Wiener Zeitung Neu in der Linkmap:
 
  Wiener Zeitung Homepage Amtsblatt Homepage LinkMap Homepage Wahlen-Portal der Wiener Zeitung Sport-Portal der Wiener Zeitung Spiele-Portal der Wiener Zeitung Dossier-Portal der Wiener Zeitung Abo-Portal der Wiener Zeitung Suche Mail senden AGB, Kontakt und Impressum Das Unternehmen Benutzer-Hilfe
 Politik  Europa  Kultur  Wirtschaft  Computer  Wissen  extra  Panorama  Wien  Meinung  English  MyAbo 
 Lexikon Interview  Glossen  Bücher  Musik  Debatten 
Artikel aus dem EXTRA LexikonPrint this

Die US-Sonde "Stardust" bringt demnächst Sternstaub auf die Erde

Schmutz im Universum

1859 entdeckte der deutsche Amateurastronom Ernst Tempel diesen Staubnebel im Plejadenhaufen. Acht Jahre später fand er den Kometen Tempel 1.  Foto: J. Schedler

1859 entdeckte der deutsche Amateurastronom Ernst Tempel diesen Staubnebel im Plejadenhaufen. Acht Jahre später fand er den Kometen Tempel 1. Foto: J. Schedler

Von Christian Pinter

Es mag möglich sein, Material von einem bestimmten Kometen zu sammeln, wenn ein solcher einmal nahe genug bei der Erde vorbei fliegt. " Diesen Traum, festgehalten in einer 25 Jahre alten NASA-Publikation, hat sich die US-Weltraumbehörde mittlerweile erfüllt. Allerdings wartete sie nicht auf den intimen Besuch eines Himmelsvagabunden, sondern schickte selbst einen Staubsammler auf Reisen. Vor genau einem Jahr zog die Sonde Stardust (deutsch: "Sternstaub") in bloß 240 km Abstand am Kometen Wild 2 vorbei. Winzige Partikel, dem Schweifstern gerade erst entfahren, rasten mit der sechsfachen Geschwindigkeit einer Gewehrkugel auf die Sonde zu. Trotzdem gelang es ihr, etliche Teilchen einzufangen.

Geht alles glatt, sinkt die Ausbeute der Stardust-Mission am 15. Jänner 2006 in einer kleinen Kapsel über Utah zu Boden. Darin befinden sich, so hofft man, mehr als tausend Partikel mit einem Gesamtgewicht von einem Tausendstel Gramm. Zum kometaren Staub sollten sich rund 100 Teilchen interstellaren Staubs gesellen. Dieser füllt die Weiten zwischen den Sternen und weht uns unter anderem aus dem Sternbild Schütze entgegen. Nebenbei wird ein wenig interplanetarer Staub ins Netz gegangen sein. Er vor allem "verschmutzt" unser Planetensystem. Dass diese drei Staubvarianten existieren, weiß man längst. Das freie Auge, ein Fernglas bzw. ein Amateurteleskop genügen, um sie nachzuweisen.

Staub von Jahrmilliarden

"Wir sind Sternstaub, Jahrmilliarde alter Kohlenstoff" sang Joni Mitchell 1969 im Song "Woodstock". Tatsächlich wird kohlenstoffhaltiger Staub seit mindestens zehn Milliarden Jahren produziert: Jüngst wies man ihn im Spektrum fernster Galaxien nach. Knapp vier Jahrmilliarden zuvor hatte der Urknall bloß Wasserstoff und dessen Isotop Deuterium, sowie Helium, Lithium und Beryllium hinterlassen. Alles andere wurde von Sternen erbrütet. Sternwinde, abgeworfene stellare Gashüllen und katastrophale Sternexplosionen beförderten die kostbaren Elemente ins All.

Dort bilden sie ausgedehnte Wolken aus Gas und etwas Staub, die später zum Kreissaal von Sternen und Planeten werden. Die UV-Strahlung junger, heißer Sterne bringt das Gas zum Leuchten – wie im berühmten Orionnebel M 42. Dieser Emissionsnebel lässt sich in klaren Winternächten schon mit dem Fernglas studieren. Reicht die UV-Strahlung nicht zur Ionisation des Gases, hilft nur der eingebettete Staub weiter. Er streut das Licht naher Sterne und zaubert so einen – allerdings recht matten – Reflexionsnebel ans Firmament: Fern der Stadt sieht man den Staubnebel M 78 oberhalb von Orions linkem Gürtelstern schon durch ein Amateurfernrohr.

Selbst dort, wo die Beleuchtung fehlt, verrät sich der Staub – als dunkle Silhouette vor hellerem Hintergrund. Himmelsaufnahmen zeigen einen schwarzen "Pferdekopf" in Orions Gasnebel IC 434. Im Sternbild Schwan bedeckt Staub Teile des Nebels NGC 7000 und verleiht diesem vermeintlich den Umriss Nordamerikas. Im Schützen fotografierte man jüngst ein Dunkelgebiet, das einem chinesischen Drachen ähnelt. Die oft skurril anmutenden Figuren entstehen, weil der Staub das Licht der dahinter treibenden, leuchtenden Nebelpartien dramatisch schwächt.

