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Interview Ammar Abdulhamid
Tharwa - Ein heikler Balanceakt



Das Tharwa-Projekt ist eine unabhängige Initiative, die sich den Minderheitenrechten in der arabischen Welt verschrieben hat. Eine heikle Angelegenheit in einer Zeit, in der die Regierungen des Nahen Ostens aus Furcht vor Separatismus und ausländischem Einfluss die nationale Einheit zu stärken versuchen. "Wir wollen keine Grenzen verändern, sondern eine Basis für einen offenen Dialog und Austausch zwischen den Minderheitengruppen und der Mehrheit in den arabischen Ländern legen", sagt der Leiter der Initiative, Ammar Abdulhamid. Kristin Helberg traf ihn in Damaskus, wo die Organisation ihre Zentrale hat.

Ammar Abdulhamid, Foto: Kristin Helberg
Ammar Abdulhamid
Warum stehen gerade die Minderheiten im Mittelpunkt ihres Engagements?

Ammar Abdulhamid: Wir wollten konkrete Verbesserungen auf dem Gebiet der Menschenrechte erreichen. Lange Zeit hat der Nahe Osten die Situation der Minderheiten, ihre Anliegen und Erwartungen ignoriert.

Als die verschiedenen arabischen Staaten entstanden, wurde die Frage der nationalen Minderheiten, wie die der Kurden und Berber, vernachlässigt. Stattdessen betonten sie einzig den islamischen Charakter der Nationen und ließen christliche und "häretische" islamische Sekten völlig außer Acht.

Das Ergebnis dieser Politik der Ignoranz und des Unter-den-Teppich-Kehrens drängender Probleme war, dass eine Konfliktsituation entstand, mit der wir heute umzugehen haben.

Indem wir Menschenrechtsfragen von einem ganz pragmatischen Standpunkt aus angehen und uns hierbei auf die Rechte der Minderheiten konzentrieren, versuchen wir, realisierbare Vorschläge zu entwickeln und von einer theoretischen zu einer praktischen Diskussionsebene zu gelangen.

Ist es nicht eine gefährliche Angelegenheit, sich um die Minderheitenrechte in einer Region zu kümmern, in der die meisten Staaten Furcht vor Separatismus und dem Ausverkauf nationaler Interessen haben?

Abdulhamid: Ja, das ist in der Tat eine hochsensible Sache. Doch sehen wir gleichzeitig ja auch noch eine andere Form ausländischer Intervention in unserer Region. Diesmal von Seiten der Amerikaner, im Namen der Demokratisierung, aber eben auch unter Berufung auf das Verhältnis zwischen Minderheiten und Mehrheiten in einem Land.

Mit dem Einmarsch im Irak gaben sie vor, die von den Sunniten unterdrückten Schiiten befreien zu wollen und benutzten einmal mehr eine solche politische Konstellation, die in unseren Ländern existiert, zur Rechtfertigung ihrer Intervention.

Natürlich ist es ein Vorwand, doch ein Weg, sich Interventionen entgegenzustellen, ist es, diesen Vorwänden nach und nach den Boden zu entziehen. Wenn wir das Problem der Minderheiten und ihr Verhältnis zur Mehrheit in verschiedenen arabischen Ländern offen ansprechen können, nehmen wir jeder ausländischen Macht den Wind aus den Segeln, wenn sie nach einem Vorwand zur Intervention sucht.

So präsentieren Sie es den lokalen Regierungen?

Abdulhamid: Genau, dies ist sozusagen unser stärkstes Verkaufsargument.

Warum wählten Sie Damaskus als Hauptquartier für Ihre Initiative?

Abdulhamid: Natürlich hätte ich es leicht auch von den USA oder Europa aus machen können und verfügte so sicher nicht nur über größere finanzielle Ressourcen, sondern auch über ein höheres Maß an persönlicher Sicherheit. Doch offen gestanden verhilft es uns auf diese Weise zu einer höheren Glaubwürdigkeit gegenüber der Bevölkerung dieser Region.

Wir können auf ein internationales Beratergremium von innerhalb wie außerhalb der Region zurückgreifen. Einige dieser Berater stehen der offiziellen Haltung der Regierung sehr kritisch gegenüber, und das ist gut so, weil wir unsere Unabhängigkeit erhalten wollen und uns zugleich darum bemühen, unsere Handlungsspielräume zu erweitern und nicht im Status Quo zu verharren.

Gibt es offizielle Reaktionen von Seiten der syrischen Regierung?

