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Artikel aus dem EXTRA LexikonPrint this

Vor zweihundert Jahren entdeckte der Astronom William Herschel "Streifzüge" Geheimnisse des Sternenlebens

Neuer, nebliger Weltstoff

Herschel schrieb den Himmelsnebeln eine Entwicklung zu, die vom diffusen Lichtnebel über die Geburt von Einzelsternen bis hin zu dicht gedrängten Sternhaufen reichte. Manche entlarvte er als Galaxien ähnlich unserer Milchstraße. Grafik: Pinter

Herschel schrieb den Himmelsnebeln eine Entwicklung zu, die vom diffusen Lichtnebel über die Geburt von Einzelsternen bis hin zu dicht gedrängten Sternhaufen reichte. Manche entlarvte er als Galaxien ähnlich unserer Milchstraße. Grafik: Pinter

Von Christian Pinter

Slough bei Windsor, 1807: In fast jeder klaren Nacht mustert der nach England ausgewanderte Hannoveraner William Herschel das Firmament. Bescheiden nennt dies der 68-Jährige " Streifzüge " am Himmel. Doch in Wahrheit unternimmt er eine höchst systematische Inventur des Sternenzelts. Längst haben seine selbstgebauten Instrumente das matte Band der Milchstraße in den "vereinigten Glanz " zahlloser Sterne aufgelöst. Je mehr Lichtpunkte im engen Bildfeld auftauchen, desto weiter scheint die Galaxis ins All hinaus zu greifen. Die solcherart abgesteckte kosmische Heimat ist zwar sehr schmächtig, lässt jedoch eine linsenförmige Gestalt erahnen.

Immer öfter zeigen Herschels Fernrohre auch kleine, diffuse Flecken mit ebenfalls linsenähnlichem Umriss, anmutend wie ferne Artgenossen unserer Galaxis. Diese ist also nicht die einzige im Universum. Erst 1924 wird sich die Astronomie offiziell Herschels Befund anschließen.

Offene Sternhaufen

Schon die alten Griechen hatten zwischen tausenden Sternpünktchen ein halbes Dutzend schwacher Lichtwolken ausgemacht. Im 17. und 18. Jahrhundert entdeckten Fernrohrbeobachter weitere Nebel (nach lat. nebula , Dunst oder Wolke). Bei entsprechender Vergrößerung zerfielen etliche davon in eng gestaffelte Sterngruppen. Mit noch besseren Teleskopen, so glaubt zunächst auch Herschel, würden sich wohl alle als bloße Ansammlungen lichtschwacher Sternchen entpuppen. Bei seinen Himmelsdurchmusterungen trägt er 2500 Nebel zusammen. In manchen, wie dem M-67 im Krebs, zählt er 200 Sterne. Offenbar bindet die Gravitation, wie sie Isaac Newton 1687 in der "Principia" beschrieben hatte, auch die Sonnen dieser Sternhaufen aneinander.

Die sogenannten " Offenen Sternhaufen" sind aber locker genug, um zwischen ihre Lichtpünktchen hindurch zu blicken. Bei M-53 im Haar der Berenike gelingt dies Herschel aber nicht mehr. Im Nebel zeigt sich ihm die "Gestalt einer gediegenen Kugel ". In den Kugelsternhaufen drängen sich ferne Sonnen so dicht zusammen, dass sie scheinbar zu einer einzigen, bestenfalls marmoriert anmutenden Lichtscheibe verschmelzen. Das Teleskop vermag nur den Rand in klar erkennbare Sternchen aufzulösen.

Schon 1782 stößt Herschel aber auch auf ein völlig sternloses, nach außen hin scharf abgeschnittenes Nebelscheibchen: Es wirkt wie eine matte Kopie des Planeten Uranus, den Herschel ein Jahr zuvor entdeckt hatte. Der erste Planetenfund seit dem Altertum sicherte dem Amateurhimmelserforscher Weltruhm, verhalf ihm dazu, Mitglied der Royal Society in London zu werden, und beförderte ihn zum Hofastronomen Georgs III. Er denkt sich für den NGC-7009 und ähnliche Himmelsobjekte die Bezeichnung " Planetarische Nebel " aus.

Anfangs hält er auch deren einförmigen Schimmer für den Sammelglanz fernster Sonnen. Doch 1790 erspäht er genau im Mittelpunkt des "höchst sonderbaren " NGC-1514 im Stier einen einzelnen, hervortretenden Lichtpunkt! Bestünde die Nebelscheibe wirklich aus unzählbaren Sonnen, müsste sie um vieles heller strahlen als dieser Zentralstern! Doch dem ist nicht so. Daher macht Herschel ein " leuchtendes Fluidum" von " äußerster Zartheit" für den nebelhaften Schimmer verantwortlich.

Im Sternbild Orion liegt der unregelmäßig begrenzte, weit ausgedehnte Nebel M-42. Auch sein Licht ist " von der milchigen Art". Offenbar besteht der Orionnebel ebenfalls aus dem neu entdeckten "nebligen Weltstoff" . Über dessen Beschaffenheit kann Herschel nur wenig sagen; jede Vermutung "möchte anmaßend sein" . Die Existenz der dünnen Nebelmaterie wird erst 1864 bewiesen werden: Sie besteht primär aus Wasserstoff, dem mit Abstand häufigsten chemischen Element des Universums – fürwahr ein "Weltstoff"!

