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Artikel aus dem EXTRA LexikonPrint this

Das kleinste Kulturzentrum der Stadt ist 20 Jahre alt

Der Broadway von Wien

Von Günther Schatzdorfer

Er wüsste nicht, sagt Gerhard Bronner, wo er, seit er seine legendäre "Fledermaus" zugesperrt habe, nächtens sonst hingehen könnte, als in die "Broadway Bar" am Bauernmarkt, die seit 20 Jahren besteht. Früher befand sich an dieser Stelle das Café "Anker-Uhr". Die Möbel dort, erinnert sich der Doyen der österreichischen Kleinkunst, seien immer schon antiquiert gewesen.

Wer das Lokal nicht kennt, tut sich schwer, den Eingang zu finden. Keine Leuchtreklame weist darauf hin, dass sich hier ein Kleinod der Wiener Kunstszene etabliert hat. Ganz im Gegenteil: das düstere Entrée und ein benachbarter Nachtclub lassen den unkundigen Flaneur vermuten, dass sich hinter den schweren, weinroten Vorhängen eine Kaschemme der übelsten Art verberge. Also ziehen die Nachtschwärmer daran vorbei, zum Würstelstand am Hohen Markt oder ins Bermuda-Dreieck, während drinnen sich ein kleines Publikum erlesenen Kunstgenüssen hingibt.

Begonnen hat es damit, dass Bela Koreny - Komponist, Pianist und Entertainer - eines Tages beschloss, selbst Wirt zu werden, weil der Bronner sein Lokal zugesperrt hatte und er und seine Kollegen folglich ohne Wohnzimmer dastanden. Am 4. April 1984 übernahm Bela die Schlüssel und sperrte die "Broadway Piano Bar" auf. Einer der Gäste beim Eröffnungsfest war Helmut Qualtinger, der seinem alten Freund und frischgebackenen Padrone mit den Worten gratulierte: "A so a schiaches Lokal hab' i no nie g'sehn!"

Also sperrte Bela flugs wieder zu und machte sich ans Renovieren. Eine Handwerker-Brigade rückte an, malte aus, tapezierte und bastelte herum; zu dieser Truppe gehörten u. a. der Maler Christian Ludwig Attersee und der Schauspieler Walther Reyer. Am 5. Mai des selben Jahres war es endlich so weit: das Lokal wurde (noch einmal) offiziell eröffnet. Bela spielte Klavier, seine Frau Martha kochte auf und die Gäste waren glücklich.

Bela und Bernstein

Der Eröffnungsabend verlief höchst professionell - bis zu dem Augenblick, als es ans Zahlen ging. Da stellte sich nämlich heraus, dass die Wirtsleute vergessen hatten, eine für den Inkasso-Vorgang unentbehrliche Preisliste anzufertigen. Man einigte sich aber schließlich doch gütlich mit den Gästen.

In einem etwa 70 Quadratmeter großen, lang gestreckten Raum spielt man seither Broadway. Prima vista sieht das Lokal wie eine Bar aus den 20er Jahren aus, man könnte hier Gäste mit Bubi-Kopf und Zigarettenspitz, Vatermörder und Gamaschen vermuten. Eine altdeutsche Kommode bildet den Mittelpunkt der gutbestückten Bar. Nur eine Flasche "Zwack-Unikum" inmitten der feinen Whiskys deutet auf die ungarische Herkunft der Besitzer hin. Tiefe, mit bordeauxrotem Plüsch überzogene Stühle - aus denen sich der späte Gast ungern und schwer erhebt - sind um Katzentische gruppiert. Kerzen brennen. Es herrscht eine gepflegte, leicht puffige Atmosphäre, als hätte Toulouse-Lautrec vor kurzem hier gemalt. Nur wird hier nicht Can-Can getanzt (warum eigentlich nicht?), sondern vorzüglich Klavier gespielt.

Der Bösendorfer nimmt etwa ein Viertel des Raumes ein. Er ist eine Dauer-Leihgabe eines Stammgastes - Helmut Elsner ist Musikliebhaber und nebenbei Generaldirektor der BAWAG. In dieser Eigenschaft war es ihm möglich, die "Broadway Piano Bar" mit einem würdigen Instrument zu sponsoren. Das war - wie sich im Lauf der Zeit herausstellte - eine sinnvolle Investition.

