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Artikel aus dem EXTRA LexikonPrint this

Meret Barz, Regisseurin aus Leidenschaft

Das Theater und das Chaos

Von Alexander Glück

Wien-Landstraße, im September 1998. Die Premiere des Musicals „Cabaret", von einer ambitionierten Gruppe namens „Beinhardt-Ensemble" inszeniert, steht
unmittelbar bevor. Im Foyer der Sophiensäle hat sich eine lange Schlange junger und älterer Menschen in passender und weniger passender Garderobe gebildet, es geht nur langsam voran. Hier und da wird
verhalten gemurrt, denn es würde noch anderthalb Stunden dauern, bis alle ihre Karten haben, und das Stück hätte bereits vor zehn Minuten anfangen müssen. Es geht nicht voran, weil es Schwierigkeiten
mit dem Kartencomputer gibt. Hinter dem Kartentresen steht die Regisseurin des Musicals, blickt über die Menschenmenge im Foyer · und entscheidet sich. Mit einem Satz steht sie auf dem Tisch: „Guten
Abend und herzlich willkommen! Wir bitten um Entschuldigung für die Verzögerung, aber wir haben hier ein Problem mit den Eintrittskarten. Deshalb schlag' ich vor: Kommt einfach herein und habt Euren
Spaß im Kit-Kat-Club! Wer will, kann ja noch in der Pause bezahlen." Die Leute freuen sich und nehmen irgendwelche Plätze ein · das Stück kann beginnen. Und was für ein Stück: professionelle
Schauspieler, professionelle Musik, professionelle Lichteffekte. In jeder Minute ein Detail, in jeder Minute ein Symbol.

Mit den beiden Inszenierungen von „Cabaret" und „Liebe & Anarchie" wurde nicht nur ein passendes Ende für die alten Sophiensäle geschaffen, deren Geschichte weit mehr mit dem Inhalt
beider Stücke verwoben ist, als es sogar den Veranstaltern klar war. Gleichzeitig wurde mit dem Projekt ein weiterer Beweis dafür erbracht, daß Kultur nicht auf die großen und bekannten Häuser
beschränkt bleibt. Die Realisierung des Projektes, für die nur knappe Subventionen bereitgestellt wurden, ist ein leidenschaftlicher Aufruf zu einem lebendigen Kulturleben, das über alle Zutaten
verfügt, nur nicht über genug Geld. Und trotzdem: Außerhalb des geregelten Betriebes hat sich längst eine lebendige künstlerische Landschaft entwickelt, die zu beobachten sich lohnt. Ein weiteres
Beispiel dafür ist etwa die Aufführung des Stückes „So ist es · wie es Ihnen scheint" von Luigi Pirandello, für die man keinen geeigneteren Ort als den Prunkstall im Unteren Belvedere hätte
finden können. Es wurde sogar schon ein Theaterstück in der öffentlichen Toilette am Graben aufgeführt.

Frischer Wind in der Szene

Für derart gewagte Inszenierungen bedarf es viel frischen Windes in der Theaterszene; mit honorigen Intendanten und aufmerksamen Kontrollinstanzen läßt sich nicht viel Pioniergeist durchsetzen.
Erinnert sei an die herbe Ablehnung, die Claus Peymann entgegenschlug, als er gleich zu Beginn seiner Zeit am Burgtheater die 400 Freikarten für Privilegierte strich und gleichzeitig besondere
Jugendabonnements einführte, um junge Menschen in das alte Theater zu holen · der Erfolg solcher Maßnahmen gab ihm Recht. In traditionsreichen Spielstätten muß also zunächst einmal der Anfang
geschafft werden, während außerhalb dieser Häuser keine Traditionen und Reglements gelten, gegen die anzukämpfen wäre. Ein freier, erfolgs- und qualitätsorientierter Theaterbetrieb steht festgefügten
Strukturen gegenüber, innerhalb derer sehr viel Energie auf dem Instanzenweg in Reibungshitze umgewandelt wird, anstatt der jeweiligen Inszenierung zugute zu kommen.

