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Artikel aus dem EXTRA LexikonPrint this

Ein Besuch im Linzer Landestheater und bei seinem

Intendanten Michael Klügl

Theater für die Region

Von Hermann Schlösser

Eigentlich hatte ich Michael Klügl schon im Frühjahr 1998 porträtieren wollen. Wenige Monate vor seinem offiziellen Amtsantritt als Intendant des oberösterreichischen
Landestheaters besuchte ich ihn in Linz. Sein Büro war noch nicht ganz eingerichtet, es roch nach Farbe und auch sonst herrschte Umbauatmosphäre im Haus. Wie es sich für einen Kulturjournalisten
gehört, stellte ich damals mein Aufnahmegerät zwischen den designierten Intendanten und mich und interwievte ihn.

In Wien zurück, wollte ich das aufgezeichnete Interview in druckbaren Text übertragen · doch bestand die Aufnahme zum größten Teil aus unverständlichem Rauschen. Lediglich ein paar Fragmente ließen
sich retten. Sie verraten, dass Michael Klügl, der trotz seines österreichisch anmutenden Nachnamens aus Deutschland nach Linz gekommen ist, von Anfang an auf die Region eingestellt war, für die er
derzeit tätig ist. Auf eine leider nicht zu verstehende Frage antwortete der Intendant z. B.: „Wir heißen oberösterreichisches Landestheater. Das heißt, wir sind für die Stadt Linz und für das
ganze Land Oberösterreich zuständig. Und daraus ergibt sich auch die Aufgabe, ,Landthemen` mit einzubeziehen. Wenn ich einmal ein Stück nennen, darf . . ." · hier verschwindet die Stimme wieder im
großen Rauschen, doch meine ich mich zu erinnern, dass Klügl auf Karl Schönherrs „Kindertragödie" hinwies, die er für seine erste Spielzeit in Linz vorbereitete und die im März 1999 auch über
die Bühne der „Eisenhand" gegangen ist. („Eisenhand" ist der Name einer externen Spielstätte, die am 1. Oktober 1998 eröffnet wurde und die vor allem für experimentelle Theaterformen geeignet ist.)

An einer anderen Stelle meiner Aufnahme ist ein kleiner Wortwechsel zu verstehen, der das Verhältnis des Linzer Theaters zu anderen deutschsprachigen Bühnen präzisiert. Als ob man mich für die Rolle
des arroganten Wiener Großstadtjournalisten engagiert hätte, behauptete ich, dass ein Provinztheater wie das oberösterreichische kaum etwas anderes sein könne als „eine Art Durchlauferhitzer für
Begabungen, die dann in Wien oder München enden". Damit stieß ich beim Intendanten auf Widerspruch: „Was", so rügte er, „heißt Durchlauferhitzer? Ich habe ja Teams zusammengestellt, im
Theater, in der Oper, im Ballett, und solange sie hier sind, arbeiten sie für die Region. Dass sie dann eines Tages wieder weiterziehen · das ist normal. So ist das Leben am Theater. Und es kommen ja
auch Leute von Wien oder von deutschen Bühnen hierher. Also ist der Weg nicht einseitig." Selbstbewusst beanspruchte Klügl für sich und sein Ensemble also einen gleichwertigen Platz im
Gesamtzusammenhang der deutschen Theaterszene. Und so entschieden er ein Theater für die Region konzipierte, so klar machte er doch auch, dass dies nicht ausschließlich ein Theater aus der
Region sein dürfe.

