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Vermögen fürs Wohlergehen

Theorie und Praxis des Stiftungswesens
Von Thomas Veser

"Wenn ich mein Vermögen nicht mitnehmen kann, dann werde ich eben nicht
gehen" , erwiderte Louis B. Mayer angeblich einst seinem Rechtsanwalt auf den
Ratschlag, wenigstens einen Teil seines gewaltigen Reichtums nach dem Tod für
gemeinnützige Zwecke zu stiften. Ob die trotzige Reaktion des in die Jahre
gekommenen US-Multimillionärs, der sich mit seinen Erben nicht sonderlich gut
verstanden haben soll, eher im Reich der Anekdoten anzusiedeln ist, läßt sich heute
nicht mehr feststellen. Typisch wäre sie keinesfalls, denn Stiftungen ins Leben zu rufen,
gehört in den Vereinigten Staaten seit langer Zeit zum guten Ton.

Ein Großteil der zirka 50.000 US-Stiftungen, von der Bevölkerung fleißig mit
Spendengeldern unterstützt, kümmert sich um das "Wohlergehen der Menschheit". Sie
verdanken ihre getreu der Satzung oft auf "ewig" angelegte Existenz nicht selten
wohlhabenden Unternehmerpersönlichkeiten, die sich so über den Tod hinaus ein
bleibendes Denkmal setzen wollten. Will eine US-Stiftung als gemeinnützig anerkannt
werden, muß sie sich an einen Verhaltenskodex halten. Streng an die eigene Satzung
gebunden, ist sie in erster Linie gehalten, ihr Vermögen zu verwalten. Zumindest dem
Gesetz nach setzt jede Stiftung, die etwa vor den Wahlen direkte parteipolitische
Einflußnahme ausübt, ihr Privileg der Steuerbefreiung aufs Spiel.

Weil sich ehrenamtliche Stiftungs-Mitarbeiter den Ansprüchen einer professionellen
Verwaltung kaum noch gewachsen zeigen, vertraut der US-Nonprofit-Bereich immer
häufiger auf ausgebildete Manager, die sich mit der Frage beschäftigen, ob ihre
Einrichtung denn überhaupt noch der Funktion Rechnung trägt, die sie in einer rasch
sich wandelnden Gesellschaft erfüllen soll. Sie informieren die Öffentlichkeit nicht nur
über Stiftungsziele, Legitimität und Erfolge, sie geben inzwischen auch freimütig
Auskünfte über die Finanzverhältnisse und verhelfen so dem gemeinnützigen Sektor zu
einer größeren Transparenz.

Buch mit sieben Siegeln Von vergleichbaren Verhältnissen scheinen Europas
Stiftungen noch Lichtjahre entfernt zu sein. Läßt die Europäische Kommission in
Brüssel sonst keine Gelegenheit aus, tatkräftig zu regulieren, kam auf dem
Nonprofit-Sektor bis heute noch nicht einmal eine ihrer berühmten Richtlinien zustande.
Auch in den Mitgliedsländern hält sich der Gesetzgeber lieber auf Distanz zur
Philantrophie, die ihrer komplexen Struktur wegen manchmal zutreffend mit einem
undurchdringlichen Dickicht verglichen wird. Welche Geldsummen die rund 7.000
gemeinnützigen Stiftungen Deutschlands jährlich umsetzen, gehört mit wenigen
Ausnahmen traditionell zu den bestgehütetsten Geheimnissen. Weil der Begriff dem
allgemeinen Sprachgebrauch angehört und juristisch nie verbindlich festgelegt wurde,
entwickelten sich im Laufe der Jahrhunderte die verschiedensten Rechtsformen, die eine
Stiftung für sich beanspruchen kann: Das Stiftungswesen gleicht heute einem Buch mit
sieben Siegeln.

Die Verwaltung der im wesentlichen erst in der späten Nachkriegszeit gegründeten
gemeinnützigen Einrichtungen Deutschlands liegt meist in den Händen ehrenamtlicher
Mitarbeiter, oft Sozialarbeiter, die sich des zunehmenden wirtschaftlichen Gewichts des
gemeinnützigen - bisweilen "dritter Sektor" - genannten Bereichs kaum bewußt sind:
Heute erwirtschaftet er in den Ländern Westeuropas immerhin schon zwischen 4 und 7
Prozent des Bruttosozialprodukts, sein Gesamtvermögen hat sich, wie der
Personalbestand, seit 25 Jahren verdreifacht.

