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Schonungslose Selbstbetrachtung

Coetzee, J. M.: Sommer des Lebens

J. M. Coetzee. Foto: epa

J. M. Coetzee. Foto: epa

Von Andreas Wirthensohn

In "Sommer des Lebens" treibt der südafrikanische Nobelpreisträger J. M. Coetzee ein verwirrendes Spiel mit Fiktion und Wirklichkeit.

Julia die einstige Geliebte und jetzige Psychotherapeutin, sagt: "Er hatte auch etwas Schäbiges an sich, eine Aura des Scheiterns". Adriana, in die er, als Lehrer ihrer Tochter, sich verliebt, die aber diese Liebe nicht erwidert, meint: "Er war kein sinnlicher Mensch. Und ich hege sowieso den Verdacht, dass es ihm gefiel, wenn eine Frau kalt und abweisend war. (. . .) für mich war er wirklich ein Narr." Und Sophie, Kollegin an der Universität und ebenfalls Geliebte, weiß zu berichten: "John hatte keine starke Ausstrahlung (. . .) ich hatte während der ganzen Zeit, die ich mit ihm zusammen war, nie das Gefühl, dass ich mit einer außerordentlichen Persönlichkeit, einem wahrhaft außergewöhnlichen Menschen zusammen war."

John, das ist John Coetzee, geboren 1940 in Kapstadt, Literaturnobelpreisträger (2003) und wohl einer der wenigen lebenden Autoren, deren Werk wahrhaft weltliterarischen Rang besitzt. Doch der John Coetzee dieses Buches ist nicht eins zu eins identisch mit seinem Schöpfer J. M. Coetzee. Er ist bereits gestorben, und was hier über ihn berichtet wird, ist eine Art Nachruf, freilich zu Lebzeiten seines Alter Ego gehalten. Das Spiel geht jedoch noch weiter: Ein junger Wissenschafter namens Vincent, der John Coetzee nie begegnet ist, will eine Biographie über ihn verfassen und führt zu diesem Zweck Interviews mit fünf Personen, die in mehr oder weniger engem persönlichen Kontakt mit dem Verblichenen standen: mit den drei erwähnten Frauen, sowie mit seiner Cousine Margot und Martin, einem Kollegen an der Universität.

Wirklich interessieren den Biographen aber nur "die Jahre von Coetzees Rückkehr nach Südafrika 1971/72 bis zu seiner ersten öffentlichen Anerkennung 1977", in denen er sich "noch als Schriftsteller etablieren musste". Zusätzliches subjektives Material liefern Bruchstücke aus den Notizbüchern Coetzees. Doch sind die Aussagen derer, die ihn kannten, mit Vorsicht zu genießen: "Was ich Ihnen erzähle, ist vielleicht nicht im buchstäblichen Sinn wahr, aber es ist dem Geist nach wahr, das kann ich Ihnen versichern."

Zugegeben, das klingt kompliziert – und ist es auch. Wer nicht bereit ist, sich auf dieses verwirrende Spiel mit Fiktion und Wirklichkeit einzulassen, wird an der Lektüre nicht viel Freude haben. Denn "Sommer des Lebens" ist nicht einfach die Fortschreibung der beiden autobiographischen Texte Coetzees, "Der Junge. Eine afrikanische Kindheit" (1998) und "Die jungen Jahre" (2002). Erstens klafft dazwischen eine Lücke, nämlich des Autors Zeit in Amerika von Mitte der 1960er Jahre bis zur Rückkehr nach Kapstadt. Und zweitens radikalisiert dieser dritte Teil die Distanz der ersten beiden Bücher gegenüber dem eigenen Ich: Von Coetzee ist nicht mehr nur in der Er-Form die Rede, er wird vielmehr überwiegend aus fremder Perspektive geschildert und gerät über weite Strecken fast zur "Nebenfigur".

Gleichzeitig bietet dieser (fiktive) Blick von außen die Gelegenheit, die eigene Person in aller Schonungslosigkeit zu beschreiben. Dass aus diesem John Coetzee einmal ein weltberühmter Autor werden sollte, darauf deutet in diesem Buch wenig hin: Zurückgeworfen auf seine "Existenz als Sohn", lebt er mit seinem Vater in bescheidenen Verhältnissen, in Gefühlsdingen ist er "hölzern", als Englischlehrer nicht herausragend, insgesamt ein "Aleenlooper" , wie es auf Afrikaans heißt, "entkörpert", verkopft und noch dazu äußerlich wenig ansehnlich.

"Wie kann man ein großer Schriftsteller sein, wenn man nur ein einfacher kleiner Mann ist?" Eine Antwort darauf gibt dieses Buch nicht. Es zeigt nur auf bewundernswert offene Weise, ohne jede Verklärung der eigenen Anfänge, dass es offenbar trotzdem möglich ist.

Als Julia, die damalige Geliebte, von Coetzee ein Korrekturexemplar seines ersten Buchs "Dusk-lands" überreicht bekommt, vergeht sie denn auch keineswegs vor Bewunderung, sondern blättert mäßig interessiert ein wenig darin herum und fragt dann: "Ist das Belletristik?" Worauf er antwortet: "Irgendwie schon".

Nicht anders geht es einem mit "Sommer des Lebens". Irgendwie ist das ein Roman, irgendwie aber auch nicht. Coetzees Schreiben bewegt sich seit einigen Jahren jenseits solcher Kategorien. Das führt zu mitunter recht anstrengenden Experimenten wie "Tagebuch eines schlimmen Jahres" (2008) – oder aber zu ganz leicht daherkommenden Texten wie dem vorliegenden, der mit den Kategorien des Biographischen spielt, als sei dies das Selbstverständlichste auf der Welt.

Zum 70. Geburtstag, den er Anfang Februar beging, hätte sich J. M. Coetzee sicherlich ein schmeichelhafteres Geschenk machen können. Ein ehrlicheres wohl kaum.

John Maxwell Coetzee: Sommer des Lebens. Roman. Aus dem Englischen von Reinhild Böhnke. S. Fischer, Frankfurt/M. 2010, 297 Seiten, 20,60 Euro.

Printausgabe vom Samstag, 06. März 2010
Online seit: Freitag, 05. März 2010 14:08:00

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