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Artikel aus dem EXTRA LexikonPrint this

In Graz werden zur Zeit Instrumente für die Rosetta-Sonde
entwickelt

Wie ankert man auf Kometen?

Von Christian Pinter

1874 entdeckte der österreichische Astronom Johann Palisa die Siwa. Mehr als 130 Jahre später wird der Kleinplanet Besuch von der Erde bekommen. Siwa steht gemeinsam mit der Otawara
auf dem Flugplan des Raumschiffs Rosetta, das zur Zeit von der ESA gebaut wird. Hauptziel ist jedoch der Komet Wirtanen. Dort wollen die Europäer am Beginn des übernächsten Jahrzehnts buchstäblich
„vor Anker gehen". Wichtige österreichische Instrumente sind mit an Bord.

Tiefkühlhaus des Alls

Wirtanen hat eine wechselvolle Geschichte hinter sich. Eigentlich ist er „Bauschutt" aus der Urzeit des Sonnensystems. Weit draußen, wo Uranus und Neptun kreisen, stießen vor viereinhalb
Milliarden Jahren Teilchen des solaren Urnebels mit Geschwindigkeiten von wenigen Zentimetern pro Sekunde zusammen. Die sanften Kollisionen erlaubten die Bildung kleiner Himmelskörper, die jedoch
bald von den Riesenplaneten fortgeschleudert wurden.

Viele dieser Brocken bombardierten junge Planeten wie die Erde, andere fanden sich an den extremen Rand des Systems verbannt. Ein Lichtjahr von der Sonne entfernt fristen heute Milliarden
Kometenkerne ein finsteres Dasein.

Mitunter sorgen Nachbarsterne für Bahnstörungen, werfen einige der Exilierten ins Reich der Planeten zurück. In Sonnennähe werden aus den typischerweise nur wenige Kilometer durchmessenden Winzlingen
oft spektakuläre Objekte. Sie bilden Schweife aus, die viele Millionen Kilometer weit ins All greifen. Wie Hyakutake oder Hale-Bopp schießen sie nach dem Blitzbesuch wieder ins Tiefkühlhaus des
sonnenfernen Weltraums hinaus.

Es sei denn, ein Riesenplanet fängt sie ein. Jupiter hat eine ganze Familie von Kometen um sich geschart, die auf stark exzentrischen Ellipsen um die Sonne kreisen. Hierzu zählt auch der vor 50
Jahren entdeckte Wirtanen. Sein sonnenfernster Bahnpunkt, „Aphel" genannt, liegt gegenwärtig in Jupiterdistanz, der sonnennächste, das Perihel, knapp außerhalb der Erdbahn. Ein Umlauf dauert
fünfeinhalb Jahre.

Ein Marathonflug

Rosetta möchte Wirtanen nahe seines Aphels treffen und dann bis zum Perihel begleiten. Ihr Flug ist entsprechend kompliziert. Aus eigener Kraft könnte sie nie bis in Jupiterentfernung vordringen.
Nach ihrem Start im Jänner 2003 braucht sie die Gravitation zweier Planeten zur Beschleunigung, muß ein Swing-By-Manöver bei Mars und zwei bei der Erde einlegen. Nach Passage des Kleinplanetengürtels
kommt es, 644 Mill. km von der Erde entfernt, im August 2011 endlich zum Rendezvous mit dem Kometen. Nur 4 Prozent des vertrauten Sonnenlichts treffen Rosetta jetzt. Weite Sonnensegel versorgen
Bordelektronik und die von mehreren europäischen Nationen beigestellten Instrumente trotzdem mit Energie.

Irdische Funksignale benötigen mehr als eine halbe Stunde, um Rosetta zu erreichen. Sie muß daher weitgehend autonom arbeiten. Zunächst ermittelt sie Form, Masse und Rotationszeit des Kometenkerns ·
Parameter, die wir heute bestenfalls grob abschätzen können. Dann schwenkt sie in einen Orbit um den vermutlich 1 bis 3 km kleinen Körper ein. Noch zeigt er wenig Aktivität, ein Schweif ist kaum zu
sehen. Rosetta kartiert sein Antlitz. Kameras halten Details von bloß 10 cm Größe fest und registrieren jede Veränderung. Aus wenigen Kilometern Distanz analysieren Spektrometer die mineralogische
Zusammensetzung der Oberfläche.