Selbst außerhalb solcher Dunkelnebel trifft der Lichtstrahl eines Sterns immer wieder auf ein Staubteilchen. Das ermüdet ihn. Nach ein- bis zweitausend Lichtjahren Reise büßt er bereits die Hälfte seiner Kraft ein. Besonders arg verstaubt ist die Zentralebene unserer Galaxis, wie vor allem ein Blick auf die sommerliche Milchstraße zeigt. An sich setzt sich das matte Milchstraßenband aus dem Schein unzähliger schwacher Sternchen zusammen. Doch in den Sternbildern Pfeil, Adler und Schlange klafft ein breiter Riss. Dort verstellt dichter Staub den Blick auf das Sternengewimmel.

Beim "Schlucken" des Sternenlichts erwärmen sich die ultrafeinen Partikel um etwa 20 Grad C. Deshalb senden sie Submillimeter- und Infrarotstrahlung aus. Die kann man analysieren und erfährt so ein wenig über die Eigenschaften der Teilchen. Sie sind aus Silikaten, Grafit und Eis aufgebaut. Die einzelnen Bausteine stammen zum Teil aus unterschiedlichen Sterntypen; viele kondensierten in den kühlen Gashüllen roter Riesensterne aus. Der Blick zum Orionnebel ist wie ein Ausflug in die eigene Vergangenheit. Auch unsere Erde wurde einst in einer solchen interstellaren Gas- und Staubwolke geboren: Ein Segment des heute nicht mehr sichtbaren Gebildes stürzte aufgrund der eigenen Masse in sich zusammen. Rasch rotierend, flachte es zur Scheibe ab. Im Zentrum formte Gas die Sonne. Der Staub war verdampft, zumal sich der Nebel beim Kollaps extrem erhitzt hatte.

Zum Glück sank die Temperatur vor 4,567 Milliarden Jahren jedoch so weit, dass wieder erste Materiekörner aus dem Gas kondensieren konnten. Zunächst tauchten die Elemente Aluminium, Titan, Kalzium, Magnesium, Silizium sowie Eisen und damit die Minerale Korund, Perowskit, Spinell, Diopsid, Pyroxen und Olivin auf. Es ging fast zu wie in einem Schneegestöber: In der dichten Scheibe stießen die Körner häufig sanft zusammen; sie wuchsen zu flockigen Staubaggregaten heran. Über Zwischenstufen gingen daraus endlich Planeten wie die Erde hervor.

In größerer Sonnendistanz wurde es zunehmend kühler. Dort standen auch flüchtigere Elemente und Verbindungen als Baumaterial zur Verfügung – etwa Kohlenstoff und Eis. In der kalten Außenregion, wo sich Kometen formten, trieben zudem interstellare Staubkörner. Fern vom Zentrum des Geschehens waren sie dem Verdampfungsprozess entgangen. Im Spektrum des Kometen Hyakutake fanden Astronomen 1996 tatsächlich deutliche Signaturen der interstellaren Materie. Nicht jedoch bei dem Kometen Hale-Bopp, der ein Jahr später am Himmel thronte: Er scheint nicht so weit draußen entstanden zu sein.

Schwache Lichtpyramiden

Vermutlich war die Planetenbildung in nur zehn Millionen Jahren abgeschlossen. Aller Staub, der nicht bereits in den Himmelskörpern aufgegangen war, wurde nun von der Sonne fortgeblasen. Trotzdem ist der Raum zwischen den Planeten heute alles andere als sauber – wie ein Ausflug ins Gebirge demonstriert. Unter außergewöhnlich günstigen Bedingungen taucht gegen Ende der allerletzten Abenddämmerung eine schwache Lichtpyramide über dem Westhorizont auf – vor Einsetzen der Morgendämmerung suche man sie im Osten. Das Zodiakallicht schimmert ausschließlich in den Sternbildern des Tierkreises (griech.: zodiakos ). Das ist jener Himmelsbereich, durch den auch Sonne und Planeten wandern.

Ganz offensichtlich ist die Zentralebene unseres Planetensystems also wieder mit Staub erfüllt. Teilchen mit Durchmessern zwischen einem Hundertstel und einem Zehntel Millimeter streuen die Strahlen der Sonne in unser Auge – obwohl sie selbst unter dem Horizont steht.

Die Erde schiebt sich wie ein schwerer Staubsauger durch diese interplanetare Wolke. Deren Partikel tauchen mit Geschwindigkeiten zwischen 12 und 72 km pro Sekunde in die Atmosphäre ein. Dabei erhitzen sie die Luft im Schusskanal enorm und verdampfen Augenblicke später in der selbst verursachten Gluthölle: Wir sehen einen Meteor über den Himmel huschen. Ein Staubaggregat, winzig wie ein Sandkorn, reicht wahrscheinlich schon für eine auffällige Sternschnuppe. Eines in Erbsengröße provoziert eine ungewöhnlich kräftige Leuchterscheinung. Sogar in der Marsatmosphäre wurde schon ein Meteor gesichtet.

