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Fernwärme statt Rauchfang

Aus dem Notizbuch eines Weihnachtsmannes
Von Tom Appleton

Wiad da Tog lang wern hait? fragt die Dame mit der Pelzmütze. Der Herr zu ihrer Rechten nickt. Er trägt unter der roten Zipfelmütze noch eine ausgiebige weiße Perücke, an seinen Ohren hängt ein weißer Bart, gekleidet ist er in einen flauschigen roten Pyjama mit weißem Kunstfellkragen und Manschetten aus Ersatz-Hermelin. Ihm ist schon jetzt heiß, dabei sitzt er nur ganz still in seinem Schlitten, auch die Rentiere mit den goldenen Geweihen bewegen sich nicht von der Stelle. Vier Tage lang werden sie hier Dienst machen - die Rentiere und der Weihnachtsmann auf der Oberwarter Weihnachtsmesse im Burgenland. Rudolph mit der roten Nase hat sich leider erkältet, er musste in Grönland zurückgelassen werden.

Es ist ein zauberhafter Ort, diese Messehalle, voll weihnachtlicher Glitzerpracht. Links gegenüber die Handys gleich opaleszierenden Juwelen, Teenies schwirren um sie herum wie Bienen um den Honig. Rechts der Super-Candy-Stand mit Schoko-Schaschlik (aufgespießten Erdbeeren, mit Schokolade überzogen, es gibt auch Bananen und Äpfel in gleicher Ausfertigung), mit rosa Zuckerwatte und zahllosen Wannen voller bunter Bonbons, Marzipankartoffeln, Gummibärlis, Cola-Krachern, Rum- und Mozartkugeln, Orangetten, Draculazähnen und Riesenboas aus Haribo-Gummi-Masse. Daneben der chinesische Stand mit den klingenden Windspielen aus Glas, den geschnitzten Liebesdelphinen aus Holz und den bedruckten Seidentüchern im Sonderangebot.

Feng-Shui auf der Mittelbühne

Etwas weiter entfernt verkauft ein Herr aus Hannover den zauberhaften Bio-Putzstein in der Dose, der sieben Jahre lang hält, weswegen er auch 18 Euro kosten darf. Es wäre eine fast heiter zu nennende Kabarett-Nummer, sähe man sie in einem Theater, denn Tonfall und Gesichtszüge des Präsentators ähneln verblüffend jenen des deutschen Bundeskanzlers Schröder. Magnet-Heil-Kuren, batteriebetriebene Massagekäfer, elektrische Eisenbahnen, Uhren im blauen Stein, glitzernde Akkordions, farbenprächtige orientalische Sitzkissen und stark-riechende Käse-Räder umschwirren die Sinne.

Weihnachtliche Klänge aus dem Lautsprecher wiederholen sich im Turnus wie ein kosmisches Rad. Dazwischen immer wieder einmal der unvermeidliche Sommerhit von Las Ketchup. Schon bald ist die stark rauchgeschwängerte Luft erfüllt mit dem zusätzlichen Aroma aus dem Messe-Restaurant. Dort gibt es Rehmedaillons mit Croquetten, gebackene Putenstreifen auf Salat oder gebratene Leber mit Petersilkartoffeln. Über Lautsprecher wird ein Vortrag über "Feng-Shui aus der Sicht des Herzens auf der Mittelbühne" angekündigt.

Der Weihnachtsmann sitzt in seinem Schlitten und beobachtet eine Falte im Lauf-Teppich, die, oft in Sekundenbruchteilen hintereinander, einen Messebesucher nach dem anderen über sich stolpern lässt, als wäre es eine Szene bei Jacques Tati. Die meisten Leute, die vorbei gehen, erwartennur einen künstlichen Weihnachtsmann, und lachen freudig erregt, wenn sie bemerken, dass er "echt" ist. "Ho Ho Ho" begrüßen sie ihn, doch mit einer ebensolchen tiefen Stimme würde er den Kindern nur Angst machen. So quäkt er wie Eddie Murphy und schüttelt den Kleinen ausgiebig die Hand: "Guten Tag, ich bin der Weihnachtsmann. Und wer bist du?" - "Nicole." "Nicole, ich wusste es doch. Du warst doch letztes Jahr schon hier, nicht wahr? Und du bist acht Jahre alt, stimmts?" Nicole strahlt, dass der Weihnachtsmann das alles weiß.

