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Immunologie: Uralte HIV-Resistenz
Auf noch rätselhafte Weise hat sich vor langer Zeit in Nordeuropa eine Genmutation verbreitet, die gegen Aids schützen kann
Zuweilen kann es vorteilhaft sein, etwas zu verlieren. So fehlt drei bis 16 Prozent der weißen europäischen Bevölkerung in ihrer Erbsubstanz die Anlage für einen funktionsfähigen CCR5-Rezeptor. An diesem Ort dockt normalerweise der Typ 1 des Aids verursachenden HI-Virus an, um in den Körper zu gelangen. Menschen, die die Genmutation von beiden Eltern bekommen haben, also über kein funktionelles Gen verfügen, sind nahezu vollständig gegen eine HIV-1-Infektion geschützt.
Schätzungen zufolge, die auf so genannten Kopplungsanalysen der genetischen Variation benachbarter Gen-Marker basieren, ist der segensreiche Defekt vor 700 bis 3500 Jahren in Nordosteuropa zum ersten Mal aufgetreten. Vermutlich hat er sich unter Selektionsdruck - im Kampf mit einer bislang unbekannten Krankheit - durchgesetzt, während Menschen ohne die Mutation meist sterben mussten. Wann aber hat dieses Mutationsereignis genau stattgefunden? Und welche Krankheit hat den Gendefekt befördert, da es sicherlich nicht die HIV-Infektion selbst war? Verdanken die Europäer den relativen Aids-Schutz etwa sogar der verheerenden Pestepidemie des Mittelalters? Schließlich befällt der Erreger Yersinia pestis Makrophagen, die CCR5-Rezeptoren besitzen.
Einen Teil des Rätsels haben nun Wissenschaftler vom Institut für Immunologie und vom Göttinger Institut für Zoologie und Anthropologie entschlüsselt. Das Team um Susanne Hummel und Martin Oppermann überprüfte dazu die Häufigkeit der Mutation in drei historischen Populationen. Die eine umfasste 17 Individuen aus der von dem Archäologen Stefan Flindt wissenschaftlich erschlossenen Lichtensteinhöhle im Harz aus der Zeit um 900 v. Chr.; die beiden anderen wurden gebildet von 34 Individuen aus zwei Gräbern in Lübeck, die kurz vor beziehungsweise während der Pestepidemie im 14. Jahrhundert n. Chr. angelegt worden waren.
Ergebnis: Die Mutation im CCR5-Rezeptor ist bei beiden Lübecker Gruppen etwa gleich häufig - die Pest als Selektionsursache scheidet damit aus. Und bereits bei den bronzezeitlichen Harzrandbewohnern ist die veränderte Version (CCR5-D32) fast genau so häufig wie bei heutigen Mitteleuropäern. Die Mutation ist damit viel früher entstanden, als bisher angenommen. Da zu jener Zeit die Populationsdichte in Mitteleuropa noch sehr gering war, dürfte sich das Merkmal auch nicht durch eine einzige große Seuche durchgesetzt haben.
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