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"Silent Night" in "Little Bavaria"

Ein Blick auf das "Christmas Wonderland" in Michigan
Von Reinhard Kriechbaum

Wenn es um "Stille Nacht" in der Neuen Welt geht, dann führt kein Weg an Wallace Bronner vorbei. Die stimmige Adresse: Christmas Lane 25, Frankenmuth, Michigan. Dort steht, mitten auf dem Gelände von "Christmas Wonderland" - dem angeblich größten Weihnachtsartikel-Shop der Welt -, seit genau zehn Jahren eine Replik der Stille-Nacht-Kapelle in Oberndorf. Und immer am 24. Dezember, nachmittags um drei, betätigt sich Wallace Bronner inmitten der Besucherschar als Vorsänger.

"Wally" sagen seine Freunde und Mitarbeiter liebevoll zu ihrem 75 Jahre alten Seniorchef. Er ist ein fleißiger Mensch und hat auf seinem Kontinent emsig nach dem Lied der Lieder geforscht. Die englische Version von "Stille Nacht" hat er allein in den USA in bisher gut 300 Drucken und Liederbüchern aufgestöbert. In Kanada sogar in 422 Büchern. In den USA würden 275 Aufnahmen in den Tonträger-Verkaufskatalogen angeboten, versichert Bronner. "Das Lied wird von den Einwohnern der USA in ungefähr 50 Sprachen gesungen."

Europäische Emigranten brachten das 1818 erstmals gesungene "Stille Nacht" nach Übersee. 1894 ist das Lied in das erste lutherische Gesangsbuch der Vereinigten Staaten aufgenommen worden. "Kein anderes Lied vermag Menschen so

gut in weihnachtliche Stimmung

zu versetzen." Wallace Bronner muss es wissen, denn er betreibt

in Michigan, gar nicht weit weg von Detroit, in dem Städtchen Frankenmuth das "Christmas Wonderland", eine Art WeihnachtsDisneyworld. In diesem "dreamland offering numerous indoor

and outdoor photo opportunities", so groß wie vier Fußballplätze, ist also das ganze Jahr über Weihnachten. Abends mit Beleuchtung, und untertags mit weiteren 100.000 weihnachtlichen Lichtern in den Verkaufsräumen, was dem Unternehmen eine Stromrechnung von 650 Dollar pro Tag beschert. Geöffnet ist übrigens an 161 Tagen pro Jahr. Nur zu Ostern, zu Thanksgiving und zu Neujahr hat "Christmas Wonderland" geschlossen - und bemerkenswerter Weise auch am 25. Dezember.

Zwei Millionen Menschen kommen pro Jahr, womit das Unternehmen den größten Kundenzulauf in den benachbarten US-Bundesstaaten Michigan, Ohio, Indiana, Illinois und Pennsylvania hat. Die besucherstärksten Tage sind am Beginn der Adventzeit. Am 26. November 1994 kamen 25.981 Leute; dieser Tag steht in den Annalen der Firma ganz oben.

In den Hallen von "Christmas Wonderland" wird mehr geboten, als sich der Durchschnittseuropäer in seinen kühnsten Träumen ausmalen kann. Würde man all die elektrischen Christbaumkerzen-Girlanden aneinander knüpfen, die im Lauf eines Jahres dort verkauft werden, ergäbe das die stolze Länge von beinahe 644 Kilometern. Das reicht für 16 Lichterketten rund um den Äquator. Der Jahresumsatz von 121 Kilometern Girlanden nimmt sich demgegenüber vergleichsweise mickrig aus.

Die Liste, das "Fact Sheet" fehlt natürlich nicht im Internet-Auftritt des

Konzerns mit Glitzerwaren

(http://www.bronners.com ), und sie ist imponierend. 400 Krippenmodelle, 260 unterschiedliche Baumdekorationen, 200 Nussknacker-Modelle, ein Angebot von 50.000 Waren, Ethno-Weihnachten aus 70 Ländern von den Anden bis nach Moskau. Eine Million Glaskugeln und dergleichen Dinge wandern pro Jahr über die Verkaufstische. Im "Christmas Wonderland" gibt es nichts, was es nicht gibt. Immerhin sind auch Bibeln in 20 Sprachen zu haben, ein kleiner spiritueller Lichtblick.

