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Artikel aus dem EXTRA LexikonPrint this...

Ein präziser Erforscher Wiens

Felix Czeike, der Verfasser des Wiener Historischen Lexikons
Von Helga Häupl-Seitz

Als im Sommer 1997 der letzte der fünf Bände des Historischen Lexikon Wiens erschienen war, jubelte nicht nur die Fachwelt: Ein Jahrhundertwerk war geboren. Noch nie zuvor war die Geschichte Wiens mit einer derartigen Fülle an Stichwörtern und liebevoll zusammengetragenen Details aufgearbeitet worden: Auf insgesamt 3.450 Seiten finden sich nicht weniger als 28.000 Stichwörter zu den verschiedensten Themen. Sie sind das Ergebnis von sechs Jahren intensiver Arbeit, die der ehemalige Leiter des Wiener Stadt- und Landesarchivs, Universitätsprofessor Felix Czeike seit seiner Pensionierung investiert hat.

Wie kam er auf diese Idee? "Allmählich", schmunzelt er. Auf den Geschmack sei er mehr als dreißig Jahre zuvor gekommen, als der Verlag Molden an ihn herantrat, das damalige Standardwerk, Richard Groners "Wien wie es war" für eine Neuauflage startklar zu machen." Es mußte schnell gehen. Ich hatte lediglich Zeit, genauere Daten und Fakten einzusetzen beziehungsweise zu präzisieren." Damals entstand die erste vage Idee, einmal etwas Eigenes zu machen. 1974 erhielt er erneut die Möglichkeit, "den Groner" zu aktualisieren. Diesmal fehlte es nicht an Zeit und so gelang es ihm, das Lexikon in großem Umfang umzuarbeiten. "Zum erstenmal haben wir auch Biographien hineingenommen". Felix Czeikes Wunsch, das Werk auf mindestens zwei Bände aufzustocken, scheiterte zwar, doch seine Leidenschaft, die Geschichte der Stadt in ihren vielen Facetten darzustellen, war endgültig geweckt. Er begann, eine Fülle von kleineren und größeren Publikationen und Artikeln über Wiens Bezirke und Persönlichkeiten in verschiedenen Verlagen und Medien, darunter auch der "Wiener Zeitung" "unterzubringen" - und zu sammeln: Ab 1979 erschienen sie als "Wiener Bezirkskulturführer" im Verlag Jugend und Volk. "Das Neue daran war die detaillierte Arbeit über den einzelnen Bezirk", erläutert der Autor, "die, populärwissenschaftlich aufbereitet, zum Nachschlagen und Nachlesen dienen sollte." Die baulichen Gegebenheiten des jeweiligen Bezirks sind ebenso dokumentiert wie das Leben der berühmten Bewohner: "wobei es mir nicht darum gegangen ist, Fakten zu wiederholen, die man in jedem überregionalen Lexikon auch findet, sondern bislang unbekannte Einzelheiten und Verbindungen zu Wien aufzuzeigen." Der Erfolg gab ihm Recht: Von einzelnen Bezirken wurden bis zu 10.000 Broschüren verkauft.

Sie sind letztendlich auch das Erfolgsrezept seines Lexikons. Um einen, sehr wichtigen Bereich hat sich dieses aber erweitert: Sachstichwörter handeln historisch die verschiedensten Wiener Institutionen und Begriffe ab - sei es das Bürgermeisteramt, den Gemeinderat oder die Wiener Straßenbahn. "Mir war wichtig, in meinem Werk all das zu finden, was man anderswo nicht findet. Dazu gehören die ungeheuren städtebaulichen, politischen und sozialen Entwicklungen, die Wien speziell am Ende des 19. und am Anfang des 20. Jahrhunderts genommen hat. Zum anderen wollte ich aufzeigen, welche Verbindung Wien zur Welt hat. Wenn man heute von Wien als der Stadt der Musik, der Wissenschaft spricht, dann muß man wissen, daß der "Wiener" doch derjenige ist, den diese Stadt großgemacht hat, der aber nicht aus Wien stammt.

Drittens wollte ich die Schicksale all jener beschreiben, die 1938 aus religiösen Gründen vertrieben worden waren: Was ist mit ihnen passiert, welche Karrieren haben im Ausland begonnen? Einfach, um zu zeigen, welche Potenzen einer Stadt durch solche Katastrophen verlorengehen".

