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Artikel aus dem EXTRA LexikonPrint this

Vor 500 Jahren wurde Johann Albrecht Widmanstetter geboren, der später einer von mehreren Wegbereitern für die neue kopernikanische Lehre war.

Die Sonne rückt ins Zentrum

Dieses in Warschau stehende Denkmal zeigt Kopernikus in revolutionärer Pose. Die philosophischen Konsequenzen der neuen Lehre dieses Astronomen erkannte zunächst allerdings nur der geniale Italiener Giordano Bruno.  Foto: Pinter

Dieses in Warschau stehende Denkmal zeigt Kopernikus in revolutionärer Pose. Die philosophischen Konsequenzen der neuen Lehre dieses Astronomen erkannte zunächst allerdings nur der geniale Italiener Giordano Bruno. Foto: Pinter

Von Christian Pinter

Im Jahr 1506 erblickt Johann Albrecht Widmanstetter das Licht der Welt. Nach dem Studium in Tübingen tritt er in den Dienst von Herzögen, Kardinälen und Päpsten. Im Gefolge Karls V. trifft er den späteren Bischof von Ermland. Der erzählt ihm von den seltsamen Ideen eines Domherrn, der die Sonne an die Stelle der Erde rücken will.

Widmanstetter und seine Zeitgenossen sind noch im engen, rotierenden Kosmos der Antike gefangen. Ihre Fixsterne leuchten an der Innenseite einer Kugel, eilen in 24 Stunden einmal um den Betrachter herum. Sonne und Mond tun es den Sternen gleich, verspäten sich jedoch in variierendem Ausmaß. Die fünf hellen Planeten ziehen merkwürdige Schleifen durch den Tierkreis und überholen die Fixsterne zeitweise sogar ein wenig.

In Fragen der Naturphilosophie gilt Aristoteles als oberste Autorität. Das Christentum ist mit ihm eine Art "Symbiose" eingegangen. Studenten lernen, was er vor fast 2000 Jahren gelehrt hat. Schwere Massen streben zur Erde, dem vermeintlichen Zentrum des Universums: Sie wird von allen Himmelslichtern umrundet. Doch diese dürfen weder Beschleunigung noch Abbremsung erfahren und müssen Kreisbahnen folgen. Um diese Prinzipien mit dem tatsächlich beobachteten Lauf der Wandelgestirne in Einklang zu bringen, bedarf es höchst verzwickter Modelle.

Der Kosmos des Aristoteles besteht aus ineinander geschachtelten Kristallsphären. Die Fixsternsphäre überträgt ihre rasche Rotation nach und nach auf die innen liegenden Hohlkugeln der Wandelgestirne. Die Erde in der Mitte weilt der göttlichen Einwirkung am fernsten und ist daher "Wandlungen und Leiden" unterworfen. Das gottnahe Sternenreich bleibt hingegen "unveränderlich, unwandelbar und unverletzlich". Die plötzlich auftauchenden Kometen sind bloß aufsteigende Entzündungen irdischer Luft.

Der Papst und Luther

Claudius Ptolemäus huldigte um 130 n. Chr. den gleichen Prinzipien. In seinem Weltmodell ziehen die Wandelgestirne auf kleinen Beikreisen dahin, deren Mittelpunkte auf Trägerkreisen um die zentrale, völlig starre Erde rollen. Astronomen können den Planetenlauf nur ungefähr vorhersagen. Deshalb stellt sich Unzufriedenheit ein.

Nikolaus Kopernikus studiert ab 1491 in Krakau, Bologna, Padua und Ferrara. Italien ist die Wiege der Renaissance, des Humanismus. Man greift dort das Erbe der Antike auf, studiert die Originalquellen. Auch Kopernikus übersetzt griechische Autoren. Er ist Domherr zu Frombork, das zwischen Königsberg und Danzig liegt. Die Verwaltung der Kirchenbesitzungen lässt ihm Muße für astronomische Beobachtungen.

Kopernikus will die griechische Himmelskunde weiter entwickeln. In Gedanken setzt er die Erde in Schwung um die eigene Achse und treibt sie samt den Planeten um die Sonne. Schließlich fasst er seine Gedanken zusammen und lässt sie ausgewählten Empfängern zukommen. 1533 trägt Johann Widmanstetter die kopernikanischen Thesen Papst Clemens VII. vor – und erhält zum Dank eine wertvolle griechische Schrift.

Kritik kommt hingegen von Martin Luther. Kopernikus wolle "die ganze Astronomie umkehren" , meint der Reformator. Die rastlose Erde stünde im Gegensatz zur heiligen Schrift; denn der biblische Josua hieß einst die Sonne am Tag still stehen. Also müsse sie sich bewegen, nicht die Erde. Luther hat die Bibel ins Deutsche übersetzt; im Gegensatz zum Vatikan lässt er bloß deren exakten Wortlaut gelten. Später wird sein Mitstreiter Melanchthon die neue Kosmologie als " verrückte Sache" brandmarken; sie widerspreche dem Augenschein und der von Gott offenbarten Wahrheit.

Der in Feldkirch geborene Georg Joachim Rheticus ist ein Vertrauter von Luther und Melanchthon. Dennoch begeistert er sich für die kopernikanische Lehre. Nach einem Besuch in Frombork stellt er sie 1540 in seinem "Ersten Bericht" vor und bittet Kopernikus, sein Werk endlich drucken zu lassen. Kardial Nicolaus Schönberg hat diesen auch schon dazu ermutigt – auf Drängen seines Sekretärs Widmanstetter hin. Doch Kopernikus zögert. Als er dem Druck dann doch zustimmt, widmet er das Buch Papst Paul III. Der werde, so hofft Kopernikus, "hämische Angriffe der Verleumder leicht in Schach halten". Denn er fürchtet "leere Schwätzer" , die seine Kosmologie eines "übel verdrehten Wortes der heiligen Schrift" wegen angreifen könnten.

