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Eine Rebsorte namens Duras

Gaillac, ein uraltes Weinland zwischen Toulouse und Albi
Von Ingeborg Waldinger

Sie nennen ihre typische Weißweintraube Len de l'El, weil sie an sehr langen Stielen "fern vom Auge" hängt. Nicht das menschliche Auge ist gemeint, sondern das "Auge" des Weinstocks, also der Knospenansatz. Len de l'El klingt nach einer anderen Welt, stammt aus einer anderen Welt. Der Name ist okzitanischen Ursprungs (Luènh de l'Uèlh). Die uralte Rebsorte stellt eine Rarität dar, ihr Anbaugebiet beschränkt sich auf das Umland der südwestfranzösischen Stadt Gaillac.

Montag. Wir begleiten Jean-Claude auf seiner monatlichen Fahrt nach Toulouse, wo er eine Vinothek mit feinen Weinen beliefert. Menge und Preis stehen in einem guten Verhältnis, so dass wir unverzüglich die Rückfahrt ins Albigenserland - nach Gaillac - antreten. Stoppelfelder, Pappelalleen und Rinderweiden ziehen an uns vorüber. Das abgeerntete Getreideland hat die Farbe von Milchkaffee. Verstreute Gehöfte, riesige Gehege voller Maiskolben, glückliche Hühner. Zu vielen Bauernhöfen gehört ein Taubenhaus aus Fachwerk, auch pigeonnier genannt. Die gemauerte Variante hingegen, der colombier, stellte nach mittelalterlichem Feudalrecht ein Privileg des Großgrundbesitzers dar. Selbst an Taubenhäusern scheiden sich die Welten.

Nach Saint-Sulpice säumen erste Weingärten die Straße. Da und dort ragt ein Wasserturm aus dem flachen Land. Wir passieren Rabastens. Schemenhaft taucht aus dem Nebel die mächtige Kathedrale Notre-Dame-du-Bourg auf. An der Ortsausfahrt erspähen wir ein schlichtes Einfamilienhaus mit typischem Dekor: unter dem Giebel prangt das "Kreuz des Languedoc", als handelte es sich um das Familienwappen. Das alte Zeichen der Grafen von Toulouse ist hier allgegenwärtig. Man nennt es auch "Okzitanisches Kreuz", was auf seinen Symbolcharakter für diese untergehende Kultur verweist. Die Region Midi-Pyrénées wiederum hat das rote Kreuz auf gelbem Grund zu ihrem Logo erkoren.

Herbststimmungen

Für einen Augenblick wird der Nebel wieder dichter und legt sich wie ein Schleier über die Bastide L'Isle-sur-Tarn. Dann siegt die Sonne. Herbstlaub spiegelt sich im trägen Flusse Tarn; über eine Speisetraubenplantage spannt sich schützend ein Netz. Ein Kakibaum, nächste Weingärten. Sie tragen Dunkelrot. Jean-Claude spricht wenig, konzentriert sich auf die Domänen der Konkurrenz. Zwei einsame Sonnenblumen sind der Erntemaschine entkommen, verblühen ihre letzte Kraft.

Wir sind in Gaillac angelangt, suchen an der Place Thiers noch rasch das Café Ramier auf. Ein schlecht gewählter Zeitpunkt, wollte man die Aufmerksamt des Wirtes für sich beanspruchen. Der "patron" ist gerade bei der Vorspeise, holt mit einem Zahnstocher Schnecken aus dem Gehäuse. In einem Punkt ist er völlig einer Meinung mit seiner Frau: die Tierchen munden hervorragend. Wir sind die einzigen Gäste. Madame serviert uns den Pastis im Schnellverfahren, ehe sie den nächsten Gang aus der Küche holt. Huhn im Topf, Spaghetti.

Im Ramier setzt man auf Pferde, das ist nicht zu übersehen. An einer Säule in der Lokalmitte ist ein Fernseher montiert; soeben flimmern die Kurse des "Quinté +" von Longchamp über den Schirm. Hinter unserem Tisch steht ein alter Gasofen, darüber hängt eine Ansicht von Gaillac aus den Urzeiten der Fotografie. Rémy und Vincent betreten das Lkal, grüßen unseren Winzer Jean-Claude mit dem Lächeln alter Komplizen. Entsprechend den Spielregeln des Hauses machen sich die Stammgäste ihren Kaffee einfach selbst. Jedenfalls, solange die Wirtsleute noch speisen.

Im vierten Rennen von Longchamp hat der Außenseiter Richgorl gewonnen, Favorit Babysitter hingegen nur den dritten Platz belegt. Patron samt Gattin sind beim Käse angelangt, analysieren mit den Stammgästen das letzte Rugby-Match. Gaillac gegen Elne, das ist Brutalität. Die Spieler aus dem Albigenserland sollten vielleicht doch an einen neuen Trainer denken.

