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Artikel aus dem EXTRA LexikonPrint this

Die internationale Raumstation ISS ist Star eines neuen IMAX-Films, der nun auch in Wien zu bestaunen ist

Drehort Weltraum

Von Christian Pinter

Wenn heute, am Freitag, den 10. Jänner, der Film "Space Station 3D" im Wiener IMAX anläuft, ist die internationale Raumstation seit 801 Tagen bewohnt. Sie schießt mit 27.600 km/h durch das All, umrundet unseren Planeten alle 92 Minuten. Seit dem Start ihres ersten Moduls hat sie 23.600 Erdumrundungen absolviert und damit bereits mehr Sonnenauf- und -untergänge gesehen, als viele Erdenbewohner im Laufe ihres Lebens.

Das Mammutprojekt ISS steht im Zentrum des neuen IMAX-Streifens. 16 Weltraumagenturen aus den USA, Russland, Japan, Kanada, Brasilien und Ländern Europas haben 1993 den Bau des orbitalen Großlabors beschlossen. Es muss im All zusammengesetzt werden. Die einzelnen Module werden mit dem US-Shuttle oder der russischen Schwerlastrakete Proton in die Umlaufbahn gehievt. Dort bilden sie Wohnraum und Labor für zunächst drei Astronauten, die sich laut Plan jeweils vier bis fünf Monate lang in der ISS aufhalten. Dann sorgt der Shuttle für Ablöse, bringt das nächste Team hoch. Unbemannte russische Progress-Schiffe liefern Ausrüstung und Proviant nach.

Zweimal im Jahr bekommt die Stamm-Mannschaft Kurzbesuch von drei Gästen, die in einer russischen Sojus anreisen. Diese verweilen etwa eine Woche und kehren dann mit einer "alten", zuvor angedockten Sojus heim. Die neue bleibt wiederum sechs Monate lang mit der Station verbunden. Sie fungiert als Rettungsboot, falls die drei Stammbewohner ihre Heimstätte rasch verlassen müssten. Seit November 2002 werkt die sechste Mannschaft an Bord.

Bislang sind 16 Shuttle-, 2 Proton-, 6 Sojus- und 9 Progress-Starts erfolgt. Die Station besteht jetzt aus sechs Modulen und hält bei 179 Tonnen Masse. Längst ist sie der mächtigste aller je gebauten Satelliten, würde bei weitem nicht mehr in den Zuschauerraum des IMAX passen. In den nächsten 13 Monaten wird ihre "Spannweite" abermals wachsen, auf ganze 108 m. Nach Bauabschluss sollte die ISS eineinhalb Jahrzehnte lang Herberge für jeweils sieben Astronauten sein. Man hinkt jedoch hinter dem Bauplan her. Ob der anvisierte Endzustand je erreicht wird, ist fraglich.

In Griffweite

Der neue IMAX-Film läuft in Wien täglich, 30-mal die Woche. Um ihn zu drehen, bildete man 25 Raumfahrer zu Kameraleuten, Beleuchtungs- und Tontechnikern aus - und entwickelte weltraumtaugliche 3D-Spezialkameras. Eine wurde von Modul zu Modul bewegt, um den Alltag auf der ISS zu filmen. Die andere kam mehrmals in die Ladebucht des Shuttle, hielt Außenbordaktivitäten der Astronauten und das Wachsen des orbitalen Komplexes fest. Insgesamt waren sieben Shuttle-Crews und zwei ISS-Besatzungen involviert. Zwischen 1998 und 2001 belichteten sie und Mitarbeiter am Boden 20 km Film.

Die Idee, einen Außenposten im All als Filmstudio zu nutzen, ist nicht einzigartig. Um Geld für den Betrieb der MIR aufzutreiben, war Anfang 2000 etwa ein Spielfilmdreh in der mittlerweile abgestürzten russischen Station geplant. Doch dieses Projekt scheiterte mangels Financiers. Solche Probleme hatte "Space Station 3D" nicht. Hier zeichnen das Unternehmen IMAX, das weltweit 83 Lichtspieltheater mit Großleinwänden und 3D-Technik betreibt, die Lockheed Martin Corporation, tätig in Raumfahrt, Luftfahrt und Rüstung, und die NASA selbst verantwortlich. Das Trio hat Übung, produzierte seit 1985 Streifen wie "The Dream is alive", "Blue Planet" oder "Destiny in Space".

"Space Station 3D" ist aber der erste Weltraumfilm mit dreidimensionalen Effekten. Dazu schenkte man jeder Spezialkamera zwei Linsen. Diese simulierten das menschliche Augenpaar, bildeten das Geschehen doppelt ab - aus leicht unterschiedlicher Perspektive. Im umgebauten, seit Juni 1992 neu eröffneten Wiener IMAX rollen deshalb zwei Filmstreifen gleichzeitig durch den Projektor. Die 70 mm großen Bilder werden enorm "aufgeblasen", damit sie die 29 × 21 m weite Projektionsfläche ausfüllen. Es ist die mächtigste Leinwand Europas.