Abdulhamid: Bisher gibt es keine solche Reaktion, doch inoffiziell steht man uns wohlwollend gegenüber, wie es scheint. Wir sind uns sicher, dass unsere Internetseite aufmerksam beobachtet wird, doch noch hat man unsere Arbeit in keiner Weise zu behindern versucht. Wir haben unsere Botschaft nach draußen gesandt, und bis jetzt wird sie gut aufgenommen.

Neuerdings gibt es sogar Berichte über uns in regierungsnahen Presseorganen. Sie erkennen uns dadurch an, dass sie indirekt mit uns zusammenarbeiten, ließe sich sagen. Offiziell existieren wir zwar nicht und haben auch keinen Status als offizielle NGO (Nicht-Regierungsorganisation).

Wir leben also in einer Art Niemandsland und freuen uns darüber, weil es uns Freiheiten lässt. Denn um uns als offizielle NGO etablieren zu können, müssten wir für jede unserer Aktionen eine Genehmigung von Seiten der Regierung beantragen. In unserer jetzigen Lage brauchen wir das nicht, sondern werden toleriert. Es ist schon seltsam: Nicht anerkannt zu sein, bringt uns eine größere Freiheit.

Möglicherweise werden wir einen offiziellen NGO-Status in anderen arabischen Ländern anstreben, doch in Syrien ist es wohl besser, weiterhin im Niemandsland zu leben. Ich möchte keinesfalls die Unabhängigkeit, die wir momentan genießen, aufgeben.

In Syrien leben die unterschiedlichen ethnischen Gruppen sehr friedlich miteinander; halten Sie diese Toleranz für ein Modell auch für andere Länder?

Abdulhamid: Es gibt viel Positives an der Situation hier in Syrien, doch gibt es gleichzeitig auch viel Negatives, über das keiner sprechen will. Wenn wir weiterhin so verfahren, werden sich diese Probleme verschlimmern und die Situation wird eines Tages eskalieren.

Ich denke dabei etwa an das Kurdenproblem. Seit nunmehr fünfzig Jahren, also eigentlich seit der Unabhängigkeit, wurde die Kurdenfrage von der Regierung systematisch unter den Teppich gekehrt. Viele Araber haben absolut keine Ahnung von der Arabisierungspolitik gegenüber den Kurden, ihren Lebensumständen, ihren Hoffnungen, dem Umstand, dass sie ihre Sprache nicht sprechen dürfen und dass sie keineswegs Einwanderer, sondern eine schon immer hier lebende Bevölkerungsgruppe sind.

Trotzdem scheinen die Kurden eine Ausnahme zu bilden. Mit den Armeniern und Tscherkessen gab es nie Probleme ...

Abdulhamid: Die Tscherkessen und Armenier wurden akzeptiert, weil es sich bei ihnen um Zuwanderer handelt. Sie haben keine separatistischen Ambitionen, keine Autonomieansprüche, was sie immer als "pflegeleicht" erscheinen ließ.

Sie haben ihre Kultur, ihre Religion, ihre Schulen, und all dies war nie ein Problem, weil von ihnen keine Rebellion gegen staatliche Autoritäten zu erwarten ist, wie es bei den Kurden der Fall ist, bei denen auch der arabische Charakter des Landes eine Rolle spielt.

Die Christen sind auch keine Zuwanderer ...

Abdulhamid: Hier kommt ein anderer Aspekt der Minderheitenproblematik ins Spiel, die Religion. In der Tat wächst die Toleranz zwischen Muslimen und Christen in Syrien. Sicher sind noch viele Barrieren zu überwinden, doch generell lassen sich eine wachsende Akzeptanz und auch zahlreiche interreligiöse Beziehungen konstatieren. Das gute Verhältnis zwischen Christen und Muslimen hat sich über Jahrhunderte eingespielt.

Das Hauptproblem in Syrien ist nicht das christlich-muslimische Verhältnis, sondern das des Verhältnisses zwischen den Sunniten und den Alawiten, also ein innerislamisches Problem. Dies ist nach wie vor ein Tabu in Syrien, mit dem sich niemand auseinander setzen will. Früher oder später werden wir das aber tun müssen, um unsere Glaubwürdigkeit zu erhalten; auch innerhalb unseres Projektes müssen wir es offen ansprechen.

Wie verhindern Sie es, von den Minderheiten instrumentalisiert zu werden?

