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Artikel aus dem EXTRA LexikonPrint this

Hilde Sochor · Porträt einer Schauspielerin

Magie und Verführung des Theaters

Von Helga Häupl-Seitz

Im Jänner feierte sie ihr 50jähriges Bühnenjubiläum am Wiener Volkstheater; wenig später ihren 75. Geburtstag: Hilde Sochor. Sei es als unbeugsame Anstaltsärztin in
der laufenden Erfolgsproduktion von Dürrenmatts „Physikern" oder als urwüchsige Mutter Schoitl im „Kaisermühlenblues" · ihre schauspielerische Bandbreite ist groß. Im hellen, mit vielen
Zimmerpflanzen ausgestatteten Erkerzimmer ihrer Wiener Wohnung sitzt mir überdies eine lebenskluge, quirlige Frau gegenüber, die trotz vielfacher Angebote auf eine internationale Karriere bewußt
verzichtet hat. Der Grund: ihre drei Kinder. „Ich hätte es nicht ertragen, sie monatelang nicht zu sehen." Sie schrieb lieber in Wien Theatergeschichte.

Hilde Sochor und ihre um zwei Jahre jüngere Schwester wuchsen behütet mit der geschiedenen Mutter und der Großmutter in Breitensee im 14. Wiener Gemeindebezirk „in einem Weiberhaushalt" auf, wie sie
selbst sagt. Ihren heimlichen Berufswunsch kann sie nur anfänglich unterdrücken: Weil sie sich zunächst nicht traute, studierte sie nach der Matura zunächst Publizistik, dann auch
Theaterwissenschaft, um Kulturkritikerin zu werden. „Ich hab mir gedacht, daß doch jedes junge Mädel nur eines im Kopf hat · nämlich zu spielen. Warum sollte ich besser als die anderen sein?"

Eine Freundin, später selbst am Burgtheater engagiert, überredete sie, mit ihr die Aufnahmsprüfung am Reinhardt-Seminar zu versuchen. „Es war die allererste nach 1945", erinnert sie sich. Mit „Pauken
und Trompeten" fielen sie zwar prompt durch · „ich war damals noch sehr gehemmt" · aber die Lust am Spielen war geweckt. So wechselten beide Mädchen zum Konservatorium Preiner. „Das hat sich
nachträglich als großes Glück herausgestellt, weil ich Leopold Rudolf in die Hände gefallen bin, der dort gerade zu unterrichten angefangen hatte", ist sie überzeugt. „Etwas Besseres hätte uns nicht
passieren können." Sie fing an, neben ihrem Studium auch die Schauspielschule zu besuchen. Auf Initiative des damals Zuständigen im Unterrichtsministerium, Hofrat Dr. Langer, entstand für Studenten
im Gebäude der österreichischen Hochschülerschaft in der Wiener Kolingasse eine Studentenbühne, auf der sich jeder nach Lust und Laune austoben durfte. „Es war eine Art Experimentierbühne · gleichsam
ein Vorläufer der jetzigen Kellertheater und alternativen Theatergruppen."

Viel Engagement, wenig Geld

Mit großem Engagement und ohne jegliche Bezahlung · „nicht einmal das Fahrgeld haben wir bekommen" · spielte die buntgemischte Truppe ihre ersten Stücke: Hilde Sochor war das Gretchen und das
Lieschen im Urfaust und schon damals die Frau Pollinger in Hermann Bahrs „Konzert". „Auch Horvaths Stück ,Die Unbekannte aus der Seine` hat bei uns eigentlich seine Uraufführung erlebt."
Das fehlende Geld war die beste Ausbildung: „Jeder hat bei uns alles machen müssen: Einmal hat man den Vorhang gezogen, einmal souffliert und dann wieder eine Hauptrolle gespielt. Und das alles neben
dem regulären Studium und dem zusätzlichen Schauspielunterricht. Weil meine Mutter beide Studien nicht bezahlen konnte, habe ich überdies Kasperltheater in den diversen Schulen gespielt. Aber es war
trotzdem eine unglaublich schöne, unbeschwerte Zeit", erinnert sie sich.