In dieser freien Kulturlandschaft arbeitet Meret Barz, eine gleichermaßen schillernde wie ambitionierte Regisseurin, die sich gleich mehreres zum Anliegen gemacht hat. Sie arbeitet mit ihren
Inszenierungen an einer sinnvollen Verbindung von Musical und Sprechtheater, wodurch das Musical ernster und das Sprechtheater lebendiger werden soll. Und weil viele der bisherigen Auführungsorte
nicht mehr existieren oder schon bald abgerissen werden, wünscht sie sich außerdem eine feste Bleibe für ihr Ensemble, das immerhin schon seit 16 Jahren existiert. Während ihrer Zeit an der
Regieschule des Max-Reinhardt-Seminars sollte anläßlich eines Jubiläums irgend etwas einstudiert werden, was in einer Beziehung zum Seminar steht · und die Schüler entschieden sich in ihrem
Tatendrang für den „Sommernachtstraum" nach der berühmten Inszenierung Max Reinhardts. Als die Seminarleitung erkannte, daß es sich dabei um keinen Scherz handelte, distanzierte sie sich,
konnte jedoch den weiteren Verlauf dieser Inszenierung nicht mehr aufhalten. Binnen zweier Monate stellten die Jugendlichen das komplette Stück auf die Beine, entwarfen Kostüme (die Elfen traten
beispielsweise in blauen Müllsäcken und oben ohne auf), studierten Rollen ein und inszenierten. Die Aufführungen in Wien waren ausverkauft.

Weil sich das Reinhardt-Seminar distanziert hatte, man aber unbedingt darauf hinweisen wollte, daß es sich bei den Mitarbeitern um Reinhardt-Seminaristen handele, druckte man Plakate, mit denen man
seine Zugehörigkeit auch deklarieren wollte · durch eine kleine Flüchtigkeit stand dann jedoch nicht „Reinhardt", sondern „Beinhardt" zu lesen. Das Seminar vermutete einen Schelmenstreich,
jedenfalls beließ es die Theatergruppe, die mit dem „Sommernachtstraum" ihren ersten großen Erfolg hatte, bei dieser Schreibweise.

Die Regisseurin, bei dem erfolgreichen „Sommernachtstraum" gerade 22 Jahre alt, bekam in der Folge sogar Angebote aus dem Burgtheater. Das ist für einen Theatermenschen eine großartige Sache,
und fast hätte Meret Barz auch zugegriffen · aber sie erkannte rechtzeitig, daß sie möglicherweise ebenso kometenhaft wieder aus dem Burgtheater verschwunden wäre, wenn ihr auf Dauer die Substanz
gefehlt hätte. Mit dem damaligen Burgtheater-Direktor Benning plante sie daher nur eine Gemeinschaftsproduktion, die aufgrund gewerkschaftlicher Einwände dagegen, daß Schauspieler des Burgtheaters
auswärts proben sollten, letztlich scheiterte. Es kamen noch weitere gute Angebote, aber sie lehnte alle ab, weil sie sich nicht in das Korsett enger Strukturen begeben wollte. Ihr Vergleich mit
einem Maler, der für sein Bild die richtigen Farben braucht, ist passend.

Meret Barz schlug einen Weg ein, der wenig Sicherheit bot und dafür allerlei Schwierigkeiten bereithielt. Zu jeder ihrer Produktionen gibt es monate- bis jahrelange Vorlaufzeiten. Das fängt schon mit
der Frage an, wo ein Stück überhaupt aufgeführt werden kann. Dann geht es um die Finanzierung, um Subventionen und Marketing, und wenn all diese Rahmenbedingungen jedesmal aufs neue aufgebaut wurden,
fängt die eigentliche Arbeit am Stück überhaupt erst an. Besondere Sorgen bereitet es Meret Barz, daß die Finanzierung ihrer Projekte viel zu dünn ist. Als sie „Cabaret" 1996/97 zum ersten Mal
inszenierte, war dieses Projekt mit 4,66 Mill. Schilling subventioniert, und bis zur Premiere liefen Schulden in Höhe von 900.000 Schilling an. Als das Stück lief, wurden die Ausstände wieder
hereingeholt, und die Bilanz des Stückes verzeichnet Gesamtkosten in Höhe von 16 Mill. Schilling und Gesamteinnahmen, die nur um 50.000 Schilling darüber liegen. Dieser Reingewinn wurde dann
allerdings auch noch durch kleinere Posten aufgebraucht, so daß die gesamte Produktion mit einer Null zu Buche geschlagen hat. Reich wird man im Theater vermutlich nicht.

