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Schiiten im Irak
Ein Motor für Demokratie im Iran?



Seit dem Sturz Saddam Husseins haben die irakischen Schiiten ihren politischen Einfluss stark vergrößert. In Bagdad geben heute schiitische Politiker den Ton an. Inga Rogg beschreibt, wie auch die Proteste im schiitischen Nachbarstaat Iran rege Diskussionen im Irak auslösen.

Versammlung zum Ashura-Tag bei Bagdad; Foto: AP
Bild vergrössern Die Feierlichkeiten zum Ashura-Fest zählen zum wichtigsten religiösen Fest der Schiiten. Auch im Irak gedenken jedes Jahr hunderttausende Schiiten des Todes von Hussein, dem Enkel des Propheten Mohammed.
Mit dem Sturz des Saddam-Regimes hat die Bush-Regierung den Schiiten der arabischen Welt zu einer für sie neuen Machtfülle verholfen. Die Amerikaner bescherten der unterdrückten Mehrheit im Irak ein religiöses Revival, wie es die schiitische Welt seit der islamischen Revolution in Iran nicht erlebt hatte.

Zu kaum einer anderen Zeit lässt sich das besser beobachten als in den Tagen um Ashura, den Todestag des Prophetenenkels Hussein vor 1329 Jahren.

Zwischen Bagdad und Basra wehen derzeit überall schwarze, grüne und rote Fahnen. Es hängen Transparente und Wimpel mit dem Bildnis des jugendlichen Kämpfers Hussein, der aus schiitischer Sicht im Islam den richtigen Weg beschritten hat.

Überall Ashura

An Straßenrändern sind Zelte und Stände aufgebaut, an denen Gläubige die Passanten kostenlos mit Essen und Trinken versorgen. In anderem Zusammenhang sprächen Ethnologen von einem riesigen Potlatsch, einer zeremoniellen Vernichtung oder Verteilung von Werten, für die sich die Ärmsten das Brot vom Munde absparen.

Ob in Bagdad, Kerbala oder Najaf – wo immer wir in diesen Tagen hinkamen, durften wir nicht ziehen, bevor wir nicht zumindest einen Tee getrunken hatten. In Kerbala öffneten uns die Sachwalter gar die Pforten zum Imam-Hussein-Schrein. Der Besuch zeigte die Macht der Geistlichen und ihres Apparats. Da klappt alles wie am Schnürchen: ob Sicherheitskontrollen, Dienstpläne, der Umgang mit Medienleuten oder die Müllabfuhr.

Religiöse Befreiung

Wie immer die irakischen Schiiten zu Bush oder den Amerikanern stehen, für die religiöse Befreiung sind ihnen fast alle bis heute dankbar. Statt im Irak eine Musterdemokratie aufzubauen, die auf die Despotien in der Region ausstrahlt, stürzte der Einmarsch das Land in einen schiitisch-sunnitischen Religionskrieg.

Als Ironie der Geschichte betrachten es Beobachter, dass Bush eines seiner vorrangigen Ziele verfehlte: die Theokratie im Iran zu schwächen. Es schien lange so, als sei Teheran Gewinner des Regimewechsels in Bagdad.

In Bagdad geben heute schiitische Politiker den Ton an, die ihre Wurzeln im politischen Islam schiitischer Prägung haben. Die Dawa-Partei von Ministerpräsident Maliki trat vor fünfzig Jahren als erste Partei mit einem fundamentalistischen Programm auf den Plan.

Unter der Fuchtel der konservativen Mullahs

Muktada as-Sadr; Foto: AP
Bild vergrössern Politisch umstritten: dem radikalen schiitischen Geistlichen Muktada as-Sadr wird im Irak vorgeworfen, im Dienst des konservativen Klerus in Qom zu stehen.
Der Hohe Islamische Rat im Irak wurde in Iran gegründet. Seine Miliz, die heute Teile des Sicherheitsapparats dominiert, wurde von den iranischen Revolutionswächtern aufgebaut. Der radikale schiitische Prediger Muktada as-Sadr steht heute aus Sicht von Beobachtern unter der Fuchtel Konservativer in der iranischen Stadt Qom.

