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Artikel aus dem EXTRA LexikonPrint this

Über die Suche nach Planeten und die Schwierigkeiten der Nomenklatur am Himmel

Ist "2003 UB313" ein Planet?

"2003 UB313" ist in einer ewigen Eiszeit gefangen. 15 Milliarden Kilometer trennen ihn von der Sonne. Fiktive Grafik: Pinter

"2003 UB313" ist in einer ewigen Eiszeit gefangen. 15 Milliarden Kilometer trennen ihn von der Sonne. Fiktive Grafik: Pinter

Von Christian Pinter

Es musste ja so kommen: Am 29. Juli gaben Mike Brown, Chad Trujillo und David Rabinowitz den Fund eines neuen Himmelskörpers im Außenbezirk unseres Sonnensystems bekannt. Erstmals fotografiert hatten sie den zarten Lichtpunkt am 31. Oktober 2003 am kalifornischen Mount Palomar-Observatorium. Doch seine verräterische und überaus langsame Bewegung fiel erst am 8. Jänner 2005 auf. Seither bemühte sich das Astronomentrio, Bahn und Dimension des Wandelsterns abzustecken. Tatsächlich ist der größte Weltenfund seit 1930 gelungen. Rasch machte die Nachricht von der Entdeckung eines "zehnten Planeten" die Runde.

Die neue Welt mit der provisorischen Bezeichnung "2003 UB313" weilt im Sternbild Walfisch. Um sie am Himmel mit eigenen Augen zu sehen, müsste man ihren Schein 100.000-fach verstärken. Eine solche Distanz schafft kein Amateurfernrohr. Der Grund für die Lichtschwäche: 2003 UB313 ist 97-mal weiter von der Sonne entfernt als die Erde und erhält somit bloß ein Zehntausendstel des uns vertrauten Sonnenlichts. Flöge man zu dieser eisigen Welt, schrumpfte die Sonne zu einem Punkt ohne erkennbare Ausdehnung und strahlte nur noch mit dem Glanz von 60 Vollmonden. Selbst tagsüber bleibt das Firmament mit 4.500 Sternen übersät. 2003 UB313 hat nicht einmal den Hauch einer Atmosphäre – und daher auch kein "Himmelsblau". Der Planet hat eine Bodentemperatur von minus 240 Grad Celsius.

Auf der Suche nach Pluto

Um die Aufregung über einen derart unwirtlichen Himmelskörper zu verstehen, müssen wir das Rad der Zeit zurückdrehen: Anfang des Jahres 1781 waren nur die Planeten Merkur, Venus, Erde, Mars, Jupiter und Saturn bekannt. Im März dieses Jahres stieß William Herschel zufällig beim Blick durch sein Fernrohr auf Uranus. Dieser hielt sich nicht an die Keplerschen Gesetze. Offenbar beeinflusste die Anziehungskraft einer noch ferneren Welt seinen Lauf. Urbain Le Verrier kalkulierte die Bahn und den aktuellen Aufenthaltsort dieses verborgenen, achten Planeten. Auf diese Weise ging im Jahr 1846 Neptun ins Netz der Astronomen.

Die Störungen der Uranusbewegung waren damit, vermeintlich, noch immer nicht ganz ausgeräumt. Man begann nach einem weiteren Himmelskörper zu fahnden, der um vieles größer als die Erde sein sollte. In Flagstaff, Arizona, lichtete Clyde Tombaugh die Sternbilder des Tierkreises ab. Im Februar 1930 fand er dabei Pluto. Im Jahr 1978 reichte James Christy den Plutomond Charon nach. Gegenseitige Bedeckungen der beiden Himmelskörper verrieten Ende der 1980er Jahre Plutos wahre und recht enttäuschende Dimension. Er misst bloß 2.300 Kilometer – das ist kaum ein Fünftel des Erddurchmessers. Selbst der schmächtige Planet Merkur überflügelt ihn noch ums Doppelte.