Noch ein dritter Gesprächsfetzen scheint mir bemerkenswert. Es zeigt nämlich sehr schön, wie wenig Wert der Intendant auf allgemein ästhetisches Gerede legt. Mit dem Gerede hatte ich begonnen, indem
ich meinte: „Man hat im Augenblick das Gefühl, die sehr prononciert avantgardistischen Sachen seien ein bisschen am Ende, und die konservativen Modelle bauten sich nicht wieder auf. Die klassische
Front zwischen Avantgarde und Konservativismus weicht auf. Wie positioniert sich ein Theatermacher in dieser Situation?" Die Antwort fiel kürzer und bündiger aus, als ich erwartet hatte. Klügl
sagte nur: „Ich trenne im Theater nicht zwischen avantgardistisch und konservativ, sondern zwischen gut und schlecht." Mein Versuch, hier noch etwas mehr über die Kriterien zu erfahren, nach
denen das Gute vom Schlechten zu unterscheiden wäre, verliert sich wiederum im Rauschen der misslungenen Aufnahme.

„Anatevka" zum Beispiel

Das also war vor fast zwei Jahren, im März des Jahres 1998. Im November des gerade vergangenen Jahres bin ich wiederum nach Linz gereist. Den Kasettenrecorder ließ ich dieses Mal zu Hause, doch
hörte und sah ich mir „Anatevka" an, das derzeit auf dem Programm des Landestheaters steht. In seinen großen Zeiten · also in den sechziger und siebziger Jahren · ist dieses Broadway-
Erfolgsmusical über den Milchmann Tevje und seine heiratswilligen Töchter meist auf folkloristisch bunte Weise aufgeführt worden, das heißt die Sängerinnen und Sänger versuchten, jene surreale
Chagall-Stimmung hervorzurufen, die der englische Originaltitel „The Fiddler on the Roof" poetisch ankündigt.

Auch im Linz der Jahrtausendwende bleibt der mysteriöse Fiedler auf dem Dach als Figur aus dem jiddischen Bilderbuch erhalten. Mit einer schwarzen Kappe auf den langen Locken geigt er sich durch die
Aufführung. Doch steht er wie ein Zitat vergangener Zeiten auf der Bühne, denn im Übrigen hat Regisseur Markus Bothe dem Stück das Folkloristische ausgetrieben. Die Männer tragen weder Bart noch
Kaftan, die Frauen keine Kopftücher. Auch verbreitet keine „Shtetl"-Kulisse das wohlige Doppelgefühl von Exotismus und Heimeligkeit. Statt dessen wird die sehr zügige, ohne Pause durchgespielte
Aufführung von konzentriertem Schwarz-Weiß beherrscht. Die Kostüme der Darsteller sind durchwegs schwarz, die Kulisse besteht einzig aus schwarzen Tischen, die von Zeit zu Zeit mit weißen Decken
belegt werden. Dass man mit diesen kargen Requisiten sehr witzige Wirkungen erzielen kann, zeigt sich z. B., wenn die Tische durch ein paar wenige Handgriffe in ein Ehebett für Tevje und seine Frau
Golde verwandelt werden.

Die Bühne ist links, rechts und an der Rückseite von weiß tapezierten Wänden eingeschlossen · wie das Dorf Anatevka von alten Bräuchen und Gepflogenheiten. Das eigentliche Thema des Musicals ist nun
freilich nicht die Tradition, sondern der Traditionsverlust: Tevje, seine Familie und seine Nachbarn müssen erfahren, dass die Welt sich ändert und dass ihre alte Lebensform von der Vernichtung
bedroht ist. Diese Bedrohung wird in Linz durch einen verblüffend einfachen, aber äußerst wirksamen Kunstgriff sichtbar gemacht: Die Darsteller und Darstellerinnen beschädigen im Lauf des Abends die
Wände, die sie umgeben. Tevjes jüngste Tochter Chava z. B. reißt sie von innen auf, um einen Weg ins Freie zu finden, der russische Wachtmeister hingegen trampelt sie von außen nieder, um einen
Pogrom anzukündigen. Alle diese Aktionen hinterlassen Risse, so dass die glatte Wand des Anfangs am Ende in Fetzen herunterhängt.

