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Artikel aus dem EXTRA LexikonPrint this

Zu Alexander Girardis 150. Geburtstag am 5. Dezember

Der Sorgenbrecher Wiens

Von P. R. Lang

Es war in Bad Ischl. Girardi stand an einem Bretterzaun im Garten eines Freundes. Jenseits des Zaunes ging ein junges, hochgewachsenes Mädchen vorüber. Die große Dame, nur mit dem Oberkörper sichtbar, blickte freundlich zu ihm hinunter und fragte: "Ist das der richtige Weg nach Laufen?" "Ja, Fräulein", erwiderte Girardi, "reiten S' nur gradaus." Nach der Lektüre der Kriegsmeldungen 1917 maulte er: "Lauter Sieg und kane Erdäpfel!"

Das Charakterbild Alexander Girardis wird treffend mit Anekdoten entworfen. Als Girardi bereits "der" Girardi war, wurde er für die Rundfrage einer Zeitung darum gebeten, mitzuteilen, wie man Schauspieler werde. Er antwortete: "Das Rezept ist sehr einfach. Man erlerne vorher sieben Jahre lang das Schlosserhandwerk, werde dessen überdrüssig, gehe nach Rohitsch-Sauerbrunn, aber nicht zur Kur, sondern betrete die dort weltbedeutenden Bretter, ziehe über Krems, Karlsbad, Ischl, Linz direkt nach Wien und wirke dort unbehelligt weiter wie Ihr sehr ergebener Girardi."

Girardi blieb in der Donaumetropole tatsächlich unbehelligt. Er war zunächst am Strampfer-Theater engagiert. Mit der Verpflichtung, neben dem berühmten Komiker Schweighofer nicht aufzufallen, wurden ihm nur kleine Episodenrollen übertragen. Seine Gage war dementsprechend klein. So war er gezwungen, in dem nahe dem Theater gelegenen Gasthaus recht bescheiden zu essen, zum Beispiel Stockfisch, dem letzten Posten auf der Speisenkarte.

Einmal saß der Direktor des Strampfer-Theaters neben ihm und delektierte sich an einem Riesenhappen Rindfleisch. Er schielte auf Girardis Teller und meinte: "Passen S' auf, Girardi! Wenn Sie so viel Stockfisch essen, werden Sie am Schluss selbst ein Stockfisch." Girardi sah auf das Rindfleisch und sagte: "Wenn so etwas wirklich passieren könnte, müssten Sie sich noch viel mehr vor dem Rindfleisch hüten."

Strampfer wurde auf den Schatz, den er besaß, erst so richtig aufmerksam, als Girardi durch seine lustigen Vorträge in Extrastuben von Gasthäusern und im privaten Freundeskreis zum Stadtgespräch geworden war. Da aber packte schnell das Theater an der Wien zu. Es gab einen Riesenkrach. Girardi wurde kontraktbrüchig und musste Pönale zahlen.

Der Operettenstar

Über Nacht wurde Girardi populär. Die goldene Ära der Operette kam ihm zugute. Johann Strauß gab der Operette den walzerseligen Melodienzauber. Im Inhalt überwog die österreichische Gemütlichkeit; ein bisschen Spaß, ein wenig Parodie - doch niemand sollte sich gekränkt fühlen. So wollte es jedenfalls die k. u. k. Zensur, die bis Kriegsende 1918 in Kraft blieb.

Die klassische Wiener Operette wurde mit gesprochenen Zwischentexten, Verwechslungshandlungen, Ballett und einer Fülle von humoristischen Szenen angereichert und mutierte zur "komischen Oper".

Da war Alexander Girardi in seinem Element. Er glänzte in der "Nacht in Venedig" als Koch Pappacoda, er machte als Zsupan im "Zigeunerbaron" Furore, der Reigen typischer Girardi-Rollen riss nicht mehr ab. In den "Wiener Frauen" von Franz Lehár wurde nicht die Operette, sondern Girardi von der Kritik lobend erwähnt. Im "Glücksmädel" von Robert Stolz bekam er 1910 minutenlangen Auftrittsapplaus.

Privat wurde er vom Schicksal nicht so verwöhnt. Während er im Theater an der Wien Triumphe feierte und zum Sorgenbrecher Wiens wurde, machte unweit von ihm, im Deutschen Volkstheater, die umschwärmte Salondame Helene Odilon Schlagzeilen. Schon bei der Erstbegegnung war es um Girardi geschehen.

Eine Künstlerehe

"Ich hab's versucht", gestand er später, "aber ich hab mich halt derart zur Helene hingezogen gefühlt, dass ich nicht mehr zurück konnte." Im vollen Bewusstsein um die Problematik dieser Künstlerehe bat er sie, seine Frau zu werden.

Die Tragik dieser Ehe, bei der einer dem anderen den Ruhm streitig machte, jeder unbedingt die erste Geige spielen wollte, ging als wahres Trauerspiel über die häusliche Bühne. Es war gerade die Zeit, da das Gesellschaftsstück, Helene Odilons große Stärke, blühte, während Girardi den langsamen, aber unaufhaltsamen Niedergang der Operette miterleben musste. Letzte Glanzlichter waren Richard Heubergers "Opernball" und Carl Michael Ziehrers "Die Landstreicher" kurz vor der Jahrhundertwende. Für Girardi brach eine karge Zeit an. Die Stücke, in denen er jetzt auftrat, hatten wenig Substanz und noch weniger Publikumserfolg. Nur mit Mühe brachte er es wenigstens zu persönlichen Leistungen.

