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Artikel aus dem EXTRA LexikonPrint this

Idealfall einer Biographie: Walter Schüblers "Nestroy -in 30 Szenen"

"Napoleon der Gemeinheit"

Von Lothar Lohs

Johann Nestroy feiert heuer am 7. Dezember bekanntlich seinen 200. Geburtstag und deshalb wird dem Theater-Jahresregenten auf allen Bühnen des Landes auch fleißig gehuldigt. Zu diesem Jubiläum stellen sich naturgemäß auch eine Reihe von Publikationen ein, deren bislang wichtigste im Residenz Verlag erschienen ist: "Nestroy" von Walter Schübler. Eine "Biographie in 30 Szenen", die gründlich der Frage nachgeht, wer er denn eigentlich war, der verehrte Possenklassiker, mit dessen Komödien die Theater unter der Flagge eines modernen kritischen Volkstheaters gerne Kassa machen.

Er war ein so genannter Nestbeschmutzer, dieser Johann Nepomuk Nestroy, was die Theatermacher naturgemäß alle wissen, trotzdem ist in den meisten Inszenierungen heutzutage davon leider nichts mehr zu sehen. Damals im Biedermeier bedeutete der Name Nestroy auf dem Theaterzettel Sprengstoff. Diesen Hauptaspekt des Erzkomödianten, lustvollen Provokateurs und frechen Dramatikers beleuchtet Schübler immer wieder aus verschiedenen Perspektiven. Die Kritik damals war meistens höchst indigniert über Nestroys "derbe Clownerien", er wurde zum "Napoleon der Gemeinheit" ernannt, die Klagen, dass er die "Gränze des Schicklichen" überschritten und sich "gegen die öffentliche Sittlichkeit benommen" habe, rissen nicht ab. Friedrich Theodor Vischer notierte 1860, dass für ein richtig bürgerliches Anstandsgefühl angesichts Nestroy "der Ekel, das Erbrechen" beginne: "Wir wollen sie nicht vernehmen, diese stinkenden Witze, die zu errathen geben, daß das innerste Heiligthum der Menscheit einen Phallus verberge." Immer wieder ertönt die Klage, dass Nestroy mit seinen Stücken zur "Entsittlichung des Volkes" beitrage statt zur moralischen Läuterung des "gemeinen Mannes" und damit das Volkstheater als moralische Anstalt entweihe.

Walter Schübler entwickelt in diesem Zusammenhang keineswegs den Ehrgeiz, zum Jubiläum ein "nur sehr lückenhaft dokumentiertes Leben" zu der ultimativen Nestroy-Biographie zusammenzukleistern. Schübler verzichtet dezidiert darauf, das "Geheimnis Nestroy" lüften zu wollen, stattdessen löst er den Fall elegant mit dem Coup, die zentralen Themen, Probleme und Widersprüche in Nestroys Leben mit einer Collage aller dazu auffindbaren Materialien zu belegen. Die Überschriften der Kapitel geben jeweils die Richtung an: "Nestroys Spielleidenschaft" etwa oder "Nestroy und sein Publikum", ein Verhältnis, das immer wieder von schweren Konflikten überschattet war. Da wartet Schübler mit der heute kaum mehr vorstellbaren Anekdote auf, dass Nestroy auf Grund von "Geringschätzung" des Publikums zwölf Stunden Arrest aufgebrummt bekam. Am 11. Dezember 1825 in der Vorstellung der "Teufelsmühle am Wienerberg" ärgert sich Nestroy über "einiges Nachzischen beim Applaudieren" dermaßen, dass er den dritten Akt "durchaus schlecht und kaum hörbar" spielt, wie er ins Rollenbuch einträgt, die Strafe durch den "Theaterkommissär" folgt prompt.

Den wenigsten dürfte auch bekannt sein, dass Nestroy wegen Beleidigung eines Kritikers für fünf Tage in den Knast wanderte: Vom 16. bis zum 21. Jänner 1836 atmete der Possenklassiker gesiebte Luft, weil er einen Schreiberling namens Franz Wiest, der die Uraufführung von "Zu ebener Erde und erstem Stock" niedermachte, auf der Bühne öffentlich geschmäht hatte. Das Buch von Walter Schübler aber ist der Idealfall einer "Biographie", die Lust macht auf mehr Auseinandersetzung mit dem Possenklassiker und dessen Zeit.

Walter Schübler: Nestroy. Eine Biographie in 30 Szenen. Residenz Verlag 2001. 318 Seiten.

Freitag, 03. August 2001 00:00:00
Update: Dienstag, 01. März 2005 14:58:00

Lexikon



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