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Poetischer Lebensquell

Über gute und böse Wasser in der deutschen Literatur
Von David Axmann

Wasser ist ein interessanter Stoff, an sich und für uns. Wo immer nämlich eine elementare Naturgewalt mit dem menschlichen Geist in Berührung kommt, entsteht ein Problem. Das Wasser rauscht, sprudelt und fließt, gurgelt, flutet und quellt, plätschert, donnert und tost, wallet, woget und wellt, tröpfelt, dunstet und spritzt, spiegelt, mündet und springt und steigt und fällt und steht - und es tut das alles völlig problemlos, aus natürlichem Antrieb und ohne metaphysische Absicht. Doch dann erscheint, mit Würd' und Hoheit angetan, der Mensch - und teilt die Welt moralisch ein. Was ihm gut tut, nennt er gut; was ihm schadet, nennt er böse.

Natürlich tut das Wasser dem Menschen vor allem gut. Ohne Wasser gibt es kein Leben - auch kein ewiges Leben, wie die christlichen Analogetiker in ihren Lobpreisungen des Taufmysteriums glaubhaft versichern. Wie gut das Wasser für die Menschen sein kann, wenn Gottes Wohlgefallen es bewegt, steht schon in der Bibel. Beim Passieren des Roten Meeres erweist sich dieses als ein philosemitisches; als später die Kinder Israels heftig dürsten, schlägt Moses mit seinem Stab auf den Felsen Horeb, und erquickendes Wasser läuft heraus. In einem bekannten Psalm Davids heißt es: "Der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln. Er weidet mich auf einer grünen Aue und führet mich zum frischen Wasser." Und das letzte Kapitel der "Geheimen Offenbarung" des Johannes beginnt mit den Worten: "Und er zeigte mir einen Strom des lebendigen Wassers, klar wie Kristall, der ausgeht von dem Thron Gottes und des Lammes."

Aber das Wasser bringt auch Unheil, Verderben und Tod, vornehmlich im Auftrag des Höchsten Strafgerichts. Die zornige Sintflut bereitete fast der gesamten Menschheit ein nasses Grab, und im bitteren babylonischen Exil blieb keines Juden Auge trocken: "An den Wassern Babylons saßen wir und weinten . . ."

Elementares Schicksal

Wasser, für des Menschen Leben von eminenter Wichtigkeit, hat einen enormen Einfluss auf die Literatur. Ohne Wasser keine Dichtung, keine Dichtung ohne Wasser. Es gibt - ich wage die Behauptung - kein Buch, in dem (offen oder verborgen und in irgendeinem Aggregatzustand) Wasser nicht enthalten ist. Bei manchen literarischen Werken erkennt man die Wasserabhängigkeit auf den ersten Blick, beispielsweise bei Sebastian Brants Narrenschiff, Johann Gottfried Schnabels Insel Felsenburg, Klopstocks Zürcher See, Wielands Wasserkufe, Friedrich Leopold Graf zu Stolbergs Lied auf dem Wasser zu singen, Zacharias Werners Kreuz an der Ostsee, Motte-Fouqués Undine, Uhlands Schloss am Meer, Heines Loreley, Grillparzers Des Meeres und der Liebe Wellen, Gerstäckers Flusspiraten des Mississippi, Spielhagens Sturmflut, Wilhelm Raabes Prinzessin Fisch, Theodor Storms Regentrude, Gerhart Hauptmanns Versunkener Glocke, Thomas Manns Tod in Venedig, Hans Rehfischs Wasser für Canitoga, Heimito von Doderers Die Wasserfälle von Slunj, Hermann Kasacks Wasserzeichen, Günter Eichs Botschaften des Regens, Konrad Weiss' Das Wasser und Günter Grass' Der Butt.

Wie schon erwähnt, verliert das Wasser, wenn es mit dem Menschen in Berührung kommt, seine natürliche Unschuld: es wird klassifiziert, analysiert, reguliert; es wird moralisch verseucht; es wird in die Kanäle der Metaphysik gelenkt und auf die Mühlen der Poesie losgelassen. Der Geist Gottes schwebt über den Wassern, der Menschengeist macht sich das Wasser untertan. Ein elementares Schicksal, dem unser Lebensquell nicht zu entrinnen vermag. So kam das Wasser auch unter die Deutschen.