"Und was wünschst du dir?" "Eine CD." "So, eine CD. Und von wem?" "Vom Hansi Hinterseer." "Sag mir jetzt noch wo du wohnst." "In Redlschlag bei Bernstein." "Und habt ihr auch einen Schornstein? Ich meine, einen Rauchfang? Du weißt ja, der Weihnachtsmann kommt immer durch den Schornstein, niemals durch die Tür." Sie nickt und der Weihnachtsmann notiert sich: "Hat Sch." Zum Schluss gibt es noch eine Handvoll Erdnüsse, eine Mandarine und ein Zuckerl.

Schulkinder ziehen vorbei und machen dem Weihnachtsmann das "Peace"-Zeichen. Auch die größeren Kids werden hier wieder ganz Kind. Oder sie spielen es, denn auch sie rutschen in eine Rolle hinein. Christopher Hirman ist schon 13, trotzdem verrät er dem Weihnachtsmann, dass er sich "Schi-Schuhe" wünscht, "Größe 40". "Und wo kannst du hier Schi fahren?" fragt der Weihnachtsmann. "Bad Hofgastein fahrn ma heia wieda", informiert ihn das große Kind. Nach ein paar Minuten ist Christopher schon wieder da und fragt den Weihnachtsmann sicherheitshalber noch einmal, ob er auch wirklich die Geschenke bringen wird. Ob er, Christopher, oder die Mama, die Schuhe hier abholen könnten? "Und was, wenn die Mama umsonst aufifoat?" "Das wäre gar nicht gut", pflichtet ihm der Weihnachtsmann bei. Zuletzt möchte Christopher noch wissen, ob's heuer zu Weihnachten schneien wird. "Aber sicher doch."

E-Gitarre als Wunsch

Auch Daniel Leo, 13, klein, drahtig, vif, scheut sich nicht, dem Weihnachtsmann seinen Wunsch mitzuteilen. Eine E-Gitarre, eine Fender Strat. Was das Kerlchen immerhin als Experten ausweist. Seine Adresse gibt er mit "Wien, zweiter Bezirk" an. Der Weihnachtsmann, nach eigenen Angaben immerhin 600 Jahre alt, singt ihm daraufhin, zur Prüfung, eine alte Melodie vor, zu einem Text, den Klein-Daniel nicht kennen kann: "Ah-Humpty-Dumpty. Hump. Tee. Dump. Ti-Dump-ty . . ." Nur EINE Sekunde braucht der Jung-Gitarrist, um sie zu erraten: "Das ist doch die Melodie von 'Sunshine of Your Love'." Der Weihnachtsmann notiert sich: "Hochbegabtenförderung!"

Daniels Freund wünscht sich "die E-Gitarre von Santana, die gelbe mit dem roten Rahmen". Der nächste Freund wünscht sich einen PC und eine Kamera, seine Adresse gibt auch er mit "zweiter Bezirk" an. "Furlan Sascha" hingegen hinterlässt mit 7535 St. Michael eine genaue Adresseanangabe, wo die Playstation 2 samt Spiel ("egal welches") abzuliefern sei. Während Brahms' "Lullaby" lautstarker, "gospeloider" Schreiversion durch die Halle dröhnt, kommen die ersten kleinen Rüppel vorbei. Ein aufdringlicher 12-Jähriger lehnt das Angebot von Erdnüssen ab: "Was soll i mit dem? Gib mir a Noschzeig!" - und nimmt sich auch gleich selbst eines. Ein 14-Jähriger mit Genickverletzung (erkennbar an der Halskrause) fragt den Weihnachtsmann mit lauter Stimme: "Wo kommst du denn her?" - "Aus dem Weihnachtsmannland". - "Willst du mich verarschen?" - "Das gerade nicht. Ich wohne eben am Nordpol. Übrigens wurde der Nordpol 1909 von einem Afro-Amerikaner, Matt Henson aus Maryland, entdeckt. Nicht etwa von einem Eskimo, wie ihr vielleicht meinen könntet." - "Na und? Ist auch nur ein Mensch." Der Weihnachtsmann seufzt.

