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Artikel aus dem EXTRA LexikonPrint this

Unter Christoph Spiess beschreitet Pottensteins

Amateurtheatergruppe neue Wege

Unterhaltung mit Tiefgang

Von Nicole Kolisch

Ariel ist von Beruf Schutzengel der Theatergruppe Pottenstein · obwohl das eigentlich keine korrekte Bezeichnung für seine Tätigkeit darstellt. Viel eher ist er ein Verhinderungsengel: Er
verhindert das Schlimmste. „Zwischen dem tatsächlichen und dem Schlimmeren stehe ich und verhindere es", erklärt er, „Denn auch wenn man es sich oft nicht vorstellen kann · es ginge immer noch
schlimmer". Scheint dem geplagten Spielleiter zum Beispiel nach einer mißglückten Vorstellung der Selbstmord einziger Ausweg zu sein, ist Ariel zur Stelle und lenkt die Kugel kurzerhand um. So
geschehen in „Schlimme Sache", dem jüngsten Projekt des Pottensteiner Theatervereins, das diesen Sommer (Premiere war am 15. Mai im Pfarrsaal der Gemeinde) zur Aufführung gelangte.

Die seit etwa zehn Jahren existierende Theatergruppe war ursprünglich Teil des Pottensteiner Fremdenverkehrsverbands und hat sich erst kürzlich selbständig gemacht, was auch in einem
Spielleiterwechsel und im Mut zu unerforschten Wegen zum Ausdruck kommt. Nutznießer ist das Publikum, das nun an ausgewählten Terminen eine Produktion der etwas anderen Art begutachten kann. Um das
alte, ewig neue Thema des Zwischenmenschlichen geht's hier · in all seinen oft abstrusen Auswüchsen: Um den Aggressionsaufbau beim Zeitungslesen ebenso wie um die große Liebe, die einen wie der Blitz
beim Betreten des Virgin-Mega-Stores befällt. Um den Würstelstandbesitzer, der von einer Karriere als Songwriter träumt, während er xenophob seine Frau terrorisiert. Dazwischen viele stille Momente
und Zwischentöne: „Kannst dich erinnern? Da war' ma grad beim Weltverbessern." steht neben „Manchmal möchte ich mich ausleeren wie eine Tasche".

„Schlimme Sache" · das ist eine berührende, oft lustige Collage verschiedenster Szenen, die, ähnlich Robert Altmanns Short Cuts, durch eine Handvoll gleichbleibender Charaktere und mehr
noch durch eine sehr innige Verwandtschaft verbunden sind, so daß diese (Seelen-?)Verwandschaft gar, weitaus mehr als die eigentliche „Handlung", zum roten Faden des Stückes wird. Vieles wird offen
gelassen, nur angerissen, es liegt darob ganz am Zuschauer, sich seine eigenen Kopfwelten zu erschaffen, in denen lottogleich alles möglich, nichts fixiert ist · bis am Ende alle Handlungsfäden
zusammenlaufen.

Für Idee, Konzept und Leitung des außergewöhnlichen Projektes zeichnet der Wiener Schauspieler Christoph Spiess, der damit ein kleines persönliches Jubiläum feiert, ist „Schlimme Sache" doch
bereits seine fünfte Produktion mit der Pottensteiner Truppe.

Spiess, inzwischen Wahlregisseur der Pottensteiner, hat diesen Posten quasi „geerbt". Ursprünglich hätte eigentlich Elfriede Ott bei einer der ersten Pfarrsaal-Produktionen Regie führen sollen, trat
das Angebot jedoch an einen anderen Lehrer des Konservatoriums der Stadt Wien ab. Dieser wiederum leitete die Aufgabe an einen seiner Regieschüler weiter und jener · nach ein paar erfolgreichen
Jahren · an den Kollegen Spiess. Mit Heinz R. Ungers „Zwölfeläuten", Shakespeares „Viel Lärm um nichts" (in einer Übersetzung von Erich Fried), einer Woody-Allan-Collage aus dem Einakter
„Tod" und dem Drehbuch „Schatten und Nebel" sowie Ferdinand Raimunds „Der Bauer als Millionär" (im Raimund-Gedenkjahr in dessen Todesort) gelang es Spiess, sich als Regisseur zu
etablieren, der sein Publikum mitunter durchaus auch deftig unterhält, ohne jedoch einen gewissen künstlerischen und inhaltlichen Anspruch aus dem Auge zu verlieren. „Nicht nur Unterhaltung, sondern
auch ein bißchen Tiefgang", erzählt Spiess, sei ihm bei seiner Stückauswahl immer wichtig gewesen. Und natürlich ging es auch darum, neues Terrain zu beschreiten, die Darsteller zu fordern und ihnen
andere Möglichkeiten zu erschließen: Wo sich also andere Laienspielgruppen gerade einmal an löwingereske Stücke wagten, rezitierten die Pottensteiner wacker Shakespear-Verse. Sehr wohl mit all den
Schwierigkeiten, die es da für Amateure zu überwinden gibt, aber stets mit viel Spaß an der Herausforderung (immerhin zeugt ja schon das Wort „Amateur" von der grundsätzlichen Liebe zur Sache).