Seine Frau aber taumelte von Erfolg zu Erfolg. Girardi fühlte sich zurückgesetzt und hintergangen. Er begann mit dem Schicksal zu hadern. Dementsprechend war auch seine Laune zu Hause. Er nannte Helene eine "mannstolle Bestie", sie ihn einen "größenwahnsinnigen Komödianten". Die Szenen zu Hause bedurften keines Regisseurs, sie klappten auch so.

Die Eheleute verstanden sich aber auch sonst in keiner Weise. Helene Odilon sehnte sich nur nach Unterhaltung, nach geselligem, glanzvollem Leben, Alexander wollte seine Ruh' haben. "Ich bin net schön!" brüllte er sie einmal an. "Deshalb will ich net unter die Leut. Ich hab auch sonst keine Lust dazu. Spiel du einmal 20 Abende einen Wurstel, dann wirst auch du deine Ruh' wollen."

Dass er sich von Helene hatte überreden lassen, sie nach Paris zu begleiten, bereute er zutiefst. Während sich seine Frau vergnügte, saß er griesgrämig im Hotel und überschüttete sie nach ihrer Rückkehr mit Vorwürfen. Er hielt es auch nur einige Tage in der Seine-Metropole aus, dann ließ er sie im Stich und reiste schleunigst nach Wien. Als er dort ankam, fragten ihn die Freunde, warum er denn nicht länger geblieben sei. "Was soll ich denn in einer Stadt", antwortete er tiefsinnig, "wo net einmal die Kinder Deutsch sprechen."

Nur der Schirm, den er sich in Paris gekauft hatte, schien ihm Spaß zu machen. Er zeigte ihn voll Stolz seinen Freunden, unter denen sich auch ein bekannter Operettentextautor befand. "Schau ihn dir genau an", riet ihm Girardi, "echter französischer Stoff - vielleicht kannst du ihn zu einer Operette verarbeiten."

Als Helene Odilon von Paris zurückkehrte, brach der Sturm von neuem los. Am 9. Dezember 1896 verkündeten die Zeitungen in sensationeller Aufmachung, dass Alexander Girardi aus Wien verschwunden sei. Die Gerüchte überpurzelten sich. Offiziell hieß es, Girardi sei erkrankt und bedürfe strengster Ruhe. Aber die Wiener wussten nur zu gut, welche Krankheit er sich eingewirtschaftet hatte. Die Spatzen hatten es schon längst von den Dächern gezwitschert, dass Girardi drogensüchtig sei.

Nervenkrisen

Schon vorher hatte die dramatische Entwicklung hinter den Kulissen des Ehelebens ihren Höhepunkt erreicht, als Helene die Geliebte Baron Rothschilds wurde. Es spricht viel dafür, dass die Odilon zu diesem Zeitpunkt alle Hebel in Bewegung setzte, um den unbequemen und tobenden Ehemann loszuwerden. Irgendwie war es ihr gelungen, Alexander dem berühmten Psychiater Wagner-Jauregg vorzuführen, der ein vernichtendes Urteil über seinen Geisteszustand abgab.

Einer Einweisung in eine Nervenheilanstalt kam Girardi durch seine Flucht aus Wien zuvor. Er bat Katharina Schratt um Schutz und Aufnahme. Beides wurde ihm gewährt. Und Girardi sagte unter Tränen zu Frau Schratt: "Jetzt fragen mich alle, ob ich verrückt bin. Damals hätten sie mich fragen sollen, als ich die Helen geheiratet hab."

Als die Gefahr gebannt war, ihn "meuchlerisch", wie er selbst es nannte, ins Irrenhaus zu stecken, beruhigten sich wieder seine Nerven. Aus diesen Tagen stammt das Girardi-Wort: "Ich bin ja gar net krank, ich kränk mich nur."

Dem abgeklärten Girardi brachte die zweite Ehe jenes Glück, das er in der ersten so schmerzlich vermisst hatte. Der Heiratsantrag, den er seiner geliebten Leonie von Latinovits, einer Stieftochter Bösendorfers machte, ist keine anekdotische Erfindung, er ist verbürgt.

Alexander Girardi, immer noch von einer gewissen Befangenheit der Damenwelt gegenüber, und das am meisten, wenn er verliebt war, hatte sich schon lange damit herumgequält, wie er den Antrag wohl am besten vorbringen könne. Eines Tages fasste er sich ein Herz, packte ein Blumensträußlein und rannte damit zum Hotel Post. Es war damals Sommer, und die Geschichte hatte sich in Bad Ischl zugetragen. Als das geliebte Mädchen am Fenster erschien, rief er mit schallender Stimme hinauf: "Fräulein Loni, heiraten S' mich!"

Die Sehnsucht, ans Burgtheater engagiert zu werden, ließ Girardi nie los. Als die Berufung dann tatsächlich erfolgte, strahlte er vor Glück und machte schnell einen wehmütigen Witz: "Na ja, es ist halt ein Begräbnis erster Klasse."

Und fast behielt er recht damit. Das Schicksal gönnte ihm auf diesem Gipfel seiner Karriere nur mehr sechs Wochen. Noch am Vorabend seines Todes, am 20. April 1918, sprach er auf der Bühne des Burgtheaters als Valentin die berühmten Worte des Hobelliedes: "Da leg ich meinen Hobel hin und sag der Welt ade . . ."

Freitag, 01. Dezember 2000 00:00:00
Update: Dienstag, 01. März 2005 15:03:00

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