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Artikel aus dem EXTRA LexikonPrint this

Der „Polar Lander" erkundet den Südpol des Roten Planeten

Durst nach Marswasser

Von Christian Pinter

Die Bordkamera hält die heranrasende Marsoberfläche in zehn Bildern fest, wenn der Polar Lander heute, am 3. Dezember, gegen 21 Uhr MEZ niedergeht. Minuten vor der Landung setzt er zwei jeweils 3 kg leichte Mikrosonden aus, deren Spitzen sich mit über 600 km/h in den Boden bohren, brutal wie einst die Invasionsschiffe der
Marsmenschen eines H. G. Wells. Die NASA-Späher graben nach Wassereis, Rest jenes „Lebenselixiers", das einst reichlich floss. Die Suche nach Marswasser beschäftigt Astronomen aber bereits seit
Jahrhunderten.

Der Lauf des Mars am Himmel bereitete Kopfzerbrechen. Selbst Kalkulationen mit Hilfe der kopernikanischen Lehre, nach der die Planeten auf Kreisen um die Sonne zogen, wichen vom beobachteten
Anblick ab. Nach mühevoller Rechenarbeit erkannte Johannes Kepler, dass sich die Marsbahn nur als Ellipse begreifen ließ. Daraufhin gelang ihm dieser Nachweis auch bei den anderen Planeten und 1609
formulierte er seine beiden ersten Planetengesetze. Stolz berichtete Kepler Kaiser Rudolf II., Mars nach schwierigem „Krieg" nun als edlen „Gefangenen" vorführen zu können. Dieser habe viel zu oft
Maschinen und Experimente der Astronomen zerstört, die ihrerseits all ihre Truppen in die Schlacht geworfen hätten. Die kämpferische Metapher wählte Kepler in Anspielung auf antike Mythen. Schon die
Griechen hatten den hellen Wandelstern, dessen rötlicher Glanz an Blut und Feuer denken lässt, mit dem Kriegsgott Ares verbunden. Bei den Römern hieß diese Gottheit Mars. Der Begriff „martialisch"
erinnert an sie ebenso, wie der „März" · der erste Monat, in dem man wieder Truppen über altitalienische Straßen führen konnte.

Im Jahr von Keplers Sieg richtete Galilei erstmals ein Fernrohr zum Himmel. Auf dem winzigen Marsscheibchen konnte er keine Einzelheiten ausmachen. Italienische Jesuiten sahen später mit besseren
Teleskopen erste, diffuse Flecken. Einer ihrer Schüler, Giovanni Cassini, und der Holländer Christian Huygens nutzten die matten Schattierungen, um die Taglänge auf Mars zu bestimmen. Cassini kam auf
knapp 25 Stunden. 1672 beobachteten beide in Paris ein weißes Gebilde im tiefsten Süden des Planeten · seine Südpolkappe. Später sollte Cassinis Neffe Giacomo Maraldi mit dem Fernrohr des Onkels auch
die nördliche Polkappe studieren.

Leben überall

Huygens zählte zu den ersten großen Astronomen, die an außerirdisches Leben glaubten: Die anderen Planeten stünden der Erde in Schönheit nicht nach, spekulierte er, erfreuten sich ebenfalls Flora
und Fauna. Zwar hatte es ähnliche Überlegungen schon in der Antike gegeben, doch das Christentum favorisierte eher die Idee eines Menschen, der als Ebenbild Gottes alleine im Universum stand. Als
Kopernikus die Erde aus ihrer Sonderstellung im Zentrum des Kosmos stieß, relativierte er letztlich auch diese Vorstellung. Bald hielten Astronomen so ziemlich alle Himmelskörper für bewohnt ·
inklusive der heißen Sonne.