Der besinnliche Pol im Weihnachts-Verkaufsgetriebe ist die dem Original im Salzburgischen Oberndorf nachempfundene Stille-Nacht-Kapelle. "1976 war ich das erste Mal in Oberndorf", erinnert sich Wallace Bronner. "Seit diesem Zeitpunkt beschäftigte mich der Plan, die Kapelle in Frankenmuth nachzubauen." Im November 1992 war es soweit. "Die Kapelle dient nur der Meditation, nicht dem Gottesdienst", erklärt Bronner. Einem Faltprospekt kann man entnehmen, dass "inside and outside the

chapel grounds" das Lied zu

hören ist. Im Inneren kann man allerlei imitierte Stille-Nacht-Devotionalien bewundern, aber immerhin auch die Weihnachtsgeschichte nach Lukas in 30 Sprachen nachlesen.

Der ausgefallene Name Frankenmuth hat tatsächlich etwas mit dem Frankenland und einem gewissen Wagemut zu tun, denn in dieser Gegend siedelten ab 1845 deutsche Aussiedler aus der Gegend um Nürnberg. Jetzt wird Frankenmuth als "Michigan's Little Bavaria" beworben. Es gibt über 100 "picturesque shops and restaurants". Vom Baustil der Häuser bis zu den Lederhosen der Kellner ist alles so getrimmt, wie sich Lieschen Müller aus den Metropolen Chicago oder Detroit bayerisches Lebensgefühl vorstellt.

Wenn Musikwissenschafter und Historiker in Salzburg zusammenkommen, um wieder einmal ein Stück Wahrheit in die (nicht unumstrittene) Entstehungsgeschichte des Liedes "Stille Nacht" zu bringen, ist jedenfalls Wallace Bronner ein gern gesehener Gast. Vor einigen Jahren, als man in Oberndorf ein "Stille Nacht"-Museum eröffnete, stellte er sich mit einem eigenwilligen Geschenk ein: einem Leporello, in dem je eine Liedstrophe in 175 Sprachen enthalten ist. Bis ins Jahr 2018, so verspricht der nicht mehr ganz junge Chairman des weihnachtlichen Unterhaltungsparadieses mit unverhohlenem Sendungsbewusstsein, hoffe er weitere 25 Übersetzungen ausfindig gemacht zu haben. In seiner "Stille-Nacht-Registerarie" sollen dann bis zum 200-Jahre-Jubiläum des Liedes ebenso viele Sprachen enthalten sein.

Man täte Bronner Unrecht, wenn man seine Euphorie für "Stille Nacht" und sein natürlich äußerst einträgliches Weihnachts-Entertainment allein mit "Kitsch as Kitsch can" abtäte. Immerhin macht er sich auch darum verdient, dass "Stille Nacht" in den vier authentischen Fassungen von Franz Xaver Gruber bekannt wird. Das wäre auch in anderen Weltgegenden - und nicht zuletzt in Österreich selbst! - durchaus vonnöten, denn das Lied ist fast nirgendwo in seiner originalen Form bekannt. Der aus der Steiermark stammende Schreiber dieser Zeilen erinnert sich einigermaßen beschämt an seine ersten Weihnachten in Salzburg: Zu vorlaut sang ich am Ende der Christmette das "Schlafe in himmlischer Ruh" um eine Terz höher, als es - natürlich! - in Salzburg üblich ist. Wallace Bronner freut sich jedenfalls über jeden kleinen Erfolg: "Sogar das 'Tonight-Show'-Orchester hat das Lied neuerdings in seiner Originalfassung im Repertoire."

Freitag, 20. Dezember 2002

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