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Artikel aus dem EXTRA LexikonPrint this

Vor 50 Jahren starb der umstrittene Dandy mit Weitblick.

Malaparte: Höllenfahrt der Menschlichkeit

Von Oliver vom Hove

Aufzählung Der italienische Schriftsteller und Kriegsreporter Curzio Malaparte vollzog manch ideologische Wandlung.

Die Italiener haben ein Sprichwort, so lebens- wie literaturnah: Se non é vero, é ben trovato , sagen sie, was soviel heißt wie ‚Wenn es nicht wahr ist, so ist es doch gut erfunden'. Bei Curzio Malaparte, dem zwielichtigen Parvenu der italienischen literarischen Moderne, gewinnt man den Eindruck, diese Redensart könnte als Wappenspruch nicht nur seiner Person, sondern des ganzen Werks dienen. Indes, in den fünf Jahrzehnten seit seinem Tod (am 19. Juli 1957) hat die Geschichtsforschung nicht wenige seiner so bizarr anmutenden Ansichten und Schilderungen als wahr beglaubigt. Curzio Malapartes Nachruhm beginnt sich zu bessern, auch wegen seiner vorausblickenden Gesamtschau auf Europa, die stets den Osten samt der Ukraine einschloss.

Weltruhm erlangte er einst, unmittelbar nach dem Krieg, mit seinem 1944 erstmals veröffentlichten Antikriegsroman "Kaputt" und dem noch populäreren Nachfolgeband "Die Haut" (1949). Zugleich verstärkten die beiden Bücher den schrillen Ruf des Literaten, ein aalglatter politischer Opportunist zu sein. Tatsächlich ist nicht zu leugnen, dass sein Leben wie auch sein Schreiben im Zeichen des Janus standen: eine doppelgesichtige und zugleich auf der Schwelle zwischen den Zeiten platzierte Existenz.

Dazu bedurfte es gar nicht der endgültigen Abkehr des einstigen Mussolini-Anhängers und frankreichfreundlichen Futuristen Malaparte vom Faschismus, als Italien 1940 an der Seite der verhassten Deutschen in einen Krieg eintrat, dessen politische Voraussetzungen und Ziele ihm – aufgrund seiner Fronterfahrungen als halbwüchsig Freiwilliger im Ersten Weltkrieg – fremd und unzeitgemäß anmuten mussten.

Es genügten die lebenslangen Wandlungen und Verpuppungen des Deutschitalieners Malaparte, der 1898 in Prato als Kurt Erich Suckert, Sohn eines aus Sachsen stammenden Textilingenieurs und einer Mailänderin geboren, von proletarischen Zieheltern aufgezogen und in Eliteschulen zum "Erzitaliener" (so seine eigene Bezeichnung) herangebildet wurde, um zwei emotionale Konstanten als Schubkraft seiner unsteten Verwandlungslust und Janushaftigkeit wirksam werden zu lassen: das ängstliche Verbergen seiner deutschen Abkunft wie seiner Prägung durch das Arbeitermilieu.

So legte er sich denn, als gewollt dämonische Antithese zu Napoleon Bonaparte, den Künstlernamen Malaparte zu und frönte, sowohl in Auftreten, Kleidung als auch Schreibstil, einem intellektuellen Dandytum, das er gleichzeitig literarisch als dekadent anprangerte. Wie vielen Futuristen (so auch Marinetti) fiel ihm der frühe Anschluss an die faschistische Partei, samt Teilnahme am legendären "Marsch auf Rom" 1922, nicht schwer.

Ähnlich leicht fiel ihm das Eintreten für Trotzki in dem politischen Traktat "Die Technik des Staatsstreichs". Dieses hatte er 1931 in Paris verfasst, wohin sich der mittlerweile zum Starjournalisten des "Corriere della sera" aufgerückte Malaparte nach seinem Parteiaustritt bei den Schwarzhemden hatte versetzen lassen. Doppelgesichtig wie sein Urheber erweist sich auch dieser berühmt gewordene, zunächst auf Französisch veröffentlichte Essay: eine im krass machtpolitischen, machiavellistischen Stil entworfene Herrschaftslehre über Für und Wider der – damals für Links wie Rechts hochattraktiven – Macht-usurpation mittels Staatsstreich.

Analytiker und Solipsist

Als Analytiker der Zwanziger Jahre wusste Malaparte, dass, wie es der berüchtigte Staatsrechtslehrer Carl Schmitt im Deutschland jener Ära formulierte, nur jener Machthaber souverän sein konnte, "der über den Ausnahmezustand herrscht".

Sohin lässt sich "Die Technik des Staatsstreichs" noch immer unter zwei diametral entgegengesetzten Aspekten lesen: als Warnschrift wider die "catilinarische" Machtübernahme des Totalitarismus in einem demokratischen Staat, – oder als Betriebsanleitung für Putschisten. Tatsächlich lag das Buch in den demokratischen Staatskanzleien Europas ebenso auf wie etwa auf dem Schreibtisch von Bundeskanzler Dollfuß.

