stock dieses Hauses in Charlottenburg lebte Heike W.