Wiener Zeitung Neu in der Linkmap:
 
  Wiener Zeitung Homepage Amtsblatt Homepage LinkMap Homepage Wahlen-Portal der Wiener Zeitung Sport-Portal der Wiener Zeitung Spiele-Portal der Wiener Zeitung Dossier-Portal der Wiener Zeitung Abo-Portal der Wiener Zeitung Suche Mail senden AGB, Kontakt und Impressum Das Unternehmen Benutzer-Hilfe
 Politik  Europa  Kultur  Wirtschaft  Computer  Wissen  extra  Panorama  Wien  Meinung  English  MyAbo 
 Lexikon Interview  Glossen  Bücher  Musik  Debatten 
Artikel aus dem EXTRA LexikonPrint this

Die Oberfläche des Mondes ist übersät von Milliarden markanter Krater.

Die Narben unseres Trabanten

Mit seinen 1890 veröffentlichten Mondkrater-Zeichnungen errang der Österreicher Ladislaus Weinek, Direktor der k.k. Sternwarte in Prag, internationale Anerkennung.  Foto: Pinter

Mit seinen 1890 veröffentlichten Mondkrater-Zeichnungen errang der Österreicher Ladislaus Weinek, Direktor der k.k. Sternwarte in Prag, internationale Anerkennung. Foto: Pinter

Von Christian Pinter

Europas erste Mondmission endete mit einem Desaster nach Fahrplan: Nachdem sie den Erdtrabanten mehr als 2.000 Mal umkreist hatte, schlug die ESA-Forschungssonde SMART-1 am 3. September mit über 7.000 km/h auf der Mondoberfläche auf. Sie muss einen neuen Krater von drei bis zehn Metern Durchmesser geschlagen haben.

Seit 1959 wurde "Frau Luna" schon zwei Dutzend Mal Opfer derart brutaler Flugmanöver. Sie kosteten ihr aber bloß ein müdes Lächeln. Das lunare Antlitz ist ja bereits von Abermilliarden natürlich entstandener Einschlagsnarben gezeichnet. Die gigantischsten offenbaren sich, dank grauer Lava-Füllung, auch dem freien Auge. Dutzende weitere tauchen im Fernglas auf. Das einfache Amateurfernrohr zeigt Zehntausende, das leistungsfähigste Teleskop 300.000 Krater. Was schmächtiger ist als ein Kilometer, entzieht sich jedoch unserem Blick. Chaotische Bewegungen der irdischen Lufthülle setzen der Trennschärfe hier eine Grenze.

Meere aus Lava

Zunächst war der junge Erdmond von einem hunderte Kilometer tiefen Ozean aus verflüssigtem Gestein bedeckt. Vor gut 4,4 Milliarden Jahren kühlte sein Antlitz aus. Damals entstand das älteste Mondgestein. Doch noch pflügten sich Mond und Erde durch jenen "Bauschutt", der bei der Planetenentstehung übrig geblieben war. In steter Folge donnerten kosmische Geschosse herab. Die zerklüfteten, hellen Hochländer des Mondes legen Zeugnis dieser wilden Epoche ab.

Später sank die Trefferrate. Die Ruhe war aber trügerisch. Wanderbewegungen der Riesenplaneten brachten vor 3,9 Milliarden Jahren nochmals Unruhe ins Sonnensystem. Himmelskörper mit weiteren Durchmessern als heutige Großstädte gerieten aus der Bahn. Dieses "letzte schwere Bombardement" hinterließ Dutzende riesiger Einschlagsbecken auf dem Mond – jedes ausgedehnter als die iberische Halbinsel.

Unter der geschundenen Mondkruste lag geschmolzenes Mantelmaterial, das unzählige Male durch Schwächezonen an die Oberfläche drang und sich in die tiefsten Becken ergoss. Mancherorts türmte sich die Schmelze kilometerhoch auf. Einst hatten mächtige Wälle die Einschlagsbecken umschlossen. Nun wurden die steinernen Mauern von Basaltfluten umspült. Ihre Kronen ragen aus der Lava und bilden die lunaren Kettengebirge. Sie tragen vertraute Namen wie "Alpen", "Karpaten" oder "Kaukasus".