Für Herschel sind die Nebel trotz des vielfältigen Erscheinungsbilds bald keine grundsätzlich unterschiedlichen Objekte mehr, sondern bloß verschiedene Stationen eines Entwicklungswegs. Für den Übergang von einem Stadium zum nächsten stünde eine " Ewigkeit " zu Gebote, erklärt er, wobei " Millionen Jahre vielleicht nur Momente" wären. Nur deshalb vermöchten wir die einzelnen Entwicklungsschritte im Nebeldasein nicht zu beobachten. Auf Erden ist alles einfacher: Hier kann man den kurzen Lebensweg einer Pflanze "live" mitverfolgen. Der ließe sich aber auch rekonstruieren, erklärt Herschel, lägen gleichzeitig etliche Exemplare dieser Pflanze in unterschiedlichen Wachstumsphasen vor: im "Aussprossen, Blühen, Belauben, Fruchttragen, Verwelken, Verdorren und Verwesen".

Und genau diese Methode setzt er ein, um den " Bau des Himmels" zu erforschen. 1802 teilt er Sterne und Nebel in ein Dutzend von Klassen auf und arrangiert sie entlang einer mutmaßlichen Entwicklungslinie. Sein Leitmotiv ist die "allgemeine Gravitation der Materie" , die alles zu " Anhäufung " und " Zusammendrückung " drängt.

Sein zarter Weltstoff bildet zunächst eine sternlose, irreguläre Nebelmasse, die sich dann zu einem Planetarischen Nebel zusammenballt. In dessen Zentrum soll nach weiterer, " trillionenfacher " Verdichtung eine neue Sonne aufstrahlen, anfangs noch von Resten der Nebelmaterie eingehüllt. Millionen derartiger junger Sterne wären – meint der Himmelserforscher – zunächst relativ gleichmäßig in der Milchstraße verstreut. Doch auch sie zögen einander an. Befänden sich nur wenige davon in gegenseitiger Reichweite, entstünde ein lockerer Offener Haufen. Scharten sich hingegen viele Sonnen um eine deutlich größere, forme die Schwerkraft einen kompakten Kugelsternhaufen.

Herschel kann aber Entfernung und wahre Größe seiner Nebel bestenfalls grob abschätzen. Deshalb unterlaufen ihm Schnitzer. Heute wissen wir: Sterne verdichten sich tatsächlich aus kalten Wolken von Wasserstoffgas. Sie werden allerdings kaum einzeln, sondern meist zusammen mit Dutzenden Sterngeschwistern geboren: so entstehen Offene Sternhaufen. Die UV-Strahlung der jungen Sterne regt das verbliebene Nebelgas zwar zum Leuchten an, zerstreut es aber auch. Später werden die Stern-Ensembles selbst aufgerieben. Sonnen blicken also nicht zunehmender Geselligkeit entgegen, sondern fortschreitender Vereinsamung.

Die Kugelsternhaufen bestehen aus Hunderttausenden von uralten Sonnen und besitzen eine andere Vita – entstammen sie doch der Frühphase der Milchstraßenentwicklung. Und die Planetarischen Nebel markieren in Wahrheit nicht den Beginn, sondern das Ende eines Sternenlebens: Ist der stellare Brennstoffvorrat aufgebraucht, blasen Sonnen rund die Hälfte ihrer Masse ins All. Das davoneilende Gas leuchtet noch ein paar Jahrtausende lang – dank der Strahlung des überheißen, freigelegten Sternenkerns. Trotz all der Makel, die Herschels Werk enthalten, ist es epochal. Denn es gibt dem Kosmos erstmals eine wohl überlegte und auf eigenen Beobachtungen fußende Entwicklungsgeschichte.

Besuch von Haydn

Joseph Haydn besucht William Herschel. Der Blick durchs Teleskop erschüttert den frommen österreichischen Musiker. Dieses Erlebnis mag eine Inspiration zum Oratorium "Die Schöpfung" gewesen sein, in dem Haydn dem biblischen Bericht getreulich folgt. Doch bei Herschel ist die Schöpfung kein einmaliger, abgeschlossener Akt. Sein Kosmos durchläuft vielmehr einen langsamen, doch keineswegs abgeschlossenen Prozess der Veränderung. Im konservativen England, wo Wissenschaftler häufig kirchliche Ämter bekleiden, irritiert seine dynamische Kosmologie.

Kritiker werfen ihm vor, Gott aus der Schöpfung streichen zu wollen. Manche stellen das theoretische Wissen Herschels in Frage; vielen sind seine Schlussfolgerungen zu kühn, zu voreilig. Selbst sein Sohn John, ebenfalls begnadeter Himmelsforscher, wird den Kollegen raten, sich auf die Beobachtung der Nebel zu konzentrieren – und nicht auf Hypothesen zu ihrer Entwicklung.

Doch die Astronomen können nicht alle Beobachtungen Herschels nachvollziehen. Kein anderes zeitgenössisches Instrument reicht an dessen Riesenteleskop heran: Ein Spiegel von 1,2 m Durchmesser sammelt bis zu 30.000 mal mehr Licht als das freie Auge. Damit dringt Herschel nicht nur tiefer in den Raum vor – sondern auch sehr weit zurück "in die Vergangenheit" : Für ihn ist das Licht besonders entfernter Galaxien " fast zwei Millionen Jahre unterwegs" . Zumindest bei den allernächsten Milchstraßen wird sich diese Schätzung als richtig erweisen. Die Galaxien müssen daher, so weiß der Hofastronom, "seit so vielen Jahren . . . schon am gestirnten Himmel existiert haben".

Über den Autor Christian Pinter, geboren 1959, schreibt seit 1991 über astronomische Themen im "extra". Internet: members.aon.at/dr.c.pinter/

Printausgabe vom Samstag, 30. Juni 2007
Online seit: Freitag, 29. Juni 2007 11:53:00

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