Morgenluft und Risiko

Es ist kein Wunder, wenn die Zukunft solcher Produktionen höchst ungewiß ist. Man genießt zwar die Morgenluft unabhängiger Produktionen, bei denen man sehr frei ist und auch gewagte Stilmittel
einsetzen kann, doch man bezahlt dafür den hohen Preis des wirtschaftlichen Risikos. Aber wer von den ambitionierten und kreativen Menschen, die sich mit Theaterproduktionen befassen, versucht, auf
diese Weise dem Geld nachzusetzen? Hier geht es um etwas anderes. Dem Theater gelingt es nämlich, Traumwelten real zu erschaffen · eine Kunst, die selten geworden ist. An einem bestimmten Abend
treffen Schauspieler, Sänger, Tänzer, Musiker und ein diffuses Publikum zusammen und erleben gemeinsam etwas, was es nur zu diesem Zeitpunkt und an diesem Ort gibt. Es ist unwiederholbar. Die
Schöpfung des Rahmens, innerhalb dessen solche Einmaligkeiten stattfinden, entschädigt Meret Barz für vieles, was dafür erledigt werden muß. Sie gehört dem kleinen Kreis derer an, die ihre Träume
sichtbar verwirklichen können und Welten wie Seifenblasen erzeugen. Bis sie wieder zerplatzen. Was dann bleibt, sind die Erinnerungen, die jeder Beteiligte mit sich trägt, und Erfahrungen, die den
nächsten Projekten zugute kommen.

Eigentlich stammt die Regisseurin aus Basel, wo sie am 25. April 1960 geboren wurde. In Basel besuchte sie auch die Schule und stieß auf das Theater. Bereits als Volksschülerin schrieb sie kleine
Stücke, die dann im Wohnzimmer ihrer Schulfreundin vor kleinstem Publikum zur Aufführung gelangten: Die erste Inszenierung der Meret Barz hieß „Der schwarze Täter" und handelte von einem
Einbruch. Als sie in der zwölften Klasse war, wurde die Hauptrolle für ein Aufklärungsstück besetzt, und auf den Vorschlag ihrer Mutter hin bewarb sie sich. Der Zeitpunkt für das Vorsprechen rückte
näher, Mutter und Tochter gerieten im letzten Moment in einen heftigen Streit · und solcherart vorbereitet, sollte die junge Bewerberin aus dem Stegreif einen Streit mit ihrer Mutter improvisieren.
Das fiel ihr in dieser Situation leicht, und sie konnte sich gegen 100 Mitbewerberinnen durchsetzen. Daraufhin wurde sie von der Schule für drei Monate freigestellt. Zur Maturafeier wurde sie von
Mitschülern gebeten, ein Kabarettprogramm zu inszenieren, und zwar Schnitzlers „Der grüne Kakadu". Schon hier wurde das Publikum in die Handlung des Stückes einbezogen, und auch bei den
aktuellen Produktionen erkennt man, wieviel Freude Meret Barz an dieser Vermischung hat. Einmal zum Theater gekommen, blieb sie davon besessen. Sie absolvierte in Basel eine Hospitanz, bei der sie
faktisch die Regieassistenz führte, zog anschließend nach Wien und besuchte das Max-Reinhardt-Seminar.

