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Artikel aus dem EXTRA LexikonPrint this

Vor 200 Jahren fand die "himmlische Polizey" den Asteroidengürtel

Der zertrümmerte Planet

Von Christian Pinter

Die Entdeckung der Kleinplaneten vor genau zwei Jahrhunderten ist ein Beispiel für die Zusammenarbeit von Gelehrten über Landesgrenzen hinweg: Unsere Geschichte beginnt 1772, als der deutsche Astronom Johann Elert Bode eine sechs Jahre alte Fußnote in einem Buch des Wittenberger Professors Johann Titius ausgräbt. Dieser hat eine verblüffend einfache mathematische Reihe gefunden, mit der sich die Sonnenabstände der Planeten recht genau und sogar im Kopf berechnen lassen. Sie wird als "Titius-Bode-Reihe" bekannt.

Damals weiß man nur von sechs Planeten: Merkur, Venus, Erde, Mars, Jupiter und Saturn. Doch am 13. März 1781 durchmustert der aus Hannover stammende Wilhelm Herschel mit einem selbstgebauten Teleskop den Himmel über dem englischen Kurort Bath. Im Grenzbereich der Sternbilder Stier und Zwillinge stößt er auf ein schwaches, grünliches Gestirn, das sich jede Nacht ein kleines Stück weiter bewegt. Zuerst glaubt der Musiker an einen Kometen; solche Himmelsvagabunden tauchen ja immer wieder auf. Doch bald wird klar: das ist ein ferner, siebenter Planet, der weit hinter Saturn um die Sonne zieht. Der Fund, für den Johann Bode den Namen "Uranus" vorschlägt, macht Herschel berühmt; er wird Königlicher Astronom.

Der Kongress beobachtet

1783 hält sich der 29-jährige Baron Franz Xaver von Zach in London auf. Der Sohn eines angesehenen Budapester Arztes hatte als Major an der Vermessung Österreichs teilgenommen und sein Domizil später in Paris aufgeschlagen. In England freundet er sich mit Herschel an. Außerdem lernt er den Gesandten von Sachsen-Gotha kennen. Dieser bringt ihn zwei Jahre später mit Herzog Ernst II. in Kontakt. Die Residenzstadt Gotha soll ein Observatorium bekommen. Zach wird mit dessen Errichtung beauftragt.

Unter seiner Regie entsteht ein astronomischer Musterbau auf dem Seeberg. 1798 lädt Sternwartedirektor Zach dort zu einem Treffen, das später gern als "erster astronomischer Kongress der Geschichte" bezeichnet wird. Zehn Tage lang diskutieren 14 Gelehrte über Zeitmessung, metrisches System und die Grenzziehung bei Sternbildern des Südhimmels.

Noch ist der Gedankenaustausch zwischen Astronomen schwerfällig, beschränkt sich auf persönliche Briefe und die Publikationen der Akademien in Paris, London oder Leipzig. Von Neuentdeckungen erfahren Wissenschaftler nur mit Verspätung. Die aktuellste Schrift, das von Bode in Berlin herausgegebene Astronomische Jahrbuch, erscheint eben nur einmal im Jahr.

Zach sucht Abhilfe. 1798 gibt er die Geografischen Ephemeriden heraus, ab 1800 die Monatliche Correspondenz. Rasch ist sie die führende astronomische Zeitschrift.

Wie die anderen Planeten auch, bewegt sich Herschels Uranus durch die Sternbilder des Tierkreises. Sein Sonnenabstand passt gut in die Titius-Bode-Reihe, wenn man diese über die Saturnbahn hinaus extrapoliert. Die Reihe scheint nun fast so verlässlich wie ein "Naturgesetz". Allerdings sieht sie einen weiteren Himmelskörper zwischen Mars und Jupiter vor, wo Astronomen bislang nur eine weite Lücke vorgefunden haben. Sollte, wie Bode vermutet, dort noch ein Planet seiner Entdeckung harren ?

Baron Zach macht sich auf Suche. Dazu muss er Lichtpünktchen finden, die nicht bereits in Sternkarten verzeichnet sind, und sie Nacht für Nacht auf etwaige Bewegung prüfen. Doch die Karten sind mangelhaft. Die Fahndung soll organisiert werden.

So kommt es im September 1800 zu einem weiteren Treffen, diesmal in der großzügig ausgestatteten Privatsternwarte des hohen Verwaltungsbeamten Johann Schröter in Lilienthal bei Bremen.

Wie Johann Bode, jetzt Leiter der Berliner Sternwarte, besitzt auch Schröter Teleskopspiegel aus Herschels englischer Werkstatt. Sogar ein Riesenfernrohr mit 49 cm Durchmesser zählt zu seiner Sammlung. Gastgeber Schröter, sein Gehilfe Karl Ludwig Harding, Baron Zach sowie der Amateurastronom Heinrich Olbers gründen eine Fachgesellschaft, die als "Himmlische Polizey" bekannt wird. Schröter ist Präsident, Zach Sekretär.