Doch das Ansehen dieser Politiker erodiert. Viele Schiiten machen sie für das Blutvergießen der letzten Jahre verantwortlich. Und sie sind enttäuscht über deren Korruptheit und Unfähigkeit. Immer öfter wird ihnen auch ein Mangel an Distanz zu Teheran vorgehalten. Die sich im Nachbarland abzeichnenden Umwälzungen werden hier mit größtem Interesse verfolgt.

Iran und der Irak hätten sich stets wechselseitig beeinflusst, sagt der irakische Soziologe Falah Jaber im Gespräch. Das gelte sowohl im Religiösen wie im Politischen. In Najaf hatte seinerzeit Ajatollah Khomeini das Konzept der heutigen Theokratie in Iran ausgearbeitet.

Khomeinis religiös-politisches Dogma umstritten

Unter den führenden Geistlichen war die Herrschaft der Gottesgelehrten stets umstritten. Großajatollah Ali Sistani, dessen Stimme heute über den Irak hinaus in die schiitische Welt ausstrahlt, lehnt den direkten Griff nach der politischen Macht ab.

Im Kern geht es dabei um die Frage, wie die Schiiten das irdische Leben bis zur Wiederkehr des Mahdi, des entrückten Imams, gestalten; nach schiitischer Glaubenslehre wird es erst dann Gerechtigkeit und Freiheit geben. Sistani lehnt - wie die Mehrheit der Geistlichen - eine säkulare Ordnung ab, in vielen Dingen vertritt er ausgesprochen konservative Auffassungen.

Demonstration in Basra für Sistani; Foto: AP
Bild vergrössern Tausende Demonstranten unterstützten im Januar 2004 im südirakischen Basra die Forderung von Ajatollah Ali Sistani nach sofortigen Direktwahlen - diese waren im US-Plan zur Machtübergabe im Irak zunächst nicht vorgesehen.
Da Geistliche fehlbar sind, können sie den Gläubigen nur als Ratgeber, nicht als Herrscher den Weg weisen, lautet seine Sicht. Sistani hält die Demokratie für den besten Weg, um die weltlichen Herausforderungen zu meistern. Mit dieser Haltung hatte der betagte Geistliche auch die Amerikaner herausgefordert, in dem er ihnen die ersten freien Wahlen im Irak abtrotzte. Heute bringt er die Regierungsparteien in Bedrängnis und prangert deren Korruption und Misswirtschaft an.

Großer Einfluss von Sistani

Sistanis Einfluss habe das iranische System der Herrschaft der Rechtsgelehrten enorm geschwächt, sagt Jaber. Im Irak sei ein Modell entstanden, das selbst Tiefreligiösen eine Alternative biete. Viele sähen, dass es im Irak eine freie Presse und Pluralismus gebe, sagt der in Beirut lebende Soziologe.

Umgekehrt trägt die Oppositionsbewegung in Iran zur Schwächung der religiösen Parteien im Irak bei. Die Schwächung des Teheraner Regimes gibt den gemäßigten Schiiten im Irak Auftrieb, die in den letzten Jahren an die Wand gedrängt wurden.

Folgt man dem einflussreichen Soziologen, ist das letzte Wort über Bushs Vision der Demokratisierung noch nicht gesprochen. Er sieht in den Umwälzungen in Iran und im Irak den Anfang einer Zeitenwende.

Inga Rogg

© Neue Zürcher Zeitung 2009



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Kommentare

1. Wilayat al Faqih
Wer meint, die Theorie des Wilayat al-Faqih (Herrschaft des Rechtsgelehrten) beruht nur auf der direkten Macht geht völlig in die Irre. Anhänger dieser Theorie sehen die direkte Ausübung, die Verfassungsgegeben wäre, lediglich als ein Ideal, doch tatsächlich zählt die Praxis. So sah man Ayatullah Borujerdi im Zeiten des Shahs als Wilayat al Faqih. Im diesen Sinne ist Ayatullah Sistani der Wilayat al Faqih des Iraks, deshalb ist es auch nicht verwunderlich, dass gerade konservative Geistlichen den Irakern immer wieder dazu aufrufen Sistani zu befolgen. So oder so ist weiterhin mit dem Iran zu rechnen, darum sollte der Westen seine Sanktionspolitik überdenken und viel mehr Iran als Partner gewinnen.
Heiner Golz | 23.01.2010 | 18:52
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