1948 legte sie nicht nur die Schauspielprüfung ab, sondern promovierte auch zum Dr. phil. Sie debütierte in den Kammerspielen, damals noch ein Privattheater. Die Verkörperung des Stubenmädels in der
Uraufführung von Alexander Lernet-Holenias Stück „Parforce" stellte die Weichen : „Das war ein solcher Erfolg, daß mich der damalige Volkstheaterdirektor Paul Barnay 1949 spontan geholt hat,
obwohl gar keine Stelle vakant war", erzählt Hilde Sochor. Ihr Debüt am Volkstheater legte sie in Ludwig Anzengrubers „Der Pfarrer von Kirchfeld" ab. Mit von der Partie war Hans Jaray, der
gerade aus der Emigration zurückgekommen war.

1952 gastierte sie erstmals unter der Regie von Gustav Gründgens mit Fritz Kortner in Raimunds „Alpenkönig und Menschenfeind" in Düsseldorf. Besonders gern erinnert sie sich an den Beginn der
Direktionszeit von Leon Epp, der 1953 das Volkstheater übernahm: Neben dem weiteren Anzengruber-Stück „Das vierte Gebot" durfte sie erstmals die Tochter in George Bernard Shaws „Frau Warrens
Gewerbe" verkörpern. „Das war damals ein dankenswerter Fachdurchbruch für mich", erzählt sie, „der mich weg von den komischen Rollen führte."

Regie führte Gustav Manker. Er war zunächst als Bühnenbildner ans Volkstheater engagiert gewesen, wurde unter Leon Epp auch Oberspielleiter, Herr der Werkstätten und später sein Stellvertreter. Nicht
nur Hilde Sochors Schauspielkunst erregte seine Aufmerksamkeit: 1956 heirateten sie, und es begannen turbulente Jahre: „Ab dann war ich gewohnt, die Jahre nach meinen Schwangerschaften zu rechnen",
lacht sie. 1956 wurde Katharina geboren, 1958 folgte Paulus, 1967 Magdalena.

Ihnen zuliebe stellte sie ihre internationalen Karrierewünsche zurück: „Ein Gastspiel im Ausland · das habe ich lange nicht angenommen. Denn das Hin- und Herfliegen, so wie heute, das gab's ja damals
nicht, und gleich ein halbes Jahr weg sein, das wollte ich nicht. Man versäumt so viel von den Kindern." So ließ sie ihren Mann gastieren: „Als Regisseur hatte man es einfacher, denn nach der
Probenzeit von vier Wochen und der Premiere konnte man wieder nach Hause." Sie spielte weiter in Wien.

Daß sich die Kinder dennoch lieber wünschten, ihre Eltern besäßen ein Spielwaren- oder Zuckerlgeschäft, statt auf der Bühne zu stehen bzw. zu inszenieren, läßt sie noch heute schmunzeln: „Gerade das
Unregelmäßige war günstig: Zwar gab's natürlich immer wieder Engpässe, aber dafür hatte ich auch ganze freie Wochen, die ich dann wieder zu Hause verbracht habe. Etwas, was ich mit einem Geschäft nie
vereinbaren hätte können."

Nach Leon Epps überraschendem Tod im Dezember 1968 wurde bereits im Jänner der Nachfolger nominiert: Gustav Manker. Ein neuer Lebensabschnitt für die ganze Familie begann. Der vormittäglichen Hektik
am Theater folgte ein nachmittägliches „open house" in der Wohnung: Gespräche, Besprechungen und Vorstellungsgespräche. „Es war für uns beide nicht immer einfach. Ich habe damals gesagt, nun hab ich
zwar keinen Mann mehr, aber dafür einen Parkplatz", lacht sie. Nun, ganz so schlimm war's dann doch nicht. „Er hat versucht, jede freie Minute mit uns zu verbringen. Die Kinder haben ihn auch oft im
Theater besucht oder abgeholt, und dann hat er ihnen seine Modelle, Pläne und Entwürfe gezeigt, hat sie mitleben lassen in der Theaterwelt."

