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Wie Steine zu Öl werden

Ein Besuch im alten Ölschiefer-Werk Albrecht im Tiroler Bächental
Die traditionelle Art der Ölgewinnung ist mühsam und zeitaufwendig.

Die traditionelle Art der Ölgewinnung ist mühsam und zeitaufwendig.

Schiefer ist der schwarze Rohstoff, aus dem das Steinöl gewonnen wird.  Fotos: Christoph Lingg ©

Schiefer ist der schwarze Rohstoff, aus dem das Steinöl gewonnen wird. Fotos: Christoph Lingg ©

Von Susanne Schaber

F ür mich ist der Stein wie das Herz eines Körpers. Günther Albrecht ist sich da ganz sicher. "Und wenn das Herz nicht funktioniert, stirbt der Körper. So ist das auch bei unserer Familie: Ohne den Stein verlieren wir unsere Existenz." Das Herz der Albrechts schlägt im Tiroler Bächental mitten im Karwendelgebirge, in einem Bergwerk der besonderen Art: Seit gut hundert Jahren baut man in 1400 Metern Höhe ein seltenes Schiefergestein ab, um daraus Steinöl zu gewinnen. Ein zähflüssiges, dunkelbraunes Konzentrat, eine Rarität aus der Apotheke der Natur: Öl, seit Urzeiten im Schiefer eingeschlossen, wird aus dem Fels gebrannt und zu Heilsalben und Kosmetik verarbeitet.

Das Bächental gilt als einer der abgelegensten Landstriche Tirols. Über eine Straße und Forstwege nur von Bayern aus zu erreichen, verschwindet es fast zwischen den hohen Mauern des Karwendel: ein rauer Landstrich, von graugrüner, schwer zugänglicher Schönheit.

"Zur Steinölbrennerei ". Ein grünes Schild weist bergwärts. Die schmale geschotterte Straße steigt in vielen Kurven aufwärts. Knapp unter der Waldgrenze ist der Weg zu Ende. Ein unscheinbares Haus am Hang, Schienen, die in einer Schutthalde enden. Unter dem First eine Blechtafel: Hammer und Meißel, nach Bergmannsart gekreuzt, darunter die Inschrift: "Tiroler Steinölwerke – Gebrüder Albrecht, Pertisau. Bergbau auf Ölschiefer. Glück auf!" Oberhalb des Betriebsgebäudes kurvt ein Bagger über eine Halde und wuchtet Gestein, das aus dem Fels gesprengt worden ist, auf eine Materialseilbahn. Dunkelgraue Brocken liegen am Boden, ganz trocken. Von Öl keine Spur.

Der Schiefer und das Öl

Ölschiefer ist ein Sedimentgestein, etwa 180 Millionen Jahre alt. Organismen, die im Urmeer Thetys lebten, starben ab und bildeten am Meeresgrund eine dicke Schicht. Durch Sauerstoffmangel und Faulschlammbildung konservierten sich diese organischen Verbindungen und verwandelten sich, da großer Druck auf sie ausgeübt wurde, in Ölschiefer. Als sich die Alpen auftürmten und falteten, gelangten auch diese Schieferschichten nach oben. Bauern sollen die ersten gewesen sein, die in Tirol das Steinöl entdeckten und bemerkten, dass es heilbringende Wirkung hatte.

Martin Albrecht, der Begründer der Tiroler Steinölbrennerei, hat das Wissen um den Ölschiefer dereinst aus Seefeld nach Pertisau mitgebracht. Als leidenschaftlicher Mineraliensammler suchte er die Gegend um den Achensee nach Steinen ab. Als er 1902 am Seeberg nahe der Geisalm einen dunkelbraunen Felsbrocken fand, konnte er ihn als Ölschiefer identifizieren. Er schlug einen Stollen, trug den Fels entlang der Ader ab und brannte das Steinöl in einfachen Graphittiegeln aus.

Als die Vorkommen am Seeberg erschöpft zu sein schienen, zog Martin Albrecht ein weiteres Mal aus. Auf einer seiner Expeditionen landete er auf dem Tiefenbach-Hochleger im Bächental. Es sei kalt und er selbst durchfroren und durchnässt gewesen, erzählt man sich in der Familie. Weswegen er sich gleich an der Feuerstelle der Alm niedergelassen hätte. Mit seinem Pickel kratzte er wie zum Zeitvertreib an der Lehmschicht, bis darunter ein dunkler Stein zum Vorschein kam. Als er ihn ins Feuer warf, begann das Gestein zu brennen – und er selbst zu frohlocken: Er hatte, wie sich bald zeigte, neuerlich ein Ölschieferlager entdeckt.

Schon am Tag nach seiner Entdeckung sicherte sich Martin Albrecht bei der Bergbaubehörde in Hall die Schürfrechte für alle Zeiten. Seither baut man im Bächental Ölschiefer ab. Die Albrechts verstehen sich als Familienbetrieb im alten Sinn. Das Handwerk haben sie von Großvater Martin übernommen. Das Unternehmen wird inzwischen schon von der dritten Generation geleitet, von den Cousins Hermann, Günther und Alexander Albrecht.

Den Umgang mit dem Stein haben die drei Albrechts von klein auf gelernt. Ihre Väter sind ganz selbstverständlich davon ausgegangen, dass das Werk des Großvaters weitergeführt werden musste. Zaudern? Nicht erwünscht. Auch heute gibt es eine klare Linie, ein klares Konzept der Kooperation: Alles wird im Team diskutiert und entschieden, entwickelt und umgesetzt. Und doch hat jeder seinen Aufgabenbereich. Günther Albrecht ist in Pertisau für den Verkauf und Vertrieb der Produkte zuständig, Hermann Albrecht trägt die Verantwortung für den Bergbau. Der Jüngste im Triumvirat ist Alexander Albrecht. Er betreut das Werk in Jenbach, wo das Rohöl weiterverarbeitet wird. Selbst die Knappen gehören fast schon zur Familie, sie sind seit Jahrzehnten bei den Albrechts im Dienst.