Er kommt ebenfalls aus einer typisch wienerischen Familie: Seine Mutter stammte aus Ottakring, sein Vater und Großvater, wie könnte es anders sein, aus Schlesien. Er selbst, 1926 geboren, wuchs in Favoriten auf. Die Liebe zur Statistik, so meint er, habe er wohl vom Vater und seinen Freunden mitbekommen: Der Vater, zunächst Beamter im Handelsministerium, wechselte während der Krieges ins Statistische Zentralamt. Dennoch wollte der Sohn ein andere Laufbahn einschlagen: Er studierte Geschichte und Geographie, um Mittelschulprofessor zu werden. Auf der Hochschülerschaft lernte er seine spätere Frau Helga kennen: "Ich jobbte damals in der Quartiervermittlung, sie in der Arbeitsvermittlung daneben". Junglehrer hatten es damals schon nicht leicht, unterzukommen: Felix Czeike hätte sich auf eine Wartezeit von acht Jahren gefaßt machen müssen. Ein Professor riet ihm die Archivarausbildung zu machen. Er befolgte den Rat, gemeinsam mit etlichen zusätzlichen Semestern in Kunstgeschichte. Es war "in Summe eine Mischung, die mir später sehr geholfen hat."

Doch auch die Stadt Wien hatte damals Aufnahmestopp. Vier Jahre brachten er und seine künftige Frau sich mit diversen Jobs über die Runden, ehe er 1954 in das Wiener Stadt- und Landesarchiv eintreten durfte. Seine Frau - sie hatten ein Jahr zuvor geheiratet - mußte sich nach ihrem Germanistik- und Geschichtsstudium noch länger herumschlagen, ehe sie über den damals neugegründeten Verein für Konsumentinformation ins Fernsehen wechselte und dort erst Ressortleiterin für Konsumenten- und Frauenangelegenheiten, und später Reisejournalistin wurde. "Trotz divergierender Interessen haben wir uns in unseren Tätigkeiten immer unterstützt. Für mich war es auch eine wissenschaftliche Bereicherung: Viele Fragen haben ein anderes Gewicht erhalten. Ohne sie hätte ich beispielsweise Frauenfragen wahrscheinlich nie historisch betrachtet".

Die Ehe blieb auf beiderseitigen Wunsch kinderlos: "Bei unserem Arbeitspensum wäre das nicht möglich gewesen. Ich glaube auch, unsere Ehe würde bis zum heutigen Tag nicht so wunderbar funktionieren, wenn nur ein Partner so viel zu tun gehabt hätte. Wir haben jede Stunde und jeden Urlaub genossen, den wir uns freinehmen konnten. So sind harmonische 45 Jahre daraus geworden", meint er liebevoll im Rückblick. Seine Frau dankte es ihm auf ihre Weise: Sei es, daß sie unter ihrem Mädchennamen bei Publikationen mithalf, sei es, daß es später darum ging, die Authentizität von Fassaden, Adressen und Inschriften vor Ort zu überprüfen.

1976 avancierte Felix Czeike zum Direktor des Wiener Stadt- und Landesarchivs. Als Universitätsprofessor am Institut für Stadtgeschichtsforschung und zeitweiliger Präsident des Vereins für Geschichte der Stadt Wien bearbeitete er auch den Historischen Atlas von Wien, der etwa im 18. Jahrhundert mit thematischen Karten beginnt und bis in den Zweiten Weltkrieg hinaufreicht. Eine notwendige Aufarbeitung, denn bis dahin gab es nur für den Zeitraum danach ein Äquivalent: den Planungs-Atlas der Stadt Wien mit seinen topographischen Karten. Doch gerade die alten Karten ermöglichen auch heute noch dringend benötigte Einsichten: "Die exakte Aufzeichnung beispielsweise der Standorte einstiger Betriebe macht es leichter, etwaige Folgen abschätzen zu können. Wenn z. B. auf einer Parzelle ein chemischer Betrieb war, dann sind auch eventuelle nachträgliche Belastungen mit kontaminiertem Erdreich erklärt. Man kann also schon vor einer Bebauung die richtigen Maßnahmen setzen. Ein anderes Beispiel ist das Wissen, daß die Kärntner Straße in der Gründerzeit verbreitert worden war. Dabei wurden die oft dreistöckigen unterirdischen Keller, die im Mittelalter noch die Weinkeller der Familien waren, zugeschüttet. So war man gleich vorgewarnt, daß man beim Bau der U 1 nicht auf gewachsenes, dichtes Material stoßen würde, sondern auf brüchiges."

Die Arbeit im Stadt- und Landesarchiv stellte er unter die Prämisse, "man kann viele Menschen motivieren, wenn man zu ihnen kommt." Unter seiner Leitung wurden die Ausstellungen aus dem Rathaus auch den Bezirksmuseen zur Verfügung gestellt, und dankbar aufgegriffen. Als besonderer Hit erwiesen sich gezielte Ausstellungen auf Bahnhofperrons oder am Schwechater Flughafen, die Inländer und Gäste gleichermaßen ansprechen sollten: "Wir haben versucht, die Situation und die Lebensbedingungen anderer Völker wie beispielsweise die der Franzosen oder der Italiener in Wien aufzuzeigen".

