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Artikel aus dem EXTRA LexikonPrint this

Regisseur, Lehrer und „Putzmann": Geirun Tino und seine Wiener Pygmalion-Bühne

„Theater hat seine eigene Sprache"

Von Karl René Cerveny

Literaturinteressierte kennen den Namen Pygmalion · das Stück von George Bernard Shaw, das unter dem Titel „My Fair Lady" die Musical-Bühnen und das Publikum eroberte. Wenige wissen
allerdings, daß Shaw für sein Theaterstück auf einen alten Mythos zurückgriff: Pygmalion heißt der sagenhafte König von Kypros, der sich nach Ovid der Bildhauerei verschrieben hatte. Dereinst erschuf
dieser die Elfenbeinstatue einer Jungfrau, die so lebensecht geriet, daß sich der Künstler in sein eigenes Werk verliebte. Offensichtlich stand es sich Pygmalion gut mit Aphrodite, denn auf seine
Bitten belebte die Göttin die Statue, und Pygmalion nahm sie in der Folge zur Frau.

„Diese Geschichte zeigt, daß Kunst manchmal lebendiger, wahrhaftiger sein kann als das richtige Leben", interpretiert Geirun Tino den Mythos, an den er sich erinnerte, als er 1989 eine eigene
Schauspielschule gründete. Deshalb kam für ihn auch kein anderer Name als „Pygmalion" in Frage. Durchschnittlich 45 Schüler (zwei Klassen Schauspiel, eine Klasse Regie) werden seitdem in der
Josefstädter Straße nach der Brecht-Methode unterrichtet.

„Wir sind meines Wissens die einzigen in Wien, die nach Brecht unterrichten", wundert sich der Theatermann. „Sonst steht hier die russische Methode hoch im Kurs. Dabei haben wir doch mit Max
Reinhardt einen großartigen Promotor der Theaterwelt, der leider weitgehend in Vergessenheit geraten ist." Vor allem in Deutschland besteht eine große Nachfrage nach der Brecht-Methode. So finden
Abgänger der Schauspielschule Pygmalion gerade dort häufig gute Engagements.

Als Geirun Tino sechs Jahre später, also 1995, sein eigenes kleines Theater in Wien gründete, behielt er den Namen „Pygmalion" auch für seine Bühne bei. „Ich bin ins Theater verliebt", gesteht
der gebürtige Rumäne, der diese Begeisterung auch auf sein Publikum überspringen lassen möchte. Dabei setzt der 48jährige auf Stücke der Weltliteratur, die er bewußt gegen den Trend der Zeit
inszeniert.

„Ich entdecke im modernen Theater die Tendenz, eine ,situelle Richtung` einzuschlagen. Das heißt, die Dynamik und Spannung wird in erster Linie nicht vom Schauspieler auf die Bühne gebracht,
sondern von verschiedenen malerischen Konstrukten." Damit meint der Regisseur nicht nur das Bühnenbild, sondern allgemein Bilder, die auf der Bühne · mitunter auch mit den Schauspielern ·
„gezeichnet" werden.

„Diese Tendenz schmerzt mich ein bißchen. Wir glauben, das Theater hat seine eigene Sprache. Theatermacher müßten diese Sprache entdecken und die Kraft des Theaters lüften. Sie darf einfach nicht
von einer anderen Kunst wie etwa der Malerei ausgehen. Im Theater Pygmalion soll der Schauspieler das erste Wort sprechen, nicht das Bühnenbild oder etwas anderes", umreißt er sein künstlerisches
Programm.

„Sicherlich habe ich das Theater begründet", erklärt Geirun Tino, warum er immer, wenn er von der Bühne Pygmalion redet, die Wir-Form verwendet. „Aber um es am Leben zu erhalten, um Stücke
aufzuführen, sind mehr Personen notwendig, die gut miteinander zusammenarbeiten. Ich kann hier nicht in einem Elfenbeinturm leben und arbeiten wie Literaten oder bildnerische Künstler. Auf meine
Ideen bekomme ich sofort ein Feedback, nicht erst, wenn alles fertig ist. Wir alle, die am Entstehen eines Stücks beteiligt sind, bilden das Theater Pygmalion, nicht nur ich."

