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Artikel aus dem EXTRA LexikonPrint this

Über das freie Grazer Ensemble "Theater im Bahnhof"

Europameister der Improvisation

Von Werner Schandor

Montagabend im "Thetar im Bahnhof" am Grazer Lendplatz: Der knapp 80 Personen fassende Theaterraum ist bis auf den letzten Platz besetzt. Auffällig viel junges Publikum - Schüler, Studenten - wohnen einem wöchentlichen Zeremoniell bei. Auf der Bühne vier Akteure, die "Theatersport" betreiben: Die hohe Schule der Improvisation. Am Anfang werden dem Publikum die Regeln erklärt. "Wir suchen ein Stichwort für ein Gefühl, das die nächste Szene beherrschen soll", sagt ein Schauspieler, und aus dem Publikum schallt es: "Liebe, Neid, Stolz . . ." - Danke, schon läuft die Szene, bei Bedarf verschärft durch Spielregeln, etwa dass der erste Satz mit A beginnen muss, der zweite mit B, der dritte mit C usw.

Doch wenn das Ergebnis noch immer nicht spritzig genug ausfällt, kann es passieren, dass ein Schauspieler selbst "Halt!" ruft und die Fortführung etwa als "kapitalistisches Moratorium im Stile von Brecht" fordert. Augenblicklich fahren die Akteure im hölzernen Ton des epischen Theaters fort, als hätten sie nie etwas anderes gespielt, und das Publikum zerwutzelt sich vor Lachen.

1. Akt: Theatersport

Die "Sport am Montag"-Vorstellungen sind rituelle Kult-Ereignisse geworden. Einige der Besucher kommen so gut wie jede Woche hierher, um sich die Show anzusehen - und das seit immerhin vier Jahren. Improvisation ist die Spezialität des 18-köpfigen TiB-Ensembles, das ein Durchschnittsalter von rund 30 Jahren aufweist. Seit 1996 steht "Sport am Montag" wöchentlich am Spielplan. Seit 1998 wird jeweils im Herbst ein internationaler "Impro Cup" veranstaltet, zu dem Ensembles aus Deutschland, Holland, Frankreich und den USA anreisen. Auch heuer wieder wird man sich dafür im großen Saal des Grazer "Orpheums" einmieten, um mit dem Publikumsandrang zurecht zu kommen. 1999 konnte eine Abordnung des TiB bei der Europameisterschaft des Improvisationstheaters in Dortmund den Meistertitel nach Graz mitnehmen.

Begonnen hat alles mit einem Theaterworkshop beim Regie-Ideologen Willy Bernhart in Graz im Jahr 1989. Dort holten sich die TiB-Gründungsmitglieder Ed Hauswirth, Lorenz Kabas, Beatrix Bruntschko, Rupert M. Lehofer, Gabriele Hiti und Helmut Köpping Ezzes in Sachen Improvisation. Zuerst waren die Improvisationsspiele ausschließlich als Hilfestellung für die Entwicklung von Inszenierungen gedacht, als etwas, das vor der Premiere passiert und nicht unbedingt für das Publikum bestimmt ist. Nachdem die inzwischen gewachsene Truppe aber nach mehreren Gast-Spielstätten - unter anderem namensgebend im ehemaligen Jugendwarteraum im Grazer Hauptbahnhof - 1996 schließlich ihr eigenes Haus beziehen konnte, setzte man eine wöchentliche Improvisations-Show auf den Spielplan. Nicht genug damit, Stegreiftheater zum Gaudium zu betreiben, entwickelte das Ensemble des TiB auch eigene Kreationen, darunter die 3-Personen-Sitcom "Honigbrot", bei der das Publikum per Abstimmung bestimmen darf, wie sich das Leben des homosexuellen Paares Heinz und Manfred (Guntram Suppan und Rupert M. Lehofer) und ihrer Nachbarin Dora (Martina Zinner) entwickelt. Was etwa dazu führte, dass "Honigbrot" letztes Jahr in Wien einen ganz anderen Handlungsverlauf nahm als in Graz. Während die Serie in Wien eine Fortsetzung erfährt, musste sich das Grazer Publikum letzten Herbst schweren Herzens vom schrillen Trio trennen, weil mit "Solid Gold" eine neue Samstagabend-Sitcom auf den TiB-Spielplan gesetzt wurde.

"Neben der Entwicklung einer Theaterform war die Begegnung mit einer gesellschaftlichen Gruppe der Stadt ganz wichtig für uns", sagt Helmut Köpping über "Honigbrot". Köpping ist künstlerischer Leiter des TiB, sieht sich aber eher als "Teilchenbeschleuniger" verschiedener im Haus generierter Ideen. "Der Samstagabendtermin hatte sich zu einem schwul-lesbischen Event ausgeweitet. ‚Honigbrot´ war ein fixer Treffpunkt, wo wir auch unser Stammpublikum aus der Szene hatten." Berührungsangst ist ein Fremdwort für das TiB-Ensemble.