Und letztlich gibt der Erfolg Spiess recht: Seine Pottensteiner Produktionen werden alljährlich von etwa 1.000 Leuten gesehen · und eine zusätzliche Aufführung im Stadttheater Berndorf ist ihnen
sicher. Denkbar fern liegt es dem ehrgeizigen Jungregisseur jedoch, sich auf seinen Lorbeeren auszuruhen. Nach dem einmal erarbeiteten Patentrezept nun alljährlich Erfolgskomödien aus dem Boden zu
stampfen, würde ja auch bedeuten, sich künstlerisch im Kreis zu bewegen, meint er. Daher wurde nun erneut der Sprung ins kalte Wasser gewagt: In Pottenstein spielt man heuer Theater ohne Stück. „Für
Amateurschauspieler ist der Stücktext wie ein Schwimmreifen. Sie halten sich daran an, um nicht unterzugehen, aber wirklich schnell und frei schwimmen können sie damit nicht", erklärt Spiess. Nimmt
man ihnen diese Stütze oder Krücke, den Text, weg, so wird ihr wahres schauspielerisches und kreatives Potential freigesetzt. Und selbiges ist, wie Spiess bei einem Wochenendworkshop feststellen
konnte, durchaus beachtlich! „Ich habe damals mit ihnen Improvisationen gemacht, diverse Übungen nach Stanislawski und Chechov und das hat den Leuten so viel Spaß gemacht (und mir auch!), daß in mir
der Wunsch entstanden ist, vermehrt schauspielerisch mit ihnen zu arbeiten."

Das aber geht scheint's nicht, wenn das Stück „im Weg" steht, weil da der kreative Prozess nur allzu oft in Hinblick darauf vernachlässigt wird, daß jenes Stück dann eben in einer festgelegten Zeit
fix und fertig auf die Bühne gestellt werden muß. Daher machte Spiess kurzen Prozess mit jeglichen Stückgedanken im herkömmlichen, „klassischen" Sinn und ließ seine Schützlinge ihre Szenen mit
minimalster Vorgabe selber entwickeln. Ein reichhaltiger Fundus von 120 (!) Szenen ist so entstanden · 25 davon wurden zur „Schlimmen Sache" und können nun bei den Aufführungen bewundert werden.

Wobei auch dieses „Endprodukt" durchaus kein endgültiges ist und der Zuschauer · im Rahmen einiger abgesteckter Situationen und Parameter · durchaus noch mit Überraschungen rechnen kann. In
Pottenstein gibt man eben wirklich jeden Abend ein neues Stück · es lohnt sich also, die Vorstellung gleich ein paar Mal zu besuchen. „Die Theatergruppe hat tatsächlich gelernt, die gleiche,
vorgegebene Situation mit jeweils unterschiedlich improvisierten Texten zu etablieren. Darauf bin ich sehr stolz und darauf können auch sie sehr stolz sein, denn ich denke, daß ist für Amateure eine
reife Leistung" (Spiess).

Geprobt wurde seit Dezember an zwei Abenden in der Woche. Konfliktfrei waren diese Proben nicht · klar, daß eine derartige Arbeitsweise oft auch zu Verletzlichkeiten oder gar Aggressionen führt,
werden doch Themen angrissen, die allen Beteiligten recht nahe gehen. „Auch die Ängste, daß wir nicht verstanden werden, daß wir mit dem Projekt scheitern, waren ungeheuer groß. Ich habe mich die
ganze Zeit davon überzeugt gezeigt, daß das ein wichtiges Projekt ist, aber auch für mich war es ungeheuer spannend, ob und wie das Ganze beim Publikum ankommen wird." So stand das ambitionierte
Unterfangen auch oft am Scheideweg. Immer wieder wurde innerhalb der Gruppe abgestimmt, ob sich das Weitermachen überhaupt lohnt . . .

Zum Lernen gab's dabei jedenfalls genug für alle Beteiligten, den Regisseur eingeschlossen. Spiess: „Ich habe gemerkt, wie individuell der Zugang zum Theater ist. Das war mir in dieser Form noch
nicht klar, weil ich eben noch nie ein solches Projekt gemacht habe. Ich bin zutiefst überzeugt · und das gilt natürlich nicht nur für's Theater, sondern auch für jegliche Kunstform · daß jeder
Mensch seinen ganz eigenen Zugang zum Medium hat. Diese Erfahrung hat mich stark beeindruckt. Das möchte ich in Zukunft auch gerne in meiner Arbeit als Regisseur verwerten · ich möchte viel
mehr auf den jeweils unterschiedlichen Zugang des jeweiligen Schauspielers eingehen, als ich das bis jetzt getan habe. Es ist wirklich faszinierend, welche Typen sich da herauskristallisieren. Zum
Beispiel: der Entertainer, der à la Gottschalk in der Lage ist, ein Millionenpublikum zu unterhalten. Oder die „Schauspielerin", die wirklich bereit ist, sich auf jede Situation emotional ganz
einzulassen. Oder der „Autor", der das Wort geradezu braucht, um sich überhaupt auf die Bühne zu stellen, der ohne Wort sich nackt fühlt · wobei gerade dieser in unserer Arbeit auch eine wunderschöne
non-verbale Szene entwickelt hat, die aber nicht zur Aufführung gekommen ist, weil er eben nicht den Mut hatte, dazu zu stehen."

Mit all diesen neuen Ansätzen würde Spiess eine ähnlich „schlimme Sache" auch gerne wieder machen. An Ideen mangelt es nicht: „Aber man müßte sich dafür andere Themen, andere Konflikte und auch eine
andere Sprache suchen. Einfach bloß eine Fortsetzung auf die Bühne stellen . . . das will ich nicht!"

Zusätzlicher Aufführungstermin ist der 10. Oktober. Im schönen Ambiente des Stadttheaters Berndorf stellen die Pottensteiner ein letztes Mal ihr Können unter Beweis.

Freitag, 11. September 1998 00:00:00
Update: Dienstag, 01. März 2005 16:53:00

Lexikon



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