Als vor etwa 15 Jahren Leonard Bernstein wieder einmal in Wien gastierte, war er äußerst ungehalten, weil sich sein alter Freund Bela nicht bei ihm meldete. Dieser hörte glücklicherweise davon, rief sofort Lennie im "Sacher" an und entschuldigte sich: Er habe nicht gewusst, dass der Maestro in Wien weile. Bernstein verzieh ihm und teilte ihm mit, dass er noch am selben Abend um 20 Uhr in der "Broadway Bar" spielen würde. Es wurde ein denkwürdiges Konzert.

Die Integrations-Figur

Ähnliches passierte in paar Jahre später. Am 1. Juli 2001 gab Udo Jürgens ein Konzert in der Bundeshauptstadt, tags darauf tat Billy Joel ein Gleiches. Udo wollte Billy unbedingt kennen lernen. Wer wäre als Kuppler geeigneter gewesen als Bela, der beide kannte? Er rief Joel im Imperial an, wo sich dieser eingebunkert hatte. Mit künstlerischen Argumenten war dieser aber nicht zu locken. Also erzählte ihm Koreny, dass vier schöne junge Frauen zugegen wären und er alleine mit diesen Grazien überfordert sei. Nach fünf Minuten war Joel in der Bar. Nun stand noch die schwierige Aufgabe bevor, die beiden Stars einander vertraut zu machen, was dem Hausherrn aber locker gelang. Eine Stunde später saßen Joel und Jürgens am Bösendorfer und spielten vierhändig.

Die Welt der Kunst bedarf, wie wir spätestens seit Gertrude Stein wissen, immer wieder einer Integrations-Figur, deren Genie darin besteht, Genies - die ja bekanntlich ihresgleichen selten für ein solches halten - friedlich an einem Tisch zu versammeln und zwischen ihnen Zuneigung zu provozieren. Bela Koreny hat dieses Talent.

1956 flüchteten Belas Eltern mit dem damals 10-jährigen Knaben von Ungarn nach Österreich. Sein Vater - Musiker auch er - war Gewerkschafter, aber kein Stalinist, und deshalb mit Berufsverbot belegt. Man signalisierte ihm nach dem Aufstand, dass es besser für ihn wäre, das Land für geraume Zeit zu verlassen. Am zweiten Dezember, band man den Jungen an ein Stück Schnur, damit er nicht verloren ginge, und machte sich zu Fuß auf den Weg in den gelobten Westen. Schüsse waren zu hören. Nach einem endlosen Marsch, zitternd vor Angst und Kälte, erreichte man schließlich Lutzmannsburg, wo eine alte Frau mit einem Kessel voll heißer Suppe auf Flüchtlinge wartete. Am nächsten Tag wurde die Familie in ein Flüchtlingslager nach Wien gebracht.

"Belas Ensemble"

Ab 1960 besuchte Bela das Konservatorium in der Johannesgasse, als Schüler des legendären Professor Bohnstingl. Eine Karriere als Pianist war geplant. Es kam anders. Das Theater, der Film zogen Bela magisch an. Also begann er Komposition zu studieren, schrieb Bühnenmusik für verschiedene Wiener Theater. Ende der 60er Jahre stand die "Casanova-Bar" leer und zur Disposition. Der damalige Unterrichtsminister, Dr. Heinrich Drimmel, stellte das Lokal jungen Talenten zur Verfügung. Gut ein Jahr wurde es bespielt, wurden Künstlerfreundschaften geschlossen, die zum Teil bis heute gehalten haben. In diese Zeit fiel auch die Gründung von "Belas Ensemble", einem Klangkörper, der bis zu 24 Musiker umfasste. Nach Schließung des "Casanova" ging man auf Tournee, spielte auf renommierten Bühnen in London, gastierte in St. Moritz und landete schließlich in Marbella.

1981 kehrten Bela und seine Frau Martha mit ihrem Sohn Bela II nach Wien zurück, weil dieser nur spanisch und ungarisch sprach. Er sollte hier Deutsch lernen und die Schule besuchen. Die "Fledermaus" war, wie erwähnt, am Zusperren, und so entschloss man sich, einen neuen Künstler-Treff zu etablieren. Dies gelang dank der Hilfe eines weiteren Musik-Liebhabers, Helmut Jonas vom Bankhaus Schellhammer & Schatterer. So kam es im Frühjahr 1984 zur eingangs erwähnten Schlüsselübergabe.

