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Über den Comic-Klassiker "Tim und Struppi", gezeichnet von Hergé

Bilder mit klarer Linie

Von Oliver Bentz

Atemberaubende Abenteuer auf allen Kontinenten haben sie zu bestehen, der junge Reporter mit der kessen Haartolle und sein vierbeiniger Begleiter. Tim und Struppi heißen diese beiden Comic-Helden, die der belgische Zeichner Hergé (1907 bis 1983) im Jahr 1928 erfand und die jetzt schon seit über 70 Jahren eine immer wieder nachwachsende Fangemeinde junger Leser zwischen 7 und 77 Jahren begeistern. Längst sind die zwei, deren Erlebnisse mittlerweile in einer Auflage von 165 Millionen Büchern verkauft wurden, zu Klassikern des europäischen Comics geworden.

Heuer gibt eine umfangreiche Ausstellung in Deutschland Gelegenheit, mehr über die Figuren und ihren Schöpfer zu erfahren. Sie wurde zunächst im Museum Haus Ludwig im saarländischen Saarloius gezeigt, und ist nun in die Ludwig Galerie, Schloss Oberhausen gewandert. Da österreichische Interessenten höchstwahrscheinlich keine Gelegenheit haben, diese comicgeschichtlich interessante Ausstellung zu sehen, sei das Wichtigste hier zusammengefasst. Neben einer Einführung ins graphische Werk von Hergé zeigt die in Zusammenarbeit mit der Fondation Hergé in Brüssel und der Ludwig Galerie in Oberhausen entworfene Schau ausführlich den Entstehungsprozess von zwei seiner interessantesten Werke, der Bildergeschichten "Der blaue Lotos" aus den Jahren 1934/35 und "Tim in Tibet", entstanden 1958/59.

Von den ersten Bleistiftskizzen und -entwürfen bis zum fertigen Comicstrip kann der Besucher den Entstehungsprozess von Hergés kleinen Kunstwerken verfolgen. Die mit Chinatinte angefertigten Zeichnungen, die Hergé als "Reinzeichnungen" für die Erstveröffentlichung in "Le Petit Vingtième", der Jugendbeilage der belgischen Tageszeitung "Le Vingtième Siècle", anfertigte, sind dabei ebenso zu

sehen, wie Farbschablonen für

den späteren Abdruck im "Journal Tintin".

Bereits als Schüler hatte der 1907 in Brüssel als Georges Remi geborene Zeichner für "Le Boy-Scout belge", die Zeitschrift der katholischen Pfadfinderbewegung Belgiens, Illustrationen geliefert. Ab 1924 signierte er diese mit dem Namen Hergé, einer lautmalerischen Ausformung seiner vertauschten Initialen RG. Schon in "Le Boy-Scout belge" hatte Hergé mit "Totor", dem "Sippenführer der Maikäfersippe" eine Figur erfunden, die mit ihrem rundlichen Kopf und ihrer Knickerbockerhose stark an den späteren Serienhelden Tim erinnert.

"Tim und Struppi" - oder "Tintin und Milou", wie die beiden Protagonisten im belgischen Original heißen - erschienen erstmals am 30. Dezember 1928 in einer Weihnachtsgeschichte der katholischen Tageszeitung "Le Vingtième Siècle". Ab Jänner 1929 ließ Hergé, der gerade zum Chefredakteur der Jugendbeilage "Le Petit Vingtième" ernannt worden war, Tim und Struppi dann in seinen Schwarzweißzeichnungen auf dem Papier - zunächst noch ohne die heute legendäre Haartolle - durch die Welt reisen und vermittelte den Lesern dabei detaillierte Einblicke in die Kulturen fremder Länder und Völker.

Die erste Fortsetzungsgeschichte führte die tapferen Entdeckungsreisenden ins "Reich der Sowjets", es folgten Abenteuer im Kongo, in Amerika und in Ägypten. Damit die Fakten und Hintergründe bei der Darstellung der exotischen Reiseziele des rasenden Reporters und des getreuen Foxterriers an seiner Seite auch exakt stimmten, informierte sich Hergé akribisch genau in Reisemagazinen, Katalogen und Kunstbüchern über die jeweiligen Länder.

Bis 1940 sollte Hergé neun Bildergeschichten in "Le Petit Vingtième" gestalten, ehe das Erscheinen von "Le Vingtième Siècle" und damit auch das der Jugendbeilage mit dem Einmarsch der deutschen Truppen in Belgien eingestellt werden musste.

Doch die Nachfrage der reise- und abenteuerlustigen "Tim und Struppi"-Gemeinde sollte bald wieder befriedigt werden, denn noch 1940 begann die Zeitung "Le Soir" - eine der wenigen Tageszeitungen deren Erscheinen die Besatzer duldeten - damit, bis 1944 fünf neue Geschichten in täglicher Fortsetzung zu drucken.