Am Beginn (und oft auch am Ende) jeder Erkenntnis steht die Erfahrung. Das empfindsame Subjekt erlebt sich als ein anschauendes, die Objekte der Wahrnehmung als schön, und freut sich. Dort unten in der Mühle / Saß ich in süßer Ruh / Und sah dem Räderspiele / Und sah den Wassern zu (Justinus Kerner). Da Wasser der Inbegriff des Fließenden ist, macht es manchem, der des Sitzens unten in der Mühle überdrüssig wurde, muntere Wanderlust. Das Wandern ist des Müllers Lust, / Das Wandern! / Vom Wasser haben wir's gelernt, / Vom Wasser! / Das hat nicht Rast bei Tag und Nacht, / Ist stets auf Wanderschaft bedacht, / Das Wasser (Wilhelm Müller).

Hat man erst einmal Vertrauen ins Wasser gesetzt, kann man ihm getrost folgen. O Wanderer am Bach, geh nur dem Wasser nach, / Es führet sicher dich zu Menschendach und -fach (Friedrich Rückert). Dort angelangt, wird man vielleicht von gastfreundlichen Alkoholikern auf ein Gläschen Punsch eingeladen, worauf man mit ihnen im Chor die Schillerschen Verse singt: Gießet des Wassers / Sprudelnden Schwall! / Wasser umfänget / Ruhig das All. / Tropfen des Geistes / Gießet hinein! / Leben dem Leben / Gibt er allein. / Eh' es verdüftet, / Schöpfet es schnell! / Nur wenn er glühet, / Labet der Quell.

Am nächsten Morgen, wenn der Schädel tüchtig brummt, mag man sich dankbar daran erinnern, dass Wasser ein vorzügliches Kühlmittel ist. Literarischen Niederschlag hat diese angenehme Tatsache in Quirinus Kuhlmanns "62. Kühlpsalm" gefunden oder in dem Hölderlin-Gedicht "Hälfte des Lebens": Ihr holden Schwäne, / Und trunken von Küssen / Taucht ihr das Haupt / Ins heilignüchterne Wasser.

Urstoff alles Lebendigen

Wasser ist eben ein Labsal - für Schwäne und Menschen, für Körper und Geist, Trost spendend in vielen Lebenslagen. Und wenn dich das Irdische vergaß, / zu der stillen Erde sag: Ich rinne. / Zu dem raschen Wasser sprich: Ich bin (Rainer Maria Rilke, Sonette an Orpheus). Und niemand widerspricht ihm, im Gegenteil, es singen die Wasser im Schlafe noch fort vom Rilke. Wohl gar auch von der Droste-Hülshoff, die einst anmutig so gedichtet hat: In der Bucht wieget ein Kahn, / Ausgestreckt der Fischer drin, / Und die lange Wasserbahn / Schaut er träumend überhin . . . / "Wasser", spricht er, "Welle gut, / Hauchst so kühlig an den Strand. / Du, der Erde köstlich Blut, / Meinem Blute nah verwandt . . ."

Das Wasser ist des Fischers Lust, dem Dichter aber Urstoff alles Lebendigen. "Ohne Wasser ist kein Heil", rufen die Sirenen in Goethes "Faust", und Thales preist ebendort das Ewig-Wogende inbrünstig; Heil! Heil aufs neue! / Wie ich mich blühend freue, / Vom Schönen, ah durchdrungen: / Alles ist aus dem Wasser entsprungen!! / Alles wird durch das Wasser erhalten! / Ozean, gönn uns dein ewiges Walten!

Dem ist aus deutscher Sicht nichts hinzuzufügen außer der kühnen Parole, die Wilhelm II. am 23. September 1898 bei der Einweihung des neuen Hafens in Stettin ausgab: "Unsere Zukunft liegt auf dem Wasser!"

Nun lehrt uns allerdings die Geschichte, dass just dort, wo kräftig Heil! gebrüllt wird, unheilvolle Zustände herrschen. Und in der Tat bringt das deutsche Wasser, wie die Literaturgeschichte zeigt, nicht nur Glück, sondern auch Unglück, nicht nur Leben, sondern auch Tod. Wenn's auf den Weltuntergang zugeht, von dem schon die Germanen eine klare Vorstellung hatten, spielt auch das Wasser eine verderbliche Rolle, wie das althochdeutsche Gedicht "Muspilli" (Weltbrand) berichtet: so inprinnant die perga poum ni kistenit / enihe in erdu aha artruknent (Es entbrennen die Berge, kein Baum steht, / Nicht einer auf Erden, das Wasser vertrocknet).