Der Nachbarplanet Mars geriet zur besonders beliebten Projektionsfläche menschlicher Fantasien. Im Schnitt nur 1,5-mal weiter von der Sonne entfernt als die Erde, erreichen ihn immerhin noch 44
Prozent des Sonnenlichts. Ein Tag dauert keine Dreiviertelstunde länger, die erdähnliche Achsneigung sorgt außerdem für ausgeprägte Jahreszeiten. Uranusentdecker Wilhelm Herschel kürte Mars nach
eingehender Beobachtung 1783 zum verwandtesten aller Planeten · mit im Sonnenlicht schmelzenden Polen, Wolken und Dunstschleiern. Marsbewohner fänden Bedingungen vor, die in vielem jenen der
Erdenbürger glichen, meinte er.

1830 wandten sich die Deutschen Mondkartografen Johann Mädler und Wilhelm Beer dem Roten Planeten zu, um gemeinsam die erste detaillierte Marskarte anzufertigen. Neun Jahre später verfolgten sie
einen dunklen Ring um die Nordpolkappe: ihrer Ansicht nach „Schmelzwasser" des im Frühling zurückweichenden Polareises.

Weite Ozeane

Vermeintlich existierte Wasser auf dem Nachbargestirn. Herschels Sohn John vermutete sogar in allen dunklen Gebieten, die immerhin ein Drittel des Planeten bedecken, weite Ozeane. Sie wurden von
vielen Betrachtern tatsächlich als „grün- oder bläulich" beschrieben. Allerdings hätte sich die Sonne in diesen Meeren punktförmig wie in einer Christbaumkugel spiegeln müssen · ein Phänomen, nach
dem man vergeblich Ausschau hielt. Deshalb sahen andere Astronomen, wie der Franzose Emmanuel Liais, in den Dunkelgebieten lieber Landflächen mit Pflanzenbewuchs. Da sich deren Umrisse mitunter
veränderten, glaubte man, saisonal bedingte Vegetationszyklen zu beobachten. Helle Wolken über der Marslandschaft schienen überdies eine vergleichsweise dichte Atmosphäre zu belegen.

Mars nähert sich alle 26 Monate der Erde, doch fallen diese Oppositionen aufgrund seiner elliptischen Bahn verschieden günstig aus. Bestenfalls kommt er, wie im August 2003, auf 56 Mill. km heran.
Selbst dann sind Vergrößerungen von mehreren hundert Mal nötig, um den bloß 6.794 km kleinen Planeten im Teleskop unter bequemem Winkel zu sehen. Die stets vorhandene irdische Luftunruhe wird
entsprechend mitvergrößert. Das Scheibchen tanzt hin und her, „zerplatzt" oft geradezu. Auch in den seltenen, guten Nächten wartet man viele Minuten lang, bis das Bild für Augenblicke an Schärfe
gewinnt und „einfriert". Dann prägen sich Planetenbeobachter rasch Details ein, um sie anschließend in ihre Karten einzutragen.

Auch leistungsfähigste Teleskope spielten ihre Trümpfe nur in wenigen, flüchtigen Momenten aus. Über Wochen hinweg studierten geduldige Beobachter nachts die kontrastarmen Einzelheiten. Im
Grenzbereich menschlicher Wahrnehmungsfähigkeit arbeitend, unterlagen sie mitunter folgenschweren Täuschungen.

Weltenkrieg

In Mailand musterte der farbenblinde Giovanni Schiaparelli den Roten Planeten. Im Oktober 1877 erblickte er zwischen vermeintlichen Ozeanen schnurgerade, feinste Gebilde, denen er den
Sammelbegriff „canali" schenkte. Fünf Jahre später meinte er, 20 dieser Kanäle sogar doppelt zu sehen. In einem Vortrag vor dem italienischen Königspaar sparte Schiaparelli nicht mit
Ausschmückungen und unterstrich den Bedarf nach einem größeren Teleskop zur weiteren Marserforschung. Er bekam es.