Sie reüssierte weiter im Volkstheater: in neuen, spannenden Rollen von Hochwälder, Brecht, Wedekind, Bruckner, Schnitzler, Horvath, Ibsen und Hauptmann, als Blanche Aubry in Tennessee Williams
„Glasmenagerie", als Frau John in Gerhart Hauptmanns „Ratten" und als Grusche in Brechts „Kaukasischem Kreidekreis". Aber auch in klassischen Stücken trat sie auf: als Marthe Rull
im „Zerbrochenen Krug", als Amme in „Romeo und Julia" oder als Frau Marthe im „Faust".

Und sie war von Anfang an beim Fernsehen dabei. „Das erste, an das ich mich erinnern kann, war eine Art Quiz mit Fritz Muliar. Es wurde im Nebenraum auf einem Monitor übertragen. Die Leute sind
hin- und hergelaufen, weil sie es nicht fassen konnten." Ihm folgten zunächst Theater-Live-Übertragungen, denn Aufzeichnungen gab es erst viel später. Auf dem Spielplan stand Heiteres: Komödien und
Schwänke wie Hans Schuberts „Vorstadtkomödie" oder Hans Weigls „Der eigentliche Doktor". Partner waren u. a. Ernst Waldbrunn, Kurt Sowinetz und Helmut Qualtinger. Als eine der ersten
gehörte Hilde Sochor auch der legendären Stegreif-„Familie Leitner" an. Daneben wirkte sie in einer ganzen Reihe von Hörspielen mit und plauderte zehn Jahre lang in der Sendung „Im
Konzertcafé" als Großmutter über Wien.

Im Laufe der Jahre spielte sie in über 155 Rollen, darunter allein 30 Nestroy-Rollen: „Ich habe auch vieles zweimal gespielt oder in einem Stück zunächst die Tochter, später die Mutterrolle
verkörpert." Nach wie vor wichtig sind ihr Rollen wie die Frau Suitner in Schönherrs gleichnamigem Drama, die Frau Bockerer im „Bockerer", mit dem sie auch sechzehn Jahre später 1996 in Berlin
gastierte, die Mutter Courage in Perchtoldsdorf bei den Sommerspielen; und Weiningers Mutter in Joshua Sobols „Weiningers Nacht", in der ihr Sohn Paulus Manker nicht nur die Hauptrolle spielte,
sondern auch inszenierte.

Neuanfang

Ein ungewöhnliches Unternehmen? „Nein", sagt sie bestimmt. „Es war das erste, was ich nach dem Tod meines Mannes im Juli '79 gemacht habe. Die Premiere war im November. Es war eine sehr angenehme
Arbeit für mich. Ich habe mich meinem Sohn als Regisseur gerne untergeordnet, weil er sehr gut ist. Schlimm wäre es gewesen, wenn es diesbezüglich Differenzen gegeben hätte. Es war auch ganz
problemlos, seine Mutter auf der Bühne zu verkörpern." Und sie übersiedelte: Vom Schulhof im 1. Bezirk nach Hietzing in ein Wohnhaus, das seit dem Entstehen ihrer Familie gehört. „Nach 32 gemeinsamen
Jahren hätte ich dort nicht mehr allein wohnen können. Ich mußte einen Neuanfang wagen", sagt sie einfach.

Neuanfänge gab es auch in beruflicher Hinsicht: Gemeinsam mit ihrem Kollegen Rudolf Strobl gründete und leitete Hilde Sochor die Schauspielschule im Volkstheater. Was zunächst als qualifizierte
Ausbildung für angehende Lehrer gedacht war, wurde nach dem Besuch verschiedener Paradeschauspielschulen in Deutschland eine Schauspielschule für Schüler. „1996 ist sie leider den Sparmaßnahmen zum
Opfer gefallen, aber unsere Bilanz hat sich sehen lassen können: In diesen zehn Jahren ist nur ein einziger unserer Schüler bei der obligaten öffentlichen Prüfung durchgefallen", ist sie heute noch
stolz.