Man will die Tierkreissternbilder in 24 Sektoren aufteilen und systematisch nach dem "fehlenden" Planeten absuchen. Dazu werden Kollegen in England, Dänemark, Schweden, Russland, Italien, Frankreich, Polen und Österreich brieflich zur Mitarbeit eingeladen. Eines dieser Schreiben macht sich auf den langen Weg nach Palermo.

Südlich von Rom erstreckt sich das Königreich Neapel, seit 1735 mit jenem von Sizilien in Personalunion verbunden. Der Herrscher des "Königreichs beider Sizilien" thront in Neapel. In Palermo residiert ein Vizekönig. Seit die einflussreichen Jesuiten verbannt und ihr Orden vom Papst aufgelöst wurde, mangelt es in ganz Süditalien an Lehrern. Abhilfe soll unter anderem die 1779 gegründete Akademie von Palermo schaffen; man hofft dort sogar, bald eine Universität gründen zu können.

Die Akademie wirbt Gelehrte in halb Europa an, doch kaum jemand möchte in die "wissenschaftliche Provinz" Sizilien übersiedeln. Auch nicht der Mailänder Astronom Barnaba Oriani. Anders sieht das der am 16. Juli 1746 geborene Giuseppe Piazzi aus Ponte im Veltlin. Sein feuriges Temperament, sein unvorsichtiges Auftreten und die religiöse Intoleranz seiner Zeitgenossen haben den Mailänder Mönch ein unstetes Wanderleben führen lassen. In Genua, Rimini, Rom, Malta und Ravenna hat er Philosophie, Theologie oder Mathematik unterrichtet. Jetzt folgt er Siziliens Ruf, nimmt einen Lehrstuhl an der Akademie an.

Ähnlich Zach in Gotha, erhält Piazzi in Palermo die Aufgabe, ein Observatorium von Weltruf aufzubauen. Zunächst pilgert er nach Paris, wo er renommierte Astronomen trifft. Dann reist er nach London, wo Jesse Ramsden die allerfeinsten Geräte herstellt. Ramsden verbindet Linsenteleskope mit hochgenauen, weiten Kreisskalen. Die mannshohen Instrumente sind Präzisionsmessgeräte, erlauben die Bestimmung von Sternpositionen mit bisher unerreichter Exaktheit. So ein Teleskop will Piazzi für Palermo.

Ramsden ist Perfektionist. Oft verwirft er ein halbfertiges Produkt, weil ihm eine bessere Konstruktion eingefallen ist. Mit seinen Aufträgen ist er entsprechend in Verzug. Die Sternwarte Greenwich storniert nach sechs Jahren, die Universität Dublin übt sich 27 Jahre lang in Geduld.

Leitersturz im Feuereifer

Piazzi will nicht warten. Er belagert Ramsden förmlich, taucht fast jeden Tag bei ihm auf, arbeitet manchmal sogar in seiner Werkstatt mit. Dazwischen besucht er Herschel, der riesige Spiegelteleskope in hochaufragenden Holzkonstruktionen zum Himmel richtet. Der italienische Gast fällt von der Leiter, bricht sich den Arm.

Im Sommer 1789 ist Ramsden fertig. Piazzi kehrt nach Sizilien zurück, sucht einen Aufstellungsort für die Instrumente. Ein Turm im Palast des Vizekönigs, des Prinzen von Caramanico, scheint ihm ideal. Offenbar von den bisher angelaufenen Kosten irritiert, gibt sich König Ferdinand in Neapel zugeknöpft: Piazzi soll den Ausbau aus eigener Tasche zahlen. Doch der Vizekönig vermittelt; Ferdinand lenkt ein. Sicherheitshalber beeilt sich Piazzi. Nur acht Monate später nimmt das Observatorium Palermo den Betrieb auf - gleichzeitig mit der Zach'schen Sternwarte in Gotha.

Das Hauptinstrument, Ramsdens Palermo-Kreis, erfüllt alle Erwartungen. Direktor Piazzi beginnt damit die mehrfache Vermessung von knapp 7.000 Fixsternen. Der resultierende Katalog wird 1803 erscheinen und von Zach als "epochal" gerühmt werden.

Das 19. Jahrhundert ist wenige Stunden alt, als Piazzi am 1. Jänner 1801 das Sternbild Stier durchmustert. Er stolpert über ein schwaches Lichtpünktchen, das nicht in Karten und Katalogen verzeichnet ist. Von Nacht zu Nacht wandert es ein wenig weiter.

Jetzt erst trifft die Einladung der Himmlischen Polizey Zachs aus Deutschland ein. Piazzi schreibt Bode, berichtet ihm, einen neuen Kometen gefunden zu haben. Doch dem Mailänder Kollegen Oriani gegenüber deutet er am 24. Jänner an, womöglich auf "etwas Besseres" gestoßen zu sein. Leider erkrankt er am 12. Feber schwer. Sein Fund geht verloren, bevor ihn andere Astronomen sichern können. Zach druckt Piazzis Positionsmessungen in der Monatlichen Correspondenz ab. Einer ihrer Leser ist der junge Mathematiker Carl Friedrich Gauss. Er ersinnt eine Methode, um aus den wenigen Beobachtungen Piazzis die Umlaufbahn des Objekts zu kalkulieren. Tatsächlich kreist es in der Lücke zwischen Mars und Jupiter !

