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Artikel aus dem EXTRA LexikonPrint this

Vor 175 Jahren starb Joseph Fraunhofer -seine Entdeckung der "dunklen Linien" im Sonnenlicht ermöglichte tiefe Einblicke ins All

Zollstock für die Unendlichkeit

Von Christian Pinter

München, 21. Juli 1801: Es grenzt an ein Wunder, dass man den 14-jährigen Joseph vier Stunden nach dem Hauseinsturz unversehrt aus den Trümmern ziehen kann. Die Frau seines Lehrherren hat die Katastrophe nicht überlebt. Auch Kurfürst Maximilian und Geheimrat Joseph Utzschneider finden sich am Unglücksort ein. Ihnen erzählt der Gerettete seine Geschichte.

Zur Welt gekommen ist Joseph am 6. März 1787 in Straubing, als letztes Kind des Glasers Franz Fraunhofer. Schulbesuch war zu teuer. So lernte er in der väterlichen Werkstatt. Sieben Geschwister starben früh; dann folgten auch Mutter und Vater. Zunächst nahm ein Holzdrechsler das Waisenkind auf; doch für diese Arbeit war Joseph zu schwach. Im Alter von 12 Jahren landete er als Lehrling beim gestrengen Münchner Spiegelmacher und Zierglasschleifer Philipp Weichselberger. Dort musste er sich auch um den Haushalt kümmern. Lesen wurde ihm verboten. Nicht einmal sonntags ließ man ihn zur Schule.

Kurfürst Maximilian, der spätere König von Bayern, ist von Josephs Schilderung gerührt. Er versichert ihm seines väterlichen Schutzes und überreicht ihm 18 Dukaten. Geheimrat Utzschneider schenkt ihm außerdem Bücher über Optik und Mathematik. Von nun an wird Joseph die Sonntagsschule besuchen. 1804 kauft er sich vom letzten Teil der Lehre frei.

Arbeit in der Glashütte

1806 bietet ihm Utzschneider an, in seiner optischen Werkstatt mitzuarbeiten. Dort werden geodätische Instrumente gebaut. Die Eroberungen Napoleons haben Bayern in den französischen Machtbereich gebracht. Die Regierung will genaue topografische Karten. Bayern wird vermessen. Dazu braucht man eine große Zahl transportabler Fernrohre mit Fadenkreuz und Kreisskalen, sogenannte "Theodolite". Mit ihrer Hilfe lassen sich Details im Gelände anvisieren und dabei die Winkel zu bereits bestimmten Messpunkten ermitteln. Die Kartierungsarbeiten werden, nebenbei, zu einer Neuregelung der Grundsteuern führen.

Der Erfinder Georg Reichenbach kennt die Messgeräte der führenden englischen Werkstätten, will den bayerischen Bedarf jedoch aus eigener Erzeugung decken. Er kann hervorragende Winkelskalen herstellen, hat aber keine Optiken. So tut er sich mit Utzschneider zusammen. Die Theodolite entstehen zunächst in München, dann 50 km weiter südlich in Benediktbeuern.

Das dort im 8. Jh. gegründete Kloster ist 1803 säkularisiert und dann von Utzschneider erworben worden. Beim Sichten der klösterlichen Bibliothek findet sich eine Sammlung von über 300 mittelalterlichen Liedern - Carl Orff macht später einige davon unter dem Titel "Carmina Burana" bekannt.

Beim ehemaligen Waschhaus richtet Utzschneider eine Glashütte ein. Dort stellt der Schweizer Pierre Guinand ab 1807 Rohlinge aus Kron- und Flintglas her. Die Brechung des Glases wird von seinen Ausgangsstoffen Sand, Soda, Kalk oder Blei und diversen Zuschlägen bestimmt. Die müssen in der Schmelze freilich völlig durchmischt werden. Jede Inhomogenität führt zu Stellen mit abweichender Brechung im Glas, den gefürchteten Schlieren. Das Rührwerk muss hart sein und darf vom heißen Rohglas, das wie ein Lösungsmittel wirkt, nicht angegriffen werden; Verunreinigungen wären sonst unvermeidlich. Guinand forscht jahrelang, schließlich umgibt er einen Eisenstab mit einem Mantel aus gebranntem Ton.

Ein solcher Rührfinger hängt von einem Tran unterhalb der Dachkonstruktion herunter, taucht in die rotglühende, zähflüssige Glasmasse ein. Arbeiter halten ihn mit einer riesigen Kurbel in Bewegung. Für die nötige Hitze von 1300° C sorgen zwei mannshohe, gut drei Meter durchmessende Öfen mit Holzfeuerung. Alles wirkt simpel, brachial. Niemand ahnt, dass die Hütte knapp zwei Jahrhunderte später als eines der ältesten Industriedenkmäler Bayerns Berühmtheit erlangen wird.

Die abgekühlten Rohlinge werden zerschnitten. Dann gibt Joseph den Linsen per Hand den richtigen Schliff. Die fertigen Optiken können nie besser als das Ausgangsmaterial sein. So kommt es zwischen Fraunhofer und Guinand immer wieder zu hitzigen Debatten. 1814 verlässt der Schweizer Benediktbeuern und Fraunhofer tritt als Partner in das Unternehmen ein.