An der hinteren Lokalwand harrt die Tafel "Le Prognostic du patron" der Eintragugen. Heute fiel dem Chef sichtlich nichts ein.

Das Leben in der Stadt

Die Place Thiers, ehemaliger Getreideumschlagplatz, ist nun menschenleer. Der Blumenverkäufer hat seine in der Platzmitte aufgestellten Chrysanthemenstöcke ihrem Schicksal überlassen. Mittagszeit ist Mittagszeit. Auch die Läden in den Arkaden haben geschlossen. Während die flache Sonnenbahn manch enge Gasse im Schatten lässt, leuchten die alten Fachwerkhäuser am Platz in kräftigen Terrakottatönen. An den nahen Quais des Tarn wärmen Kolonien von Tauben ihr Gefieder. Sie hocken auf dem verfallenden Gemäuer ehemaliger Gerbereien.

Gaillac wuchs um die frühmittelalterliche Benediktinerabtei Saint-Michel, entkam den schlimmsten Exzessen der Albigenserkreuzzüge, nicht aber den Religionskriegen. Finstere Zeiten, von denen sich die Stadt nur langsam erholte. Ein Wirtschaftsfaktor aber sicherte seit alters her die Bedeutung der Kommune: der Wein.

Der wurde schon angebaut, noch ehe die Römer Gallien kolonisierten und allerorten ihren Soldatenwein kelterten. Erst die Mönche der Abbaye Saint-Michel brachten Gaillac eine neue Weinkultur. Vor 1.000 Jahren schon verstanden sie sich darauf, ihre Klosterweine geschickt auf dem Markt zu platzieren. Mittels "Direktvertrieb" unterliefen die Benediktinerbrüder die von Bordeaux verhängten Handelshemmnisse. Zudem regelte eine Charta aus dem Jahr 1221 erstmals die kontrollierte Herkunftsbezeichnung der Weine. Das vom Grafen von Toulouse abgesegnete Dokument verpflichtete den Winzer zur Kennzeichnung der Fässer und verbot ihm, fremdes Traubengut "einzuführen".

Die eindrucksvolle, längst säkularisierte Abtei Saint-Michel konnte in letzter Minute vor dem Verfall gerettet werden. In den geschmackvoll adaptierten Räumlichkeiten des Klosterkomplexes sind nun private und öffentliche Institutionen, etwa das Fremdenverkehrsamt, untergebracht.

Das "Rebenmuseum"

Ein einzigartiges Riedenmosaik links und rechts des Tarn prägt den Charakter des Weinlandes um Gaillac. Geschützte Terrassenlagen wechseln mit Weingärten in der Ebene. Kalk-, Kiesel- und Lehmböden ermöglichen die Kultur unterschiedlichster Rebsorten. Zehn "cépages" sind in der Appellation offiziell zugelassen. Dabei handelt es sich um besonders alte, autochthone Sorten. Viele tragen - wie der Len de L'El - Namen okzitanischen Ursprungs. Unter den typischen Rotweinreben wären der Braucol, Ondenc, Duras und Fer Servadou zu nennen; unter den Weißen der Mauzac. Die Rebsorten Négrette, Gamay, Syrah und Muscadelle ergänzen die Liste. Schon im Mittelalter genossen die Weine aus dem heutigen "Rebenmuseum" hohes Prestige. Sie füllten die Pokale des englischen Königs Henry VIII. und des französischen Herrschers François I. Die Region Gaillac darf sich auch einer weit zurückreichenden Schaumweintradition rühmen, wie die bacchantischen Verse des okzitanischen Barockdichters Auger Gaillard belegen.

Ende des 19. Jahrhunderts bedrohte die Reblaus Frankreichs Weingärten. Konzertierte Bemühungen der lokalen Kooperativen retteten die Weinwirtschaft von Gaillac jedoch vor dem Niedergang, ja verhalfen der außergewöhnlichen Appellation zu internationaler Anerkennung. Welches Anbaugebiet kann sich denn einer vergleichbar umfassenden Produktpalette rühmen? Diese reicht vom trockenen, perlenden Weißwein bis zum "liquoreux", vom fruchtigen Rosé bis zum kräftigen Rotwein. So ist es nur allzu verständlich, dass das Winzerkomitee der 73 Gaillac-Weinkommunen die alten Reben in der alten Sprache feiert: "Galhac, per que los vins d'avenir an sempre un passat!", lautet ein unlängst lancierter Werbeslogan. Er argumentiert mit der verbürgten Tradition von Gaillacs Weinen als einem Atout für die Zukunft, und auf deutsch heißt er: "Gaillac, denn die künftigen Weine haben immer eine Vergangenheit."

Informationen: Maison de la France, 1040 Wien, Argentinierstraße 41a, Tel.: 0900/250-

015 (0,68 Euro /Min.)

http.//http://www.franceguide.com

Freitag, 24. Oktober 2003

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