Dennoch war Regie nicht ihr ursprünglicher Traumberuf. Denn zunächst wollte sie Medizin studieren. Der Mensch, sein Körper und seine Seele faszinierten sie immer. Das Theater aber ermöglicht ihr viel
mehr Kreativität und die Freude am Erschaffen ihrer Welten. Die Zuschauer, ob nun als passives Publikum oder in den Handlungsrahmen eingebunden, sind Teil dieser Welten, und das Signifikante an
diesen Dingen ist immer die Unwiederholbarkeit. Die Produktion von Filmen bietet diese Aspekte nicht. Wenn also im Rahmen neuer Theaterproduktionen nach Verbindungen zwischen Bühne und Publikum
gesucht wird und daher derjenige, der sich „Cabaret" ansieht, plötzlich im „Kit-Kat-Club" sitzt und zur Staffage des Stückes gehört, ist so eine Verbindung gelungen. Denn der Zuschauer fließt in das
Stück ein und sieht sich plötzlich selbst. Mit lediglich gastronomischem Programm, wie beispielsweise im „Metropol", ist das noch nicht erreicht.

In der Neustiftgasse befindet sich ein Geschäft, in dem der jüngere Bruder der Regisseurin arbeitet. Er ist Innenarchitekt und entwirft Möbel und ganze Ausstattungen, setzt also ebenfalls seine
Kreativität um. Ihre Eltern kamen aus verschiedenen Richtungen: Der Vater lebt als pensionierter Architekt in Basel, während die Mutter als Lehrerin heute in Bali wohnt. Ein sehr inniges Verhältnis
hatte Meret Barz jedoch auch zu ihrem Großvater, der Theologieprofessor und Pfarrer war und vor zwei Jahren gestorben ist. Er ist ihr als sehr liberal und tolerant in Erinnerung und hat bereits zu
einer Zeit, in der die Vermischung von religiösen und weltanschaulichen Lehren noch keineswegs weit verbreitet war, ein Buch über die Parallelen zwischen dem Christentum und dem Buddhismus verfaßt.
Er war es, der ihr in langen Gesprächen den philosophischen Zugang zu ihren Theaterstücken erschloß.

Zwischen Träumen und

Scheitern

Für Meret Barz ist das Faszinierende an ihrer Arbeit die Spannung zwischen den Träumen und dem Scheitern an der Realität. Ihre Arbeit ist von einer Sehnsucht nach dem Verwirklichen der Träume
geprägt, gleichzeitig ist ihr jedoch klar, daß sie letztlich an dieser Welt scheitern muß. Diese Arbeitshaltung ist ebenfalls ziemlich philosophisch. Denn die Überwindung der Realität liegt ja gerade
darin, dennoch etwas zu tun, von dem man weiß, daß es an der Realität scheitern wird · und in diesem Moment scheitert die Realität. An den verschiedenen Orten, wo sie ihre Inszenierungen aufgeführt
hat, begann sie, sich bei jeder Umquartierung sofort einzurichten. Auch da erschafft sie ihre Welten, die zeitlich determiniert sind und nach Ende der Produktion wieder verschwinden.

Fragt man sich, warum diese Regisseurin dem etablierten Theaterbetrieb aus dem Weg geht, der ihr doch vieles sehr erleichtern könnte? Wer ihre Inszenierungen kennt, fragt sich das nicht mehr. Denn
schnell ist klar, daß sich ihre Ideen nur in der frischen Luft des freien Theaterbetriebes richtig entfalten können, und daß dieselben Stücke, von Meret Barz unter den Fittichen eines
traditionsreichen Schauspielhauses inszeniert, um einiges konventioneller ausfallen würden. Somit bleibt für die Regisseurin nur die eine Möglichkeit, weiterhin unter härtesten Bedingungen zu
arbeiten, damit aber ihre größtmögliche Qualität zu verwirklichen. Bis sie vielleicht eines Tages ein eigenes Etablissement leitet, in dem ihr Ensemble eine dauerhafte, seine endgültige Bleibe finden
kann. Einen Namen dafür hat sie schon.

Freitag, 08. Jänner 1999 00:00:00
Update: Dienstag, 01. März 2005 16:51:00

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