Joseph hat einen umfassenden Produktionsplan ausgearbeitet. Wirklich gute Optiken zu erzielen ist aber noch Glückssache. Die Probleme wachsen mit dem Linsendurchmesser. Also studiert Fraunhofer systematisch Arbeitsschritt um Arbeitsschritt. Er interessiert sich für die Zusammensetzung der Schmelze ebenso wie für ihr optimales Volumen oder den Abkühlungsvorgang, bei dem Spannungen im Glas auftreten können. Außerdem konstruiert er Maschinen für den gleichmäßigen Linsenschliff.

Die Produkte werden säuberlich mit "Utzschneider, Reichenbach und Fraunhofer in Benedictbeurn" signiert. Die Palette reicht von einfachen Lupen über Operngläser, Seefernrohre, Mikroskope und Theodolite bis hin zu kleinen und größeren astronomischen Teleskopen. Ihre Tuben sind aus Messing oder Holz gefertigt. Joseph testet die Geräte. Auch das beigelegte Anleitungsbuch stammt aus seiner Feder. Zur Erholung unternimmt der blasse Mann, der kein Bier verträgt, bis zu zehn Stunden lange Wanderungen, lässt sich mit dem Floß auf der Isar nach München treiben.

Kopfzerbrechen bereitet die richtige Auswahl der beiden Linsen, aus denen sich ein gutes Objektiv zusammensetzt. Denn eine einzelne Fernrohrlinse vereinigt farbiges Licht nicht exakt im selben Brennpunkt. Blaues wird etwas stärker gebrochen als grünes, gelbes oder gar rotes. Fazit: jeder Bildpunkt bleibt von einem farbigen Saum umgeben. Die Abbildung wird unscharf, die Trennschärfe sinkt.

Bildstörungen

Der Fehler hängt zwar auch von der Glassorte ab, lässt sich aber niemals völlig ausschalten. Er wird erträglicher, wenn man die Linse weniger "bauchig" schleift, die Brennweite hundertmal weiter als den Durchmesser macht. Bei 10 cm Öffnung entsteht so ein Fernrohr von 10 m Länge. Der Tubus biegt sich durch. Johannes Hevelius ließ ihn im 17. Jh. bei seinem 45 m langen Teleskop in Danzig daher gleich ganz weg. Doch solche offenen "Luftfernrohre" waren denkbar unbequem in der Handhabung.

Spiegelfernrohre, wie sie auch Isaac Newton entworfen hat, versprechen Abhilfe. Anstatt das Licht durch Glas zu schicken, lässt man es hier von einem kugelförmigen Hohlspiegel reflektieren. Man entgeht dem Farbproblem. Allerdings stehen zunächst nur polierte Metallspiegel zur Verfügung. Gewaltige Durchmesser machen deren Lichtverlust zwar wett, doch die Stabilität der Geräte bleibt mangelhaft. Auch sie eignen sich nur bedingt für Messzwecke.

Wie Joseph weiß, hatte Newton der Linse 1672 bereits jede grundsätzliche Verbesserungsmöglichkeit abgesprochen. Unter Hinweis auf das menschliche Auge, das keine Farbfehler aufweist, experimentierten Optiker jedoch weiter. Tatsächlich gelang dem Londoner John Dollond 1757 ein fast saumfreies Objektiv. Er kombinierte dabei Kron- und bleioxidhaltiges Flintglas, wie man es für Fenster, Brillen und Kerzenleuchter verwendete.

Jahrzehntelang reißt England mit solchen achromatischen Objektiven die Vorherrschaft beim Bau von Linsenteleskopen hoher Güte an sich. Dabei folgt der konvexen, bauchigen Linse aus Kronglas eine konkave, also "hohle", aus Flint. Deren Fehler heben einander auf. Genau genommen vereinigt auch das Linsenpaar nur das Licht zweier Wellenlängen im selben Brennpunkt. Doch bei geschickter Wahl erhält der Betrachter einen weitgehend farbreinen Bildeindruck. Die Auflösung des Teleskops steigt, die Baulänge kann reduziert werden. Mit Winkelskalen versehen, wird es erstmals zum leistungsstarken Messinstrument.

Auch Fraunhofer verwendet Doppellinsen. Die beste Kombination sucht er durch Ausprobieren: ein mühsames und bei großen Optiken wenig ökonomisches Verfahren. Er forscht nach einem besseren Weg.

Zunächst studiert er die Brechung verschiedener Glassorten. Dazu schneidet er hunderte Keile Prismen aus den Rohlingen. Jedes Prisma zerlegt den Lichtstrahl in seine Spektralfarben, verwandelt ihn in ein regenbogenähnliches Farbband. Doch die Farben laufen ineinander über. Eindeutige Markierungen lassen sich im Spektrum nicht finden. Die Ergebnisse bleiben unbefriedigend.