Darunter ist ein Konglomerat aus gefrorenen Gasen, Stein und Staub verborgen. Bis vor wenigen Jahren glaubte man, daß die „schmutzigen Schneebälle" vor allem aus Wassereis bestünden. Heute
sprechen immer mehr Forscher von „vereisten Schmutzbällen", in denen nicht Eis, sondern silikatisches Material dominiert. Mit zunehmender Sonnennähe sublimieren die Eise, werden zu Gas. In Fontänen
schießt es aus dem Kern. Stickstoff, Kohlenmonoxid und Methan machen den Anfang, Wassereis kommt zum Schluß. Stets ist nur ein Bruchteil der Oberfläche aktiv. Vielleicht geschieht die Sublimation
dort, wo Eispakete direkt ans Weltall grenzen. Wahrscheinlicher ist, daß sie im Inneren stattfindet und sich die Gase den Weg durch Poren oder Spalten in der Kruste kämpfen müssen.

Schwarz wie Teer

Die mittlere Dichte eines Kometenkerns dürfte deutlich unter der von Wasser liegen. Dennoch umhüllt ihn eine festere Kruste, die schwarz wie Teer erscheint. Vermutlich kondensieren austretende
Gase an kühleren Flächen, lagern Silikate und Kohlenstoff ab. Sinterprozesse bilden nach und nach die Krustenschichten. Kohlenstoffpartikel „kleben" aneinander, schützen darunterliegende Eispakete
vor der Sonnenstrahlung und heizen sich auf über 100ø C auf.

Wirtanens Kruste gehört dem Rosetta-Lander. Von der Sonde ausgesetzt, bewegt er sich „im Schrittempo" auf den Kern zu. Auf Erden wiegt die Landeeinheit mit ihrer Stereokamera und den anderen
Instrumenten 80 kg. Auf Wirtanen ist sie leicht wie ein Blatt Papier. Der winzige Kern hat kaum Gravitation. Das Gas könnte den Lander ins All zurückschleudern. Man muß ihn verankern.

Im Augenblick des Aufsetzens sorgt ein kleines Triebwerk für Anpreßdruck. Gleichzeitig feuert der Lander ein 16 cm langes und 15 mm dünnes Projektil in den Boden. Mit Widerhaken besetzt, dringt es
bis zu 2 m tief in die Kruste ein, kommt nach wenigen Hunderstelsekunden zum Stillstand. Ein Elektromotor spult das Verbindungskabel auf, zurrt den Lander fest. Ein zweiter Anker dient als Reserve.

„Niemand weiß, wie fest die äußerste Schicht der Kometenkruste ist, wie gut sie den Anker hält. Man muß daher eine Projektilform finden, die unter unterschiedlichsten Bedingungen funktioniert",
erklärt Günter Kargl vom Institut für Weltraumforschung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften in Graz. Das IWF ist an der Entwicklung des Kometenankers beteiligt.

Das Projektil dringt tiefer in die Kruste ein als der Bohrer, der Bodenproben zur In-situ-Analyse aus 40 cm Tiefe entnehmen soll. Daher statten die Grazer die Ankerspitze mit Sensoren aus.
Ein Piezokristall registriert den Aufpralldruck und damit die Abbremsung. „Je härter die Schicht, desto stärker wird das Geschoß verlangsamt. So können wir Aussagen über das Krustenmaterial machen",
schildert Astronom Norbert Kömle, Mitarbeiter am Institut für Weltraumforschung. „Gefrorenes Kohlendioxid ist zum Beispiel deutlich härter als Wassereis."

Vielleicht durchdringt der Anker sogar mehrere, unterschiedliche Schichten. Am Institut werden Testschüsse in verschiedene Materialien abgefeuert. Die gewonnenen Laborwerte sollen später mit den vom
Lander übermittelten Daten verglichen werden.