Mit der Dünnflüssigkeit von schwerem Motoröl flossen Basaltströme in Nachbarbecken über. Die zunächst kreisrunden Gebilde verschmolzen zu noch gewaltigeren Strukturen. Schließlich bedeckte dunkle Lava ein Drittel der erdzugewandten Hemisphäre und formte das berühmte "Mondgesicht". Den ersten Fernrohrbeobachtern erschienen die grauen Flächen glatt und strukturlos. Sie glaubten, wassergefüllte Mondmeere zu sehen.

Die Lava-Ozeane präsentieren sich in verschiedenen Grautönen. Doch auch innerhalb einzelner Mondmeere gibt es Schattierungen. Offensichtlich kam das Magma aus unterschiedlichen Tiefen. Seine Zusammensetzung variierte. Es quoll zudem in zeitlich getrennten Episoden aus dem Mondinneren. So konnten sich Meeresrücken und Verwerfungen bilden. Die 120 km lange "Gerade Wand" im Wolkenmeer erkennt man schon im kleinen Amateurfernrohr. Schmelze drang sogar aus dem Boden tiefer Einschlagskrater. Deren Grund ist seither ebenfalls dunkel und arm an Details. Auch Plato ergraute: Das 100 km weite Rund dieses Namens sieht aus wie ein "Kratersee".

Ältere Einschlagsnarben wurden bedeckt und ausradiert. Nur besonders hohe Kraterwälle deuten sich schemenhaft an – als sanfte, kreisförmige Bodenwellen. Im Gegensatz zu diesen alten Geisterkratern müssen die tiefen, klar umrissenen Narben in den Meeren jünger sein als die Lavadecke. Die heftigsten Basaltströme flossen vor 3,9 bis 3,2 Milliarden Jahren. Später verlor "Frau Luna" zunehmend an Hitze.

Wasser und Wein

Zum Mischen von Wasser und Wein verwendeten die Griechen Mischkrüge mit gewölbtem Rand, die sie "kratér" nannten. Der Name ging auf die runden Öffnungen irdischer Vulkane und ab dem 17. Jahrhundert auch auf ähnlich anmutende Gebilde der Mondoberfläche über. 1651 taufte der Jesuit Giovanni Riccioli größere Krater nach Philosophen und Wissenschaftern. Spätere Astronomen folgten seinem Beispiel. So kamen auch 30 Österreicher zu Ehren, dies belegen etwa die Krater Mendel, Doppler, Freud.

Um den 9. Tag nach Neumond geht die Sonne über Copernicus auf. Die 90 km weite Struktur ist ein leichtes Ziel für kleine Teleskope. Sie gilt als besonderes Schaustück der Kratermorphologie, die sich mit Form und Gestalt von Einschlagsnarben befasst. Vor 850 Millionen Jahren hielt ein vielleicht 5 km großer Irrläufer auf das Meer der Inseln zu. Sein Tempo: 75.000 km/h. Weil die Bewegungsenergie mit dem Quadrat der Geschwindigkeit wächst, konnte er eine schier unvorstellbare Zerstörungskraft entfalten. Es war, als hätte man das gesamte heutige Nuklearwaffenarsenal 800-mal gleichzeitig gezündet.

Beim Copernicus-Einschlag wurden Geschoss und Zielgestein auf den Bruchteil ihres Volumens komprimiert und arg erhitzt. Materie schmolz und verdampfte. Die Schockwelle breitete sich explosionsartig in alle Richtungen aus. Daher sind Krater kreisrund. Dass sie uns am Mondrand elliptisch erscheinen, ist einem Spiel der Perspektive zu verdanken. Gestein wurde zu Glas, in scharfkantige Stücke zerbrochen, zu feinem Pulver zermahlen. Die Explosion katapultierte es vom Einschlagspunkt fort und sprengte ein mehrere Kilometer tiefes Loch.

In 45 km Abstand türmte sich das Gestein zum Kraterwall auf. Sein Kamm ragt 4.000 m hoch über den Kraterboden und 900 m über das Umland auf. Wie bei größeren Einschlagsstrukturen üblich, rutschte zertrümmertes Material später ab. Die Innenseite des Walls zerfiel in drei Terrassen. Gleichzeitig federte der zusammengestauchte Mondboden am Einschlagspunkt zurück. Gestein aus der Tiefe wölbte sich zum Zentralgebirge auf. Augenblicke später stürzte das hoch geschleuderte Mondgestein in den Krater zurück, schüttete diesen teilweise zu. Schmelz- und Trümmergesteine verbergen die Basis des Gebirges. Nur drei isolierte Gipfel sind auszumachen. Keiner erreicht die Höhe des Walls. Solche Erhebungen sind typisch für Krater, die man im einfachen Teleskop studieren kann. Bei kleineren Strukturen fehlen sie. Dort reichte die Einschlagsenergie nicht aus, welche zu bilden.

