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Artikel aus dem EXTRA LexikonPrint this

Vom "Loschier'n" in Wien -Zu Nestroys Zeiten und heute

1.370 m² Noblesse

Von Ingeborg Waldinger

Der Theaterabend gerät zum Fiasko. Das Stück wird dreimal gespielt, dann vom Programm gestrichen. Mit dem Titel, so die Kritik, sei auch schon die ganze Handlung gesagt: "Eine Wohnung ist zu vermiethen in der Stadt, eine Wohnung ist zu verlassen in der Vorstadt, eine Wohnung mit Garten ist zu haben in Hietzing."

Am 17. Jänner 1837 gelangt Johann Nestroys "Posse mit Gesang" mit dem bemerkenswert ausufernden Titel im Theater an der Wien zur Uraufführung. Das Vorstadtpublikum pfeift, die Rezensenten höhnen: keine Moral von der G'schicht', kein Witz. Nicht einmal ein Nestroy-Original, nur die verwienerte Version einer Berliner Farce (Louis Angely: "Wohnungen zu vermieten")! Wohl ein vorgeschobenes Argument war die Bearbeitung französischer Vaudevilles oder Berliner Farcen für das Wiener Volkstheater doch, so Nestroy-Forscher Otto Basil, "ein damals üblicher Kettenhandel mit Stoffen".

Der erbittertste Kritiker Nestroys, Moritz Saphir, ein Getreuer des Metternich'schen Systems, forderte vom Theaterdichter postwendend eine "kerngesunde Posse" ein.

Angriff auf die Spießbürger

Die moderne Forschung teilt das verächtliche Urteil der damaligen Kritik ganz und gar nicht. Sie klassifiziert diese Posse als ein "Schlüsselstück" des Nestroy'schen Oeuvres, als einen Frontalangriff auf das Wiener Spießbürgertum der Biedermeierzeit. Ein Werk, dem es an jenem verzeihungsseligen Tenor mangle, welcher das Altwiener Volksstück auszeichne.

Nun, Nestroys Stücke fielen oft durch. Aus erwähntem oder anderem Grunde. Bereits in der 1835 entstandenen Literatursatire "Weder Lorbeerbaum noch Bettelstab" rechnet der Dichter mit dem Biedersinn seines Publikums gnadenlos ab: "Ein G'spaß soll niemals witzig sein . . . Wir sind biedersinnige, gemütliche Menschen, wir wollen überall Rührung und was fürs Herz."

Die Kriterien eines Rührstückes erfüllt "Eine Wohnung zu vermie-

ten . . ." in der Tat nicht. Die von diversen Liebeshändeln überblendete Wohnungssuche des wohlhabenden Rentiers Gundlhuber ist in keinem imaginären Raum, sondern im konkreten Wiener Alltag, an Wiener Plätzen verortet. Biedermann Gundlhuber strebt nach Höherem - in Sachen Domizil, in Sachen Sprache. Seine Stadtwohnung "hat zu wenig Piecen", steht doch die Verehelichung der Tochter und somit weiterer Familienzuwachs ins Haus. Gundlhuber zieht es nach Hietzing, an den "Sammelplatz der eleganten Welt". Der vornehme Bezirk war zu Nestroys Zeiten noch ein Dorf außerhalb Wiens. Angeblich aber "das schönste Dorf des Kaiserreiches . . ., fast nur aus Villen . . ., Landhäusern und viel besuchten Gasthöfen bestehend, namentlich Dommeyers Casino, wo sonntags und donnerstags ein Orchester spielt." Nachzulesen bei Karl Baedeker, der den Lesern seiner roten Handbücher 1846 Hietzing als Reiseziel empfahl.

Solch Entourage hätt' der Gundlhuber schon goutiert. Während einer Wohnungsbesichtigung von der Seinigen kurz mit der attraktiven Vormieterin Chaly alleine gelassen, wird es dem Familienvater "ganz woislet um's Herz: Jetzt heißt's alle Poesie zusammennehmen und einen Diskurs aufschlagen à la Lafontaine", will er den unsittlichen Gedanken schicklich an die Frau bringen.

Der sprachliche Kraftaufwand ist beachtlich: "Wenn ich hier loschieren wird, werden gewisse Rückerinnerungen unvermeidlich sein . . . An die Reizbegabte, welche früher hier geatmet."

Solch Luft hat ihren Preis. Die Nennung des Zinses, den die Reizbegabte zu berappen hat, lässt Gundlhuber aus den luftigen Höhen der Poesie in die handfeste Umgangssprache stürzen: "Das ist ein Viehgeld . . ., obschon die Rückerinnerung . . ." Gattin Kunigunde tritt wieder auf den Plan, lehnt das teure Quartier ab.

Die nächste Wohnung - mit Garten - wäre günstiger zu haben, doch Gundlhuber wehrt ab, hat nur noch die Chaly im Kopf: ". . . in ihrer Nähe sprießt ein Paradies" - und da will er hin: ". . . in der Lanzerstraßen, . . . das is a Pracht, die Zimmer, die Eintheilung . . ., keine Kuchel, die raucht, kein Zug, lauter politierte Fensterbretteln, die Thüren alle mit Öl geschmiert, dass keine garezen thut." Letztlich wird aus dem ganzen Demenagieren nichts. Der Ausbruch aus dem kleinbürgerlichen Milieu findet nicht statt. Der Rentier will zwar eine neue Immobilie, nur ist er selbst halt ein bisserl immobil. So bleibt alles beim Alten, auch das Wünschen:

"Ich wär gern a Hausherr, da bauet ich mir

So ganz nach mein Gusto a komotes Quartier."