Traum vom eigenen Theater

Dabei scheut sich der Theaterdirektor auch nicht, beim Bühnenaufbau selbst Hand anzulegen oder sich als „Putzmann" zu betätigen, um die Personalkosten so gering zu halten, damit er sich den Luxus
der eigenen Bühne leisten kann. „Bislang haben wir keine Subvention erhalten", erklärt er. „Aber noch machen mir diese verschiedenen Arbeiten am Theater Spaß."

Kein Wunder, schließlich träumte er schon immer von einem eigenen Theater. „Schließlich muß ich auf der eigenen Bühne viel weniger Kompromisse machen, als würde ich bloß die Regiearbeit in einem
Haus übernehmen, das nicht mir gehört. So kann ich mein eigenes ästhetisches Programm verwirklichen."

Geirun Tino weiß, wovon er spricht. Schließlich arbeitete der 48jährige bereits 13 Jahre lang nach seiner Ausbildung an der Kunstakademie in Bukarest als Regisseur in verschiedenen rumänischen
Theatern und war dort auch als künstlerischer Direktor tätig. Einerseits konnte er so Brecht inszenieren, den er sich im eigenen Theater (noch) nicht leisten kann. Allerdings kam seine „Arturo Ui"-
Inszenierung in Rumänien nicht zur Aufführung. „Die Figur des Arturo Ui hatte offensichtlich zu viel Ähnlichkeit mit dem damaligen rumänischen Diktator", amüsiert sich Geirun Tino heute.

Auf seiner eigenen Bühne passiert ihm das sicher nicht, kann er sein ästhetisches Programm doch ohne Probleme durchsetzen: „Einerseits wollen wir ein Fazit des ausgehenden Jahrhunderts ziehen, um
damit den Mythos des 20. Jahrhunderts zu definieren. Der berühmteste ist der des Herrn K. von Kafka." Dem trägt Geirun Tino mit einigen Stücken Rechnung. Nach dem „Prozeß" und der „Verwandlung"
plant der Regisseur auch, demnächst Kafkas „Schloß" auf die Bühne zu bringen. Dabei geht er vom Romanfragment aus, das er wie ein dramaturgisches Werk behandelt. „Meines Erachtens schrieb Kafka
theatralischer als Jelinek."

„Zweitens spielen wir ,Meilenstücke der dramaturgischen Literatur`. Dabei überprüfen wir die Mythen, die in ihnen enthalten sind, inwieweit sie heute noch ihre Valenzen behalten haben oder diese
neu zu bewerten sind. Etwa: Wie schaut Romeo und Julia heute aus?"

Um den Brückenschlag ins nächste Jahrhundert zu schlagen, arbeitet Geirun Tino hauptsächlich mit Newcomern. „Die Sensibilität, mit der sie an diese Stücke, an diese Mythen herangehen, ist die
Sensibilität des 21. Jahrhunderts. Die Menschen, mit denen wir arbeiten, sind alle um die 20 bis 25 Jahre. Sie werden unsere Zukunft bestimmen."

Wenn man mit Geirun Tino spricht, erhält man das Gefühl, daß er stets nach vorne blickt. Die Vergangenheit, die allgemeine wie auch seine ganz persönliche, dient ihm nur dazu, die Zukunft zu
verstehen.

„Es ist eigentlich nur ein Zufall, daß ich in Rumänien zur Welt gekommen bin. Aber so spielt das Leben manchmal. Meine Mutter war Wienerin und mein Vater Italiener. Vor 48 Jahren hat es sie durch
gewisse Umstände nach Rumänien verschlagen. Aber genausogut hätte ich in Italien oder in Wien geboren werden können."

Mit Wien aufgewachsen

So fiel ihm der Umzug nach Wien nicht schwer, denn außer seinem Vater leben alle Verwandten in Wien. Eigentlich lebt er also nicht erst 13 Jahre, sondern schon seit seiner Kindheit in dieser
Stadt.„Zu Wien fühle ich seit jeher eine spirituelle Verwandtschaft." Kein Wunder, denn in Rumänien wuchs er mit der Geschichte und der Umgebung Wiens auf. Seine Mutter schilderte ihm die ganze
Stadt derart detailliert, so daß er den Prater schon lange sehr gut kannte, bevor er ihn zum ersten Mal auch tatsächlich sah. Bereits als kleines Kind lernte Geirun Tino Deutsch, bevor er schließlich
mit der rumänischen Sprache Bekanntschaft machte.„Als meine Eltern nach Rumänien kamen, beherrschten sie die Landessprache nicht." Anders als bei Elias Canetti, dessen Eltern Deutsch als
„Zärtlichkeitssprache" stets beibehielten, verebbte bei Geirun Tino die Sprache des fernen Landes. So stand er vor 13 Jahren in Wien, ohne unsere Sprache zu sprechen.