Gewiss ist eine solch reduzierte Inszenierung von der Gefahr der Überstilisierung bedroht. Mit gutem Grund wird der Ausdruck „Schwarz-Weiß-Malerei" im Normalfall nicht als Kompliment verwendet. Doch
sind der Regisseur und sein Ensemble allen Gefahren durch die nuancierte Zeichnung der Details entkommen. Ein Beispiel unter vielen, etwas genauer betrachtet: Der Schneider Mottel Kamzoil ist klein
gewachsen, arm und von schüchterner Natur. Trotzdem wagt er es, bei Tevje um die Hand der ältesten Tochter Zeitel anzuhalten. Sie ist zwar schon dem reichen Fleischhauer Lazar Wolf versprochen, aber
weil sich Tapferkeit zumindest auf der Bühne manchmal auszahlt, geschieht das Unerwartete: Tevje gibt der Verbindung seinen Segen und dem respektablen Freier den Laufpass. Darüber ist der kleine
Schneider so begeistert, dass er seinem Glück in einem langen Lied Luft macht.

In der Linzer Aufführung war nun folgendes schöne Detail zu beobachten: Wenn Mottel, angemessen schüchtern verkörpert von Alfred Rauch, seinen Freudengesang anstimmt, mag ihm auf der Bühne keiner
zuhören. Die ersten Takte seines Liedes müssen mehrmals intoniert werden, dann muss Mottel seine Mitbürger sogar ausdrücklich um Gehör bitten, damit sie seiner Siegesfreude schließlich die
Aufmerksamkeit widmen, die sie verdient.

Nun werden solche Unterbrechungen des musikalischen Ablaufs bei Werken der sogenannten „leichten Muse" oft eingesetzt, um komische Effekte zu erzielen. Auch in Linz wirkt der Triumphgesang mit
Hindernissen in erster Linie erheiternd. Zugleich trägt er aber auch zur Charakterisierung der Figur des Mottel Kamzoil bei. Während er sich selbst nämlich in seinem Lied zu einem neuen Samson oder
einem neuen David ernennt, bleibt er für die anderen der kleine Schneider, der er eben ist. Das wird von Regisseur und Schauspieler so beiläufig wie eindrucksvoll vorgeführt.

Nach so viel Lob darf eine kleine Kritik nicht fehlen: Mottels Kostüm hat nicht überzeugt. Denn es wird mehrmals betont, dass er zwar arm, aber doch ein guter Schneider sei. Deshalb leuchtet es nicht
ein, warum gerade er einen Anzug tragen muss, dessen Ärmel und Hosenbeine zu kurz sind, während alle anderen in jenem gut geschnittenem Schwarz auftreten dürfen, das nicht nur in Anatevka, sondern
auch bei der Künstlerszene unserer Tage so überaus beliebt ist.

Trotzdem war der Abend eine Freude, und das offenbar nicht nur für den angereisten Zuschauer aus Wien: „Anatevka" wurde · jedenfalls am 27. November 1999 · vor ausverkauftem Haus gespielt, und
der Beifall am Schluss war so, wie ihn sich Schauspieler wünschen: Lange, laut und mit vielen Bravorufen angereichert.

Das Gespräch danach

Nach der Aufführung treffe ich den Intendanten wieder. Das Tonbandgerät bleibt dieses Mal ausgeschaltet, und das Gespräch kommt rasch in Gang. Von Haus aus ist Dr. Michael Klügl kein Theatermann,
sondern Musikwissenschafter. Nach seinem Studium hat er an mehreren deutschen Bühnen als Musikdramaturg gearbeitet und war schließlich als stellvertretender Operndirektor am Nationaltheater in
Mannheim tätig. Diese Herkunft aus der Wissenschaft und der Dramaturgie macht sich · wie ich finde: angenehm · bemerkbar. Der Linzer Intendant, der selber nicht als Regisseur arbeitet, kommt auch
ohne das grandiose Gehabe aus, mit dem sich die Regielöwen des Peymann-Typs so gerne hervortun. Klügl, Mitte vierzig, ist von graziler Statur, lebhaft in seinen Bewegungen und spricht eher leise als
laut. Der Dialekt seiner hessischen Heimat ist seiner Aussprache in geringen Spurenelementen beigemischt, was , wie mir scheint, zur Entspanntheit seiner Rede beiträgt. Und noch eine andere Qualität
zeichnet ihn aus: Er ist sich sehr bewusst, dass er nur so viel erreichen kann wie das Ensemble, dem er vorsteht. Mehrmals betont er im Verlauf des Gesprächs, dass nicht er allein, sondern alle
Schauspieler, Sänger, Musiker, Bühnenarbeiter usw. dazu beigetragen hätten, dass das Landestheater Linz heute in regionalen und überregionalen Medien als interessante Bühne beachtet werde. Freilich
lässt er ebenso wenig Zweifel daran, dass er in diesem Zusammenspiel als Initiator und Inspirator wahrgenommen werden will. Er will Enthusiasmus verbreiten und enthusiastische Menschen um sich haben.