Die Druckaufsicht hat der lutherische Geistliche Andreas Osiander. Um den Autor vor Angriffen von Aristotelikern und protestantischen Theologen zu schützen, fügt er, eigenmächtig und anonym, ein Vorwort hinzu. Es reduziert die folgenden Lehrsätze zu bloßen Hypothesen: Sie müssten weder wahr noch wahrscheinlich sein, solange sie nur die bessere Berechnung der Himmelserscheinungen erlaubten. Den Lesern muss es scheinen, als zweifle Kopernikus selbst an seinem Weltbild. Dieser erhält ein druckfrisches Exemplar erst an seinem Todestag, am 24. Mai 1543. Man bestattet ihn im Fromborker Dom. Am Ende seines Lebens nimmt auch Widmanstetter die Wahl zum Domherrn an. Er findet 1557 im Kreuzgang des Regensburger Doms St. Peter die letzte Ruhe.

Kopernikus hat die Planetenschleifen als perspektivische Effekte entlarvt. Sie entstehen, weil sich die "Beobachtungsplattform" Erde selbst bewegt. In der Folge büßt sie ihre hervorragende Rolle ein und wird den anderen fünf bekannten Planeten gleich gestellt. Im Übrigen liegt die Welt ohnedies im Umbruch. Die Kirche hat an Macht verloren, Fürsten und aufstrebendes Bürgertum ringen um Einfluss, Reformation und Gegenreformation sind die Folgen. Papst Paul III. beruft 1545 das Konzil von Trient ein. Es listet Irrlehren auf und verurteilt sie. 1564 erscheint ein Verzeichnis verbotener Bücher. Kopernikus ist nicht darunter. Die Gelehrten halten sein Werk sowieso nur für hypothetisch. An seine Kosmologie glaubt kaum jemand.

1572 taucht ein gleißend heller Stern am Himmel auf. Der dänische Protestant Tycho Brahe sucht perspektivische Effekte, die bei erdnahen Objekten unabdingbar wären. Vergeblich. Das Gestirn strahlt jenseits der Planetenbahnen; am Sternenhimmel kann also sehr wohl Neues erscheinen. Fünf Jahre später gelingt Brahe bei einem Kometen, der zwischen Mond und Venus durchs All zieht, die Distanzschätzung; nun ist der Beweis erbracht: Schweifsterne sind doch Himmelskörper.

Beide Befunde erschüttern aristotelische Dogmen. Doch den "schweren, trägen Koloss" Erde will auch Brahe nicht in Bewegung sehen. Er stößt sich zudem am "Widerspruch" zu Josua. 1588 legt er ein Kompromissmodell vor: Die Planeten laufen im tychonischen System zwar um die Sonne, doch diese eilt mit dem ganzen Tross um die zentrale Erde. Sie ist also wieder völlig ruhig gestellt. Ein Rückschritt: Kopernikus hatte den Kosmos vom täglichen Umschwung befreit, sodass dieser wachsen konnte. Für den radikalen Kopernikaner Giordano Bruno ist er gar "auf unendliche Weise unendlich". Überall gäbe es bewohnte Welten. Und auch dort hätte jeder den Eindruck, alles drehe sich nur um ihn.

Gottes Handschrift

Johannes Kepler schrickt vor Brunos " Unendlichkeitsschwärmerei " zurück. In Tübinger Studententagen mit den kopernikanischen Hypothesen vertraut gemacht, wird er rasch zum Befürworter des neuen Weltmodells. 1596 glaubt er, eine geheime Gesetzmäßigkeit im Sonnenabstand der sechs Planeten erkannt zu haben. Er hält dies für Gottes Handschrift. Die Gegenreformation vertreibt den Protestanten aus Graz. Er flüchtet nach Prag.

Griechischen Dogmen folgend hatte Kopernikus das Prinzip der Kreisbahn und der konstanten Bahngeschwindigkeit beibehalten. Deshalb kam auch er nicht ohne Hilfskreise aus. Kepler streicht das Beiwerk. Seine Planeten folgen, korrekter Weise, Ellipsen; sie bewegen sich dabei in Sonnennähe rascher als in Sonnenferne. Hundert Jahre nach Widmanstetters Geburt hat Kepler die ersten beiden Planetengesetze schon formuliert, aber deren Publikation verzögert sich aus Geldmangel.

Keplers "Neue Astronomie" erscheint erst 1609. Fast zur gleichen Zeit blicken Simon Marius und Galileo Galilei erstmals durch ein Fernrohr in den Himmel. Das so entdeckte Phasenspiel der Venus lässt sich nicht mit Aristoteles oder Ptolemäus vereinbaren. 83 Jahre nach Widmanstetters wohlwollend aufgefasstem Vortrag reagiert Rom, aber jetzt anders: Mit Hinweis auf die Bibel wird die Lehre der bewegten Erde verboten. Es ist ein verzögerter Reflex im Zug der Gegenreformation; ein Versuch, kirchliche Autorität auf dem Boden der Naturwissenschaft wieder herzustellen. Als Rechenhilfe darf Kopernikus weiterhin verwendet werden. Selbst die Erwähnung seiner Kosmologie bleibt erlaubt – allerdings nur als "Hypothese".

Christian Pinter, geboren 1959, lebt und arbeitet als Fachjournalist für Astronomie in Wien.

Printausgabe vom Samstag, 07. Oktober 2006
Update: Freitag, 06. Oktober 2006 16:35:00

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