Schiaparellis Doppelkanäle konnten kaum natürlich entstanden sein. In populärwissenschaftlichen, viel gelesenen Büchern machte der französische Astronom Camille Flammarion daraus ein System künstlich
angelegter Wasserstraßen. Vor allem sein Werk „Der Planet Mars" entzündete die Imagination des Bostoner Geschäftsmanns Percival Lowell, der 1894 in Flagstaff, Arizona, den Grundstein für ein
eigenes Marsobservatorium legte. Nach wenigen Tagen am Fernrohr meinte der zunächst ungeübte Beobachter selbst, Kanäle und kurz darauf Doppelkanäle auszumachen.

Da Kanäle auch durch Dunkelgebiete zogen, sollten Letztere keine Ozeane sein. Stattdessen verglich Lowell die Marslandschaft mit der Wüste Arizonas, durchzogen von einem ganzen Netzwerk aus
Bewässerungsanlagen. Mit diesen versuche eine alte Kultur, Wasser von den Polen Richtung Äquator zu pumpen. An den Schnittpunkten der Kanäle wähnte er Oasen und Städte der weisen, friedfertigen
Rasse. Dieses Bild propagierte Lowell in Vorträgen, Artikeln und Büchern.

Ganz anders zeichnete 1898 der von Schiaparellis Beobachtungen inspirierte Engländer Herbert George Wells die Marsbewohner. Im Roman „Krieg der Welten" überfielen wahre Bestien die Menschheit
auf Suche nach einer neuen Heimat.

Schiaparelli selbst legte sich nie wirklich fest, ob die haarfeinen canali nun natürlichen oder künstlichen Ursprungs waren. Bald galt es jedenfalls als Beleg besonderen Beobachtungsgeschicks,
sie zu erblicken. Den meisten Astronomen gelang es nicht. In der Hoffnung auf objektive Beweise ließ Lowell ab 1905 tausende Fotografien anfertigen. Manche Forscher, die die kaum reproduzierbaren
Platten mit dem nur 6 mm kleinen Marsscheibchen sahen, wollten auch darauf Kanäle erkennen. Andere blieben skeptisch.

Lichtzeichen

Allerdings glaubten einige wenige Fernrohrbeobachter schon 1894, die vermeintlichen Kanäle unter besten Bedingungen in eine Serie von Punkten auflösen zu können. Experimente mit unvoreingenommenen
Schulkindern, denen man entsprechende Abbildungen vorhielt, legten ebenfalls optische Täuschungen nahe.

Der in Konstantinopel geborene Grieche Eugène Antoniadi war noch 1897 als Assistent Flammarions überzeugt, 46 Marskanäle zu sehen. Als er 1909 mit leistungsfähigerem Gerät in Meudon bei Paris
arbeitete, erblickte er stattdessen bloß verwirrende Aneinanderreihungen winziger Flecke. Allerdings hielt auch Antoniadi an vegetationsbedingten Veränderungen auf Mars fest, verglich sein
Farbenspiel mit den Verfärbungen irdischer Blätter im Jahreslauf.

So stieß man noch in den dreißiger Jahren auf recht bunte Marsfantasien. Populäre Autoren schlossen aus den Wolken direkt auf das Vorhandensein von „Luft und Wasser" und versicherten die Existenz
„belebenden Sauerstoffs". Die Pumpstationen der Kanäle schienen offenbar verlässlich zu arbeiten, also mussten ihre Erbauer oder deren Nachfahren im Gegensatz zur längst verdursteten Tierwelt noch
existieren. Millionen Marsbewohner sollten aus Platzmangel in himmelsstürmenden „Über-Hochhäusern" leben, der geringeren Schwerkraft wegen etwa 5 m hoch gewachsen und ob der Kälte dicht behaart und
zottig sein. Die dünne Luft erlaube ihnen keine akustische Kommunikation, Ohren fehlten deshalb; vielleicht verständigte man sich mittels Lichtzeichen.