Beim Impakt (von lateinisch impingere , einschlagen) schoss Gestein über den Kraterrand hinaus. Copernicus wird deshalb von einer buckelig anmutenden Auswurfdecke umschlossen. Gesteinspulver flog 800 km weit und legte sich in Form geradliniger, weißer Strahlen auf die Mondmeere. Wie Modellrechnungen zeigen, dunkelt das feine Material nach einer Jahrmilliarde ein. Strahlenkrater sind deshalb meist junge Gebilde: Aristarchus und Tycho entstanden erst vor 150 bzw. 100 Millionen Jahren. Gleißende Lichtblitze begleiteten die Einschläge – Saurier könnten das Schauspiel gesehen haben.

Bildschöne Krater

Die Kratermorphologie lässt sich nirgendwo so leicht studieren wie auf dem Mond. Zwar sollte es auf der Erde Millionen größerer Impaktstrukturen geben, doch geologische Prozesse zerstörten diese wieder oder deckten sie mit dicken Ablagerungen zu. Identifiziert hat man auf Erden nicht einmal 200, und selbst dazu bedurfte es meist komplexer Untersuchungen. An der Form sind irdische Einschlagsnarben selten zu erkennen. Auf dem Mond schauen sie hingegen wie aus dem Lehrbuch aus, weil dort die Erosion hunderttausendmal langsamer voranschreitet.

Mondkrater besitzen nur einen einzigen, wirklichen Feind: den Einschlag in unmittelbarer Nachbarschaft. Nicht selten wird ihr Wall von einem weiteren Krater eingedrückt. Manchmal ist der Rand dieser jüngeren Narbe ebenfalls schon durchbrochen. Hier erkennt man sofort die zeitliche Abfolge der Impakte, die Kraterchronologie. Kleinere Eintiefungen, die man am Boden größerer Narben erkennen kann, müssen ebenfalls jüngeren Datums sein. Der gut 225 km weite Clavius wurde gleich mehrmals zur Zielscheibe. In den extrem alten lunaren Hochländern drängen sich Krater überhaupt dicht aneinander. Dort wurden manche regelrecht "zerbombt".

Licht-Schatten-Grenze

Beobachter folgen mit dem Fernrohr der Licht-Schatten-Grenze. Das ist jene schmale Zone der Mondkugel, über der die Sonne gerade aufbzw. untergeht. Dieser Terminator schiebt sich jede Stunde um 15 km weiter. Mangels Atmosphäre gibt es weder Abenddämmerung noch Morgenröte. Die Mondnacht endet abrupt. Oft badet eine Hälfte des Kraterwalls schon in hellem Sonnenschein, während die andere noch im tiefen Dunkel liegt. Nach und nach leuchten dort aber auch die höchsten Kammspitzen auf.

Das lunare "Alpenglühen" ist farblos, lässt die uns vertrauten Rottöne vermissen. Schließlich vereinen sich die isolierten Lichtperlen zu einem einzigen Feuerring. Dann taucht der Gipfel des Zentralbergs auf. Ist der Wall durchbrochen, fällt ein Lichtstreif auf den Kraterboden. Sonst dauert es länger, bis die Sonne zum Grund der Narbe vordringt. Anfangs werfen Zentralberg und Wallkamm lange, grotesk anmutende Schatten. Sobald aber die Sonne dann höher steigt, verschwinden die harten Kontraste.

Christian Pinter, geboren 1959, lebt als freier Fachjournalist in Wien. Er schreibt seit 1991 im "extra" über Fragen der Astronomie und über die Geschichte der Himmelsbeobachtung.

Printausgabe vom Samstag, 16. September 2006
Update: Freitag, 15. September 2006 16:18:00

Lexikon



Wiener Zeitung - 1040 Wien · Wiedner Gürtel 10 · Tel. 01/206 99 0 · Impressum · AGB