Die sprichwörtlichen tiefen Wasser sind zwar still, bisweilen aber sehr böse. Das mussten zum Beispiel die zwei Königskinder erfahren, sie konnten beisammen nit kommen, / das Wasser war viel zu tief. Wie menschenfeindlich der tückische Ozean sein kann, beklagt der Balladendichter Schiller in "Hero und Leander": "Durch des Gewässers Fluten" kämpft sich der verliebte Schwimmer, doch erreicht das Ufer nimmer, denn "es wächst des Sturmes Toben, hoch, zu Bergen aufgehoben, schwillt das Meer, die Brandung bricht schäumend sich am Fuß der Klippen . . ." Und am Morgen schwemmen unschuldsblau sich kräuselnde Wellen "einen Leichnam an den Strand". Als Wasserleiche beschließt bekanntlich auch "Der Taucher" sein Leben: Es kommen, es kommen die Wasser all, / Sie rauschen herauf, sie rauschen nieder, / Den Jüngling bringt keines wieder.

Selbstverständlich ist Goethe, dem Vielwissenden, die dunkle Seite des Wassers nicht verborgen geblieben. Zum Andenken der Johanna Sebus, "der siebzehnjährigen Schönen Guten aus dem Dorfe Brienen, die am 13. Januar 1809, bei dem Eisgange des Rheins und dem großen Bruche des Dammes von Cleverham, Hilfe reichend unterging", schrieb er eine tief nachempfundene Kantate, welche mit den edlen Versen endet: Bedeckt ist alles mit Wasserschwall; / Doch Suschens Bild schwebt überall. - / Das Wasser sinkt, das Land erscheint / Und überall wird schön Suschen beweint. - / Und dem sei, wers nicht singt und sagt, / lm Leben und Tod nicht nachgefragt! Ebenfalls von Goethe stammt die lyrische Schilderung vom nassen Schicksal des Fischers, das "ein feuchtes Weib" ihm bereitet: Das Wasser rauscht', das Wasser schwoll, / Netzt' ihm den nackten Fuß; / Sein Herz wuchs ihm so sehnsuchtsvoll, / Wie bei der Liebsten Gruß. / Sie sprach zu ihm, sie sang zu ihm; / Da wars um ihn geschehn: / Halb zog sie ihn, halb sank er hin, / Und ward nicht mehr gesehn.

Vom Regen in die Gräben

Unheimlich ist uns Irdischen das Wasser; begreiflich, dass Novalis meinte: "So dünkt mir seltsam und fremd / Der Flüsse Gewässer." Aber das Wasser kann auch gemein sein, bösartig und böswillig. So verhindert es etwa, wie bei Christian Morgenstern zu lesen ist, einen heiß ersehnten ritterlichen Zweikampf: Unsre Helden echauffiert / fühlen Wasser das fast friert / dieses tücke kalte Nass / raubt am Kampfe jeden Spaß. Noch schlimmer ergeht es jedoch dem armen Wasserverkäufer in Bertolt Brechts "Der gute Mensch von Sezuan": Ich hab Wasser zu verkaufen / Und nun steh ich hier im Regen / Und ich bin weithin gelaufen / Meines bisschen Wassers wegen. / Und jetzt schrei ich mein: Kauft Wasser! / Und keiner kauft es / Verschmachtend und gierig / Und zahlt es und sauft es.

Fassen wir zusammen: Die deutsche Literatur wäre ohne Wasser eine recht trockene Materie. Es nährt und belehrt, es labt und belebt, es tötet und tröstet. Verfließet, vielgeliebte Lieder, / Zum Meere der Vergessenheit! / Kein Knabe singt entzückt euch wieder, / Kein Mädchen in der Blütenzeit. / Ihr sanget nur von meiner Lieben; / Nun spricht sie meiner Treue Hohn. / Ihr wart ins Wasser eingeschrieben, / So fließt denn auch mit ihm davon (Goethe, Am Flusse).

Eine Laissez-passer-Haltung mag enttäuschten Verliebten geziemen; der forsche, fröhliche, vom Gestaltungswillen beseelte menschliche Geist jedoch will alles in geordnete Bahnen lenken: Auch dem Wasser darf es in Kanälen / Nie am Laufe, nie an Reine fehlen . . . / Sanften Fall des Wassers nicht zu schwächen, / Sorgt, die Gräben fleißig auszustechen . . . (Goethe, Vermächtnis altpersischen Glaubens). Diese altpersische Erfahrung deckt sich mit der altdeutschen Erkenntnis, dass man die Natur zu unserem Glücke zwingen müsse, oder, wie es fast genau so bei Schiller heißt: Wohltätig ist des Wassers Macht, / wenn sie der Mensch bezähmt, bewacht.

Freitag, 25. Juli 2003

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