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Artikel aus dem EXTRA LexikonPrint this

Spekulatives Szenario: Ein solares Inferno könnte in Jahrmilliarden die Erde verschlingen

Visionen vom Weltuntergang

Die Sonne spendet Licht und Wärme. Eines fernen Tages reißt sie uns genau damit ins Verderben. Foto: Pinter

Die Sonne spendet Licht und Wärme. Eines fernen Tages reißt sie uns genau damit ins Verderben. Foto: Pinter

Von Christian Pinter

Für den Griechen Anaxagoras war die Sonne ein Körper glühenden Gesteins, weit wie der Peloponnes. In Wahrheit ist sie gut hundertmal größer als die Erde. Im 19. Jahrhundert gab es die unterschiedlichsten Meinungen, woher der mächtige Sonnenball seine Energie beziehe. Einige glaubten, das fortwährende Herabstürzen von Meteoren hielte sein Antlitz heiß - ähnlich Hämmern, die auf Eisen schlagen. Doch ein solcher Materieregen hätte Masse und Anziehungskraft der Sonne erhöht. Die Erde wäre in eine immer engere, schnellere Bahn spiralt, das Jahr immer kürzer geraten.

Manche Wissenschafter wähnten die Sonne von heißem Magma oder glühender Flüssigkeit bedeckt. Sonnenflecken schienen dunkle Schlackemassen zu sein, erste Vorboten der drohenden Abkühlung: Irgendwann würde eine dunkle Kruste den ganzen Sonnenball bedecken, ihm jede Leuchtkraft rauben. Andere Wissenschafter gingen von Verbrennungsvorgängen auf der Sonnenoberfläche aus. Der Stern hätte dabei alle ein, zwei Tage eine Steinkohlekugel von Erdformat verheizen müssen. Er wäre rasch geschrumpft und nach wenigen Jahrtausenden verloschen.

Kältetod des Erdballs

Für Hermann von Helmholtz war die Sonne hingegen ein langsam in sich zusammenstürzender Gasball. Die Gasteilchen prallten aneinander, sorgten so für Wärme. Ein Schrumpfen von täglich 17 cm reichte, den Himmelskörper für Jahrmillionen auf Temperatur zu halten. Dieses Modell blieb bis in die 1920er Jahre populär. Alle Theorien sagten letztlich ein Abkühlen der Sonne voraus – und damit eine grimmig kalte Zukunft für die Erde. Auch die populärwissenschaftliche Literatur prophezeite den Kältetod: Gletscher würden alles bedecken, selbst die Ozeane sollten zu Eis erstarren. "Beim gänzlichen Verschwinden aller Sonnenwärme würde der ganze Erdball vereisen und zu einem großen Totenfelde werden", schrieb Uwe Klein 1875. Andere Autoren sahen im Kommen und Gehen der Eiszeiten bereits ein Indiz für die Abnahme der Sonnenstrahlung. Für Wilhelm Meyer wollte die Natur den Lebewesen sogar die Anpassung an die künftige, "unerbittlich vordringende Kälte des Weltraums" erleichtern. Tatsächlich hüllte sich unsere Erde, fiele die Wärmequelle "Sonne" aus, in einen dicken Eispanzer. Die Temperaturen sänken auf minus 200 Grad Celsius und tiefer. Es wäre dann noch frostiger, als schon heute auf den eisbedeckten Monden der sonnenfernen Planeten Jupiter, Saturn, Uranus oder Neptun. In Wahrheit blickt das irdische Leben jedoch einem völlig andersartigen Ende entgegen.

Die Sonne ist schwer wie 330.000 Erden. Damit sie nicht sofort zusammen sackt, müssen – so rechnete Arthur Eddington in den Zwanzigerjahren vor – unvorstellbar hohe Temperaturen in ihrer Mitte herrschen. Nur so dehnt sich das Gas dort kräftig genug aus, um der Last des "Gebälks" stand zu halten.

Ab 1938 beschrieben Hans Bethe und Carl von Weizsäcker, was bei 15 Millionen Grad und einem Druck von 200 Milliarden Atmosphären im Sonnenzentrum wirklich geschieht. Atome prallen mit unglaublicher Wucht zusammen und verschmelzen. Jeweils vier Wasserstoffkerne verwandeln sich in einen Heliumkern. Aus der Massendifferenz von sieben Promille wird Energie. Dieser Prozess lässt den solaren Fusionsreaktor seit viereinhalb Milliarden Jahren laufen. Allerdings besteht das Sonnenzentrum schon fast zur Hälfte aus Helium. Der Kern schrumpft, was die nuklearen Prozesse beschleunigt. Die Temperaturen steigen, die Sternenhülle bläht sich geringfügig auf. Alle hundert Millionen Jahre nimmt die Sonnenleuchtkraft deshalb um ein Hundertstel zu.

