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Die Entdeckung des Himmels

Berühmte Astronomen stellen ihrer Muse Urania ihre Weltbilder vor. Der Himmel wird zeigen, welches stimmt. Aus: Andreas Cellarius, Harmonia Macrocosmica, 1708.  Foto: I. Müller & F. Kerschbaum/Uni-Sternwarte Wien

Berühmte Astronomen stellen ihrer Muse Urania ihre Weltbilder vor. Der Himmel wird zeigen, welches stimmt. Aus: Andreas Cellarius, Harmonia Macrocosmica, 1708. Foto: I. Müller & F. Kerschbaum/Uni-Sternwarte Wien

Von Christian Pinter

Aufzählung Eine Ausstellung in der Wiener Universitätbibliothek illustriert den historischen Wandel des himmelskundlichen Weltbilds.

Von jeher war die Astronomie maßgeblich für unser Weltverständnis", erklärt Thomas Posch, Astronom an der Wiener Universitätssternwarte: "Seit Einführung des Buchdrucks lässt sich der Wandel unseres Weltbilds anhand bahnbrechender Lehrbücher, aber auch farbenprächtiger Folianten und Atlanten nachverfolgen." Das astronomische Institut verfügt über einen reichen Schatz solcher Kostbarkeiten, wie ein zweibändiger, illustrierter Katalog deutlich macht. Er enthält fast 500 Titel aus dem 15. bis 18. Jahrhundert. Schlüsselwerke der Sammlung präsentieren Sternwarte und Universitätsbibliothek vom 19. April an in der gemeinsamen Ausstellung "Astronomisches Weltbild im Wandel", die im Hauptgebäude der Wiener Universität gezeigt wird. Im Bibliotheksfoyer können Besucher den gedruckten Spuren der Forschungsgeschichte folgen.

Stadt der Mathematik

Die Universitätssternwarte existiert seit 1755. Doch der Ruf Wiens als "Stadt der Mathematik" wurde bereits gut drei Jahrhunderte zuvor durch die Lehrtätigkeit des Johannes von Gmunden begründet. Sein Nachfolger, der aus Oberösterreich stammende Georg von Peuerbach, schuf 1473 mit seiner "Theoricae novae planetarum" ein aktuelles astronomisches Lehrbuch. Es sollte mehrere Dutzend Auflagen erleben. Damals ruhte die Erde noch unbewegt im Zentrum eines sehr kleinen Kosmos. Der wirbelte mitsamt der Sonne und den Planeten täglich um den Betrachter herum. Dieses Weltbild folgte dem Augenschein und wurde durch den "Almagest" des Claudius Ptolemäus, verfasst im 2. Jahrhundert n. Chr., mathematisch untermauert.

Peuerbachs Schüler, Johannes Regiomontanus, fand störende Widersprüche zwischen dem theoretischen Modell und dem tatsächlichen Anblick der Wandelgestirne am Himmel. Deshalb wollte er die ptolemäische Kosmologie mit eigenen, systematischen Himmelsbeobachtungen verbessern. Seine Werke, darunter das ab 1474 gedruckte Kalendarium, beeindruckten auch Hartmann Schedel, der ihn in seiner berühmten Weltchronik von 1493 als "Zier" der Deutschen rühmte. Regiomontanus gab einen von Übersetzungsfehlern bereinigten, kommentierten Auszug aus dem "Almagest" heraus: Das Schmuckblatt der "Epytoma in Almagestu Ptolemei" zeigt ihn neben Ptolemäus; eine Krone weist diesen als "König der Astronomie" aus.

Auch Petrus Apian studierte in Wien. Er stattete sein handkoloriertes "Astronomicum Caesareum" von 1540, gewidmet Kaiser Karl V., mit drehbaren Rechenscheiben aus. Sie sollten den Leser von der Mühe himmelskundlicher Kalkulationen befreien. Drei Jahre später erschien das epochale Werk "De revolutionibus orbium coelestium". Darin setzte Nikolaus Kopernikus endlich die Erde in Bewegung. Sie rotierte nun um ihre eigene Achse. Der vom täglichen Umschwung befreite Kosmos durfte jetzt auch wachsen. Gleichzeitig wurde unsere Welt zu einem von sechs Planeten degradiert, die auf Kreisbahnen um die zentrale Sonne zogen. Nur wenige Gelehrte wollten diesem Paradigmenwechsel folgen.