Unser Planetensystem ist von einer interessanten Zweiteilung geprägt: Innen kreisen die vier relativ kleinen Steinplaneten Merkur, Venus, Erde und Mars, außen die vier im Schnitt zehnmal größeren Gasplaneten Jupiter, Saturn, Uranus und Neptun. Zwischen den beiden höchst unterschiedlichen Quartetten ziehen Abertausende Eisen- und Steinasteroiden dahin. Das größte Objekt dieses Asteroidengürtels ist die Ceres mit 1.000 km Durchmesser.

Selbst Neptun, der fernste und bescheidenste der Gasplaneten, überragt unsere Erde um das Vierfache. Hinter solchen Giganten noch einen Planetenwinzling wie Pluto anzusiedeln, erschien Astronomen zunehmend absurd. Doch Pluto hatte sich längst etabliert. Er wurde in der astronomischen Literatur, in Schulbüchern, auf Postern des Sonnensystems und auf Briefmarken längst als "neunter Planet" bezeichnet.

Himmelskundler stecken das Sonnensystem in "Astronomischen Einheiten" (AE) ab. Eine AE entspricht dem mittleren Bahnradius der Erde – rund 150 Millionen Kilometer. Unser Planet kreist in einer AE um die Sonne, Neptun in 30. Manchmal driften Schweifsterne ins innere Sonnensystem. Kehren sie nach weniger als 200 Jahren wieder, spricht man von "kurzperiodischen Kometen". Wie Rechnungen zeigen, liegen deren sonnenfernste Bahnpunkte oft jenseits von 30 AE. Aus diesem Grund schloss Gerald Kuiper 1951 auf ein Kometenreservoir hinter der Neptunbahn. Fotografieren konnte man die Kometenkerne im dunklen "Kuiper-Gürtel" ( engl.: "Kuiper Belt" ) nicht. Sie sind ja nur einige wenige Kilometer klein. Doch 1992 machten David Jewitt und Jane Luu dort einen rund 200 Kilometer großen Himmelskörper aus. Mit "1992 QB1" hatte Pluto, bis dahin einsamer Außenposten des Planetensystems, Gesellschaft bekommen.

Rasch folgten weitere Funde ähnlicher und noch größerer Dimension. Man sprach von "Transneptun-Objekten" (TNOs) oder "Kuiper-Gürtel-Objekten" (KBOs). Heute kennt man rund 1.000 solcher Miniwelten. Jedes Jahr kommen 100 hinzu. Zunächst erhalten sie eine provisorische Bezeichnung, die ihr Entdeckungsdatum widerspiegelt. Nur den aufregendsten Funden schenkte man rasch Namen aus der Welt der Mythologie, wie etwa "Chaos", "Deucalion", "Ixion", "Rhadamanthus" oder "Orcus".

Pluto zieht in 39,5 AE mittlerer Sonnendistanz dahin. Er ist der einzige Planet, der die Bahn seines Nachbarn kreuzt. Zu einer Kollision zwischen Neptun und Pluto kommt es aber nicht, denn der Gasriese zwang dem Eiszwerg nämlich eine "2:3-Resonanz" auf. Während Neptun drei Sonnenumläufe vollführt, schafft Pluto nur zwei. Das hat Pluto mit einer ganzen Gruppe von KBOs gemein: Die Plutinos zeigen wie er Umlaufszeiten um 248 Jahre. Die Twotinos brauchen rund 330 Jahre, zweimal so lang wie Neptun. Manche Miniwelten sind in noch seltsameren Resonanzen wie 4:5 oder 2:5 gefangen. Die sogenannten "klassischen KBOs" – nach dem Erstfund 1992 QB1 auch "Cubewanos" genannt – lassen jegliche Synchronisation mit Neptun vermissen. Sie bevorzugen kreisähnliche Bahnen. Hingegen tragen langgezogene Ellipsen die Scattered Disk Objects (SDOs) weit aus dem Kuiper-Gürtel hinaus. Die SDOs kamen Neptun wohl zu nahe und wurden von ihm gleichsam in alle Winde "verstreut". Auch dem neuentdeckten 2003 UB313 dürfte solch ein Missgeschick widerfahren sein.

