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Artikel aus dem EXTRA LexikonPrint this

Der „Pizzamond" könnte Galileo noch vor dem 10. Geburtstag zum Verhängnis werden

Flug über Schwefelfontänen

Von Christian Pinter

Seit fast zehn Jahren eilt der Roboter nun durch das All, überrascht immer wieder mit faszinierenden Bildern bizarrer Körper des Sonnensystems. Ob er den „10.
Geburtstag" tatsächlich erlebt, weiß allerdings niemand. Denn nach sehr erfolgreicher Mission schickt die NASA ihren Galileo jetzt zum Tiefflug über die vulkanische Oberfläche des Jupitermonds Io.
Diese Kamikaze-Aktion könnte sein Ende bedeuten.

Reise mit Hindernissen

Die 1.4 Milliarden US-Dollar teure Galileo-Mission stand zunächst unter keinem guten Stern. Schon in den siebziger Jahren als Nachfolgerin der Pioneer- und Voyager-Sonden geplant, verzögerten
zunächst Budgetprobleme die Fertigstellung der Jupitersonde. Nach der Challenger-Katastrophe im Jänner 1986 musste das Antriebssystem nochmals umgebaut werden, weil die kräftige Centaur-Oberstufe aus
Sicherheitsgründen nicht mehr in die Ladebucht des Shuttles durfte. Nur mit kleinem Feststofftriebwerk ausgestattet, gelangte Galileo schließlich am 18. Oktober 1989 an Bord der Atlantis in den
Erdorbit.

Die entsprechend reduzierte Schubkraft hatte eine völlige Überarbeitung des Reiseplans zur Folge. Der ferne Jupiter war ohne fremde Hilfe nicht mehr zu erreichen. Der über 2 t schwere Roboter musste
nun an der Venus und dann zweimal an der Erde Schwung holen, um die nötige Geschwindigkeit für den Flug ins äußere Sonnensystem zu erlangen. Die zunächst zusammengefaltete, knapp 5 m weite
Hauptantenne klemmte, wurde nutzlos wie ein kaputter Regenschirm. Die kleine Hilfsantenne schaffte aber nur Promille der eigentlich vorgesehenen Übertragungsrate, die Kommunikation geriet lähmend
langsam. Die rasch gewonnenen Bilder und Daten mussten bis zum gemächlichen Versand auf dem bordeigenen Bandrekorder zwischengespeichert werden, der für diese Belastung nicht ausgelegt war und
ebenfalls bald Störungen zeigte.

Dennoch sollte es den NASA-Technikern gelingen, die wichtigsten Missionsziele zu realisieren und den drohenden Milliardenflop in einen Erfolg umzuwandeln.

Himmlisches Badgastein

Auf dem Weg zum Jupiter passierte Galileo den Kleinplanetengürtel und gewann mit seiner Teleoptik im Oktober 1991 die allerersten Nahaufnahmen eines Asteroiden. Aus 1.600 km Distanz machte er über
600 Krater auf dem 18 km kleinen, unregelmäßig geformten, bräunlichen Felsbrocken aus. Da die 1916 aufgestöberte Gaspra nach einem damals beliebten Kurort auf der Krim getauft worden war, erhielten
ihre Einschlagsnarben nun ebenfalls Namen von irdischen Kurorten. So gelangte schließlich auch Badgastein in die himmlische Nomenklatur.

Im August 1993 porträtierte Galileo dann die 1884 vom Österreicher Johann Palisa entdeckte Ida. Neben dem 60 km weiten Himmelskörper fand der Roboter überraschend ein weiteres Objekt: der bloß 1,5 km
kleine Dactyl wurde zum ersten zweifelsfrei nachgewiesenen Kleinplanetenmond. Als dann im Juli 1994 Fragmente des Kometen Shoemaker-Levy-9 mit Jupiter kollidierten, beobachtete Galileo das Schauspiel
praktisch schon aus der ersten Reihe und konnte die genauen Zeitpunkte jener Lichtblitze registrieren, die die Kometenfragmente beim Eintauchen in Jupiters Hülle erzeugten. Aus irdischer Perspektive
lugten die resultierenden, 8000ø C heißen Feuerbälle erst eine Minute später über den Rand der Jupiterscheibe.