Diskretion und Traditionspflege bleiben im philantropischen Milieu oberstes Gebot:
"Deutsche Stiftungen sind häufig dröge, konservativ und starr ihren eigenen
Ideen verhaftet" , kritisiert Rupert Graf Strachwitz, dessen Münchner
Consulting-Firma Maecenata Privatpersonen, Behörden und Stiftungen berät. Welchen
Nutzwert ihre Projekte der Gesellschaft bringen, lasse sich schwer ermitteln, da sie
nach kurzer Laufzeit beendet würden und Informationen über ihren Langzeiteffekt,
wenn überhaupt je erforscht, der Öffentlichkeit nicht zugänglich seien.

Mit schätzungsweise 50 gemeinnützigen Stiftungen zählt Österreich zu den
stiftungsarmen Ländern Europas. Seit den Zeiten Kaiser Josephs II., der wie der
französische König Ludwig XV. unmißverständlich auf die Rolle des Staates bei der
Erfüllung gemeinnütziger Aufgaben pochte, wird das Land, so Graf Strachwitz, von
einem "stiftungsfeindlichen Klima" geprägt. Erst in den vergangenen Jahren wurden
in Österreich die Grundlagen für die künftige Entwicklung des Stiftungswesens gelegt:
Während sich das Stiftungs- und Fondsgesetz aus den achtziger Jahren auf
gemeinnützige Stiftungen bezieht, wollte der österreichische Gesetzgeber mit dem
Privatstiftungsgesetz von 1993 verhindern, daß große Privatvermögen ins Ausland
verschoben werden.

Die außerordentlich steuergünstige Behandlung der privatrechtlichen (nicht
gemeinnützigen) Stiftungen Österreichs wirkt so verlockend, daß bereits zahlreiche
Ausländer mit dem Gedanken spielten, in Österreich eine Stiftung ins Leben zu rufen. In
der Praxis erwies sich dies jedoch als schwer umsetzbar, da man hierfür seinen
Wohnsitz ständig in Österreich haben muß. Gegenwärtig arbeitet man auch in
Österreich, wo es keinen zentralen Stiftungsverband gibt, an der Erfassung aller
Stiftungen, die sich als "schlafende Riesen" ihre zukünftigen Aufgaben bewußt machen
müssen. Für einige von ihnen wird es ein böses Erwachen geben: Denn aus der Furcht
heraus, mit neuartigen Ansätzen Schiffbruch und möglicherweise ein finanzielles
Debakel zu riskieren, setzen europäische Stiftungen unbeirrt auf altbewährte Ziele,
selbst wenn diese gar nicht mehr gefragt sind. Daß Stiftungen mit verstaubten Ideen und
Förderidealen mangels Antragsteller auf ihrem Geld sitzenbleiben, scheine die
Verantwortlichen nicht um den Schlaf zu bringen, resümiert Graf Strachwitz.

Schwer erfaßbare Artenvielfalt "Motoren des Wandels und Ideenagenturen für
die Lösung der Probleme unserer Zukunft" - so umschrieb der deutsche
Bundespräsident Roman Herzog vor kurzem bei einem internationalen
Stiftungs-Symposium der Gütersloher Bertelsmann-Stiftung die künftige Funktion der
Stiftungen, die sich allerdings ihrer zunehmenden Bedeutung, so
Stiftungsratsvorsitzender Reinhard Mohn, erst einmal bewußt werden müßten. Aber
selbst in der Bevölkerung vermißt Rupert Graf Strachwitz die Einsicht in die
Notwendigkeit des Stiftungswesens. Deshalb arbeitet er am Aufbau einer
"Meta-Stiftung", die durch gezielte Öffentlichkeitsarbeit davon überzeugen soll, daß der
"gemeinnützige Sektor der Zukunftssektor unserer Gesellschaft ist".

Eine übergeordnete Koordinationsstelle für das buntscheckige Stiftungswesen in
Deutschland strebt er wohlweislich gar nicht erst an. Vergleicht man
Stiftungsprogramme miteinander, bietet sich selbst bei einiger Phantasie in der Tat selten
eine sinnvolle Verknüpfung an. Mit ihren unterschiedlichen Ansätzen und bisweilen
exotischen oder zumindest unpräzise definierten Absichten einzelner Persönlichkeiten
bilden Stiftungen eine "schwer erfaßbare Artenvielfalt" , so Rüdiger Stephan, der als
Generalsekretär der Europäischen Stiftung in Amsterdam vorsteht. Die Philantrophie sei
ein entmutigend weites Feld, auf dem eine Zusammenarbeit zwischen einzelnen
Stiftungen meist durch den letzten Willen des nach Unsterblichkeit strebenden
Stiftervaters erschwert werde: In der Regel müssen Vorhaben laut Satzung eigenständig
umgesetzt werden. Nimmt man einzelne Stiftungsziele unter die Lupe, wird deutlich, daß
manch ein Stiftungsvater letztlich vor allem sein persönliches Steckenpferd möglichst
ungestört in die Tat umsetzen will.