„Ich verstand kein Wort mehr, denn ich hatte diese Sprache schon lange weder gehört noch gesprochen. Aber ganz war Deutsch dann doch nicht in Vergessenheit geraten. Ich werde mich wohl immer an
ein bestimmtes Ereignis zu Beginn meines Lebens in Wien erinnern. Damals stand ich vor einer verschlossenen Tür, und ganz plötzlich sagte ich: ,Die Tür ist zu.` Offensichtlich hatte sich irgendwo in
meinem Gehirn zumindest ein kleiner Teil der Sprache versteckt. Es konnte freilich nicht viel sein, denn den letzten Kontakt mit Deutsch hatte ich im Alter von drei Jahren."

Dieses Erlebnis sollte allerdings kein schlechtes Vorzeichen für Geirun Tino werden. Er fand keineswegs verschlossene Türen und feiert mittlerweile mit seinem Theater Pygmalion auch große Erfolge.
Peter Weiß' Kafka-Dramatisierung „Der Prozeß" etwa erlebte auf dieser Bühne bereits über 100 Aufführungen. Für ein kleines Theater mit 40 Sitzplätzen ein äußerst beachtlicher Erfolg.

„1997 hatten wir nur am Heiligen Abend geschlossen. Sonst gab es jeden Tag eine Aufführung. Meines Wissens gelang uns damit etwas Einmaliges in Wien", erzählt der Theaterdirektor stolz.

Doch das allein genügt Geirun Tino nicht. So blickt er stets auch über die Grenzen Österreichs hinaus, führt immer noch regelmäßig in Rumänien Regie, kann auf Engagements in Italien und in Frankreich
verweisen. Dabei legt er sein Hauptaugenmerk auf den Donauraum, das Gebiet der ehemaligen Habsburger-monarchie. Davon zeugt nicht zuletzt sein großes Projekt, das er gemeinsam mit dem Wiener
Volksbildungswerk sowie den Nationaltheatern von Budapest, Ljubljana, Klausenburg und Targu-Mures (Rumänien) für die heurigen Wiener Festwochen in Angriff genommen hatte: die Aufführung von George
Taboris' „Mein Kampf".

„Das Projekt läuft unter dem Arbeitstitel ,Donauraum`", erklärt Geirun Tino. „Wir wollten überprüfen, welche künstlerische Art, das Leben anzuschauen, sich im Raum der ehemaligen Monarchie
entwickelt hat. Inwieweit verbrüderten sich die in diesem Gebiet lebenden Menschen kulturell, ohne auf ihre eigene Tradition zu verzichten? Wir wollen weiters zeigen, daß es möglich ist, eine
gemeinsame Weltanschauung zu entwickeln, ohne die eigene Kultur zu vernachlässigen. Gerade heute scheint mir das besonders wichtig. Schließlich sind wir in der EU auf der Suche nach dieser Lösung.
Und ich glaube, daß es die Lösung für dieses Problem schon gibt."

Zur Zeit ist Geirun Tino mit Taboris „Mein Kampf" auf Tournee. Alle beteiligten Theater führen diese Produktion in deutscher Sprache auf. Verständigungsproblem sieht Geirun Tino dabei jedoch keine.
„In allen diesen Ländern verstehen die meisten Menschen zumindest ein wenig Deutsch. Außerdem kommuniziert das Theater in seiner eigenen Sprache. Sicher wird diese von den Zuschauern verstanden."

In Wien ist „Mein Kampf" die nächsten Male von Mittwoch, 14. Okto-

ber, bis Samstag, 17. Oktober, zu sehen. Pygmalion-Theater, 1080 Wien, Alser Straße 43, 1080 Wien. Tel./Fax: 40 29 583.

Freitag, 09. Oktober 1998 00:00:00
Update: Dienstag, 01. März 2005 16:53:00

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