Am 7. Dezember 1995 schwenkte Galileo in eine Umlaufbahn um Jupiter ein. Noch in der gleichen Nacht verglühte die 339 kg schwere, von Galileo ausgesetzte Atmosphärensonde planmäßig in der dichten
„Lufthülle" des Riesenplaneten. Zuvor hatte sie eine Stunde lang Messdaten zu Galileo hochgesandt, der diese nach Zwischenspeicherung zur Erde weiterleitete. Dort warteten empfindlichste
Radioteleskope, um das bloß 15 Watt schwache Signal aus fast 1 Milliarde km Distanz aufzufangen. Es erzählte von 600 km/h schnellen Winden in Jupiters Wolkenschichten, von seltenen, aber recht
heftigen Gewitterblitzen · aber auch von deutlich weniger Wasserdampf, als man eigentlich erwartet hatte.

Sonne ohne Feuer

Jupiter, der mit 319 Erdmassen weitaus mächtigste Planet, besteht vor allem aus Wasserstoff und ähnelt in seiner Zusammensetzung der Sonne. Um wie diese im Zentrum Kernfusion zu starten, ist er
jedoch noch um den Faktor 80 zu schmächtig. Die Gaskugel von 143.000 km Durchmesser jagt in knapp 10 Stunden um ihre Achse. Die rasche Rotation plattet sie an den Polen stark ab und zeichnet für das
überaus dynamische Wettergeschehen mit verantwortlich. Da eine feste Oberfläche fehlt, ziehen sich atmosphärische Hoch- und Tiefdruckgebiete zu einem System paralleler Zonen und Bänder auseinander,
die den gesamten Planeten umspannen.

Die Atmosphärensonde traf beim Abstieg offenbar eine recht untypische Stelle, einen so genannten „Hotspot": das sind kleine Regionen ohne Wasserdampf, gleichsam atmosphärische Wüstengebiete. Ein paar
hundert Kilometer daneben hätte sie geradezu „tropische" Feuchtigkeit vorgefunden.

Eigentlich sollte Galileo zum „Wettersatelliten Jupiters" werden. Doch auf die systematische Untersuchung des Wolkenspiels verzichtete man. Wegen der ausgefallenen Hauptantenne musste die Datenflut
begrenzt werden. Und Nahaufnahmen der Jupitermonde waren der NASA wichtiger.

Die vier größten Jupitermonde entdeckte Galileo Galilei im Jänner 1610. Geschickt widmete er sie den Medici, die ihn dafür noch im selben Jahr zum Hofphilosophen in Florenz ernannten. Galilei
nummerierte die Lichtpünktchen schlicht mit römischen Zahlen von I bis IV durch. Die heute vertrauteren Bezeichnungen „Io", „Europa", „Ganymed" und „Kallisto" stammen von Simon Marius, der sie etwa
gleichzeitig mit Galilei aufgestöbert hatte. Auf Vorschlag Keplers wählte er die Namen von vier der vielen Liebschaften des griechischen Zeus aus, dessen römische Entsprechung Jupiter ja darstellt ·
drei Töchter und einen Sohn aus Königshäusern. Die Kallisto wurde von Zeus verführt und zur Strafe von seiner Gattin Hera in eine Bärin verwandelt. Um sie vor der eifersüchtigen Ehefrau zu schützen,
verzauberte Zeus die jungfräuliche Io hingegen gleich in eine Kuh und brachte sie dermaßen getarnt nach Ägypten. Die phönizische Europa entführte er nach Kreta, indem er selbst listig die Gestalt
eines weißen Stiers annahm. Und Ganymedes, der hübsche Sohn des Gründers von Troja, ritt auf den Schwingen eines Adlers in den Himmel, um den Göttern fortan als Mundschenk zu dienen. Im Adlerkostüm
steckte abermals der liebestolle Zeus.

