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Die Hofburg und die digitale Gesellschaft Zum Hauptartikel

Fischers Kampagne startet ungewöhnlich. Wichtige Fragen sind aber offen.

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Der Inhalt war erwartbar, die Form für die betuliche österreichische Polit-Szene überraschend: In einer Videobotschaft auf seiner Homepage verkündete Heinz Fischer gestern Vormittag seine Wiederkandidatur.
Da machte sich einer sein Medium selber - ganz nach amerikanischem Vorbild. In den USA hatte Fischers Fachfrau Astrid Salmhofer diese neuen Möglichkeiten politischer Kommunikation eingehend studiert.

Im letzten Präsidentschaftswahlkampf zeigten Barack Obamas Werbeleute, wie sich Online Networking und Social Media erfolgreich einsetzen lassen. Sie bauten eine mächtige Online-Community auf: Fremde wurden zu Freunden, Freunde zu Unterstützern, Unterstützer zu Multiplikatoren. In der heißen Wahlkampfphase wechselten sie vom virtuellen ins reale Leben; insgesamt wurden 150.000 Events im ganzen Land organisiert.

Seine "Kamingespräch"-Botschaften verbreitete Obama nicht im TV, sondern über das globale Videoportal YouTube. Er war "der erste Politiker, der in einer nie da gewesenen Konsequenz statt auf die traditionellen politischen und medialen Hierarchien auf Social Networks setzte und damit die traditionellen Kampagnemaschinen von Hillary Clinton wie auch die von McCain klar besiegte" (Rudi Klausnitzer, Web 2.0-Experte).
Nun ist die Wiener Hofburg im digitalen Zeitalter angekommen. Dass Heinz Fischer (71) zum Wegbereiter wird, hatte niemand erwartet. In seiner jahrzehntelangen Laufbahn waren kühne Innovationen nicht sein Merkmal.

Vage Visionen

So gelungen der Auftakt ist - es bleiben doch ein paar wichtige Fragen, die nicht per YouTube-Clip zu klären sind.
Zuerst: Was will Fischer machen, wenn er wiedergewählt wird? Er hat seine Arbeit ordentlich getan; das attestieren ihm die meisten Beobachter. Doch die Zeiten werden krisenbedingt härter. Da wächst bei den Bürgern das Bedürfnis nach Klarheit, Entschiedenheit, Führung. Mit vagen Visionen ist keinem gedient.
Nun sind die Möglichkeiten des Bundespräsidenten beschränkt. Doch niemand kann das Staatsoberhaupt an klaren Worten hindern. Mehr Überzeugungskraft, mehr Leidenschaft würde dem Amt nicht schaden.
Unklar ist auch, ob Fischer einen ernsthaften Gegenkandidaten bekommt. Erwin Pröll hatte sich Chancen gegen den Titelverteidiger ausgerechnet, dann verzichtet. Pröll rät seiner Partei, "aus demokratiepolitischen und strategischen Gründen" einen Bewerber zu nominieren. Das ist derzeit in der Parteispitze nicht mehrheitsfähig, es fehlt an Geld und Interessenten. Sollte die Strache-FPÖ einen "bürgerlichen" Kandidaten (eine Kandidatin?) aufstellen, könnte die Debatte erneut beginnen.
Um eines müssen sich alle sorgen: Die Beteiligung bei Bundespräsidentenwahlen sinkt dramatisch. Sie betrug einst 95 %, aber 2004 nur mehr 71,6 %. Das Amt sei überflüssig, gaben die meisten Nichtwähler an.
Egal, ob Heinz Fischer solo läuft oder Mitbewerber hat - Format und Funktion der Bundespräsidentschaft stehen jedenfalls zur Diskussion.

Artikel vom 23.11.2009 16:19 | KURIER | Christoph Kotanko


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