Martin Luther führte die Heilige Schrift gegen Kopernikus ins Treffen. Im Alten Testament hatte Josua einst die Sonne still stehen lassen; also müsse sich diese logischerweise bewegen – und nicht die Erde. Auch in das Buchexemplar von "De revolutionibus", das in der Ausstellung gezeigt wird, trug ein Leser Bibelzitate ein, um die neue Kosmologie zu widerlegen. Für Luthers Mitstreiter Philipp Melanchthon war sie ohnehin nicht mehr als ein Rechenmodell. Er setzte für die Bildungsarbeit weiter auf Johannes de Sacrobosco. Dieser hatte 300 Jahre zuvor mit der "Sphaera" ein Standardwerk des universitären Unterrichts geschaffen. Man zeigt es hier in einer deutschen Ausgabe von 1519.

Trotz seiner protestantischen Überzeugung wurde Johannes Kepler zum begeisterten Kopernikaner. Als Assistent des Dänen Tycho Brahe hätte er zunächst ein ganz anderes Weltbild fundieren sollen: Um nicht in "Gegensatz" zu Josua zu geraten, nagelte Brahe die Erde abermals im Zentrum des Universums fest. Die anderen Planeten liefen zwar um die Sonne, doch die musste ihrerseits wiederum Tag für Tag um die Erde herum jagen.

Neue Himmelskunde

Kepler nützte Brahes hervorragende Marsbeobachtungen jedoch zur Verbesserung des Kopernikus. Dazu ersetzte er die kopernikanischen Bahnkreise ganz korrekt durch Ellipsen. Diese neue Himmelskunde, die "Astronomia Nova", erschien 1609. Acht Jahre zuvor hatten Brahe und Kepler dem astrologiegläubigen Kaiser Rudolf II. versprochen, ein verlässliches Tabellenwerk zur Kalkulation künftiger Planetenstellungen zu verfassen. Kepler konnte diese "Tabulae Rudolphinae" aber erst 1627 auf der Frankfurter Buchmesse präsentieren. Gelehrte verglichen sie mit den Alphonsinischen Tafeln, die noch auf Ptolemäus fußten, und den "Prutenischen Tafeln", die Erasmus Reinhold auf Basis kopernikanischer Kreisbahnen berechnet hatte. Keplers Tafelwerk übertraf beide deutlich an Genauigkeit. Zusammen mit Galileis Fernrohrbeobachtungen sollte es den Siegeszug des neuen Weltbilds einleiten.

Keplers Gesetze beschrieben den Planetenlauf. Den Grund für ihre Gültigkeit – die Wirkung der Schwerkraft – erklärte Isaac Newton 1687 in den "Mathematischen Grundlagen der Naturphilosophie". Das bedeutsame Werk liegt in einer Amsterdamer Ausgabe von 1714 in der Ausstellung auf. In der Druckerstadt Augsburg hatte der Jurist Johannes Bayer 1603 den grandiosen Sternatlas "Uranometria" publiziert. Der Titel huldigte dem griechischen Himmelsgott Uranos und der Muse Urania, der Schutzherrin der Astronomie. Um Verwechslungen auszuschließen, ersann Bayer eine systematische Bezeichnungsweise für Fixsterne. Jeder Stern erhielt einen Buchstaben des griechischen Alphabets, gefolgt vom lateinischen Sternbildnamen im Genitiv: So kamen Alpha Centauri, Beta Lyrae oder Delta Cephei zu ihren Namen.

Bayers Kupferstiche ließen die alten Sternbildfiguren in all ihrer Pracht aufleben, auch den Skorpion, den Schützen oder den Steinbock. Doch nur sechs Jahre später kam es zu einer astronomischen Revolution: Galileo Galilei richtete erstmals ein Fernrohr zum Himmel. Die Objektivlinse sammelte mehr Licht als das freie Auge. Bald galt es, die rasch wachsende Zahl neuentdeckter Sterne in die Himmelskarten einzutragen. Die kunstvollen, oft kolorierten Sternbildfiguren standen im Weg. In seiner "Vorstellung der Gestirne" rang Johann Elert Bode 1782 noch um einen Kompromiss. Doch 1839 stellte Joseph Johann von Littrow, Direktor der Wiener Universitätssternwarte, die Figuren nur noch schemenhaft in seinem "Atlas des gestirnten Himmels" dar. Sie sollten später völlig verschwinden.