Das Mondquartett ist bereits im Fernglas auszumachen. Details auf den Oberflächen halten irdische Teleskope jedoch nicht fest. Dabei gingen Ganymed und Kallisto vermutlich als „Planeten" durch,
kreisten sie nicht um Jupiter, sondern um die Sonne. Ganymed ist mit 5.262 km Durchmesser der mächtigste aller bekannten Monde und sogar größer als Merkur, der sonnennächste Planet. Io und Kallisto
übertreffen immerhin noch unseren Erdmond. Europa stellt mit 3.138 km den kleinsten der vier galileischen Monde. Alle später entdeckten Jupitertrabenten sind winzig, messen bestenfalls

270 km.

Als sich die großen Monde vor 4,5 Milliarden Jahren gemeinsam mit Jupiter aus einer Wolke aus Gas, Staub und Eis bildeten, mussten sich die inneren Satelliten mit wenig flüchtigen Mineralen und
Elementen begnügen, formten sich aus Metallen und Gestein: an Ios Oberfläche existiert Wassereis überhaupt nicht und auf Europa bildet es wahrscheinlich nur die dünne Kruste. In größerer
Jupiterdistanz standen freilich auch flüchtigere Elemente zur Verfügung; deshalb werden Ganymed und Kallisto von Eis geradezu dominiert. Alle weisen Jupiter stets dieselbe Seite zu, ganz genau so,
wie dies unser Mond bezüglich der Erde zu tun pflegt. Die einstigen Eigenrotationen wurden rasch gebunden.

Die Gezeitenkräfte, mit denen der riesige Jupiter auf seine Begleiter wirkt, aber auch jene, die die Monde untereinander ausüben, sind enorm. Hätte Io einen Ozean, wären die Flutberge über 100 m
hoch. Diese Kräfte arbeiten auch im Inneren der Trabanten, „kneten" sie gleichsam durch und erhitzen sie dabei.

Am wenigsten bekommt davon die ferne Kallisto in fast 2,000.000 km Jupiterdistanz zu spüren. Das Wassereis ihrer Kruste verhält sich bei Tageshöchsttemperaturen von bestenfalls ·130ø C wie Fels.
Unzählige Einschlagsnarben prägen das Antlitz. Kein anderer Planetenmond zeigt mehr Krater, was auf eine seit Milliarden Jahren praktisch unverändert gebliebene Kruste hinweist. Darunter erstreckt
sich ein Gemisch von Eis und Gestein. Ein zentraler Eisenkern fehlt. Dennoch entdeckte Galileo ein Magnetfeld, das synchron mit Jupiters Rotation schwankt. Vielleicht induziert Jupiter elektrische
Ströme in einen salzhaltigen, leitenden Ozean, der unter dem Eis Kallistos verborgen sein könnte und so ihr Magnetfeld erzeugt.

Auch bei Ganymed fand Galileo ein Magnetfeld, das allerdings weniger exotische Ursachen zu besitzen scheint. Denn im Gegensatz zu Kallisto verfügt der Riesenmond wahrscheinlich sehr wohl über einen
Kern aus Nickeleisen. In gut halber Kallisto-Distanz um Jupiter kreisend, präsentiert auch er Landschaften aus Eis. Dunkle, raue Regionen mit vielen Kratern wechseln aber mit weiten Gebieten aus
hellerem, jüngeren Eis ab. Es scheint, als wäre es einige Zeit nach Ganymeds Entstehung zu dramatischer tektonischer Aktivität gekommen, die etwa die Hälfte seines Gesichts neu formte.

Leben auf Europa?

Mit einem Fünftel der ursprünglichen Belegschaft verlängerte die NASA die zunächst bis Ende 1997 geplante Galileo-Mission um weitere zwei Jahre, um sich dabei vor allem auf Europa zu
konzentrieren. Große Höhenunterschiede gibt es hier nicht. Europas Haut ist glatt wie eine Billardkugel. Das weitgehende Fehlen von Einschlagskratern lässt auf eine sehr junge, nur Millionen Jahre
alte Oberfläche schließen. Oft ist die Kruste zerbrochen. Dazwischen quoll dunkles Material aus der Tiefe hervor. Platten aus reinem, hellen, blaugrünen Wassereis verdrehten sich gegeneinander ·
Galileos Nahaufnahmen erinnern stark an irdisches Packeis. Doch worauf gleiten oder schwimmen Europas kilometerdicke Eisblöcke? Auch hier spekulieren Forscher mit einem verborgenen Meer, wobei
umstritten ist, ob es heute noch existiert. Flüssiges Wasser gilt jedenfalls als fundamentale Voraussetzung für die Entwicklung von Leben. Als nötige Wärmequelle reicht die Sonne in Jupiterentfernung
nicht, doch würde die von den Gezeitenkräften stammende Hitze als Ersatz dienen. Vielleicht gibt es unter dem Eispanzer heiße Quellen, wo Mikroorganismen bestehen können.