Ein anderer Sensor in der Ankerspitze überwacht die Krustentemperatur. Wirtanens Rotation dauert mehrere Stunden und läßt das Thermometer im Tag-Nacht-Rhythmus schwanken. Die kometare „Fieberkurve"
steigt außerdem mit schrumpfender Sonnendistanz. Der Lander funkt die Meßdaten zu Rosetta, die sie mit ihrer 2 m weiten Antenne zur Erde sendet.

Suche nach Urmaterie

Der solare Urnebel bestand aus Wasserstoff, Helium sowie aus Silikat-, Kohlenstoff- und Metallkörnern. Beim Einbau in die Planeten wurde die Materie aufgeschmolzen und verändert. In kleinen
Asteroiden wie der Siwa ist sie recht ursprünglich geblieben. Flüchtiges Material fehlt aber auch dort. Gleiches gilt für die Brownlee-Partikel, von denen unser Planet jeden Tag mehrere Tonnen
aufsammelt. Dieser wahrscheinlich kometare Staub schwebt in der Erdatmosphäre und wird seit den siebziger Jahren mit Hilfe von Ballonen und Flugzeugen eingefangen. Im Elektronenmikroskop zeigen sich
flockig aufgebaute, zerbrechliche Teilchen aus kohlenstoffreichen Silikaten. Auf ihrer weiten Reise zur Erde haben sie alles Eis verloren.

Tief im Kometenkern muß noch Urmaterie existieren, die ihre isotopischen, chemischen, molekularen und mineralogischen Eigenschaften behalten hat. Zum Glück reißt das ausströmende Gas solche Teilchen
mit sich. Gelänge es, sie bereits kurz nach dem Austritt einzusammeln, ließe sich über 4,5 Mrd. Jahre weit in die Vergangenheit zurückblicken.

Der 1799 gefundene Stein von Rosetta ermöglichte die Entschlüsselung der ägyptischen Hieroglyphen. Ähnliches erwartet man sich von der gleichnamigen ESA-Sonde. Sie soll helfen, offene Fragen zur
Entstehung des Sonnensystems zu beantworten. Willibald Riedler zeichnet als Principal Investigator für das MIDAS-Experiment verantwortlich, dessen Elektronik zur Zeit in der steirischen
Landeshauptstadt entwickelt wird. Es ist das erste Mal, daß ein Rasterkraftmikroskop ins All fliegt. Auf Erden sind solche Geräte mächtig wie Schränke. Sie auf ein Gewicht von 8 kg zu bringen und
trotz ihrer Empfindlichkeit weltraumtauglich zu machen, ist doppelte Herausforderung.

Riskante Mission

Rosetta fängt Wirtanens Staub ein. Er landet auf der Außenseite eines kleinen, in 256 Facetten unterteilten Rads. Etwa einmal pro Tag dreht es sich um eine Teilung weiter. Eine von 16 Nadeln
tastet den Träger ab, registriert Zahl und Lage der frischen Partikel. Dann werden von jedem Teilchen dreidimensionale Bilder mit Auflösungen von wenigen Millionstel Millimeter angefertigt. Die
Nadelspitze bewegt sich dabei entlang jener Schicht, wo abstoßende und anziehende Kraft einander die Waage halten.

Vermutlich wird man silikatische Kernpartikel erkennen, die von organischen Mänteln und Eis umgeben sind. Neben Form, Struktur und Größenverteilung lassen sich mit MIDAS auch die
Materialeigenschaften der Staubkörner bestimmen.

In Sonnennähe steigen Gas- und Staubproduktion dramatisch an. Zunächst hat das Material eine zehntausende Kilometer weite Hülle um den Kern gebildet, die sogenannte Koma. Nun drückt der Sonnenwind
die Materie fort, formt daraus einen Plasma- und einen Staubschweif. Rosetta und Lander halten sich in der innersten Koma auf, wo Zusammenstöße mit schnellen Partikeln zu bösen Schäden führen können.
Der Kern dürfte außerdem von einem Schwarm zentimeterkleiner Fragmente umgeben sein, die ihn wie Satelliten umkreisen. Das Risiko kulminiert im Jahr 2013, wenn der Komet das Perihel durcheilt.