Ohne großen Erfolg experimentiert Joseph mit verschiedenen Lichtquellen. 1814 versucht er es mit Sonnenlicht. Plötzlich zeigt das Spektrum eine, zwei, ja "fast unzählig viele starke und schwache vertikale Linien, die aber dunkler sind als der übrige Theil des Farbbildes; einige scheinen fast ganz schwarz zu seyn . . .". Schließlich hält er über 500 solcher Gebilde fest. Die deutlichsten bezeichnet er mit Buchstaben von A bis K.

Fraunhofer ist nicht der erste: 1802 fand William Wollaston zumindest einige dieser Streifen. Er hielt sie allerdings für "Grenzlinien" zwischen den Farben und schenkte ihnen wenig Beachtung. Hingegen ist Fraunhofer überzeugt, dass sie ein Charakteristikum des Sonnenlichts sind. Schließlich existieren sie, wie er bemerkt, auch im Spektrum von Wolken, Mond oder Planeten, die ja das Licht der Sonne reflektieren. (Wichtig: Vor etwaigen eigenen Versuchen mit Sonnenlicht muss wegen Erblindungsgefahr nachdrücklichst gewarnt werden!)

Noch weiß niemand, die Markierungen zu erklären. Der Bayer interessiert sich jedoch sowieso mehr für deren praktischen Nutzen beim Prüfen von Glassorten. Schließlich wird er Objektive von bislang unerreichter Qualität herstellen. Seine Instrumente, von denen später viele unter der Obhut des Deutschen Museums in München stehen werden, sind begehrt. Die Vorherrschaft Englands beim Bau von Linsenteleskopen ist gebrochen.

1817 verspekuliert sich Utzschneider bei einem großen Textiliengeschäft und muss Benediktbeuern an den Staat Bayern verkaufen. Die Übersiedlung nach München verzögert den Bau von Josephs Meisterwerk, dem Teleskop für die Sternwarte im russischen Dorpat - heute Tartu in Estland. Mit 24 cm Durchmesser gerät es zum leistungsfähigsten Linsenteleskop der Welt.

Im gleichen Jahr legt der optische Ingenieur seine Entdeckungen der Bayerischen Akademie der Wissenschaften vor. Trotz anfänglichen Unmuts einiger Gelehrter wird der einstige Glaserlehrling "zum außerordentlich besuchenden Mitgliede der Akademie ernannt".

Nun folgt Auszeichnung um Auszeichnung. Die Universität Erlangen verleiht ihm die Ehrendoktorwürde. Er wird Professor und Konservator der mathematisch-physikalischen Staatssammlung.

Vorzüglicher Dank

1824 ist er Ehrenbürger von München und erhält den Zivilverdienstorden. Dieser wird an Männer verliehen, die sich "um den vorzüglichen Dank des Vaterlands verdient gemacht haben". Damit verbunden ist die Erhebung in den Adelsstand. Doch es bleibt ihm nur wenig Zeit, den Ruhm zu genießen. Im folgenden Jahr erkrankt Joseph an Lungentuberkulose.

Mit Fraunhofers Teleskopen gelingen später wissenschaftliche Sensationen. In Dorpat durchmustert Wilhelm Struve den Himmel. Er sucht nach winzigsten Positionsverschiebungen bei Fixsternen, die die jährliche Bewegung der Erde um die Sonne widerspiegeln sollen. Je näher ein Stern, desto deutlicher müsste der Effekt ausfallen. Die minimale Verschiebung wäre damit ein Maß für seine Entfernung - und die kennt man bis dahin noch bei keinem einzigen Fixstern. 1837 wird Struve bei der hellen Wega in der Leier fündig. Doch er misstraut dem Ergebnis, revidiert es.

Ein Jahr später misst Friedrich Bessel, der ebenfalls mit einem Präzisionsinstrument Fraunhofers arbeitet, die Distanz des Sterns 61 im Schwan. Er kommt auf 10 Lichtjahre. Und 1846 entdeckt Johann Gottfried Galle in Berlin mit einem weiteren Teleskop des Bayern den Planeten Neptun.

Erst ab 1859 versteht man Ursprung und Bedeutung der Fraunhoferschen Linien. Gustav Kirchhoff und Robert Bunsen zeigen, dass jedes chemische Element seine eigenen, typischen Spektrallinien erzeugt. Jetzt werden Fernstudien der Zusammensetzung anderer Himmelskörper möglich, indem man einfach ihr Licht analysiert. Die Fotografie hält später sogar die schwachen Spektren ferner Galaxien fest.

Deren Linien sind meist ins Rote verschoben. Das ist Folge ihrer Fluchtbewegung, Konsequenz der Expansion des Universums. Der Effekt steigt mit zunehmender Distanz. Er gerät zum Zollstock, der Milliarden Lichtjahre weit ins All hinaus reicht. Solche Perspektiven kann Joseph von Fraunhofer nicht einmal erahnen. Er stirbt am 7. Juni 1826, gerade 39 Jahre alt.

Freitag, 01. Juni 2001 00:00:00
Update: Dienstag, 01. März 2005 15:00:00

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