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Verbotsverfahren gegen die AKP
Laizismus als Vorwand



Was immer sich im Volke ganz ohne Anleitung des türkischen Staates rührt, kann wohl nur ein Werk der ausländischen Feinde sein. Diese Geisteshaltung verbirgt sich hinter dem Wunsch laizistischer Eliten nach einem Verbot der AKP. Seit 2002 regiert sie allein und fuhr bei den letzten Wahlen die Hälfte aller Stimmen ein. Einzelheiten von Günther Seufert.

Türkischer Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan mit Bildnis von Mustafa Kemal Ataturk im Hintergrund; Foto: AP
Bild vergrössern Islamisierung der Türkischen Republik? Die laizistische Elite will mit allen Mitteln ein Verbot der AKP durchsetzen.
Vor Ayvalik, einem hübschen Ferienort an der Westküste der Türkei, liegt die kleine Insel Cunda, auf der noch eine griechische Kirche steht. In ihrer Nähe ein kleines Hotel, betrieben von einer Familie, deren Vorfahren in den zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts Kreta verlassen mussten, weil sie Muslime waren.

Als die alte Dame der Familie, die noch immer Griechisch spricht, sich der leer stehenden Kirche annimmt und sie sauber hält, kommt die Polizei. Die Frau hat sich als Missionarin verdächtig gemacht, obwohl sie doch Muslimin ist und keine solche Absicht hat. Zwar ist das Missionieren nicht verboten, doch hat der Generalstab es als "Gefahr für die nationale Einheit" festgemacht.

Die Episode von der kleinen Insel erklärt, warum im fernen Ankara der Staatsanwalt am Kassationsgerichtshof Antrag auf das Verbot der AKP gestellt hat, jener Partei, die seit 2002 allein regiert und bei den Wahlen im Juli letzten Jahres die Hälfte aller Stimmen einfuhr.

Kein Hort islamistischer Umtriebe

Erklärungsbedarf gibt es, denn Grund für das Verfahren gegen die AKP, welche das Land Europa angenähert und die Wirtschaft geöffnet hat, ist nicht, dass die Partei zum Hort islamistischer Umtriebe geworden sei. Wäre das der Fall, hätte der Staatsanwalt konkrete Taten der Partei anführen können, und nicht nur Äußerungen von Parteimitgliedern, welche bis dato kein Grund für Strafverfahren waren.

Die Handlungen, die der Staatsanwalt zur Beweisführung aufgelistet hat, erschöpfen sich hauptsächlich darin, dass das Parlament von seinem Recht Gebrauch macht, Gesetze zu erlassen – beispielsweise als es das Kopftuch an Universitäten freigegeben hat.

Selbst das jedoch ist nur der Anlass, die eigentlichen Gründe reichen tiefer; sie reichen tief hinein in eine Geisteshaltung, die auf der kleinen Insel Cunda die Polizisten alarmiert, sobald ein Bürger im eigenen Interesse und ohne seinen Staat zu fragen, etwas unternimmt.

Zivilgesellschaft: ein Haufen vaterlandsloser Gesellen

Das große Bild von dieser Geisteshaltung präsentierte jüngst die Tageszeitung "Taraf". Sie publizierte Dokumente aus Büros innerhalb des Generalstabs, in denen fast die gesamte türkische Zivilgesellschaft als ein Haufen vaterlandsloser Gesellen vorgestellt wird. Nur um des eigenen Vorteils willen, ließen sich diese Nutzlosen vom Ausland gefährliche Projekte finanzieren und legten damit Dynamit an die Fundamte der Republik.

So gut wie alle namhaften Intellektuellen der Türkei, die liberalen Medien und Universitäten, die Verbindungen ins Ausland haben, tauchen in diesen Dokumenten als Instrumente finsterer und feindlicher Mächte auf.

Auf eine Reihe von Schautafeln sind kompliziert verzweigte Abhängigkeitsstrukturen und Einflussmechanismen dargestellt, über denen als Lenker der türkischen Zivilgesellschaft der Nationale Sicherheitsrat der Vereinigten Staaten thront.

AKP-Fahnen und türkische Fahnen; Foto: AP
Bild vergrössern 20 Prozent der Türken glaubt an eine Gefährdung des Laizismus. Die Masse jedoch steht zur AKP und würde sie heute in höherem Prozentsatz als bei der letzen Wahl wählen.
Mit Hilfe der National Endowment for Democracy, den Instituten der US-Demokraten und US-Republikaner und unter Einbeziehung der Fonds der Europäischen Union sowie der deutschen politischen Stiftungen entscheidet angeblich dieser Apparat, was in der Türkei diskutiert wird.

"Juden" und "Kryptojuden", das "Griechisch-Türkische Forum" und die Vertretung der EU in Ankara sind irgendwie zwischengeschaltet. An diesen Fäden zappeln private Universitäten und freiheitliche Medien, türkische Stiftungen und Initiativgruppen, aber auch religiöse Kreise, vor allen Dingen solche des interreligiösen Dialogs.