Evelyn Oswald und Helmut Qualtinger hatten bedeutende Auftritte als Bar-Keeper in dem neuen Lokal. Das zog viel Publikum an. Das "Cats"-Ensemble kam nach den Vorstellungen hierher. Es wurde gefeiert, getanzt, gesungen und getrunken. Zwei Jahre später, 1986 wurde die erste "große" Eigenproduktion aus der Taufe gehoben: "Die Dreigroschenoper" unter Regie von Meret Barz, u. a. mit Mercedes Echerer und Harald Posch. Im Jahr darauf folgte die Revue "Ausgerechnet Bananen". Zu beiden Produktionen steuerte Christian Ludwig Attersee die "Bühnenbilder" in Form von Ölgemälden bei.

Wer ist in den folgenden Jahren eigentlich nicht in der "Broadway Bar" aufgetreten? Das Gästebuch liest sich wie der Gotha der Schauspiel- und Sangeskunst. Maria Bill, Kirsten Dene, Sandra Kreisler, Martin Schwab, Falco und der Quasi. Elfriede Jelineks Stück "Begierde und Fahrerlaubnis" erlebte hier - mit Elisabeth Augustin - seine Uraufführung. Aber den eigentlichen Reiz des Lokals macht aus, dass es auch nicht geplante Vorstellungen gibt, dass Künstler einfach spätabends vorbeikommen, ihre Instrumente auspacken oder ihre Stimme erheben. Bela Koreny stellt diese Musiker den Gästen mit Charme und Witz vor; sein Talent als Moderator wird nur von jenem als Pianist übertroffen. Dann wird noch eine Runde bestellt, Ruhe kehrt ein und es geht los. So spielten zum Beispiel unlängst in dieser winzigen Bar Joshua Bell, Richard Joo, Orfeo Mandozzi und die begnadete Janine Jansen Schuberts "Der Tod und das Mädchen", so schön, so berührend, wie das Stück seit der legendären Aufnahme mit dem Busch-Quartett im Jahr 1936 wohl kaum mehr zu hören war.

Trotz aller Beliebtheit und Erfolge gibt es natürlich auch immer wieder Turbulenzen. Ein Unternehmen wie dieses erfordert nämlich grenzenlosen Idealismus und schonungslose Selbstausbeutung. Dennoch ist es nicht immer profitabel. Dazu gesellen sich von außen kommende Schwierigkeiten. Es gibt seit geraumer Zeit einen neuen Hausbesitzer, der hier, in erstklassiger City-Lage, weniger an idealistische, künstlerische Experimente denkt, als vielmehr an Rendite. Solchem Denken steht die "Broadway Piano Bar" im Weg. Die angebotene Ablösesumme entspricht laut Koreny bei weitem nicht dem tatsächlichen Wert dieses Juwels. Zwischenfälle - wie Wassereinbrüche oder blockierte Fluchtwege - stören den Betrieb empfindlich.

Wird es weitergehen?

Bela aber wird weitermachen. Und sein Sohn, Bela II.? Wird er das Lokal übernehmen? Der Vater verneint. Man müsse sich entscheiden, ob man Musiker oder Wirt werden wolle. Er selbst müsse sich manchmal, um in Ruhe komponieren zu können, auf den stillsten Ort des Hauses zurückziehen. Das wolle er seinem Sohn nicht zumuten. Dieser ist eben dabei, sein Kompositions-Studium zu beenden, arbeitet aber bereits als musikalischer Leiter bei verschiedenen Produktionen an renommierten Häusern.

Die "Broadway Piano Bar" ist für die Kunstszene Wiens zu einem unentbehrlichen Schauplatz geworden. Die Nostalgie ist nur eine Begleiterscheinung. Entscheidend ist, was hier und heute geschieht. Gerhard Bronner kommt nicht nur deshalb hierher, weil die Musik erträglich ist und sich immer ein Gesprächspartner findet, sondern auch, um seine neuen Lieder auszuprobieren. Im Konzerthaus, sagt er, wäre das unmöglich. Nur hier, in der Enge und Intimität, konzentrieren sich die Menschen auf die feinen Zwischen- und Untertöne.

Die "Broadway Piano Bar" ist aber nicht nur Probebühne. Sie ist ein Konzertsaal, ein Schauspielhaus, eine Opernbühne, ein Kellertheater, eine Galerie. Eigentlich ist sie auch eine Künstler-Garderobe mit Gastronomie. Und manchmal, für erschöpfte Künstler, sogar eine Art Schlafzimmer. Die Bar ist also das "Brett'l" im klassischen Sinn. Kurz, sie ist ein Schauplatz gelebter Kulturgeschichte.



Freitag, 02. April 2004 00:00:00
Update: Dienstag, 01. März 2005 12:14:00

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