Ovids Phaethon-Legende, vor 2000 Jahren niedergeschrieben, liest sich wie eine düstere Vorahnung auf das künftige Erdenschicksal: jeden Morgen bricht der Sonnengott mit seinen vier Flügelrossen zur Fahrt über den Himmel auf, um alles Irdische zu bescheinen. Der ausgefahrene Pfad führt, so liest man in den "Metamorphosen", durch die Schreckbilder des Tierkreises; hindurch zwischen den Hörnern des Stiers, vorbei am bogenspannenden Schützen, dem Rachen des reißenden Löwen und den unbarmherzigen Scheren des Krebses.

Eines Tages gewährt der Gott seinem Sohn ein Geschenk freier Wahl. Leichtsinnig bittet Phaethon, einmal den Sonnenwagen lenken zu dürfen. Den flammenden Strahlenkranz des Vaters auf dem Haupt, tritt er im Licht der Morgenröte zur Unglücksfahrt an. Die feuerspeienden Rosse sind kaum zu bändigen, dem Joch fehlt die gewohnte Schwere. Sofort weichen sie vom Weg ab. Das Sternbild Drache, das sich nahe dem eisigen Himmelspol träge dahin schlängelt, gewinnt durch die ungewohnte Wärme neue Angriffslust. Dem unerfahrenen Lenker zittern die Knie. Als Phaethon das Sternbild des Skorpions passiert, dessen Giftstachel ihn zu verwunden droht, verliert er sogar die Besinnung.

Führerlos ziehen die Rosse den Sonnenwagen nun auf eine viel zu tiefe Bahn. Zuerst schmelzen die Schneekappen hoher Gipfel, dann entzünden sich die Wälder, schließlich die Berge selbst; auch die Alpen und der Apennin. Der Ätna leuchtet "von zweierlei Feuer". Die Erde dörrt, ihrer Säfte beraubt, aus. Im Boden klaffen Risse und Spalten. "Große Städte gehen mit ihren Mauern unter, und der Brand legt ganze Länder mit ihren Völkern in Asche."

Extremer Treibhauseffekt

Die Nymphen weinen um Quellen und Seen. Flüsse dampfen. Euphrat, Ganges und Donau brennen. Die Mündungsarme des Nil sind staubig und leer. Der Gewässergott Neptun erträgt die Glut nicht. Das Gesicht von Mutter Erde ist mit Asche bedeckt. Überall breiten sich trockene Sandflächen aus. Berge, zuvor im tiefen Meer verborgen, kommen zum Vorschein. Die Pole rauchen, die Himmelsachse glüht. Selbst Jupiter fehlen die Wolken, um kühlenden Regen zu senden. Ovid wird Recht behalten: In einer Milliarde Jahre strahlt die Sonne schon um ein Zehntel heller als heute. Dann schmelzen die Polkappen. Auch die Verdunstung an der Meeresoberfläche nimmt zu. Der erhöhte Wasserdampf in der Atmosphäre verwandelt die Erde vollends in ein Treibhaus. Die Ozeane verdunsten komplett: Kräftiges Sonnenlicht bricht die Wassermoleküle in der Luft auf, der leichte Wasserstoff entweicht ins All. Die Erde ist nun wasserlos und von Sand bedeckt. Der Boden reißt auf. Kohlendioxid, einst in den Meeressedimenten gefangen, gerät in die Atmosphäre. Neuerlich lässt extremer Treibhauseffekt die Temperaturen hoch schnellen. Leben ist dann Geschichte.

Zum Glück werden wir in den nächsten paar Millionen Jahren noch absolut nichts von der stetigen Leistungssteigerung der Sonne spüren. Nur unser Nachbar-planet Venus – bereits eine öde Gluthölle – glänzt wie ein Menetekel am Dämmerungshimmel. Doppelt intensive Sonnenstrahlung und die dichte Koh lendioxidatmosphäre erhitzen seine Oberfläche auf 467 Grad CelsiusBei Ovid rettet Gott Jupiter die Erde. Er schleudert den Blitz auf Phaethon, zertrümmert den Sonnenwagen und zerstreut die Rosse. Der Getötete stürzt in den gewaltigen Fluss Eridanus. Seine Schwestern beweinen ihn, verwandeln sich in Bäume. Aus ihren Stämmen quellen blutige Tränen, die zu Bernstein erstarren.