Das Dokument wurde im März 2006 fertig gestellt und in jenen Tagen dem stellvertretenden Generalstabschef zur Absegnung zugeleitet.

"Die Vorlage wurde erstellt", heißt es in dem 70 Seiten starken Papier, "um über die Tätigkeit von NGOs zu informieren, welche die USA und die EU ihren eigenen Zielen gemäß ausrichten und um Gegenmaßnahmen absegnen zu lasen." Zu den Gegenmaßnahmen zählen die Gründung militärtreuer NGOs, welche zum Schulterschluss von Volk und Militär beitragen sollen.

"Schwächung der Staatsautorität"

Was immer sich im Volke ganz ohne Anleitung des Staates rührt, lautet die Logik dieses Dokuments, ist dazu angetan, den Staat zu schwächen und kann wohl nur ein Werk der ausländischen Feinde sein. Unter den verwerflichen Zielen solcher NGOs sind Dinge wie "Schwächung der Staatsautorität", "zivile Kontrolle staatlicher Behörden" und eine "Ausweitung der religiösen Freiheit".

Daraus spricht eine Haltung, wonach allein der Staat weiß, was der Gesellschaft frommt und es nicht gerne sieht, wenn die Gesellschaft Politik macht. Jedoch genau das hat die AKP getan, die in der Zypernpolitik gegen den Willen der Bürokratie und des Militärs auf Einigung und Kompromiss statt auf Teilung der Insel setzte.

Reformen schaffen liberale Atmosphäre

Die Politik der wirtschaftlichen Öffnung und der Privatisierung entzog der Staatsbürokratie Einfluss und Geld und produzierte dadurch viele Gegner. EU-Reformen schafften eine liberale Atmosphäre, in welcher Forderungen nach mehr kultureller Freiheit auf die Tagesordnung kamen. Der Hebel, der dies alles stoppen soll, heißt Laizismus und islamische Gefahr.

Demonstration gegen Kopftuchverbot am Atatürk-Mausoleum in Ankara; Foto: dpa
Bild vergrössern Freiheit oder Islamisierung? Demonstrationen gegen Aufhebung des Kopftuchverbots an den türkischen Universitäten.
Tatsächlich glauben den Umfragen nach 20 Prozent der türkischen Bevölkerung, dass solch eine Gefahr bestehe. Nur drei Prozent jedoch sagen, sie hätten in den letzten fünf Jahren ihr Leben konservativer leben müssen. Die Masse jedoch steht zur AKP und würde sie heute in höherem Prozentsatz als bei der letzten Wahl wählen.

Premierminister Erdogan gibt sich deshalb gelassen, auch wenn alles auf ein Verbot hinweist. Seine Partei wird sich dem Prozess stellen und gleichzeitig die Demokratisierung weitertreiben. Als erstes soll der Meinungsparagraph 301 geändert werden. Sogar eine neue Verfassung wird diskutiert. Doch die Änderung der Geisteshaltung dauert länger.

Günther Seufert

© Qantara.de 2008



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Kommentare

1. Laizismus als Vorwand
Mein Mann und ich leben seit 8 Jahren in der Westtürkei und haben einen großen, westlich-liberalen Freundeskreis. Keiner dieser Freunde ist beim Militär oder sonst wie beim Staat beschäftigt. Aber alle sind besorgt wegen der Islamisierungsbestrebungen der AKP-Regierung. Von allen Seiten hört man, dass Staatsaufträge bevorzugt an streng islamische Unternehmer vergeben werden, dass in solchen Firmen möglichst strenggläubige Mitarbeiter eingestellt werden, dass Schulleiter, Behördenleiter etc. nicht nach Qualifikation sonder nach Strenggläubigkeit ausgewählt werden. Frauen nehmen das Kopftuch, um ihren Männern berufliches oder geschäftliches Fortkommen zu ermöglichen. Natürlich lässt sich so was kaum je nachweisen. Aber die gesellschaftliche und wirtschaftliche Elite und ein großer Teil der Mittelschicht der Türkei ist verärgert und sehr besorgt wegen dieser schleichenden Aushöhlung des Laizismusprinzipes. Die Wirtschafts-, EU- und Sozialpolitik der Regierung Erdogan bringt dem Land seit Jahren erfreuliche Fortschritte. Aber die Trennung von Staat und Religion sollte unbedingt erhalten werden. Auch sollte jedem Europäer bewusst sein, dass das Tragen des Kopftuches hier nicht nur religiös sondern auch eindeutig politisch verstanden wird. Die Menschen, die ich hier kenne, empfinden die rasant zunehmende Zahl der Kopftücher als Bedrohung ihres westlich-liberalen Lebensstils. Bevor wir in die Türkei kamen, lebten wir 4 Jahre in Ägypten. Dort kann man besichtigen, was aus einer von der Moslembruderschaft unterwanderten Gesellschaft wird, in der die Scharia mittlerweile mehr Gewicht hat als die ehemals an das englische Recht angelehnten bürgerlichen Gesetze. Moderne Türken fürchten zu Recht eine solche Entwicklung.
Marianne Las Casas dos Santos | 19.04.2008 | 18:02
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