1989 ging er in Pension, um seinem Lebenswerk - "solange ich noch geistig frisch bin" - Platz zu gewähren. 12 Stunden pro Tag widmete er seinem Lexikon, freie Tage gab es nicht. Lediglich nach mehreren Wochen konzentrierter Arbeit schaltete er eine Pause von ein bis zwei Tagen ein. "Ohne Computer wäre das nicht gegangen - man darf nicht vergessen, daß jeder Band des Lexikons soviele Anschläge hat wie sieben Romanbände. Wenn man das noch mit 5 multipliziert, ist das auch vom Verlag eine grandiose Leistung, allein von der Produktion her gesehen", meint der Historiker bescheiden. Im Jahresrhythmus erschienen ab 1992 fünf Bände - nur der letzte mußte ein Jahr länger auf sein Erscheinen warten: Felix Czeike erkrankte ausgerechnet während der Abschlußarbeiten und bedurfte anschließend der Erholung. "Und das war dann nicht mehr einzuholen", bedauert er noch heute, daß er den exakten Rhythmus nicht einhalten konnte.

Drei Monate im Jahr verbringen die Czeikes nun in ihrem Zweitwohnsitz nahe dem steirischen Admont. Ausgedehnte Bildungsreisen quer durch Europa werden nach wie vor nur in den Nebensaisonen unternommen, "um Land und Leute erst richtig kennenlernen zu können". Ein paar Vorhaben gibt es dennoch für die Zukunft. "Falls sich der Verlag entschließen sollte, vom Lexikon eine Paperback-Ausgabe zu gestalten, müßte sie aktualisiert werden." Ein weiteres Anliegen wäre, die Bezirkskulturführer zu erneuern. Nach wie vor hängen, so Czeike, Gedenktafeln an falschen Häusern, "wie beispielsweise die der Fanny Elßler im 6. Bezirk". Der Grund: Umnumerierte Häuser und umbenannte Straßen.

Auch sein geheimes Steckenpferd soll nicht verschwiegen bleiben: Seine Neigung zur Geschichte der Wiener Apotheken. "Das hat 1955 begonnen", schmunzelt er. "Damals hat der damalige Leiter der Gremialbibliothek jemanden gesucht, der die völlig durcheinander geratene Bibliothek in Ordnung bringt." Diese Verbindung ist bis heute nicht abgerissen - ganz im Gegenteil: Nicht zuletzt auf Grund seiner zahlreichen Publikationen trägt sich der Historiker mit dem Gedanken, die Geschichte der Wiener Apotheken zu schreiben: "Es fasziniert mich, weil es ein Berufsstand ist, der sich gut dokumentiert zurückverfolgen läßt und auch eine gewisse politische Bedeutung mit diesem Beruf verbunden ist. Wie der Lehrer oder der Arzt ist auch der Apotheker ein Honoratior, auf den man gehört hat."

Fix geplant ist eine neue Auflage seines 1977 erschienen DuMont-Reiseführers über Wien, "mein persönlicher Bestseller", wie er verrät. Diesmal unter ganz neuen Aspekten: War bei der ersten Auflage die Direktive, daß man das Buch vor und nach der Reise lesen sollte, soll und kann man es nun während der Reise benützen. Daher ist es in Rundgänge, in quasi "Wiener Spaziergänge" gegliedert. Egal, welches Vorhaben er nächstens ausführen wird, seinem Motto wird er in jedem Fall treu bleiben: "Ich habe immer zwei Dinge als wichtig empfunden: Zum einen darf die Wissenschaft nicht vom Benutzerkreis losgelöst und nur einem elitären Kreis vorbehalten sein. Der wissenschaftliche Anspruch - Präzision, Genauigkeit und Forschung - muß so umgesetzt werden, daß er allen interessierten Laien dient. Zum anderen darf man die Geschichte niemals von der Gegenwart lösen. Ich habe immer versucht, Entwicklungen, die in der Vergangenheit geschehen sind, in ihren Auswirkungen auf die Gegenwart aufzuzeigen. Nur so bleibt Geschichte lebendig." Kein Wunder, daß sein Lebenswerk, "der Czeike", ein Jahrhundertwerk geworden ist.

Felix Czeike, Historisches Lexikon Wien, Verlag Kremayer & Scheriau, Wien 1992-1997; Fünf Bände (fünfter Band mit einem Nachtrag), insgesamt 3.450 Seiten mit ungefähr 28.000 Stichwörtern.

Mittwoch, 20. Mai 1998

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