Es gab Zeiten, da waren die einzigen, die je unsere Ruhe störten, die Touristen. Ja, wir genossen es geradezu, so im Mittelpunkt zu stehen. Unsere Kleine Siedlung, Renommierprojekt der Internationalen Bauausstellung, geschaffen von Stararchitekten aus aller Welt, war ein heimlicher Star unter den Berlin-Highlights: Die Stadtvillen mitten in der City demonstrierten, daß großstädtisches Leben auch ohne Lärm und mit viel Grün drumherum möglich ist. Dann luden wir unsere Gäste zum Spaziergang durch den anliegenden Tiergarten. Zum Abschluß gab's Eis, Kaffee und Kuchen im Cafe am See. Nur Wilmersdorfer Witwen, frisch Verliebte und Sonntagsspaziergänger verirrten sich noch hierher.
Das alles ist längst vorbei. Touristen kommen noch immer, aber die Bauten der Postmoderne oder der Park interessieren die wenigsten. Nein, die Fahrer der BMW, Mercedes, Cabriolets und Harley Davidsons sind auf der Suche nach profaneren Dingen. Sie lockt das reine Vergnügen. Denn das verschlafene Cafe im Muff der 50er Jahre hat sich zum Sommer-Szene-Treffpunkt Nr. 1 gemausert - ein Biergarten mit rund 2 000 Plätzen. Auch Eis oder Kuchen mit Schlagsahne genießt hier keiner mehr. Heute stehen Prosecco, Antipasti und Tagliatelle auf der Karte. Und wer immer etwas auf sich hält unter den Aufsteigern im neuen Berlin, der fährt in lauen Nächten am Cafe am Neuen See vor. Schließlich haben es Gourmet- und Reiseführer empfohlen.
So rollt jeden Sommernachmittag der Troß der schicken, schnellen Wagen durch die Straße im ehemaligen Diplomatenviertel - alle auf der Suche nach dem Parkplatz. Den es nicht gibt. Ich will Spaß, ich geb' Gas - da wird gerast und gebremst, gehupt und gedrängelt, gestritten und geschimpft. Den lärmenden Männer ist's egal, daß die Kinder hier tags nicht mehr spielen und nachts kaum noch schlafen können. Die metropolen Gemüter erregt's nicht, daß der Tiergarten zum Rummelplatz verkommt. Die Genußsüchtigen interessiert es kaum, daß das Wohnen in der einstigen Oase inzwischen oft Ärgernis ist.
Im Cafe selbst haben Yuppies aus der ganzen Republik die Wilmersdorfer Witwen verdrängt - Berlin ist unbestreitbar auf dem Weg zur Metropole. +++
