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Ein eleganter Grübler

Ludwig Hevesi (1843 – 1910).Foto: Bildarchiv der ÖNB

Ludwig Hevesi (1843 – 1910).Foto: Bildarchiv der ÖNB

Von Ilona Sármány-Parsons

Vor hundert Jahren starb der Kunstkritiker Ludwig Hevesi, der wichtigste Propagandist des Jugendstils in der Donaumonarchie.

Am 27. Februar 1910 – es war ein Sonntagabend – jagte sich in der Wiener Walfischgasse Nummer 8 ein älterer Herr eine Kugel in den Kopf und war auf der Stelle tot. In allen wichtigen Zeitungen erschienen tags darauf lange Nekrologe, denn der sechsundsechzigjährige Ludwig Hevesi war einer der wichtigsten Feuilletonisten und Kunstkritiker Wiens gewesen.

Hevesi hatte vor allem als Feuilletonredakteur des "Fremdenblatts", der offiziösen Zeitung des k.u.k. Außenministeriums, großen Einfluss ausgeübt. In Wien war allgemein bekannt, dass der Kaiser diese Tageszeitung täglich als erste las; und sie gehörte auch zur Pflichtlektüre aller Staatsbeamten. Sogar die Kunstspalten hatten eine Aura von offiziöser Meinung.

Doch seit der Gründung der später berühmten Wiener Secession erschienen gerade in dieser gemäßigt konservativen Zeitung die faszinierendsten und kühnsten Verteidigungen ihrer modernen Kunstexperimente. Und es war der seit langem hoch verehrte Kunstkritiker für Malerei, Ludwig Hevesi, der diese überraschenden, aber auch überzeugenden Analysen verfasste.

Ein angesehener Mann

Wie war es gekommen, dass der gebürtige Ungar, der seit 1875 in Wien lebte und seit 35 Jahren als Mitarbeiter des "Fremdenblatts" tätig war, die führende Rolle des begeisterten Chronisten der Secession übernahm, sodass an seinem Begräbnis alle wichtigen Wiener Künstler der damaligen Avantgarde, darunter Gustav Klimt und Otto Wagner, teilnahmen? Auch andere wichtige Kritiker und Journalisten, wie Hermann Bahr, Bertha Zuckerkandl, Franz Servaes und Eduard Pölzl, waren gekommen, um ihm die letzte Ehre zu erweisen. Eine der Grabreden wurde vom Chefredakteur des "Fremdenblatts", Julius Szeps, gehalten. Für die "Secession" sprach Franz Hohenberger, im Namen des "Hagenbundes" Rudolf Junk. Der Präsident des Presseclubs "Concordia", Sigmund Ehrlich, und der Vertreter des "Pesther Lloyd" (sic!) , Max Ruttkay-Rothauser, gaben Hevesi ebenso das letzte Geleit.

Nur seine engsten Freunde hatten gewusst, dass Hevesi eigentlich ein "eingewienerter Wiener" war, der noch immer einen ungarischen Reisepass besaß, noch immer ungarischer Staatsbürger war, einen Kossuth-Bart trug und Ungarisch so perfekt sprach wie Deutsch. Noch weniger Menschen wussten von seiner jüdischen Herkunft (als evangelischer Konvertit wurde er auf dem Neuen Evangelischen Friedhof in Wien begraben). Allen aber war bekannt, dass er als einer der gutmütigsten und unbestechlichsten Kenner der modernen Kunst galt, für den nichts mehr und nichts weniger zählte als die künstlerische Qualität.

Aus Ungarn nach Wien

Hevesi war 1843 im Komitat Heves in Ungarn als Sohn des jüdischen Arztes Samuel Löwy geboren worden, der als "der gute Arzt von Heves" bekannt war. Der junge Ludwig absolvierte das Piaristengymnasium in Pest. Da er wie sein Vater Arzt werden sollte, wurde er 1862 zum Studium nach Wien geschickt, besuchte aber neben den Vorlesungen an der Medizinischen Fakultät noch fleißiger jene über Ästhetik und klassische Philologie. Nebenbei übersetzte er vom Ungarischen ins Deutsche und umgekehrt. Bald hängte er sein Medizinstudium an den Nagel: Als ihn Max Falk (der Chefredakteur des "Pesther Lloyd", der wichtigsten deutschsprachigen Zeitung der ungarischen Reichshälfte) 1866 nach Pest rief, kehrte er in seine Heimat zurück und wurde für die Feuilletonspalte engagiert.