Um die Doppelbilder optisch zu trennen, schaltet man Polarisationsfilter in den Strahlengang. Ähnliche trägt auch der Zuseher auf der Nase, und zwar in Form einer übergroßen Brille. Das linke Auge erblickt, was die eine Kameralinse festhielt, das rechte Auge, was die andere abbildete. So entsteht ein dreidimensionaler Eindruck, scharf, hell und farbig. Der ist nicht mit jenem Bild zu vergleichen, das die bekannteren 3D-Brillen mit roter und grüner Farbfolie liefern würden.

Die Raumfahrzeuge kleben im IMAX somit nicht auf der Leinwand; sie scheinen vielmehr in Griffweite des Betrachters zu schweben. Der ist versucht, den Arm auszustrecken, um den Astronauten die Hand zu reichen. Ein anderes Mal möchte er den Kopf einziehen, wenn ihm Blechtrümmer, beim Start der gewaltigen Proton fortgeschleudert, entgegenschießen. Es kommt buchstäblich einiges auf den Besucher zu. Solche Effekte begeistern wohl selbst Zeitgenossen, die Raumfahrt uninteressant finden.

Arbeitspferd

24.000 Watt Verstärkerleistung lassen ahnen, wie es klingt, wenn das "Arbeitspferd" der NASA mit seinen Hufen schlägt: Der Space Shuttle trägt die meiste Last beim Bau der ISS. Beim Start verwandeln seine drei Haupttriebwerke jede Sekunde eine halbe Tonne flüssigen Sauer- und Wasserstoff in über 3.000 Grad C heißen Wasserdampf. Die Fähre hebt mit mächtigem Gedröhne ab. In der Ladebucht trägt sie das US-Modul Unity (engl., Einheit).

Im Orbit trifft der Shuttle auf das erste, russische Modul Sarja (russ., Morgenröte). Es wurde 1998 in Baikonur, Kasachstan, gestartet - an der Spitze einer russischen Proton. Astronautin Nancy Curry verbindet die beiden Zylinder. Ein drittes, wieder russisches Modul namens Swesda (russ., Stern) folgt.

Endlich hält auch eine Mannschaft Einzug auf der Station. Nach 20 Wochen Aufenthalt folgt die zweite. IMAX-Besucher erleben diese historischen Augenblicke mit, leisten den beiden ersten ISS-Crews Gesellschaft. Sie erfahren, wie Mahlzeiten, Fitnesstraining, Körperpflege oder Schlaf unter Schwerelosigkeit funktionieren. Sie spüren die Enge an Bord und genießen den weiten Blick zur Erde, deren Ozeane, Wolkenspiralen und Kontinente 390 km unterhalb der Station vorbeiziehen.

Aus dem Ruder

Die amerikanischen und russischen Raumfahrer, die für den Streifen vor und hinter den Kameras agierten, wussten es wohl noch nicht: Während sie um die Erde kreisten, ist ihre Station "aus dem Ruder gelaufen", zumindest finanziell. Schon im Jahr 2000 lagen die NASA-Ausgaben um 4 Milliarden US-Dollar höher als geplant. Die Baukosten explodierten: 1993 noch mit 17,5 Milliarden veranschlagt, wurden jetzt über 30 prognostiziert.

Im Sommer 2001 trat deshalb eine Sonderkommission zusammen. In ihrem Bericht lobte sie zwar die herausragenden technischen Leistungen beim Stationsbau, kritisierte jedoch Managementstruktur und Kostenschätzung der NASA. Auch der weitere budgetäre Fahrplan sei unrealistisch. Während die ISS-Betreiber von einer bald siebenköpfigen Stationsbesatzung träumten, wurde die vorläufige Streichung zweier US-Module vorgeschlagen - und die zeitweilige Einstellung der Entwicklungsarbeiten an der neuen Rettungskapsel. Das siebensitzige Gefährt hätte die dreisitzige Sojus ersetzen sollen.

Außerdem müssten die Shuttle-Flüge reduziert werden. Denn die teuren "Arbeitspferde" Columbia, Discovery, Atlantis und Endeavour starten vorwiegend zur ISS. Fazit der Kommission: Erst wenn die NASA ihre Ausgaben wieder fest in den Griff bekommen hätte, sollte an Erweiterungen über den Stationskern hinaus gedacht werden. Andernfalls würden eben nie mehr als drei Personen gleichzeitig auf der ISS arbeiten können.

Partnerländer reagierten irritiert. Da das ISS-Projekt klar unter US-Führung steht, gingen allfällige Verkleinerungen wahrscheinlich vor allem auf ihre Kosten. So mancher Astronaut aus Russland, Europa oder Japan bliebe dann wohl am Boden. Allerdings leiden auch die Partner an Engpässen. Die europäische ESA, die jährlich 280 Millionen Euro beisteuert, sucht bereits neue Finanzierungsmöglichkeiten. Jüngst hat sie eine belgische Firma beauftragt, nach Chancen für eine kommerzielle ISS-Nutzung zu fahnden.