Eine Hand greift in die andere, besonders oben im Bächental, wo der Schiefer über Tag abgebaut wird: Der Fels wird angebohrt, gesprengt und in kleinere Stücke zertrümmert und dann mit einer Materialseilbahn gut siebzig Meter nach unten zur Brennerei gebracht. Er landet in der Vorratsrutsche und wird mit Hilfe eines kleinen Baggers in die drei Schachtöfen manövriert. Das "Schwelen" beginnt, wie es in der Sprache der Bergleute heißt, ein Prozess ähnlich dem des Schnapsbrennens: Der zerkleinerte Schiefer wird kalt eingefüllt, rutscht langsam in den immer wärmer werdenden Bereich und erreicht irgendwann eine Temperatur zwischen 350 und 450 Grad. Dann gast er aus, wie man sagt. Er setzt dabei Ölgas frei, das sich in den Kondensationstürmen wieder verdichtet und langsam in die Bottiche tropft. Dort wird es gefiltert und gereinigt, ehe es in Fässer gefüllt und in den Veredelungsbetrieb nach Jenbach transportiert wird.

Mühsame Produktion

Die Gewinnung von Steinöl ist ein kräftezehrendes Unternehmen geblieben. Alle anderthalb Stunden werden die Öfen neu beschickt. Dann muss auch das ausgebrannte Material entsorgt und in metallenen Transportwägen, den Hunten, zu einem Abhang gebracht werden. Dort setzt sich eine kleine Lawine in Gang, die ein Stück weiter unten ins Stocken gerät: Taubes Gestein, es hat ausgedient.

Zwei bis drei Knappen arbeiten im Schichtbetrieb, Tag und Nacht, bei jedem Wetter. Strom wird selbst erzeugt, jede defekte Maschine selbst repariert. Es ist einsam hier oben. Die Knappen kommen oft wochenlang nicht ins Tal. Man muss gut mit sich selbst sein – und mit dem Berg.

Etwa sechs bis acht Wochen im Jahr wird im Bächental geschwelt. Winters ist die Brennerei verwaist, der Weg hier herauf zugeschneit, der Ölschiefer hinter Schneewächten verborgen. Entsprechend intensiv werden die August- und Septemberwochen genutzt. Jeden Tag verarbeitet man etwa sieben Tonnen Schiefer, aus denen zwei Prozent Öl gewonnen werden, das ergibt etwa 140 Liter täglich. Gut 5000 bis 6000 Liter Öl sind die Ausbeute des alljährlichen Schwelens. Man sammelt sie in Tonnen und bringt sie vom Bächental hinunter ins Inntal, nach Jenbach, wo das Labor und die Abfüllanlagen stehen.

Gut 70.000 bis 80.000 Fläschchen, Tiegel und Tuben verlassen jedes Jahr das Jenbacher Werk. Um den Absatz müssen sich die Albrechts keine Sorgen machen. Dass das Steinöl auch dort Schmerzen lindern kann, wo die Schulmedizin an ihre Grenzen stößt, weiß man schon lange: Es wirkt antiseptisch und entzündungshemmend, lindert Schmerzen bei Rheuma und Gelenksproblemen, wirkt entspannend und regt die Durchblutung an.

Medizin und Kosmetik

Zwei der zahlreichen Ölprodukte sind apothekenpflichtig, ihre Heilkraft verdankt sich dem organisch gebundenen Schwefel: die Haussalbe, die bei Rheuma und zur Wundbehandlung sehr beliebt ist, und das Ölschiefer-Heilpeloid, eine Art Fangopackung aus gemahlenem Ölschiefer. Als Shampoo, Badezusatz und Hautcreme, denen Lavendel, Minze oder Eukalyptus zugesetzt sind, dient das Steinöl der Kosmetik, als Massageöl der Physiotherapie. Auch Veterinäre schwören auf seine Wirkung: Sie benützen es als Blähhilfe und zur Euterpflege, als Klauen- und Grindbalsam und als Hunde-Shampoo. Viel, worauf man bauen könnte. Doch Expansion ist bei den Albrechts kein Thema. "Essen kann man nur mit einem Löffel ", meint Günther Albrecht lakonisch, nach einer möglichen Erweiterung der Produktion befragt. Die Nachfrage sei groß, erzählt er, es kämen Anfragen aus Japan, den USA, aus Saudi-Arabien.

Aber dem will man nicht nachgeben. Die Albrechts exportieren nach Deutschland, Belgien, Italien und in die Schweiz. Sehr viel weitere Kreise wollen sie nicht ziehen. Steinöl soll etwas Rares, Besonderes bleiben. Die dritte Generation lebt nun vom Öl, für Kinder und Enkel sollte das Schieferlager im Bächental noch reichen. Und dann? Irgendwann wird der Berg seine Schätze wieder in sich verschließen. Und das muss man ihn dann lassen.

Von Susanne Schaber und Christoph Lingg ist vor kurzem im Wiener Picus Verlag ein Bild- und Textband erschienen: "Im Stein – Berg- und Felslandschaften in Tirol". Die gleichnamige Ausstellung ist noch bis 8. Jänner 2006 im Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum – Museum im Zeughaus in Innsbruck zu sehen.

Susanne Schaber, geboren 1961, lebt als Literaturkritikerin und Kulturjournalistin in Wien.

Christoph Lingg , geboren 1964, lebt als Fotograf in Wien. Siehe auch: http://www.christophlingg.com

Freitag, 23. Dezember 2005

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