Nach dem Krieg hielt dann die Farbe Einzug in den Comicstrip, von dem bis 1976 noch neun weitere Folgen im Wochenmagazin "Tintin", dem "Journal der Jugend von 7 bis 77 Jahre" erscheinen sollten.

In den Nachkriegsjahren arbeitete Hergé anlässlich der Neuausgabe seiner frühen Geschichten einige der darin enthaltenen Bilder um und "entschärfte" sie, da sich einige Ansichten des im Belgien der Zwanziger Jahre noch immer herrschenden kolonialistischen Weltbildes, die auch in Hergés "Tim und Struppi"-Ausgaben aus jener Zeit zu Tage traten, nicht mehr aufrecht erhalten ließen. Das deutschsprachige Publikum konnte dann Anfang der fünfziger Jahre die Bekanntschaft von "Tim und Struppi" machen und schloss die beiden Belgier sogleich ins Herz. Verschiedene Tageszeitungen wie die "Berliner Morgenpost" und das "Hamburger Abendblatt" druckten die Serie damals nach und 1967 startete der Carlsen Verlag die Veröffentlichung aller 23 von Hergé gezeichneten "Tim und Struppi"-Folgen.

Hergé gilt als Gründer eines spezifisch europäischen Comicstils, der sogenannten "ligne claire" - der klaren Linie -, die sein Gütezeichen werden sollte und zugunsten einer scharfen Konturierung auf Schraffuren und andere ausschmückende Elemente der Binnenzeichnung verzichtet. Akribisch - so verdeutlicht es die Ausstellung - arbeitete Hergé an seinen Bildergeschichten, probierte immer wieder verschiedene Bewegungsabläufe, Haltungen sowie mimische Ausdrucksweisen aus und variierte Bildausschnitte bis zur buchstäblich letzten Minute vor der Drucklegung.

Eindrucksvoll ist etwa bei der Betrachtung des Arbeitsprozesses von Hergé zu erkennen, wie sich der Yeti aus der "Tim in Tibet"-Geschichte in den verschiedenen Entwürfen vom angsteinflößenden Monstrum zum liebenswerten kuscheligen Bären verwandelt, der traurig den Abschied von Tim, Struppi und den anderen Eindringlingen aus seiner Wildnis beobachtet.

Hinter den beiden Geschichten "Der blaue Lotos" und "Tim in Tibet", deren Entstehung sich vor dem Ausstellungsbesucher entfaltet, verbirgt sich noch eine anrührende reale menschliche Geschichte. Denn während der Arbeit an seiner fünften Geschichte, dem "blauen Lotos", lernte Hergé 1934 den jungen Chinesen Tschang Tschong-Jen kennen, der in dieser Zeit an der Brüsseler École des Beaux-Arts studierte. Tschang zeichnete für die Geschichte - die den Opiumhandel in Shanghai und die Besetzung der Mandschurei durch japanische Truppen thematisiert - originalgetreues chinesisches Ambiente, fügte originale chinesische Schriftzeichen ein und lehrte Hergé das Zeichnen mit der Feder. Die 124 schwarzweißen Seiten und 52 farbigen Cover-Illustrationen für die Veröffentlichung in "Le Petit Vingtième" weisen dadurch eine besondere Authentizität auf.

Sogar in der Bildergeschichte selbst kommt die Freundschaft zwischen den beiden Zeichnern zum Tragen. Denn am 30. Mai 1935 wird in "Le Petit Vingtième" die Rettung des kleinen chinesischen Jungen Tschang durch den belgischen Reporter Tim angekündigt. Und tatsächlich - Tim rettet Tschang aus dem gelben Fluss. Es ist der Beginn einer lebenslangen Freundschaft, im Comic wie im richtigen Leben. Im Comicstrip treffen sich Tim und Tschang 25 Jahre später in der Geschichte "Tim in Tibet" wieder: Denn als Tim durch einen Zeitungsbericht in Belgien vom angeblichen Tod seines chinesischen Freundes bei einem Flugzeugabsturz bei Katmandu erfährt, macht er sich - ermutigt durch eine Traumvision - zusammen mit Struppi und dem Kapitän Haddock, dem ältesten seiner Freunde, auf, Tschang zu suchen. Tim und seinen Gefährten gelingt es nach der Ankunft in Tibet, Tschang lebend aufzuspüren und aus den Fängen des Yeti zu retten.

Und - wie in der Geschichte - kommt es auch im richtigen Leben 198l, zwei Jahre vor dem Tod Hergés, zum bewegenden Wiedersehen mit Tschang Tschong-Jen, dem chinesischen Freund, der ihn 45 Jahre zuvor zum "Blauen Lotos" inspiriert hatte.

Tim und Struppi. Die Schau ist vom 15. September bis 18. November 2001 in der Ludwig Galerie, Schloss Oberhausen zu sehen. Ein reich illustrierter Katalog mit Texten zu Biographie und Werk Hergés ist vorhanden.

Freitag, 14. September 2001

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