Natürlich gibt es auch die allzu gut erzogenen Kinder. Manche haben sogar Angst vor dem Weihnachtsmann. Er winkt mit Zuckerln - sie schütteln den Kopf, die Mama hat's verboten. Manche Kinder bestehen nur aus Reflexen: "Wie heißt du denn?" fragt der Weihnachtsmann. "Danke", antworten sie. Manche Eltern lassen ihre Kleinen erst gar nicht zu Wort kommen: "Willst du dem Weihnachtsmann zeigen, wie schön du beten kannst?"

Am zweiten Tag ist der künstliche Weißbart schon vor 9 Uhr da, die übrigen Stände befinden sich

noch im Aufbau, die Musik dröhnt schon - eine nervende Version

von Ave Mari-hi-ja. Die Brille des Weihnachtsmanns ist völlig zugenebelt, es ist zu heiß in der

Halle, der Kopf juckt unter der Perücke, letzte Nacht war er zu Hause vor Erschöpfung sofort eingeschlafen, und als er, schon nach Mitternacht, noch einmal aufwachte, trug er immer noch die Brille. Kinder mit bemalten Gesichtern - Katzen, Vampire, Totenschädel - kommen vorbei, Girls in Jeans mit Schlag, wie aus den Seventies importiert, schwirren wieder um die Handys.

Ein 17-Jähriger wendet sich an den Weihnachtsmann: "Darf ich mich auf deinen Schoß setzen?" Der Mann vom Nordpol schlägt ihm die Bitte freundlich, aber bestimmt ab, bietet stattdessen Erdnüsse, Mandarinen, Zuckerln an. Es geht dabei um eine Wette. Wenn der Bursche es sich traut, bekommt er von seinen Freunden und Freundinnen ein Getränk spendiert, etwas nicht ganz Alkoholfreies. So gewährt ihm der Weihnachtsmann die Bitte - und verspricht ihm, ganz nebenbei, fürs nächste Jahr den Führerschein.

Nach einer Minute darf der Jüngling den Schlitten wieder verlassen. Und der Weihnachtsmann notiert weiter: "Sabine, 15, aus Schildbach, wünscht sich ein Handy - 33 10 Nokia, Modell "Winnie the Puh", und einen Lover - hat Schornstein. Isabella, 14, wünscht sich den Hermann - nicht den Maier." Den findet sie nämlich "schiach". Den Gewünschten hingegen möge ihr der Weihnachtsmann vor die Tür stellen, mit einer roten Schleife.

Alle wollen Handys

Auch Patrick, Michi, Gerald und Kevin, alle 12, alle aus Oberwart, wünschen sich Handys. Viktoria, 8, aus Pinggau, wünscht sich einen Hut. "Warum einen Hut?" fragt der Weihnachtsmann. "Einen HUND!!" Klein müsse er sein, eine Katze dürfte es auch sein. ". . . Hat Sch. Philip, 10, Handy, Flugzeug. Kevin Steinberg, hat Rauchf.". Was er sich wünscht, hat der Weihnachtsmann blöderweise vergessen, aufzuschreiben.

Sabrina & Denise, beide 7, beide mit Spiderwoman-Gesichtsbemalung, gesellen sich zum Weihnachtsmann als freiwillige Krampusse für den Rest des Tages. Eifrig teilen sie an alle leichte Stockschläge aus und fauchen wie Wildkatzen. Sabrina meint nachher: "Heit hobi dem Pforra meine Sünd dazöhlt, des wos i jetzt gmocht hob, kann i glei als nächstes dazöhln." "Was hast du denn gemacht?", fragt der Weihnachtsmann. "Na - Krampus", antwortet Sabrina.