2. Akt: Das Volksstück

Ursprünglich brachte das TiB fast ausschließlich Stücke österreichischer Autoren auf die Bühne. Man suchte die Auseinandersetzung mit einem "modernen, zeitgemäßen Volkstheater". Erste internationale Erfolge verbuchte das Ensemble mit einer dramatischen Bearbeitung von Gerhard Roths Fotoband (!) "Im tiefen Österreich". Roth-Bilder wurden nachgestellt und mit Roth-Texten unterlegt, die Inszenierung mit liturgischen Elementen angereichert. Mit dem Stück gewannen die Grazer bei einem Theaterfest in Polen den ersten Preis, Gastspiele gab es in der Folge auch in Russland. "Für uns war es wesentlich, als Ensemble unsere eigene Handschrift zu entwickeln", erzählt Helmut Köpping. "Wir hatten das Glück, dass die Chemie zwischen den Leuten, die sich bei uns trafen, stimmte. Außerdem haben wir nie unser Einkommen an das Theaterspielen geknüpft, sondern es war uns immer klar, dass wir eigentlich investieren müssen, um das Ensemble weiter zu entwickeln."

Die hartnäckige Arbeit an der eigenen Leistung hat sich in materieller und künstlerischer Hinsicht gelohnt. Das "Theater im Bahnhof" hat inzwischen fünf Angestellte, und die Ensemble-Mitglieder finden über Workshops und Gastinszenierungen außerhalb des Hauses ein Einkommen. Darüber hinaus entwickelte das TiB künstlerisch eine markante eigene Linie.

Nicht nur Kritiker fanden und finden Gefallen an einer Dramaturgie, die ihre Ideen eher aus der Populärkultur denn aus der Theatertraditon bezieht. Damit konnte man unterschiedlichste Ausgangstexte auch einem jungen, an Kino- und Videoästhetik gewöhnten Publikum erfolgreich zugänglich machen. Werner Schwabs "Volksvernichtung", Wolfi Bauers "Magic Afternoon", die Uraufführung von Franzobels "Kafka - Eine Komödie", Franz Xaver Groetz' "Drang" oder eben nun "Hamlet" gehören zu den gut beleumundeten Produktionen der letzten Jahre.

Die zweite Stärke des TiB ist sein Ensemble. "Wir versuchen, Entscheidungen im Ensemble zu treffen, dadurch entsteht ein großes Verantwortungsbewusstsein", sagt Köpping, stellt aber von Vornherein klar: "Das läuft nicht basisdemokratisch ab. Es gibt Leute, die für eine Entscheidungsfindung bestimmender sind" - einfach weil sie die richtige Idee zum richtigen Zeitpunkt liefern. Vollkommen einig ist sich das Ensemble aber darin, dass Theater nicht nur auf der Bühne stattfinden soll.

3. Akt: Das Engagement

Das gesellschaftliche Engagement der Grazer beschränkt sich nicht auf oberflächliche theatralische Effekte. Im Gegenteil. Das TiB versucht, das Haus mit originellen Veranstaltungen auch für Nicht-Theatergeher zu öffnen. Vor zwei Jahren gab es am Karfreitag erstmals einen "Catholic Cover Contest", wo die besten Coverversionen aus dem "Gotteslob" gesucht wurden. Begleitend zur aktuellen "Hamlet"-Insezenierung wurde Anfang März der beste "10-MinutenHamlet" gesucht. Und wie in den letzten beiden Jahren wird auch heuer wieder der Heimvideowettbewerb "Graz privat" veranstaltet, bei dem begeisterte Videoamateure um die goldene Fernbedienung rittern.

"Das Publikum hat über diese Aktivitäten die Chance, in die Stadt Einblick zu nehmen und verschiedenen Sichtweisen, Haltungen und Statements zu begegnen", meint Köpping. Der lebendige Austausch, der auf einer künstlerischen Ebene angeregt wurde, pflanzt sich auch in andere Bereiche fort. In der Reihe "Jetzt spricht das Volk" werden die aktuellen politischen Entwicklungen diskutiert.

So wie das Leben ins Theater hinein getragen wird, geht das "Theater im Bahnhof" auch hinaus in den Lebensraum der Grazer: Im Theaterhappening "50 Ways to Leave your Lover" wurden kürzlich Stücke, Texte und theatralische Aktionen rund um das Thema "Abschied" an öffentlichen Plätzen, in Gasthäusern, Kaufhäusern und Privatwohnungen getragen. Mit solchen Aktionen will man, so das Motto des Ensembles, "radikal anwesend" sein. Die Kardinalfrage der Grazer Theatermacher lautet: Wie zeitgemäß, wie lebendig, wie riskant kann Theater sein? - "Maximal", würde angesichts des TiB nicht nur Fußballtrainer Otto Baric antworten.

Termine in Wien:

"Hamlet" spielt das TiB noch am 28. und 29. April im Künstlerhaus "dietheater". "Honigbrot, die schwule Serie" ist im Mai jeden Sonntag im Metropoldi zu sehen.

Freitag, 28. April 2000 00:00:00
Update: Dienstag, 01. März 2005 15:58:00

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