Vielleicht hilft Jupiter auch uns. Jenseits der Bahn des Planeten Neptun kreisen teils recht ansehnliche Eisasteroide. Unsere fernen Nachfahren könnten einen dieser Himmelskörper vom Kurs abbringen und ihn immer wieder nahe an der Erde vorbei lenken. Das Manöver würde unseren Planeten beschleunigen und so langsam in größere Sonnendistanz hieven. Allerdings verlöre der Asteroid dabei an Tempo. Zur Erhöhung seiner Schwungkraft müsste man ihn regelmäßig an den Riesenplaneten Jupiter heran führen. Letztlich wäre es also Jupiter, der den Exitus irdischen Lebens hinaus zögerte.

In 7,5 Milliarden Jahren nützt kein Trick mehr. Dann hat die Sonne den Wasserstoffvorrat in ihrem Zentrum völlig aufgebraucht. Ihr Kern kollabiert, die Temperaturen schnellen hoch. Jetzt "brennt" auch der Wasserstoff in den äußeren Schichten des Sterns. Später, bei 100 Millionen Grad Celsius, zündet sogar das zentrale Helium und verschmilzt zu Kohlenstoff. Die Rekordhitze bläht unseren Stern zum Roten Riesen auf. Er schwillt auf den 160- bis 200-fachen Durchmesser an. Es ist, als verwandle sich ein Stecknadelkopf in einen Sitzball! Beim Aufplustern sinkt die Temperatur an der Sonnenoberfläche. Ein Schuss "Orange" mischt sich in ihr Licht. Dank der hünenhaften Dimension steigt die Leuchtkraft dennoch um das Tausendfache. Die fernen Außenzonen dieses roten Riesensterns spüren kaum noch Schwerkraft. Sein Gas "fließt" ins Vakuum des Weltalls über. Der Sonnenwind gerät zum Sturm; er bläst gewaltige Mengen Materie in den Raum. Dadurch verliert die Sonne an Masse und Anziehungskraft: Die Planeten entfliehen auf fernere Bahnen. Doch der Sonnenrand folgt ihnen. Merkur und Venus werden eingeholt. Ob die Sonne schlussendlich auch unsere Welt verschluckt, ist ungewiss. Im besten Fall existiert die Erde als glutflüssiger Ball fort, durch und durch geschmolzen. Längst ist niemand mehr da, der sie beweinen könnte.

Aus der Distanz von 70 Lichtjahren ist unsere Sonne heute bloß ein farbloses Sternchen, für das freie Auge kaum sichtbar. Doch in ihrer Riesenphase wetteiferte sie mit den allerhellsten Sternen, überflügelte diese zeitweilig sogar.

Zwergenhafte Leiche

Das Riesenstadium währt bloß 100 Millionen Jahre. Dann besteht der Sonnenkern nur noch aus Kohlenstoff, fällt endgültig in sich zusammen und treibt als Weißer Zwerg durchs All. Mangels Kernfusion kühlt er langsam aus. Schon 1910 entlarvten Forscher einen Begleiter des Sterns 40 Eridani im Sternbild Eridanus als Zwergstern. Typischerweise besitzt jede dieser Sternleichen eine ganze Sonnenmasse – sie ist jedoch auf Erdvolumen zusammen gequetscht. Ein Fingerhut Zwergenmaterie würde auf Erden eine Tonne wiegen. Entsprechend enorm ist die Schwerkraft an der Zwergenoberfläche. Ein Mensch brächte dort leicht 25.000 Tonnen auf die Waage. Ehe unsere Sonne zum Weißen Zwerg schrumpft, bläst sie die Hälfte ihrer Masse ins All - vermutlich stetig und recht unspektakulär. Geschähe dies in wenigen, sehr heftigen Ausbrüchen, zögen dichte Gasschalen vom sterbenden Stern weg. Ferne Beobachter würden dann einen neuen "Planetarischen Nebel" sehen. Das kleine Fernrohr zeigt uns Beispiele: etwa NGC 6543 im Drachen, NGC 6818 im Skorpion oder NGC 1535 im Eridanus. Die expandierende Materie wird anfangs noch vom heißen Zwerg in ihrer Mitte zum Leuchten angeregt. Dabei sorgt doppelt ionisierter Sauerstoff oft für lebendiges Grün. Später verliert sich das Nebelgas in den Weiten des Alls.

Um einige sehr alte Gnome entdeckte man jüngst kleine Scheiben aus Staub. Dieser Staub hält sich nicht lange im Orbit; er muss frisch sein. Offenbar hatten dort Kometen, Asteroiden, ja vielleicht sogar Planeten den Tod ihrer Sonne überlebt. Erst neulich kamen sie der Sternleiche zu nahe – und wurden von der gewaltigen Schwerkraft in Stücke gerissen.

Christian Pinter, geboren 1959, lebt als Fachautor in Wien.

Printausgabe vom Samstag, 17. Juni 2006
Update: Freitag, 16. Juni 2006 16:47:00

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