Die Brandenbürger

Schlagkraft auf Weltniveau: Boxerin Ramona Kühne – noch ohne blaues Auge – vor ihrem Sieg. Gegen die Schmerzen danach helfen ihr Spaziergänge. Foto: Benjamin Pritzkuleit
Schlagkraft auf Weltniveau: Boxerin Ramona Kühne – noch ohne blaues Auge – vor ihrem Sieg. Gegen die Schmerzen danach helfen ihr Spaziergänge.

Die Weltmeisterin

Die Profiboxerin Ramona Kühne erkämpfte sich am Sonntag den WM-Gürtel im Superfedergewicht

Katrin Bischoff

Grossziethen - Dieser harte Schlag kommt völlig unerwartet. Und er kommt überraschend früh. Bereits in der ersten Runde. Nach nur 23 Sekunden liegt eine der beiden Kämpferinnen auf den Brettern im Boxring. Doch es ist nicht etwa – wie von den Fachleuten erwartet – die Kenianerin Judy Waguthii (24). Nein, es ist die haushohe Favoritin: die 29-jährige Lokalmatadorin Ramona Kühne.

Es ist Sonnabend kurz vor Mitternacht. Nach dem Niederschlag geht ein Raunen durch die Mehrzweckhalle von Großziethen (Dahme-Spreewald). Mehr als 1 100 Zuschauer sehen sich hier den Weltmeisterschaftskampf der Frauen im Superfedergewicht des Verbandes WIBF an. Die Halle wurde für diese Nacht extra in „Sportarena“ umgetauft. Sollte der Traum vom Weltmeistergürtel für die Brandenburgerin so schnell ausgeträumt sein? Ramona Kühne, die bisher all ihre zwölf Profikämpfe klar gewonnen hat, schaut überrascht und irritiert, als sie sich wieder aufrappelt.

Es war ihr Wunsch, dass dieser Kampf – ihr Kampf – in Großziethen ausgetragen wird. Sie lebt in dem kleinen Ort, der zu Schönefeld gehört. Und ihr Profi-Boxstall, die Magdeburger Sport Events Steinforth GmbH (SES), erfüllte ihr den Wunsch. Vor einheimischem Publikum will Ramona Kühne ihren dritten WM-Titel holen, ihren ersten im Superfedergewicht bis 58,96 Kilogramm. Das Deutsche Sportfernsehen, ein russischer und ein tschechischer Fernsehsender haben ihre Kameras zwischen Sprossenwand und Boxring aufgestellt. Sie übertragen live. Brandenburgs Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD) ist extra wegen der Lokalmatadorin gekommen. Kurz vor dem Boxduell prophezeit er ein vorzeitiges Ende. „Ich glaube nicht, dass der Kampf über die volle Länge von zehn Runden geht. Ramona wird ganz schnell gewinnen.“

Doch nach dieser ersten Runde kann sich das niemand so recht vorstellen. Dann aber, ab Runde sechs bekommt die schlagkräftige Großziethenerin ihre Gegnerin immer besser in den Griff. 22 Minuten nach Mitternacht ist der spannende Fight vorbei: Die neue Weltmeisterin kommt aus Brandenburg, und sie nimmt die Kampfbörse von 10 000 Euro mit.

„Meine Gegnerin hat mich eiskalt erwischt. Gegen sie zu boxen war schwerer als erwartet. Alle Achtung“, sagt Ramona Kühne nach dem Kampf verschwitzt und ausgepowert. Da hat sich unter ihrem linken Auge bereits ein dickes „Veilchen“ gebildet, eine Erinnerung an die 23. Sekunde des Kampfes.
Vor drei Jahren ist Ramona Kühne mit ihrem Lebensgefährten Stephan Böstfleisch, der auch ihr Trainer ist, von Berlin-Mariendorf in die nur wenige Kilometer südlich gelegene ländliche Idylle von Großziethen gezogen. „Es ist schön hier, man schaut aus dem Fenster und sieht Pferde und Schafe“, sagt die Profi-Boxerin.

Ihre Liebe zum Boxen entdeckte sie bereits als Kind. Sie war Fan von Kampfsportfilmen, vor allem Action-Star Jackie Chan hatte es ihr angetan. Als sie sich für den Kampfsport entschied und zum Jiu-Jitsu und Kickboxen ging, war ihre Mutter Brigitte wenig begeistert. „Ich war der Meinung, solche Sportarten sind nichts für Mädchen“, sagt die Mutter. „Auch heute ist Boxen nicht mein Sport.“ Trotzdem ist sie bei jedem Kampf der Tochter dabei. Meist sitzt sie bangend ganz hinten. „Und ohne Brille“, sagt die 51-Jährige. „Um die Schläge nicht sehen zu müssen“.

Auch in der WM-Nacht hält sie es nur bis Runde fünf auf ihrem Platz neben ihrem Ehemann aus. „Dann versagten die Nerven, ich musste spazieren gehen.“ Ihr Mann Norbert, ein echter Boxfan, schaut sich den Kampf hingegen ganz genau an. „Ich wusste, dass sie gewinnen wird“, sagt der 61-Jährige. „Sie ist ja schließlich meine Tochter.“

Ramona Kühne kam vor acht Jahren vom Kickboxen zum Amateur-Boxen. „Ich merkte, dass meine Fäuste besser waren als meine Füße“, sagt sie. Als sie vor vier Jahren ihren Lebenspartner Stephan Böstfleisch kennen lernte, wog sie noch 83 Kilogramm. Zwei Jahre später absolvierte sie ihren ersten Profikampf – im Halbweltergewicht bis 63,5 Kilogramm. In der Gewichtsklasse holte sie den WM-Gürtel, im vergangenen Mai kam der Titel im Leichtgewicht hinzu. Ihr Promoter Ulf Steinforth hatte einmal gesagt, Ramona sei die einzige Boxerin der Welt, die so abgespeckt hat: vom Halbwelter- über das Leichtgewicht zum Superfedergewicht.

Ramona Kühne sagt, nach keinem Kampf sei es ihr so schlecht gegangen, dass sie über das Aufhören nachgedacht habe. Kopf- und Nackenschmerzen und schmerzende Knöchel am Tag nach einem Kampf seien normal. „Aber das kann man gut mit einem Spaziergang und einem leckeren Essen ausgleichen.“

Training nach der Arbeit<7b>

Boxen gehört zwar zu ihrem Leben, aber leben kann sie davon nicht – obwohl sie Profi ist. „Als Frau ist man im Boxen noch nicht so gut angesehen wie ein Mann“, sagt sie. Daher werden sie und ihr Lebensgefährte in dieser Woche wieder arbeiten gehen: Sie ist Schwimmmeisterin bei der Berliner Bäderverwaltung, er ist Polizist in der Hauptstadt. Trainiert wird nach der Arbeit.
Ramona Kühne liebt Tiere, sie hat einen Hund – einen Rhodesian Ridgeback. Sie würde gern auch viel mehr reisen, so wie ihre drei Jahre ältere Schwester Jessica, die gerade für ein Jahr in Australien ist. Doch dafür fehlt die Zeit. Sie würde auch gerne wieder Ski fahren oder mit dem Motorrad übers Land brausen. Doch all dies darf sie nicht. Zu groß wäre die Verletzungsgefahr für die amtierende Weltmeisterin.

Berliner Zeitung, 30.3.2009