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Dem Tanzboden verbunden

Sterne, Die: 24/7

Frank Spilker und seine beiden Begleit-Sterne.Foto: Materie Records

Frank Spilker und seine beiden Begleit-Sterne.Foto: Materie Records

Von Bruno Jaschke

Das neue Sterne-Album "24/7" beschäftigt sich mit der Möglichkeit eines würdevollen Daseins.

Für Menschen, die ihr viertes Lebensjahrzehnt schon vor einiger Zeit überschritten haben und in einem Metier arbeiten, das den menschlichen Alterungsprozess wie ein Turbo beschleunigt, haben sich die Sterne optisch grandios gehalten. Sie sehen praktisch aus wie gestern. Gestern, das war 1996, als der Autor dieser Zeilen sie erstmals zum Interview bat.

"Posen" war ihr damals aktuelles Album, das sie bis auf Platz 33 der deutschen Hitparade geführt hat und die Sterne neben Tocotronic, den Goldenen Zitronen und Blumfeld als Exponenten der "Hamburger Schule" festschrieb. Dieser Begriff bezeichnete nicht einen bestimmten musikalischen Stil, sondern eine Art der Kommunikation, die es so anderswo nicht gab: Hamburger Musiker pflegten den Gedankenaustausch, besuchten sich gegenseitig in Studios und spielten sich Demos vor.

Nicht, dass die Bands nicht auch ein paar künstlerische Merkmale gemeinsam gehabt hätten: Sie alle sangen Deutsch und leisteten sich, obwohl "Marktexpertisen" wegen der angeblichen Steifheit und Schwere der Sprache davor warnten, den Luxus inhaltlichen Tiefgangs. Ihre musikalischen und philosophisch-ideologischen Positionen steckten sie jedoch recht unterschiedlich ab. Die Sterne standen etwas mehr in der Diskussion als ihre Zeit- und Weggenossen: Der österreichische Elektronik-Pionier Wolfgang Dorninger etwa verwarf sie als "Mittelklasse-Dandies, die den Rock’n’Roll persiflieren".

Heute wirken die Sterne wie Elder Statesmen der Hamburger Schule: Nicht so erfolgreich wie Tocotronic, aber von solider Breitenwirkung; nicht so radikal wie die Goldenen Zitronen, aber geschätzt für klug formuliertes Polit-Bewusstsein; nicht so ostentativ schlageraffin wie Blumfelds Nachlassverwalter Jochen Distelmeyer, aber mit einer über die Jahre und nunmehr neun reguläre Alben aufrechterhaltenen Reihe eingängiger Pop-Songs von Klassiker-Format, sind die Sterne ein Argument für die Kräfte der Beharrung und der Ausdauer.

Ihrem neuen Album "24/7" ging indes einiger Wind um einen abrupten Kurswechsel Richtung Disco voraus. Richtung Disco stimmt, abrupter Kurswechsel aber nicht wirklich: Die Musik der Sterne war mit ihrer Affinität zu HipHop und Funk seit jeher dem Tanzboden verbunden. Der Schritt Richtung Disco ist nur der Zugewinn einer weiteren Facette in ihrer Kunst, zu gesellschaftlichen Fehlentwicklungen abtanzen zu lassen: Hier zischen und perlen die Synthesizer und andere elektronische Klangerzeuger, pumpen und treiben die Bässe, sorgen die Drums für Tempo.

Reduktion, Repetition

Das ist zum einen die Signatur des Münchner Elektronik-Produzenten Matthias Modica. Zum anderen reflektiert "24/7" Entwicklungen der letzten Jahre, die in Etiketten wie "Dance-Punk" oder "Disco-Pop" und Bands (bzw. Projekten) wie LCD Soundsystem, "!!!" oder Hot Chip repräsentiert sind. "Wobei sich die quasi von der anderen Seite genähert haben", relativiert Sänger/Gitarrist Frank Spilker. "Die haben mit einem Laptop angefangen, dem sie irgendwann ein Schlagzeug, einen Bass und Melodie-Instrumente hinzugefügt haben. Bei uns geht der Weg über die Keyboard-Sounds in die andere Richtung. Das hat weniger mit Technik zu tun als mit gewissen Manierismen, die durch eine bestimmte Art zu spielen aufkommen. Ich bin ziemlich sicher, dass es eine andere Ästhetik ergibt, wenn man auf einem Laptop komponiert, als wenn man mit einer Gitarre oder im Proberaum komponiert."

Solchermaßen führen die Eröffnungssongs "Life In Quiz" und "Depressionen aus der Hölle" als lupenreine House-Feger ein wenig in die Irre. "Convenience Shop", "Stadt der Reichen", "Nach fest kommt lose" und das nachgerade irrwitzig hämmernde, von Spilker fast Elvis-artig interpretierte "Gib mir die Kraft" belegen mit ihrer organischeren und hypnotischeren Anmutung das Geschick der Sterne im Umgang mit den Dancefloor-typischen Stilmitteln der Reduktion und Repetition wesentlich eindrucksvoller. In "Himmel" wird schließlich die Rocksau samt aufjaulender Gitarre von der Leine gelassen, während "Glück" – im Prinzip ein Solo-Stück Spilkers – pure Singer-Songwriter-Besinnlichkeit atmet.

"Nach langer harter Arbeit endlich den gerechten Lohn / und ficken ohne Kondom" heißt es da – ein fast utopischer Gegenentwurf zur realen Welt, die als textliche Klammer den hedonistischen Appeal der Musik nüchtern und unbeschönigt konterkariert. Es geht um die Auswüchse von Neo-Liberalismus und Turbo-Kapitalismus und seine Auswirkungen auf den Einzelnen. Der Album-Titel "24/7" steht für grenzenlose Öffnungszeiten: 24 Stunden am Tag, 7 Tage die Woche.

"Es war nicht so, dass ich mir ein bestimmtes Thema überlegt habe, vielmehr habe ich im Nachhinein festgestellt, dass mich ein bestimmtes Thema beschäftigt hat: du kannst es Würde nennen. Ist ein würdevolles Dasein unter den Bedingungen dieser Zeit überhaupt noch möglich? In einer Dienstleistungsgesellschaft, wo man Sklavenarbeit leisten muss, wo man würdelose Arbeiten annehmen muss, um zu überleben?"

Solche Themen, meint Frank Spilker, mussten einfach wieder einmal aufgeworfen werden. Gleichwohl stellt sich dann immer die Frage nach Adressaten und Empfängern. Glaubt er, dass ein hartgesottener Neo-Liberaler je die Botschaft der Sterne zu hören kriegen wird?

Spilker gibt sich illusionslos: "Es ist immer wieder unglaublich, wie resistent Leute sind. Für Bundestagsabgeordnete wie Ursula von der Leyen ( CDU-Ministerin für Arbeit und Soziales, Anm. ) sind die Leichen im Keller der Preis, der für das Wohl der ,Aufrechten‘ und ,Guten‘ bezahlt werden muss. Ich kann mir nicht vorstellen, dass man die überhaupt irgendwie erreicht.

Aber es geht ja hauptsächlich darum, sich wiederzufinden, so wie in der Literatur. Wenn jemand sagt, ,das Stück erzählt mir etwas über mein Leben!‘, dann bekommt es Kraft. Und je mehr Leute das finden, desto mehr Kraft bekommt es. Das ist, glaube ich, das Maximum, das man erreichen kann."

Die Sterne: 24/7. (Materie / Rough Trade)

Printausgabe vom Samstag, 06. März 2010
Online seit: Freitag, 05. März 2010 13:24:00

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