In ihren Säuglingstagen war die Sonne von einer Scheibe aus Staub und Gas umkränzt. Der Staub bildete Klumpen und ermöglichte so die Entstehung der Planeten. In 30 AE war das Material aber schon zu schütter verteilt, um einen Riesen wie Neptun zu gebären. In 40 AE reichte die Materiendichte vermutlich nicht einmal zum Bau der KBOs. Beide Krippen standen also viel weiter innen. Neptun ballte sich in nur 20 AE zusammen. Dann raubte er benachbarten Kleinkörpern orbitale Energie und wanderte somit 1,5 Milliarden Kilometer weiter nach außen. Dabei schob er etliche Miniwelten gleichsam vor sich her oder schleuderte sie fort. Die glücklicheren landeten im heutigen Kuiper-Gürtel. Dort fanden sie in oder zwischen den stabilen Resonanzzonen "Unterschlupf".

Wilde Mischungen

Vermutlich war der Geburtsort der KBOs in weniger als 30 AE Sonnendistanz. Dort gab es reichlich Eis. Die schmächtigsten Exemplare sind ein wildes Gemisch aus Silikatgestein, Wassereis und anderen gefrorenen Substanzen. Sie besitzen wahrscheinlich eine unregelmäßige Gestalt. Die größeren Körper aber nahmen aufgrund der eigenen Schwerkraft eine Kugelform an. Objekte ab etwa 200 Kilometern Durchmesser könnten sich beim Zerfall des radioaktiven Isotops Aluminium-26 sogar erhitzt haben. Dann schmolz ihr Eis. Silikate sanken zum Zentrum. Ein mutmaßlicher dicker Ozean aus flüssigem Wasser hüllte den Steinkern Jahrmillionen lang ein. Darüber spannte sich die etwa 10 Kilometer dicke Kruste aus Wassereis. Als die innere Wärmequelle erlosch, erstarrte in der Folge auch das verborgene Meer.

Organische Verbindungen "verunreinigten" das Krusteneis: So hat man im Spektrum von Pluto und dem neuen 2003 UB313 gefrorenes Methan nachgewiesen. Die Weltraumstrahlung färbt die Oberflächen vieler KBOs rötlich ein. Andere sind farblos grau. Dort legten Karambolagen mit weiteren Miniwelten möglicherweise tiefere Schichten und daher weniger bestrahltes Eis frei. Zusammenstöße finden im Kuiper-Gürtel bei einem Tempo von einigen 1.000 km/h statt. Mitunter wird das Unfallopfer dabei zerrissen. Auf diese Art könnten auch die Doppel-KBOs entstanden sein: Hier umkreisen zwei ähnlich dimensionierte Eiszwerge einander in sehr geringem Abstand. Es kann sein, dass viele der kurzperiodischen Kometen selbst bloß Splitter heftiger Kollisionen sind.

Im Jahr 2000 sorgte die Varuna für Aufsehen: Mit ihren geschätzten 900 Kilometern reichte sie fast an den Steinasteroiden Ceres heran. Allerdings sind Durchmesserangaben oft unsicher. Man leitet sie primär aus der Helligkeit der zarten Lichtpunke ab. Dazu bedarf es einer Vorstellung über die Reflexionskraft der Eisoberflächen. Je höher sie ist, desto kleiner fällt der geschätzte Durchmesser aus. Anfangs setzte man die Reflexionskraft pauschal mit 4 Prozent an, dabei orientierte man sich an pechschwarzen Kometenkernen. Doch wahrscheinlich streut sie zwischen vier und 41 Prozent. Wirklich verlässliche Angaben liegen deshalb nur für vergleichsweise nahe oder große KBOs vor. Sie kann das Hubble-Weltraumteleskop in messbare Scheibchen auflösen. Quaoar misst demnach sichere 1.260 km.