Auch mir stellt er sofort die Frage, die dem wahren Theatermenschen am Herzen liegt wie keine andere: Ob mir die Aufführung von „Anatevka" gefallen habe. „Die Aufführung sehr", sage ich,
„das Stück weniger." „Warum das Stück nicht?" will er wissen, und ich antworte mit der analytisch nicht sehr scharfen, aber dafür ehrlichen Erklärung, einige Teile des Musicals seien mir zu
kitschig.

Nun habe ich noch nicht viele Intendanten persönlich kennengelernt. Wie sie normalerweise reagieren, wenn ein Journalist behauptet, sie hätten Kitsch im Repertoire, weiß ich also nicht. Ich halte es
aber für denkbar, dass manche auf die probat zynische Weise erklären, ihnen gefalle so etwas ja auch nicht, aber das Publikum wünsche es, also werde es gemacht. Michael Klügl redet nicht so. Gewiss
hat er Klassiker wie Schillers „Kabale und Liebe" im Programm, auch wurden schon Avantgarde-Stücke wie des Oberösterreichers Franzobel „Paradies" unter seiner Intendanz uraufgeführt. Doch
gefällt ihm auch ein Musical wie „Anatevka" , und so lässt er mein Kitsch-Verdikt nicht ohne Nachfrage durchgehen. Welche Teile genau ich kitschig fände, will er wissen, und ich nenne die
Sabbatszene, in der das Ensemble, fromme Weisen singend, um einen Tisch versammelt ist, und den Schlusschor, mit dem die Juden traurig und zugleich lebensmutig Abschied von Anatevka nehmen.

Über die Sabbatszene lässt der Intendant eventuell mit sich reden, denn er denkt über Meinungen nach, die von der seinen abweichen. Aber dass die Schlussszene kitschig sein soll, leuchtet ihm nicht
ein. Er widerspricht mir entschieden und sagt, vielleicht eine Spur lauter als gewöhnlich: „Ich habe keinerlei Berührungsängste vor den großen Gefühlen. Im Gegenteil: viele neuere
Theaterproduktionen leiden meiner Ansicht nach nicht an zu viel Gefühl, sondern an zu wenig. Eben das will ich durch meine Theaterarbeit korrigieren."

Ich möchte nicht beschwören, dass seine Rede genau diesen Wortlaut hatte, denn ein Tonband lief, wie gesagt, an diesem Abend nicht. Für den Sinn der Äußerung aber kann ich mich verbürgen, und ich
irre mich wohl auch nicht, wenn ich vermute, dass Michael Klügl mit diesen Worten sein ästhetisches Programm dargelegt hat. Doch würde er selbst wohl sofort ergänzen, dass Programme nicht das
Entscheidende im derzeitigen Theatergeschehen seien. Wichtiger ist ihm allemal, dass anregende und inspirierende Aufführungen entstehen. Und dass dies unter seiner Intendanz möglich ist, lässt sich
nachprüfen · im oberösterreichischen Landestheater, Promenade 39, 4020 Linz.

Freitag, 07. Jänner 2000 00:00:00
Update: Dienstag, 01. März 2005 16:02:00

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