Abdulhamid: Wir redigieren alles, was auf unserer Website erscheint, wir lassen nicht Alle alles schreiben. Wenn man einen Artikel veröffentlicht, der die Regierung in harscher Form angreift und kriminalisiert oder die Araber als Ganzes des Rassismus bezichtigt, kann das nach meiner Auffassung nicht der richtige Weg sein.

Wir brauchen einen Geist der Annäherung, genaue Analysen und nachprüfbare Informationen. Ich will keine Leute, die aus ihrer persönlichen Frustration heraus nur emotional schreiben und sich gegenseitig beschimpfen.

Zwar kann ich einen Separatisten um seine Meinung bitten und es auch abdrucken, doch ohne mich damit auf seine Seite zu stellen, das wäre gegen unsere Politik. Wir befürworten keine separatistischen Forderungen, wir wollen nicht die Grenzen dieser Region ändern. Dies liegt einzig in der Befugnis der Regierungen und der internationalen Gemeinschaft. Wir arbeiten in existierenden Staaten und treten damit für die Rechte der Minderheiten ein.

Glauben Sie nicht, dass Ihre Aktivitäten aber genau den Effekt haben werden, den Sie eigentlich vermeiden wollen? Dass Sie, indem Sie sich auf die Seite religiöser und ethnischer Minderheiten stellen, letztendlich doch separatistische Bestrebungen und soziale Unruhe fördern?

Abdulhamid: Wir können aber doch nicht unseren ethnischen Reichtum und unsere Unterschiedlichkeit zu Gunsten unserer Souveränität schlicht leugnen. Es ist ein heikler Balanceakt. Wir dürfen die Minderheiten weder ignorieren noch überbewerten. Denn durch die Nichtbeachtung verschwinden sie nicht einfach, sondern entfremden sich immer weiter, die Mauern zwischen ihnen und der Mehrheitsbevölkerung werden nur noch undurchdringlicher.

Betont man ihre Rolle jedoch zu sehr und verteidigt alles, was sie tun, so hat es letztlich den gleichen Effekt: Man unterstreicht ihre ethnische Andersartigkeit und damit zugleich ihre Sonderrolle innerhalb des Staates.

Wie gesagt: Es ist ein heikler Balanceakt, bei dem wir uns auch ständig selbst hinterfragen müssen. Immer müssen wir schauen, welche Texte wir auf unserer Website veröffentlichen, welche Studien gemacht werden und welche Art von Feedback wir bekommen. Es ist ein beständiger Prozess der Selbsthinterfragung.

Welche Pläne für die Zukunft haben Sie für Tharwa?

Abdulhamid: Wir planen Treffen auf lokaler Ebene zwischen Mitgliedern verschiedener Gruppen, bei denen wir auf basisdemokratischer Ebene über unsere Identität diskutieren wollen. Wir wollen uns verschiedene Beispiele friedlicher Koexistenz ansehen, ein Dorf vielleicht oder eine Region, in der man friedlich miteinander lebt und man einen gangbaren Weg des Kompromisses gefunden hat.

Syrien ist voll von solchen Gemeinden, und ich bin mir sicher, dass sich auch in anderen Gegenden unserer Region Beispiele für eine gelungene Koexistenz und Kooperation finden lassen. Diese wollen wir dann als Modelle präsentieren, damit andere, mit größeren Schwierigkeiten kämpfende Gemeinden davon lernen können.

Wir wollen Konferenzen zum Thema organisieren und Studien in Auftrag geben, die über potenzielle Brennpunkte in der Region informieren und damit Wege aufzeigen, wie sich eine Eskalation möglicherweise vermeiden ließe. Auch wollen wir uns mit der sozioökonomischen Integration verschiedener Minderheitengruppen befassen, was letztlich zu einer Art allgemeinem Zustandsbericht führen könnte, der jährlich über die Lage der Minderheiten informiert.

Dies könnte helfen, ihre Situation objektiv zu bewerten und zu analysieren, inwieweit sie tatsächlich Teil des sozioökonomischen und politischen Gesamtgefüges des Staates sind, ob sie an den Rand der Gesellschaft gedrängt werden oder eine aktive Rolle innerhalb der Gesellschaft spielen oder gar — aus welchen Gründen auch immer — politisch überrepräsentiert sind.

Es gibt jedenfalls eine Vielzahl von Ideen, doch sind wir nach wie vor recht beschränkt in unserer finanziellen Ausstattung und froh, dass sie es uns gerade mal erlaubt, eine zuverlässige Website zu unterhalten.

Interview: Kristin Helberg

Übersetzung aus dem Englischen von Daniel Kiecol

© Qantara.de 2004


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