Trotz seiner bescheidenen Größe gilt Wirtanen als recht aktiver Komet. Vielleicht ist er selbst nur Rest eines einst größeren, zerbrochenen Schweifsterns. Kometen zeigen eine „grundsätzliche
Neigung zum Verfall", wie dies ein deutscher Rosetta-Mitarbeiter formulierte. Sollte Wirtanen auseinanderbrechen, müßte sich die ESA schleunigst nach einem Ausweichziel umsehen.

Auswahl gibt es. Die NASA wird demnächst vier Roboter zu sechs Schweifsternen senden. Stardust soll im Jahr 2006 Staub aus der Koma des Kometen Wild-2 zur Erde bringen. DS 4 setzt den Lander
Champollion auf Tempel 1 ab, der 2010 sogar mit Krustenproben zurückkehrt. Er hätte sich ursprünglich im Gepäck der Rosetta-Sonde befinden sollen.

Alle NASA-Missionen werden abgeschlossen sein, noch bevor Rosetta Wirtanen überhaupt erreicht. Dennoch sieht Kömle keine Konkurrenz: „Wir wissen wenig über Kometen, also ist jede einzelne Mission ein
Gewinn. Außerdem verändert sich kometares Material beim Transport zur Erde. Unsere In-situ-Analysen sind deshalb unverzichtbar."

Kompetenz erarbeitet

Im Büro von Willibald Riedler, dem Direktor des Instituts für Weltraumforschung, finden sich Modelle vieler Sonden, die mit österreichischen Instrumenten ins All flogen. Er war von Anfang an
involviert: „Österreichs erstes wissenschaftliches Instrument flog am 26. November 1969 ins All und maß dabei die Elektronendichte der Erdionosphäre". Gut 60 ähnliche Flüge folgten.

Grazer Magnetometer flogen mit russischen Sonden zur Venus, zum Kometen Halley und zum Mars, ergänzten die Ausrüstung des Spacelab-1 und wurden jüngst in chinesischen Satelliten integriert. Auch auf
der Erde werden sie geschätzt. China errichtet damit zur Zeit eine Meßkette, die von Nord nach Süd durch das Land zieht. Ein Ionenmikroskop zur Materialanalyse kommt auf der MIR zum Einsatz und wird
später zur internationalen Raumstation Alpha gebracht.

Die Explosion der europäischen Cluster-Satelliten beim Start und der Absturz der russischen Sonde Mars-96 schmerzten. Sie hatten heimische Geräte an Bord. Dafür ist man an der Cassini-Mission zum
Saturn und an der Datenauswertung des amerikanischen Mars Global Surveyor beteiligt.

Für Österreichs Engagement in der Weltraumforschung ist der Flug zu Wirtanen zweifellos ein Höhepunkt. Allerdings werden manche, die zur Zeit Rosettas Meßinstrumente konstruieren, die Ergebnisse
nicht mehr selbst auswerten. Das bleibt wohl der nächsten oder übernächsten Forschergeneration vorbehalten.

Ein Gedanke, der die Techniker und Wissenschafter nicht zu beunruhigen scheint. Verunsicherung wird nur spürbar, wenn man finanzielle Zukunftsperspektiven anspricht. „Wir beteiligen uns mit 120 Mill.
Schilling am wissenschaftlichen Programm der ESA. Wenn wir dann wegen drohender Budgetkürzungen keine Instrumente beistellen können, kommt davon nichts zurück", unterstreicht Riedler. Er hofft, daß
Österreich seine Erfolge nicht aufs Spiel setzt: „Österreich hat seine Chancen drei Jahrzehnte lang genützt. Unsere wissenschaftlichen und technologischen Kompetenzen sind heute unumstritten. Wir
genießen Ansehen bei den Russen, den Chinesen, der NASA und der ESA. Hoffentlich läßt man uns auch in Zukunft zeigen, was wir können!"

Freitag, 04. September 1998 00:00:00
Update: Dienstag, 01. März 2005 16:53:00

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