Neben Mars und dem Saturntrabanten Titan gilt Europa als aussichtsreichste Kandidatin für die zukünftige Suche nach außerirdischen Lebensformen.

Strahlung am Pizzamond

Der Pizzamond Io, der Innerste der vier großen Monde, ist wild. Kein Körper im Sonnensystem ist so aktiv. Vulkane werfen frischen Schwefel auf die Oberfläche. Die Auswurfgeschwindigkeiten
übertreffen jene irdischer Vulkane um das Zehnfache. Manchmal wird Material 300 km in die Höhe geschleudert, bevor es in weitem Umkreis herabstürzt. Vor allem der Schwefel zaubert Farbtupfer auf das
generell gelbliche Antlitz der Io. Weiße, orange, rote und olivgrüne Töne schenken ihr den Spitznamen „Pizzamond".

Galileo registrierte stellenweise Temperaturen über 400ø C, viel zu hoch für Schwefel. Dort wird offenbar silikatisches Material an die Oberfläche gespieen: beim Vulkan Pillan Patera maß er sogar
1.700ø C und beobachtete, wie in fünf Monaten eine 400 km weite, graue Ablagerungsfläche entstand. Ios Aktivität rührt ausschließlich von den Gezeitenkräften her. Ihre Kruste wird ständig neu
geformt, wirkt unglaublich jung. Kein einziger Einschlagskrater entstellt sie.

Darüber schwebt eine extrem dünne „Lufthülle" aus Schwefeldioxid mit Spuren von Sauerstoff und Natrium. Während der Trabant durch Jupiters Magnetosphäre zieht, wird er mit Elektronen bombardiert.
Diese sorgen in Ios Atmosphäre, in einem ähnlichen Prozess wie auf der Erde, für helle, rote, grüne und blaue Polarlichter. Der Mond hat große Mengen Schwefel entlang seiner Bahn verteilt. Es bildet
einen dicken, wulstartigen Ring ionisierten Gases, den Io-Plasmatorus. Während Io diesen in bloß 42 Stunden durcheilt, fließt ein gewaltiger Gleichstrom zwischen ihr und Jupiters Polen. 400.000 Volt
und 5 Mio. Ampere ergeben eine Leistung von unvorstellbaren 2 Billionen Watt.

Bislang mied Galileo aus Sicherheitsgründen Ios nächste Umgebung, begnügte sich mit Bildern von 1.3 km Auflösung. Doch am 11. Oktober 1999 wird er kaum 600 km tief über ihre Schwefelkruste
dahinschießen und dabei über die Fontäne des Vulkans Pillan Patera sausen. Am 26. November soll er Io sogar 300 km nahe kommen. Details von der Größe eines Gartenhauses müssten dann erkennbar sein.
Die für Menschen tödliche Strahlung in Jupiternähe könnte CCD-Kamera und Bordelektronik schwer im Mitleidenschaft ziehen, der Sonde sogar den Todesstoß versetzen. Allerdings überstand sie am 12.
August einen völlig unerwarteten Schauer weit stärkerer Dosis ohne nachhaltigen Schaden. Dies gibt Hoffnung, dass Galileo auch nach dem riskanten Manöver intakt bleiben und weiterhin Daten liefern
wird · bis im Dezember 2000 die Sonde Cassini auf dem Weg zu Saturn an ihm vorbei eilt.

Freitag, 08. Oktober 1999 00:00:00
Update: Dienstag, 01. März 2005 16:47:00

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