Schon seine ersten Schriften veröffentlichte er unter dem Namen Ludwig Hevesi. Diese frühen bunten Berichte waren so genannte "Plaudereien" ("Pester Skizzen", "Pester Bagatellen", aber auch "Wiener Briefe" und sogar eine Spalte "Aus dem Wiener Kunstleben"); doch schon 1869 erschien in drei Teilen seine erste gründliche Kunstkritik, die aus der Feder eines erfahrenen Kritikers hätte stammen können.

Hevesi schrieb aus einer echten Liebe und Leidenschaft für die Kunst, am häufigsten über Malerei, aber auch über Bildhauerei und Architektur. Nachdem die ungarische Hauptstadt 1873 aus Pest, Buda und Óbuda offiziell unter einem neuen Namen vereinigt worden war, verfasste er als Erster auch einen Reiseführer von Budapest (auf Ungarisch und Deutsch). Er mischte auch engagiert im literarischen und journalistischen Leben der damals in optimistischer Aufbruchsstimmung schwimmenden Stadt mit, war Mitbegründer des populären Witzblatts "Borszem Jankó" und gründete auch eine deutschsprachige illustrierte Kinderzeitung ("Kleine Leute" 1871-1874). 1872 erschien sein Abenteuerroman "Des Schneidergesellen Andreas Jelky Abendteuer in vier Welttheilen", dem ungarischen Original folgte bald eine deutsche Fassung. Dieses Jugendbuch wurde ein Klassiker der ungarischen Jugendliteratur.

Hevesi hätte also ein sehr erfolgreicher ungarischer Schriftsteller sein können, aber das Schicksal wollte es anders. Im Sommer 1875 übersiedelte er nach Wien, wo sein Jugendfreund Ludwig Dóczi Sektionschef im Außenministerium war und ihm eine gut bezahlte Stelle als Kulturfeuilletonist und Theaterkritiker beim "Fremdenblatt" verschaffte.

Nach einer Familienlegende hat bei diesem Ortswechsel nicht nur der Ehrgeiz, sondern auch das Herz eine wichtige Rolle gespielt; Hevesi war nämlich in die junge Malerin Tina Blau verliebt, und um in ihrer Nähe sein zu können, wollte er unbedingt in Wien leben. Seine Gefühle wurden aber nicht erwidert, so dass er Junggeselle blieb; doch die neue berufliche Position, für die er ursprünglich nur einen Zweijahresvertrag gehabt hatte, sollte er bis zu seinem Tod innehaben.

Hevesi erfüllte seine Aufgaben auf einem sehr hohen Niveau. Da er inzwischen sieben Sprachen beherrschte, konnte er auch die künstlerischen Entwicklungen im Ausland genau verfolgen. Er war ein großer Grübler und selbstkritisch gegenüber jedem Satz, den er schrieb. Diese mühsame Hintergrundarbeit, die auch philologisch anspruchsvoll war, war den ausgereiften Texten aber nicht anzumerken. Sein Stil wurde immer reicher und eleganter, voll von Wortwitz und überraschenden, sensualistischen Metaphern, die die beschriebenen Bilder plastisch und farbig vor die Augen der Leser zauberten.

In dünnen Sammelbänden veröffentlichte er regelmäßig seine Reisefeuilletons, heiteren Geschichten und Erzählungen (alle bei Bonz in Stuttgart), nicht aber seine Kunstkritiken. Sein Fachbuch über "Oesterreichische Kunst im 19. Jahrhundert" (Bd. I-II, Seemann, Leipzig 1903) ist die erste Bahn brechende Überblicksdarstellung der österreichischen Kunst dieser Epoche. Damit legte er den Kanon der österreichischen Kunst fest, welcher in vielerlei Hinsicht noch immer gültig ist. Wofür aber Hevesi bis heute noch bekannt ist, das ist die Art und Weise, wie er unermüdlich und mit ganzem Herzen die Secession und ihre Künstler unterstützte.