Der interplanetare Staub kommt nicht zur Ruhe. Nur die massereichsten Teilchen können lange auf ihrer Bahn verharren. Kleinere werden von den Photonen des Sonnenlichts abgebremst und in immer engere Orbits gezwungen. Nach Zehntausenden von Jahren verdampfen sie in allzu intimer Sonnennähe. Noch winzigere Partikel entgehen diesem Schicksal. Sie erfahren eine stete Beschleunigung, geraten auf zunehmend fernere Bahnen. Schließlich werden sie sogar aus dem Planetensystem vertrieben.

Zodiakallicht und Sternschnuppen wären längst Geschichte, würde nicht ständig frischer Staub nachgeliefert. Dieser Aufgabe haben sich die Kleinplaneten zwischen Mars und Jupiter verschrieben. Immer wieder krachen sie ineinander und zersplittern. Mächtigere Kollisionstrümmer landen, Millionen Jahre später, als Meteorite auf der Erde. Der feinste Schutt formt hingegen Staubwolken, deren Teilchen vergleichsweise rasch durch das Sonnensystem driften.

Kometen sind besondere Schmutzfinken. Eigentlich ist ein Kometenkern selten größer als ein irdischer Berg. Gerät er jedoch in Sonnennähe, startet eine spektakuläre Metamorphose. Das erwärmte Eis im Inneren des Kerns wird zu Gas und schießt durch Risse in der Kruste ins All hinaus. Dabei reißt es eingelagerten Staub mit. Die kleinsten Staubpartikel werden wiederum vom Strahlungsdruck der Sonne erfasst und vom Himmelskörper weg gedrängt. So entsteht der breite, leicht gekrümmte und oft viele Millionen Kilometer lange Staubschweif. Wir sehen ihn, weil auch seine Teilchen das Sonnenlicht streuen.

Staub spielt beim Aufbau der Himmelsvagabunden sogar eine überraschend wichtige Rolle. Dies bewies das waschmaschinenkleine Projektil der Sonde Deep Impact. Als es im Juli 2005 in den Kometen Tempel 1 krachte, stoben tausende Tonnen feinsten Pulvers davon. Hätte das Gerät eine weiche Landung auf der Kometenkruste versucht, wäre es vielleicht jämmerlich im Staub versunken.

Zurück zu den Sternschnuppen: Wie Tempomessungen zeigen, schießen manche tatsächlich aus dem interstellaren Raum daher. Die allermeisten sind aber ganz klar Abkömmlinge unseres Sonnensystems. Rechnet man Meteorbahnen in den Weltraum zurück, so ähneln diese oft jenen berühmter Kometen. Jene Sternschnuppen, die stets um den 11. August auftauchen, sind staubige Grüße des Schweifsterns Swift-Tuttle. Hingegen zeichnet Komet Halley für zwei Meteorströme im Mai und Oktober verantwortlich.

Interplanetare Partikel

Im Durchschnitt fängt die Erde täglich 50 bis 150 Tonnen Staub ein. Die winzigsten Partikel werden von der Lufthülle abgebremst, bevor sie verdampfen können. Nach kurzzeitiger Erwärmung auf 600 Grad C schweben sie gemütlich durch die Stratosphäre. Manchmal gelingt es, ein paar Exemplare mit speziellen Flugzeugen einzusammeln und im Labor zu analysieren.

Ein solches interplanetares Staubpartikel, kurz "IDP" genannt, mag bloß ein Hundertstel mm klein sein. Dennoch ist es aus Millionen winzigster Kristalle zusammengesetzt. Oft sind IDPs äußerst porös, von Hohlräumen durchsetzt. Einige enthalten polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe, wie man sie jüngst auch im Spektrum des Kometen Tempel 1 nachgewiesen hat. Manche stammen von Schweifsternen, andere aus dem Kleinplanetenreich. Die Stardust-Mission wird helfen, sie besser auseinander zu halten.

Bevor IDPs die Erdatmosphäre erreichen, sind sie Jahrhunderte bis Jahrtausende lang dem Sonnenlicht und der kosmischen Strahlung ausgesetzt. Viel frischer ist der Staub des Kometen Wild 2, den die Sonde Stardust nun zustellen wird. Sie hat ihn ja bloß wenige Stunden nach seinem Austritt aus dem Kometenkern eingefangen. Der "Sternenstaub" soll den Forschern nicht nur Einblick in den Aufbau der Himmelsvagabunden gewähren. Er wird auch von jenen Bedingungen erzählen, die vor viereinhalb Milliarden Jahren im Außenbereich des Sonnensystems herrschten – an der frostigen Grenze zum interstellaren Raum.

Christian Pinter, geboren 1959, ist Fachautor und schreibt seit 1991 im "extra".

Freitag, 13. Jänner 2006 11:00:54
Update: Freitag, 13. Jänner 2006 11:11:00

Lexikon



Wiener Zeitung - 1040 Wien · Wiedner Gürtel 10 · Tel. 01/206 99 0 · Impressum · AGB