Seitdem Emmy Werner die Chefin im Haus ist · „vorher hätte ich mich nicht getraut" ·, inszeniert sie auch. Hilde Sochors erste Inszenierung · Nestroys „Haus der Temperamente"· wurde ein großer
Erfolg. Gern erinnert sie sich an die Arbeit für den „Sturm im Wasserglas", den sie danach für das Volkstheater in den Außenbezirken auf die Bühne brachte: „Ich habe das Stück bearbeitet,
inszeniert und gespielt."

Der Mix aus verschiedenen Aufgaben war so ganz nach ihrem Geschmack. Denn auch als Regisseurin hat sie dezidierte Vorstellungen: „Mich reizt, ein Stück und seine Themen zum Leben zu erwecken, ohne
ihm etwas überzustülpen, was nicht in ihm enthalten ist. Deswegen halte ich auch vom Inszenierungstheater nicht viel, das heute so verbreitet ist. Ich bin aber sehr wohl fürs Regietheater · denn
jedes Stück braucht einen Regisseur, der mit den Schauspielern arbeitet."

Bis auf die jüngste Tochter (sie ist Psychiaterin an der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie in Berlin) sind die anderen in die elterlichen Fußtapfen getreten: Auch Katharina, selbst Mutter
dreier Buben, spielte lange Zeit auf deutschen Bühnen; später im Theater der Jugend; Volkstheater, Künstlerhaus und im Fernsehen. Wie einst ihre Mutter, steckt sie derzeit etwas zurück, bis die
Kinder (13, 11 und 6 Jahre) größer sind.

In der Rolle der Omama

Hilde Sochor springt ein, wann immer es geht: „Bei der Omama schlafen ist das höchste. Aber alle drei auf einmal sind ein bisserl viel für mich geworden. So schaue ich, daß ich sie nacheinander
sehe. Oder wir treffen einander in unserem lieben, alten Haus nahe bei Wien. Da kann ich mich zurückziehen oder eben dabeisein, wenn die Enkelkinder mich brauchen."

Seit drei Jahren ist sie nun schon in Pension. Sie wurde mit dem Goldenen Verdienstkreuz des Landes Wien, dem Nestroy-Ring der Stadt Wien und dem Karl-Skraup-Preis ausgezeichnet und sie darf sich
überdies neben „Professor" auch „Kammerschauspielerin" nennen. Aktiv ist sie aber trotz alledem geblieben; sei es als Fräulein Tesmann in Ibsens „Hedda Gabler", als Großmutter in den
„Geschichten aus dem Wiener Wald" oder wie jüngst als Dr. Mathilde von Zahnd in den „Physikern". Ein Weg, den sie auch in Zukunft beschreiten möchte: „Ich stehe nach wie vor dem Haus zur
Verfügung, wann immer es mich braucht. In meinem Alter wünscht man sich nicht mehr so sehr das Aktive, sondern das Passive: Daß alles noch eine Weile so bleibt, wie es ist."

Das allerdings gilt nicht für ihre Vorstellungen vom Theater: „Das Theater hat ein Pandämonium zur Verfügung, es kann nach allen Zeiten und nach allen Richtungen ausstrahlen. Momentan habe ich ein
wenig das Gefühl, daß Theater ausschließlich das kleine Segment des Zeitgeistes mit seinem direkten Bezug auf die Gegenwart darstellen möchte. Und das ist sehr schade. Ich wünsche mir, daß diese
Magie und Verführung durch das Theater wieder sichtbarer wird."

Freitag, 25. Juni 1999 00:00:00
Update: Dienstag, 01. März 2005 16:48:00

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