Nestroy'sches Personal brilliert durch Sprachkomik. Das jähe Einschlagen stelzbeiniger Wortgebilde in das Idiom des Alltags macht Lachen. Rentier Gundlhubers Sprachattitüde orientiert sich an der Sprechweise der Lokalaristokratie. Im Munde altösterreichischer Aristokraten hat manch Manierismus durchaus Stringenz. Gundlhubers prätentiöse Sprachschablonen aber prallen auf die Umgangssprache des kleinen Mannes. Sie sind deplatziert, wirken verstiegen und komisch. Allerdings verlacht der Dichter nicht nur den Kleinbürger, der sich in seinem Streben nach Wirkung in den Fallstricken der Sprache verfängt, sondern implizit auch dessen Vorbilder.

Könnte Nestroy, dieser Genius mit der feinen "Witterung für alles Komplizierte, Widerspruchsvolle, Vieldeutige, sich Kreuzende und Aufhebende in der menschlichen Natur" (Egon Friedell), könnte dieser Meiser des alle Klischees zersetzenden Sprachwitzes doch den heutigen Wiener Immobilienmarkt studieren! Niemand Geringerer als Karl Kraus hatte, anlässlich von Nestroys fünfzigstem Todestag, festgestellt: "Die Nachwelt wiederholt seinen Text und kennt ihn nicht." ("Nestroy und die Nachwelt", in: "Die Fackel" n° 349/50 vom 13. Mai 1912.)

Gewiss hat ein professioneller, internationaler Stil längst den traditionellen "Vergabe"-Gestus der Wiener Realitäten-Branche abgelöst; die Affinität zum Feudalwienerischen aber lebt fort in dem Gewerbe, das für's angemessene Loschieren zuständig ist.

Protoaristokratische Muster haben ihren Markteffekt. In Wort und Bild. Sie versprechen Exklusivität der Ware, Stil. Die im Annoncenteil aktueller Wiener Blätter aufgespürten Gustostückchen arbeiten mit allen einschlägigen Klischees. Vereinzelt erschüttern diese Eigenprägungen jedoch den hohen Anspruch - und unser Zwerchfell:

Hietzing ist eine unvermindert begehrte Adresse. Eine solche wieder aufzugeben, lässt triftige Gründe befürchten: "Hietzinger Villenverkäufer will sich verkleinern." Für ihn käme demnach die "180 m² nobelelegante Villenetage" wohl nicht in Frage.

An Topobjekten herrscht offenbar kein Mangel. An Werbesuperlativen schon gar nicht: "Bestwohnlage, traumhafte, hochwertig revitalisierte, repräsentative Herrschaftsvilla für höchste Ansprüche."

Ferner konkurriert ein "Wienerwaldjuwel in uneinsichtiger Ruhelage" mit einem "Schlosstrakt" und dessen "exklusiv gediegenen Repräsentationsräumen in südseitiger Aussichtslage."

Für einen Rentier wiederum böte sich ein "Ertragszinshaus in extremer Grünlage mit traumhaftem Bilderbuchblick" an, wenngleich auch jene "Stilliegenschaft" eine Erwägung wert scheint, die mit dem Code "Freiflächenpotential möglich" dunkle Phantasien aktiviert.

Massenhaft Hochwertwörter

Den Gipfel an Exklusivität bieten indes die "Cottagevilla in dominanter Repräsentationslage", ein "elitärer Baugrund", der "herrschaftliche Erstbezug" und schließlich "Prächtige 1370 m² Noblesse." Die Werbetexter bezeichnen diese sprachliche Herrschaftlichkeit mit dem Fachbegriff "Hochwertwörter". Sie vermitteln dem Adressaten ein Gefühl gesellschaftlicher Geltung. Die Sprachwissenschaftler orten wohl einen Fall von "aufwärtsmobilem" Sprachgebrauch: Die Sprache der Oberschicht hat hohes Prestige. Somit wertet sie ihr Objekt semantisch auf. Im Sigmund-Freud-Land darf auch das Label "Traum" nicht fehlen. Es suggeriert dem Immobiliensuchenden die Erfüllung eines lang gehegten Wunsches: Traumeigengrund, Traumziergarten, Südtraumblick.

Immobilienannoncen beinhalten nicht nur Preisangaben, sie haben, wie jede andere Anzeige, auch selbst einen Preis. Der bemisst sich bisweilen nach der Anzahl der Wörter. Da besinnt man sich gerne der Kompositionsfähigkeit der deutschen Sprache - und erzielt wiederum überraschende Ergebnisse: ob "Grünblickhofruhelage", "belagsfertiggestellte Luxusdachgeschoßmaisonette", oder "Jugendstil-cottagevilla": der Phantasie sind keine Grenzen gesetzt.

Johann Nepomuk Nestroy hätt' seine Freud'. Als großer Meister der "Baukastenmethode" holte er selbst seinen "Verfolger" Moritz Gottlieb Saphir mit dem Prädikat "Vomkunstrichterstuhlherabdieleutevernichtenwoller" vom Sockel.

Die Realität, sagt Karl Kraus, "ist eine sinnlose Übertreibung aller Details, welche die [Nestroys] Satire hinterlassen hat."

Freitag, 01. Juni 2001 00:00:00
Update: Dienstag, 01. März 2005 15:00:00

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