Das Teleskop veränderte die Sicht auf den Kosmos auch in anderer Weise: Seine vergrößernde Wirkung ließ Einzelheiten auf dem Mond und den Planeten erkennen, machte diese zu richtigen, individuellen Welten. 1646 musterte Francesco Fontana die Mondoberfläche. Sein Holzschnitt zeigte unter anderem drei Krater mit auffälligen Strahlensystemen. Er versah sie mit den Buchstaben D bis F. Giovanni Battista Riccioli, Autor der 1665 erschienenen "Astronomiae reformatae", nannte sie "Tycho", "Copernicus" und "Kepler". Indem er Philosophen und Wissenschafter als Namensspender wählte, legte er den Grundstein der heutigen Kraternomenklatur. Im Glauben, die Mondphasen beeinflussten das irdische Wetter, ersann er lyrische Namen für die dunklen, detailarmen Gebiete: So kamen das "Meer der Ruhe", das "Meer der Heiterkeit", das "Regenmeer" oder der "Ozean der Stürme" auf den Mond.

Flecken auf der Sonne

Ganz im Gegensatz zum antiken Dogma entpuppte sich auch die Sonne nicht als reine, völlig makellose Kugel. Jesuitenpater Christoph Scheiner projizierte das Sonnenbild auf ein Blatt Papier. So hielt er Lauf und Entwicklung der rätselhaften Flecken (lat. maculae) fest. Der Titel seines 1650 gedruckten "Prodomus pro Sole mobili, et Terra stabili" verdeutlicht, wie hartnäckig die katholische Kirche an der "stabilen", also unbewegten Erde festhielt. Die Schrift wandte sich ausdrücklich gegen Galilei. An dessen Werke erinnert in der Ausstellung die dreibändige Ausgabe der "Opere di Galileo Galilei" von 1718.

Francesco Fontana zeigte seinen Lesern auch den Planeten Jupiter – samt Wolkenbändern und dem 1610 von Galilei entdeckten Mondquartett. Für das verwirrende, "dreigestaltige" Aussehen des Saturn hatte Galilei keine Erklärung gefunden. Erst Christiaan Huygens interpretierte die beiden "Ohren", "Henkel" oder "Sicheln", die scheinbar aus der Saturnkugel ragten, richtig: Im "Systema Saturnium" von 1659 sprach er von einem geschlossenen, rotierenden und frei schwebenden Ring. Saturn galt bis 1781 als Außenposten des Sonnensystems. Dann entdeckte Wilhelm Herschel einen noch viel ferneren, siebenten Planeten. Bode schlug den Namen "Uranus" vor.

Herschels Himmelsdurchmusterungen, vorgestellt im 1791 erschienenen Buch "Über den Bau des Himmels", sollten das Weltbild neuerlich verändern. Aus Sternzählungen schloss er auf eine elliptische Gestalt unserer Galaxis. Zudem erklärte er manche der im Teleskop sichtbaren Nebelflecke zu ähnlich sternreichen Galaxien – wenngleich fast zwei Millionen Lichtjahre entfernt und entsprechend alt. Kopernikus, Kepler oder Newton wären angesichts solch gewaltiger Dimensionen von Raum und Zeit erstarrt.

Die Ausstellung "Astronomisches Weltbild im Wandel" ist vom 20. April 2007 bis zum 2. Juni im Foyer der Wiener Universitätsbibliothek zu sehen (Hauptgebäude der Universität, Dr. Karl Lueger-Ring 1, 1010 Wien). Die Eröffnung der Ausstellung findet am 19. April 2007 um 19.00 Uhr im Kleinen Lesesaal der Hauptbibliothek statt. Univ. Prof. Dr. Franz Kerschbaum und DDr. Thomas Posch halten Vorträge zum Thema. Näheres unter: http://www.ub.univie.ac.at/events/001403.html

Christian Pinter, geboren 1959, lebt als Fachjournalist in Wien. Dieser Text ist sein 200. astronomischer Artikel im "extra" (seit 1991).

Printausgabe vom Samstag, 14. April 2007
Online seit: Freitag, 13. April 2007 16:47:00

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