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Artikel aus dem EXTRA LexikonPrint this

War das Altwiener Volkstheater tatsächlich Theater für das Volk?

"Frisches Bier und Würstel!"

Von Eva Schwarzmann

Theater! O Theater du! singt die Köchin Peppi Amsel in Johann Nestroys "Frühere Verhältnisse" und erzählt uns von ihrer Sehnsucht nach der Bühne.

Dass die Leidenschaft für das Theater im Wien des 19. Jahrhunderts keine Einzelerscheinung war, bestätigen die Quellen. Selbst der aus einem bürgerlichen Haus stammende Franz Grillparzer hatte seine ersten Begegnungen mit dem Theater nicht etwa seinen Eltern, sondern einem Stubenmädchen zu verdanken. In seiner Autobiographie schreibt er: "Eines der frühesten Bücher, die ich las, war das Textbuch der Zauberflöte (von E. Schikaneder). Ein Stubenmädchen meiner Mutter besaß es und bewahrte es als heiligen Besitz. Sie hatte nämlich als Kind einen Affen in der genannten Oper gespielt und betrachtete jenes Ereignis als den Glanzpunkt ihres Lebens. Außer ihrem Gebetbuch besaß sie kein anderes als diesen Operntext, den sie so hoch hielt, dass, als ihr die Anfangsblätter abhanden gekommen waren, sie mit eigener Hand mühselig das Fehlende abschrieb und dem Buche beilegte. Auf dem Schoße des Mädchens sitzend las ich mit ihr abwechselnd die wunderlichen Dinge, von denen wir beide nicht zweifelten, dass es das Höchste sei, zu dem sich der menschliche Geist aufschwingen konnte."

Auch wenn der Mythos von dem alle Schichten des Volks vereinenden Volkstheater in der neueren Forschung immer mehr in Frage gestellt wird, bleibt doch die Tatsache, dass das Theater das wichtigste Massenmedium des Biedermeier war. Freilich, ein Arbeiter, dessen Wochenlohn durchschnittlich 5 Gulden betrug (Frauen verdienten gar nur die Hälfte), konnte sich auch die billigsten Plätze - die beispielsweise im Theater an der Wien, der prunkvollsten und modernsten Bühne, 10 Kreuzer kosteten - nur selten leisten. Die zunehmende Verelendung weiter Teile der Bevölkerung und die Entstehung eines schichtarbeitenden Proletariats drängte die Bedeutung der Volkstheater als Vergnügungsort für die Massen immer weiter zurück. Wie in anderen europäischen Metropolen nahm auch die Bevölkerung in Wien zwischen 1815 und 1848 rasch zu - die Zahl der Theater blieb jedoch gleich. Das bedeutet, dass die steigende Bevölkerungszahl offensichtlich keine größere Nachfrage nach Unterhaltung bedingte. Die Zahl der Theaterbesuche, auf die Wohnbevölkerung umgelegt, war laut Theaterwissenschaftler Johann Hüttner im Vormärz nicht höher als um 1970. Woher kommt aber dann die Vorstellung von der großen Theaterbegeisterung des Wiener Biedermeier? Ist sie wirklich nur ein Mythos oder ist doch etwas Wahres dran?

Hohe Eintrittspreise

Politische und wirtschaftliche Veränderungen um 1800 führten zu einer neuen Sozialstruktur der Stadt. Auch in Wien gab es immer mehr Slums und verarmte Bevölkerungsgruppen, die in erster Linie ans Überleben denken mussten und weder Zeit noch Geld für Vergnügungen hatten. So kam es zu einer deutlichen Umstrukturierung des Publikums der Wiener Vorstadttheater. Während der Kulturkonsum für bürgerliche Kreise immer mehr zu einem prestigebringenden Ereignis stilisiert wurde, kam es zu einer sukzessiven Abdrängung der unteren Schichten durch niedrige Löhne und hohe Eintrittspreise. Aber auch wenn es für die Angehörigen der niedrigverdienenden Bevölkerungsgruppe immer schwieriger wurde, am Theaterleben teilzunehmen, so bestätigen uns zeitgenössische Berichte doch immer wieder ihre (oft lautstarke) Anwesenheit. Es kann also trotz einer im 19. Jahrhundert beginnenden Verschiebung der Publikumsstruktur in Richtung wohlhabendes Bürgertum von einer weiten Fächerung der Schichten in den Wiener Vorstadttheatern ausgegangen werden.

"Kuchelmenscher"

Aus "Boudoir und Küche, Salon und Bedientenzimmer, Komptoir und Bierstube, Studiersessel und Oberstand, Prunksaal und Hausmeisterstube" sah 1841 der Kulturkritiker Saphir das Publikum der Vorstadtbühnen kommen. Und einer der berühmtesten Komiker des Vormärz, Gottfried Prehauser, mokierte sich gar über die "Kuchelmenscher, die sich Sonntags im Theater auf dem Siebnerplatz breit mach(t)en" (gemeint sind die um

7 Kreuzer erhältlichen Galerieplätze des Burgtheaters). Vorwiegend an ihren arbeitsfreien Tagen besuchten also auch untere Schichten das Theater. Eine soziale Hierarchie ergab sich aus der Staffelung der Eintrittspreise. Die gesellschaftliche Rangordnung war zu jener Zeit so unbestritten, dass Angehörige der oberen Stände Veranstaltungen für das Volk keineswegs meiden mussten.

Die durch Eintrittspreise und Sitzordnung bedingte räumliche Isolierung war ausreichend als äußeres Zeichen standesgemäßer Lebensführung. Erst das aufstrebende Bürgertum musste seine Zugehörigkeit zu der oberen Gesellschaft durch eine bewusste Abgrenzung von den unteren Schichten demonstrieren.