Langsam durchschauten Forscher, wie sehr Nebelschleier, Wolken und Sandstürme die Umrisse und Farben der Marsregionen verändern können. Die scheinbar grünen Tönungen in den dunklen Regionen, die
manche an Chlorophyll · Blattgrün · denken ließen, entpuppten sich als bloßes Kontrastphänomen: Graubraune Strukturen wurden in der Komplementärfarbe des sie umgebenden Rots, also in Grün,
wahrgenommen. Letztlich zeigten Radarmessungen zu Anfang der sechziger Jahre, dass die Dunkelgebiete auf der Südhalbkugel tausende Meter höher liegen als die helleren Regionen im Norden. Damit gingen
sie nicht einmal mehr als „ausgetrocknete Ozeane" durch.

Doch die alten Spekulationen versiegten erst, als im Juli 1965 die NASA-Sonde Mariner 4 erste Nahaufnahmen zur Erde sandte. Sie entlarvten eine kahle, tote, kraterzernarbte Welt, die mehr dem Erdmond
glich als der Erde. Das ernüchternde Bild relativierte Mariner 9 sechs Jahre später. Ihre Aufnahmen zeigten erloschene Vulkane, die bis zu 26 km hoch aufragen, extreme Canyon-Systeme mit bis zu
4.000 km Länge und viele ausgetrocknete, schon am Oberlauf 10 km breite Flussbetten. Diese haben freilich nichts mit den legendären canali zu tun.

Auf dem heutigen Wüstenplaneten gab es also Wasser. Die mächtigen Flusstäler starten recht abrupt; die Ströme wurden daher vielleicht gar nicht von Regen, sondern vom Grundwasser gespeist, das
Vulkanismus rasch aus dem Boden getrieben hatte. Vermutlich sammelte es sich schließlich in einem 1.000 m tiefen Ozean. Doch eindeutige Spuren ehemaliger Küstenlinien fand bislang nicht einmal der
Mars Global Surveyor, der Mars gerade vom Orbit aus mit bestechender Auflösung kartiert. Die wasserreiche Epoche ist jedenfalls seit Milliarden Jahren Geschichte. Um flüssiges Wasser
zuzulassen, muss die Marsatmosphäre wesentlich dichter gewesen sein. Heute ist ihr Druck minimal; Wasser würde an der Oberfläche sofort verdampfen.

Polarforscher

Die Funkfotos der beiden 1976 gelandeten Vikings zeigten die Marsoberfläche als Steinwüste. Die Fahndung der Sonden nach primitiven Organismen verlief ergebnislos. 20 Jahre später verkündete
die NASA, im Meteoriten ALH84001 knapp 4 Milliarden Jahre alte Spuren einstigen Lebens entdeckt zu haben. Seine Abstammung vom Roten Planeten steht zwar nicht zweifelsfrei fest · dennoch verhalf der
kleine Himmelsbote aus der Antarktis dem Marsforschungsprogramm der NASA zu stärkerer Rückendeckung. Die ist nötig. Denn spektakuläre Erfolge sind rar. Gescheiterte Raummissionen haben Russen und
Amerikanern seit 1960 viele Milliarden gekostet. Die meisten der zum Roten Planeten geschickten Maschinen waren erfolglos, fast so, als hätte Mars den alten Krieg mit den Wissenschaftlern wieder
aufgenommen. In Wahrheit zeichneten technische Unzulänglichkeiten oder jüngst gar die Verwechslung von Maßeinheiten für die Niederlagen verantwortlich.

Jetzt setzt die NASA auf den Polar Lander. Er geht in einem Gebiet nieder, das von der zurückweichenden Südpolkappe gerade freigegeben wurde. Auf Erden entsprächen die Landekoordinaten grob dem
McMurdo-Sund in der Antarktis: Hier wie dort geht nun der Frühling zu Ende. Möglicherweise spüren Lander und Mikrosonden knapp unter der Oberfläche Eis auf. Denn Reste des einstigen Wasserreichtums,
der unter ungeklärten Umständen verschwand, könnten im Boden eine tausende Meter mächtige Permafrostschicht bilden. Die Suche nach Wasser und letztlich Leben auf Mars geht also weiter.

Freitag, 03. Dezember 1999 00:00:00
Update: Dienstag, 01. März 2005 16:46:00

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