Gauss rechnet seinen Lauf für die nächsten Monate voraus und schickt die Resultate nach Gotha. Dort hält Zach Ausschau. Am 7. Dezember glaubt dieser, das Gestirn kurz erblickt zu haben. Doch diesmal vereitelt Schlechtwetter die Sicherung. Sie gelingt "Himmelspolizist" Heinrich Olbers noch in der letzten Nacht des Jahres 1801.

Piazzi frohlockt und tauft den vermeintlichen Planeten "Ceres Ferdinandea". Ceres ist die altrömische Göttin des Ackerbaus, der Feldfrüchte und des Wachstums, Schutzgöttin Siziliens. Das passt zu den anderen Planetennamen, die ja ebenfalls der römischen Götterwelt entsprungen sind. Doch die angeschlossene Verbeugung vor König Ferdinand stößt auf Unwillen. Deutsche Astronomen ziehen die Zeus-Gattin "Hera" als Namensspenderin vor, französische sprechen einfach von "Piazzi". Selbst Napoleon mischt sich in die Diskussion ein. Piazzis Ceres fügt sich gut in die Titius-Bode-Reihe. Für einen Planeten ist sie jedoch überraschend lichtschwach. Ohne Fernrohr sieht man sie nie. Außerdem stößt Olbers am 28. März 1802 in ihrer Nähe auf ein zweites Wandelgestirn. Man tauft es Pallas - nach dem Beinamen der Athene, der griechischen Göttin des Kriegs, der Weisheit und der Künste.

Während alle Planeten im Teleskop kleine Scheibchen zeigen, bleiben die beiden Neulinge Lichtpunkte wie die Abertausenden Fixsterne. Herschel setzt daher die griechischen Ausdrücke "aster" (Stern) und "eides" (ähnlich) zum Begriff "Asteroiden" ("Sternähnliche") zusammen. Später gesellen sich die Synonyme "Planetoiden" ("Planetenähnliche") oder "Kleinplaneten" hinzu.

Die Durchmesser von Ceres und Pallas schätzt Herschel auf weniger als 260 km. Olbers betrachtet sie als Trümmer eines einst größeren, zerborstenen Planeten. Er sucht nach weiteren Fragmenten. "Himmelspolizist" Karl Harding stöbert am 1. September 1804 in Lilienthal tatsächlich ein drittes Objekt auf. Es erhält den Namen von Jupiters Gattin Juno, der römischen Göttin der Ehe und der Ehefrauen.

Olbers, tags Arzt, nachts Astronom, macht das Quartett am 29. März 1807 in Bremen mit der Vesta komplett. Die Göttin des Herdfeuers wurde einst in einem Rundtempel auf dem Forum Romanum verehrt, wo sechs jungfräuliche Vestalinnen ihr ewig loderndes Feuer hüteten.

Statt einem liegen nun also vier Himmelskörper in ähnlicher Sonnendistanz vor. Fast vier Jahrzehnte später steuert Postmeister Karl Hencke den fünften bei. Mit zunehmend besseren Sternkarten vergeht bald kein Jahr mehr ohne weitere Entdeckungen. Der österreichische Astronom Johann Palisa stöbert ab 1874 allein 122 Objekte auf. Die Himmelsfotografie steigert die Fundraten abermals. 1923 wird der 1.000., 1999 schon der 10.000. Asteroid getauft.

Gestörte Orbits

Das Gros kreist zwischen Mars und dem riesigen Jupiter; dessen Störungen verhinderten einst, dass sich dort Materie zu einem weiteren, richtigen Planeten zusammenfinden konnte. So blieben unzählige, meist nur wenige Kilometer kleine Brocken zurück. Ceres ist mit 930 km der Goliath, gefolgt

von Pallas und Vesta mit rund 500 km Durchmesser. Zum Vergleich: Mars misst 6.800 km, Jupiter gar 143.000 km.

Viele Kleinplaneten ziehen im gestörten Orbits um die Sonne. Weitere Beobachtungen sind nötig, um ihre Bahnen zu sichern. Das ist heute oft Arbeit automatischer Teleskope ab 15 cm Spiegeldurchmesser. Der Computer richtet sie auf die entsprechenden Stellen des Himmels. CCD-Sensoren lichten alles ab, spezielle Software filtert pro Nacht bis zu 50 Asteroiden aus dem Sternengewimmel und berechnet deren aktuelle Positionen.

Die Resultate treffen per E-Mail im Minor Planet Center in Cambridge, Massachusetts, ein. Es bearbeitet täglich 10.000 Messungen. Häufig geht Profis oder Amateuren dabei ein bislang unbekanntes Objekt ins Netz. Sie besitzen dann das Recht, einen Namen für den neuen Kleinplaneten vorzuschlagen. Längst haben sie ihren Vorbildern Titius, Bode, Herschel, Zach, Piazzi, Gauss, Olbers, Schröter oder Harding himmlische Denkmäler gesetzt.

Freitag, 19. Jänner 2001 00:00:00
Update: Dienstag, 01. März 2005 15:02:00

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