Die durch die Zensur eingeschränkte freie Meinungsäußerung verhinderte eine politische Profilierung des Bürgertums. Heer und Verwaltung blieben weiterhin in Händen der adeligen Herrschaftsschicht, deren dominierende Rolle bei den Staatsgeschäften damit gesichert war. Zwar erstarkten eine Reihe von bürgerlichen Familien im Zuge der Industrialisierung und konnten ihren Einfluss auf die wirtschaftliche Entwicklungen bedeutend ausweiten, politisch waren ihre Rechte allerdings durch das Metternichsche Regierungssystem sehr eingeschränkt. Während das Großbürgertum durch seinen neuen Reichtum den adeligen Lebensstil in seinem Luxus durchaus kopieren konnte, mussten die weniger wohlhabenden Kreise ihre Abgrenzung von den unteren Schichten mit anderen Mitteln vorantreiben.

Bildung und Kulturverständnis wurden zu wesentlichen Faktoren für die Ausbildung eines bürgerlichen Selbstbewusstseins. Fragen des Geschmacks wurden zum Erkennungszeichen der neuen Bevölkerungsgruppe. Neben der Entstehung eines Wertekanons, das heißt der Vorstellung einer qualitativen Rangordnung von Kunst, kam es zur Ausbildung eines Bewusstseins für standesgemäße Vergnügungsorte. Der bürgerliche Kulturfreund muss im Gegensatz zum adeligen Theater- und Spektakelbesucher den Ort seiner Freizeitvergnügungen sehr genau wählen, weil er sonst Gefahr läuft, mit dem einfachen Volk in Verbindung gebracht zu werden. Zwar gilt weiterhin, dass die Staffelung der Eintrittspreise die soziale Hierarchie des Publikums sichtbar macht, doch das Bürgertum findet zunehmend eigene Möglichkeiten der gesellschaftlichen Repräsentation (vor allem die Konzerthäuser können als neuer Ort bürgerlicher Selbstdarstellung angesehen werden).

Die Einkünfte des Großteils des Kleinbürgertums und der Arbeiterschaft waren gering, und die sich vor allem aus zeitgenössischen Reiseberichten speisende Vorstellung von der "goldenen Backhendlzeit" vergisst, dass das Biedermeier mehr von Pauperismus als von Überfluss geprägt war. Und trotzdem stammte die Mehrheit des Spektakelpublikums im Prater aus der untersten Schicht. Der Sozialhistoriker Roman Sandgruber führt das darauf zurück, dass den Arbeitern die Möglichkeit fehlte, an eine langfristige und dauerhafte Verbesserung zu glauben. Die meisten Arbeiter sahen also keinen Sinn darin, ihr Einkommen zu sparen, sondern verwendeten es lieber für kurzfristigen Konsum und Vergnügungen.

Aber nicht nur im Prater fand man Angehörige der unteren Gesellschaftsschichten. Selbst in den großen Theatern wie Burg- und Kärntnertortheater waren Besucher aus niedrigen Einkommensklassen keine Seltenheit.

"Sonntagspublikum"

Vor allem die Galerie war der Tummelplatz der einfachen Leute, des sogenannten "Sonntagspublikums". Dass es dort mitunter recht fröhlich zuging, erzählt uns der Theaterdichter Friedrich Kaiser: "Oben im Olymp sah man Leute, welche sich freilich wenig Zwang antaten, und sich's bei drückender Hitze in Hemdsärmeln bequem machten; in den Zwischenakten ertönten in den Höhen die Rufe: ,Frisches Bier - geselchte Würstel!´ (. . .) Sobald aber der Vorhang in die Höhe ging, trat alsogleich die lautlose Stille ein (. . .)."

Das andächtige Schweigen und konzentrierte Verfolgen der Handlung wurde zunehmend zu einem Ideal des Kunstkonsums. Doch dass die Realität oft ganz anders aussah, wissen wir von zeitgenössischen Quellen: So geschah es im Theater an der Wien, dass das Galeriepublikum bei dem Stück "Das Wirtshaus an der Grenze" (1815), bei dem mit großem Lärmen Fress- und Sauforgien gezeigt wurden, mitzuspielen begann, indem es ebenfalls unbändig krawallisierte und lärmte, worüber sich wiederum das bessere Publikum empörte und gegen die Ruhestörer protestierte. Pfeifen und Fußtrampeln waren selbstverständliche Reaktionen auf das Gezeigte und selbst in den Hoftheatern üblich.

Verordneter Applaus

Erst 1775 verbot Maria Theresia derart ungestümes Verhalten und legte fest, dass Beifall nur mehr durch Händeklatschen, Missfallen allein durch Stillschweigen gezeigt werden durfte. In den Wiener Vorstadttheatern ging es jedoch keineswegs sehr gesittet zu, und die Atmosphäre lässt sich wohl besser mit der einer heutigen Sportveranstaltung vergleichen als mit einem Theaterabend, wie wir ihn kennen. Kein Wunder, dass die Zensurbehörde immer wieder über die unkontrollierbaren Zustände besorgt war.

So sehr man aber versuchte, die öffentliche Meinung durch eine rigorose Kontrolle der Stücke und Aufführungen zu beschränken, gelang es Künstlern und Publikum immer wieder, sich dem Zugriff der Macht zu entziehen - sei es durch unangekündigtes Extemporieren, sei es durch die Auflehnung gegen herrschaftliche Disziplinierungsmaßnahmen. Gerade weil das Altwiener Volkstheater eben doch Theater für das Volk war, wurde es von vielen Staatspolitikern als gefährlich eingestuft und von der Zensur stärker als andere kulturelle Praktiken beobachtet.

Freitag, 04. August 2000 00:00:00
Update: Dienstag, 01. März 2005 15:55:00

Lexikon



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