"Europas Stiftungen kommen nicht darum herum, die Kooperation von Grund
auf zu erlernen" , fordert der Zürcher Soziologe Ulrich Saxer. Das bedeute, daß sie
mit sich selbst nicht nur über ihre Ziele, ihre Legitimität und ihre Einflußmöglichkeiten ins
Gericht gehen, sondern auch ihre bisherige Arbeitsweise und damit die Qualität der
geförderten Programme und Projekte selbstkritisch überprüfen müßten.

Wenn die Bedeutung des gemeinnützigen Sektors mit dem anhaltenden Rückzug von
Staat und Wirtschaft aus vielen Bereichen Herzogs Worten zufolge zunehmen wird,
stellt sich zwangsläufig die Frage nach dem künftig zulässigen Engagement der
Stiftungen. Die Rolle eines Lückenbüßers, der einem finanziell bedrängten Staat zur
Seite springt und ihm Verpflichtungen abnehme, sei - so Rudolf Kerscher von der
Kölner Fritz-Thyssen-Stiftung - auf jeden Fall zu vermeiden. Stiftungen, die als
"gesellschaftliche Antennen frühmöglichst Gespür für die Richtung des Wandels
entwickeln sollen, müssen in der Vergabe ihrer Mittel unvorhersehbar bleiben" ,
verlangt er. "Die Finanzminister dürfen sich nicht darauf einstellen, wo sie sich
künftig auf das Engagement des dritten Sektors verlassen können" , fügt Kerscher
hinzu. "Die Legitimität einer Stiftung muß weiterhin darin bestehen, daß sie im
Gegensatz zur Politik mit unkonventionellen, manchmal sogar unpopulären
Anstößen und Vorschlägen gegen den Strich bürstet".

Eine Art "private Außenpolitik" will Kerscher ihr nicht zubilligen. "Wir haben bereits
gewonnen, wenn sich Politiker unsere Ideen aneignen, und können nur hoffen,
daß sie auch wirklich umgesetzt werden" , bekräftigt Luc Tayart de Borms von der
Brüsseler König-Baudouin-Stiftung. Als Beispiel für die Rolle des "silent actor" hinter
den Kulissen nennt er die langjährige, von der Öffentlichkeit kaum zur Kenntnis
genommene Vorarbeit verschiedener Stiftungen, die im Vorfeld des deutsch-polnischen
Vertrags die ideologische Mauer allmählich untergraben und so der politischen
Aussöhnung das Terrain geebnet hätten.

Generation der Erben Gleich in welche Richtung sich das Selbstbewußtsein des
dritten Sektors in den kommenden Jahren entwickeln wird, in einer Hinsicht läßt sich im
philantropischen Milieu bereits jetzt ungeteilter Optimismus feststellen: Als neuen Kreis
spendierwilliger Zeitgenossen haben die Stiftungen die vielbeschworene "Generation der
Erben" entdeckt: Realistischen Schätzungen zufolge werden ihre Angehörigen bis zur
Jahrtausendwende dank rund 1,7 Millionen Erbfällen um über 18 Billionen Schilling an
Geld- und Immobilienwerten reicher sein.

Wer selbst keine Stiftung gründen will, kann einen Teil seines Vermögens "zustiften", um
damit im kommunalen Rahmen kleinere Projekte zum Wohlergehen seiner Mitbürger zu
fördern. "Stadtstiftung" nennt die Bertelsmann-Stiftung, die sich vor allem mit Reformen
des Bildungssystems und der kommunalen Kulturarbeit auseinandersetzt, das aus den
Vereinigten Staaten importierte Modell, das Anfang 1997 in Gütersloh seine Arbeit
aufnehmen soll.

Nach dem Vorbild der rund 400 US-amerikanischen "Community foundations", die zur
stärkeren Identifikation der Bürger mit ihrer Stadt beitragen sollen, können dann
kleinere soziale und kulturelle Projekte - etwa auf dem Gebiet Jugendarbeit oder
Erziehung zur Gemeinschaftsfähigkeit - individuell bezuschußt werden. So öffnet sich
auch normalsterblichen Zeitgenossen das Tor zum Pantheon der gemeinnützigen
Stifterpersönlichkeiten - außerdem winkt die begehrte Steuerbefreiung.

Montag, 25. Mai 1998

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