Der dritte Tag wird eingeleitet von Dinah Shore und "Winter Wonderland". Weihnachtsmann-Routine macht sich breit: Melissa, 9, wünscht sich ein Pferd, hat Sch.. Wie ein hospitalisierender Eisbär sitzt der Weihnachtsmann in seinem Schlitten und lässt den Bommel seiner Mütze baumeln. Sabrina und Denise, diesmal mit Schmetterlingsgesichtsbemalung, kommen hinzu. Sabrina versucht, durch gezielte Fragen das Geheimnis des Weihnachtsmannes zu ergründen, woher er das Kostüm habe, ob er selbst ein großer Fan vom Weihnachtsmann sei . . .

Schwerbepackte Lastenträger, ohne freie Hand, die das endlos tirilierende Handy abstellen könnte, ziehen vorbei. Und immer mehr Kinder kommen, Lisa Halpär, 9, und Bischof Stefan, 6, aus Oberdorf. ". . . hat Sch., gelbes Haus", notiert sich der Weihnachtsmann. Einen Barbie-Reisezug für Lisa, und für Stefan den "neichen Feierwehrtruck von da Werbung". Bernhard Gill (4) aus Oberschützen hat Rauchfang und wünscht sich eine Puppe: "schönes Haar, liabs Gsicht".

Lädierte Dekoration

Am vierter Tag singen Bing Crosby und die Chordettes "Santa Claus Is Coming to Town". Und es kommen Kinder von überall her, sogar aus Amerika. Die Eltern sprechen eine Mundart, die es hier seit 50 Jahren nicht mehr gibt. Der Weihnachtsmann kommt gar nicht mehr zum Aufschreiben, ganze Hände voll Erdnüsse, Mandarinen, Schoko-Tabs wirft er um sich. Nora, 4, Spielzeugeisenbahn, Pinkafeld, "kein Sch., muss durch Fernwärme kommen", notiert er.

Katharina, 10, aus Punitz, wünscht sich Blasfarben, hat Rauchfang. "We Are the Children" dröhnt es nervend. Nadine, 7, aus Kärnten, hat Rauchfang, Barbie Registrierkasse. Selina, 4, aus Oberschützen, überlegt noch, hat Sch.. Heute läuft zum ersten Mal ein Ventilator. Theresa, 9, aus Grafendorf wünscht sich ein Pferd, hat Rauchfang. Pascal, 4, Mini Taschenrechner, Oberdorf, hat zwei Rauchfänge, beide groß.

In der schon reichlich lädierten Dekoration wirft der Weihnachtsmann, total verschwitzt, weiterhin mit allerlei Gaben um sich. Matthis, 3, aus Kleinpetersdorf, wünscht sich ein Auto, hat einen Rauchfang, bemerkt aber auch ein Pflaster an der Hand des Weihnachtsmanns: "Hast du dir da weh getan?" "Ja." "Woran?" "An dieser Mandarinenkiste hier." "Musst du aufpassen!!", sagt Klein-Matthis streng. "Hochbegabtenförderung", notiert der Weihnachtsmann begeistert. Zuletzt kommt noch Natascha, 15, sie wünscht sich ein neues Handy - und reich sein möchte sie, und ihren Ex-Freund zurück. Nicole, 15, ihre Halbschwester, wünscht sich einen BMW m3 und ihren besten Freund zurück. Natascha wünscht sich für ihren Ex-Freund "Gscheitheit" und zwar "um so viel mehr" und dazu macht sie eine Geste mit Zeigefinger und Daumen, die fünf Zentimeter anzeigt.

Am späten Nachmittag lichtet sich die Szene, alle Nüsse sind verteilt, Zuckerln gibt es keine mehr. Man hört allerorten den österreichischen Dreifach-Gruß, "Tschüs, baba, pfiat eich". Kinder winken. "Wiedersehn. Bringst ma was?" "Na sicher", sagt der Weihnachtsmann und klopft auf die leeren Päckchen von der Dekoration. "Aha!" Ein glückliches Lächeln strahlt in den kleinen Gesichtern.

Freitag, 20. Dezember 2002

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