Der Chef des russischen Unternehmens Energia, das Progress- und Sojus-Kapseln "am Fließband" produziert, schrieb der NASA einen sorgenvollen Brief: Mangels staatlicher Rubelzahlungen könne er wohl schon 2003 nicht mehr alle vereinbarten Raumschiffe liefern, klagte er.

Mittlerweile sind gut zwei Drittel des Stationskerns fertig, die drei ISS-Bewohner vor allem mit Wartungsarbeiten beschäftigt. Für die Forschung haben sie nicht besonders viel Zeit. Blieben sie auch in Zukunft allein, müssten die geplanten wissenschaftlichen Experimente reduziert werden. Das wäre Wasser auf die Mühlen jener, die den Sinn der ganzen Station anzweifeln. Denn je weniger Forschung geleistet wird, desto fragwürdiger ist der Außenposten; sein kostspieliger Bau geriete zum Selbstzweck.

Zudem bindet die ISS Mittel, die sonst anderen Raumflugprojekten zugute kämen. Der Chefredakteur eines populären amerikanischen Astronomiemagazins formulierte es drastisch: Während sich Astronomen verrenken müssten, um Ausgaben für unbemannte Weltraumsonden zu rechtfertigen, bekäme die ISS ihre Milliarden "auf leere Versprechungen" hin.

Versuchskaninchen

Die NASA nennt 93 wissenschaftliche Experimente, die von den ersten fünf ISS-Crews abgewickelt wurden. Man untersuchte vor allem Prozesse, die im Orbit der fehlenden Schwerkraft wegen reiner und störungsfreier ablaufen. Die im Kosmos gewonnenen Erkenntnisse sollen später zur Entwicklung neuer Produkte oder Herstellungsverfahren auf Erden führen. Das Studium des Wachstums von Zeolithkristallen könnte zum Beispiel in effizientere Chemikalienfiltern münden, das von Proteinkristallen in wirkungsvollere Medikamente. Schwerpunkt sind derzeit medizinische Tests. Die "Versuchskaninchen" hat man schon an Bord: die Raumfahrer selbst. Man interessiert sich für deren Lungenfunktion, die Bildung etwaiger Nierensteine oder die Schwächung des Immunsystems.

Dass ISS-Experimente Früchte abwerfen, stellen auch Kritiker kaum in Abrede. Allerdings orten sie angesichts der enormen Baukosten ein Missverhältnis zwischen Investition und vermuteter Rendite. Setzte man die Milliarden direkt zur Forschungsförderung auf Erden ein, so die Argumentation, wäre das effizienter. Befürworter der Raumstation bestreiten das. Im übrigen würde das Geld ja nicht einfach "ins All geschossen": Vielmehr sichere es 100.000 Menschen in 16 Nationen ganz oder teilweise Beschäftigung. In Reaktion auf die Kostenexplosion schrieb der Kongress die Obergrenze für den US-Anteil am Bau der ISS mit 25 Milliarden Dollar fest. Die Summe klingt horrend, lässt sich aber relativieren: Die US-Militärs geben den gleichen Betrag Monat für Monat aus.

Gestutzt wurden auch die Mittel für die siebenköpfige Fluchtkapsel. Ein Dilemma: Halten die internationalen Partner doch an ihrer Forderung fest, die Station mit mehr als drei Mann zu besetzen. Eventuell könnte man zwei Sojus-Kapseln gleichzeitig als Rettungsschiffe verwenden. Jedoch wurde deren Produktion mit den Russen zunächst nur bis 2006 vereinbart. Unlängst schlug NASA-Chef Sean O'Keefe vor, einen "Mini-Shuttle" zu konzipieren. Er soll an der Spitze einer Trägerrakete von Boeing oder Lockheed Martin starten und so ab 2010 zumindest preisgünstigeren Passagiertransport zwischen Erde und ISS ermöglichen. Unklar ist, für wie viele Personen dieses Fahrzeug ausgelegt wird - und ob der US-Kongress die Entwicklungskosten überhaupt bewilligt.

Fiktiv an Bord

"Space Station 3D" lief in den USA schon 2001 an. Die finanziellen Probleme bleiben noch unerwähnt. Der Kommentar, im Original vom Schauspieler Tom Cruise gesprochen, ist an einigen Stellen salopp. Der Schluss suggeriert dem Betrachter, er werde vielleicht selbst einmal auf der ISS arbeiten. Statistisch gesehen ist die persönliche Chance, dort je als Stamm-Crew-Mitglied Einzug zu halten, bescheiden - kleiner als eins zu eine Million für den US-Amerikaner.

Der heimische IMAX-Besucher müsste hier gar auf ein Wunder hoffen. Österreich hat sich nicht am Bau der ISS beteiligt. Der neue Streifen gibt ihm wenigstens die Chance, fiktiv an Bord zu gehen. Und die werden bis zu 381 Menschen pro Vorstellung nützen.

Informationen und Kartenreservierungen unter: IMAX Wien, 1140 Wien, Mariahilfer Straße 212. Tel. (01) 89 40 10 bzw. online unter http://www.imax.at

Freitag, 10. Jänner 2003 00:00:00
Update: Dienstag, 01. März 2005 12:17:00

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