Treffliche Bonmots

Schon 1894 (also drei Jahre vor der Gründung der Secession) drängte er in einem Feuilleton über die Notwendigkeit der Erneuerung der Malerei auf "eine Secession" in Wien. Er spürte, dass die Zeiten sich änderten. Europaweit vollzog sich in der Kunst ein Generationswechsel, die Ideale des Historismus waren offenkundig nicht mehr zeitgemäß.

Mit seiner nuancierten psychologischen und intellektuellen Sensibilität hat Hevesi alle bedeutenden Experimente der jungen Künstler aufgespürt und diese für breitere Kreise interpretiert. Echte Talente hat er immer gefördert, mit seinen Kritiken ermuntert und ihnen letzten Endes zum Sieg (das heißt zu Aufträgen und Popularität) verholfen. Wegen seiner enzyklopädischen Kenntnisse, aber auch wegen seines ehrlichen und freundlichen Wesens genoss er großes Ansehen. Er war berühmt für seine trefflichen Bonmots (z.B. "Malmosaik", "Café Nihilismus" usw.). Sogar das Motto der Secession – "Der Zeit ihre Kunst, der Kunst ihre Freiheit" – stammt von ihm. Es war ein Leitmotiv, das die Ziele der Wiener Moderne – aber auch jene von Hevesi selbst – in aphoristischer Dichte zusammenfasste.

Nach der Spaltung der Secession veröffentlichte er in dem Band "Acht Jahre Secession" seine wichtigsten Ausstellungsbesprechungen, die eine lebendige Chronik der Kunstwelt um 1900 dokumentieren. Im Jahr 1909 folgte ein ähnlicher Band, "Altkunst – Neukunst Wien", eine Anthologie von Kritiken und Feuilletons über Kunst in Österreich, aber auch über manche große Künstler wie Goya, Whistler, Menzel usw.; beide Bände erschienen bei Koenegen in Wien. Hevesis Künstlermonografie über seinen alten Freund Rudolf von Alt blieb infolge seines Freitods unvollendet.

Hevesis impressionistischer, doch intellektueller Stil, seine Ehrlichkeit und Integrität, sein Mut und seine Gutmütigkeit machten ihn zum beliebten Nestor der jüngeren Kunstkritiker-Generation der Wiener Moderne, wie Bahr, Zuckerkandl, Servaes, Kuzmany, Rössler u. a.. Wie so oft bei Kunstkritikern wurde er nach seinem Ableben aber schnell vergessen.

Hundert Jahre nach seinem Tod ist Hevesi jedoch wieder aktuell, da er das Ideal der historisch kontextualisierenden Kritik zu verkörpern scheint. Die auf den Errungenschaften früherer Künstlergenerationen basierenden alten Werte verwarf er nie. Er hielt Klimt für den besten lebenden Maler Wiens, wahrlich die Verkörperung der modernsten zeitgenössischen Kunstideale; gleichzeitig aber verteidigte er Hans Makart, den Künstlerhelden der Vätergeneration, also gerade den Hauptrepräsentanten eines Stils, gegen dessen Kunstideal die Secessionisten vehement auftraten.

In einer scharfsinnigen und psychologisch nuancierten Analyse versuchte Ludwig Hevesi nachzuweisen, dass die Modernität der 1870er Jahre mit der Modernität der Jahrhundertwende "wesensverwandt" war. Er glaubte an den Fortschritt in der Kunst, wusste aber auch, dass alle Ideale zeitgebunden sind.

Ilona Sármány-Parsons ist Kunsthistorikerin und Recurrent Visiting Professor an der Central European University in Budapest. Ihr Forschungsgebiet ist die Kunst der Österreich-Ungarischen Monarchie.

Printausgabe vom Samstag, 27. Februar 2010
Online seit: Freitag, 26. Februar 2010 14:10:00

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