Eiszwerge, die ferner als 55 AE liegen, sind selten. Niemand weiß, ob der Kuiper-Gürtel jenseits der Twotinos tatsächlich endet – oder dort bloß eine Lücke unbekannter Weite klafft. Völlig leer ist dieses "Niemandsland" aber nicht: Der Eiszwerg 2000 CR105 verlässt den Gürtel im Augenblick gerade. Seine überaus schlanke Bahnellipse wird ihn 415 AE von der Sonne weg führen.

Die stark gerötete Sedna braucht 10.000 Jahre für einen Umlauf. Ihr Orbit liegt komplett außerhalb des Kuiper-Gürtels, er reicht 900 AE über diesen hinaus. Am sonnenfernsten Bahnpunkt bleibt es tagsüber dunkel wie in einer irdischen Vollmondnacht. Im Jahr 2003 entdeckt, wurde Sednas Durchmesser mit 1.200 bis 1.700 Kilometern veranschlagt. Danach schien es bloß eine Frage der Zeit zu sein, bis auch Körper vom Format Plutos auftauchen würden.

Heute bezeichnen manche Astronomen den Kuiper-Gürtel schon als "dritte Zone" des Sonnensystems. Viele weigern sich, in Pluto mehr zu sehen als ein KBO. Versuche, ihn aus der Planetenliste zu streichen, stießen aber vor allem im Entdeckerland USA auf öffentlichen Widerstand. 1999 beruhigte die Internationale Astronomische Union (IAU), die oberste Instanz in Sachen kosmischer Normierung und Nomenklatur: An eine offizielle Ausgrenzung Plutos sei nicht gedacht. Dank seiner Abmessungen galt er bisher noch als "König" des Außenbezirks. Doch jetzt, 75 Jahre nach seiner Entdeckung, büßt er auch dieses Privileg ein: Selbst unter Annahme einer unrealistisch hohen Reflexionskraft ist 2003 UB313 mächtiger als Pluto. Seine maximale Größe ist 3.200 Kilometer.

Mike Brown und seine Kollegen haben der IAU einen vertraulichen Namensvorschlag für 2003 UB313 unterbreitet. Um an die anderen Planeten anzuknüpfen, sollen sie eine Gottheit der antiken Mythologie gewählt haben. Doch wird die neue Welt jemals als zehnter Planet gelten?

Was ist eigentlich ein Planet?

Unser Planetenbegriff ist historisch gewachsen. Der Sprachgebrauch folgt keiner wissenschaftlichen Definition. Eine solche existiert gar nicht. Jeder künstlichen Abgrenzung zwischen Planeten, KBOs und Asteroiden haftet ein Element der Willkür an. Um Planeten begrifflich dingfest zu machen, könnte man freilich die jeweiligen Durchmesser der Sonnenbegleiter heranziehen. Doch auch dann wäre eine willkürlich gewählte Untergrenze zu bestimmen. Mit Pluto als Grenzstein besäße der Planetenklub jetzt zehn Mitglieder. Fände man allerdings etliche weitere Objekte im Stil des 2003 UB313, käme es zu einer Planeteninflation. Mit dem 4.878 Kilometer großen Merkur als Limit wäre man Pluto und die anderen Eiszwerge elegant los – sofern nicht auch Himmelskörper vom Format eines Merkur oder gar eines Mars im Kuiper-Gürtel unterwegs sind.

Mittlerweile sind selbst im Orbit um fremde Sonnen planetare Welten gefunden worden. Diese Funde ließen den Ruf nach einer verbindlichen Planetendefinition laut werden. Die Entdeckung von 2003 UB313 verstärkt den Handlungsbedarf dramatisch. Vermutlich wird man sich innerhalb der IAU nun zu einem Definitionsvorschlag durchringen: Er käme bei der nächsten Generalversammlung im August 2006 zur Abstimmung. Erst dann werden wir wissen, ob unser Sonnensystem nun offiziell aus acht, neun, zehn oder vielleicht noch mehr Planeten besteht.

Christian Pinter , geboren 1959, lebt als Fachjournalist in Wien .

Freitag, 19. August 2005 13:34:31
Update: Freitag, 19. August 2005 14:05:00

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