Malaparte freilich verwünschte später seinen Staatsstreich-Traktat, enthielt dieser doch ein nicht nur hellsichtiges, sondern in Teilen zu harmlos geratenes Bild Hitlers als Memme und fahler Kopie Mussolinis: "Dieser feiste und hochmütige Österreicher mit harten und misstrauischen Augen . . . ist ein schwacher Mensch, der sich in Brutalität flüchtet, um seine mangelnde Energie, seine überraschenden Schwächen, seinen krankhaften Egoismus, seinen hilflosen Stolz zu maskieren. ( . . .) Sein Ehrgeiz ist, eines Tages das ganze deutsche Volk im Namen der Freiheit, des Ruhmes und der Macht Deutschlands verderben, demütigen und knechten zu können."

Dieses Hitler-Porträt, vermutete Malaparte, störte Mussolinis bilaterale Beziehung zu den inzwischen an die Macht gelangten Nazi-Paladinen, weshalb der Duce den Autor unter einem Vorwand 1933 verhaften und auf die Insel Lipari verbannen ließ. Von dort kam er zwar ein Jahr später, nach einer Intervention des Mussolini-Schwiegersohns (und späteren Außenministers) Graf Ciano wieder frei.

Indes, die Exaltiertheit und solipsistische Attitüde des berühmten Publizisten hatten sich in der Insel-Einschicht verschärft, wovon auch das nach seinen Entwürfen von Adalberto Libera wie ein Felsenhorst in den Stein gebaute Haus auf Capri, eine Einsiedlerzitadelle, zeugt.

Dorthin zog er sich zurück, um aus den Erlebnissen und Reportagen, die er ab 1940 als weit herumgereichter Frontberichterstatter des "Corriere" gesammelt hatte, seine an krassen Farbwechseln, genüsslich ausgemalten Gräuelszenen und provokant dagegengesetzten diplomatischen Alltagsbildern überreichen Kriegsgemälde in Romanform zusammenzusetzen.

In "Kaputt" besteht das erzählerische Skandalon darin, dass die grellsten Bilder des Krieges, der menschlichen Grausamkeiten und barbarischen Willkürakte gleichsam wie Jagdtrophäen in den gepflegtesten Zirkeln aristokratischer oder diplomatischer Abendgesellschaften herumgereicht werden: Eine doppelte Raffinesse des janusköpfigen Malaparte, der den Leser nicht nur mit der Wucht der Erfahrungen aus der Etappe, sondern auch mit dem Gleichmut und der formwahrenden Teilnahmslosigkeit des europäischen bürgerlichen Salons der Zeit konfrontiert. Einzig die untadelige Gelassenheit und menschliche Berührbarkeit des Erzählers Malaparte, der als Chronist durch Blut, Schlamm und Tränen der geschilderten Ereignisse watet, bleiben in aufreizender Weise immer gleich.

Gnadenloser Reporter

Dieser Tribut an die Selbstgefälligkeit des Autors wird indes wettgemacht durch eine ungewöhnlich scharfe Beobachtungsgabe, die Unverblümtheit seiner Wahrnehmungen noch der vertiertesten Kriegsroheiten – und durch die Sachkenntnis des Reporters, der Zugang zu höchsten Kreisen und geheimsten Informationen der Achsenmächte hatte. Gleichsam hinterrücks entlarvt er die faschistischen Machthaber Kroatiens, Rumäniens und Polens (in Gestalt des Generalgouverneurs Frank) in ihrer abgefeimten Bonhommie und Grausamkeit.

Im Juni 1944 wird Malaparte im ostrumänischen Jassy Zeuge eines nächtlichen Pogroms – und berichtet als einer der ersten Reporter darüber. Ebenso schildert er, wie er wenige Tage später auf einem nahen Bahnhof, zusammen mit dem italienischen Konsul von Jassy, beim Öffnen von Viehwaggons einen Leichenberg freisetzt: "Sie fielen in Bündeln heraus, rollten mit dumpfem Aufprall zu Boden, wie Zementstatuen. Unter den Leichen begraben, von ihrem kalten, enormen Gewicht niedergedrückt, kämpfte Sartori verzweifelt, schlug um sich, versuchte sich von diesem toten, lastenden Gewicht zu befreien, bis er unter dem Leichenberg verschwand wie unter einer Steinlawine."

Die Toten begraben die Lebenden, die Kultur wird von der Barbarei beerdigt, klagt Malaparte beim Diner mit Hans Frank. Die NS-Bonzen im Warschauer Hauptquartier geben ihm mit pilatushafter Scheinheiligkeit recht: "'Das ist eine unkultivierte Methode', sagte Otto Wächter, der Dollfußmörder und Gouverneur von Krakau, in einem Ton des Abscheus. Pogrome sind eine slawische Spezialität.'" Und Frank pflichtet ihm, bei Damhirsch am Spieß, vollmundig bei: "'Wir Deutsche folgen in allen Dingen der Vernunft und der Methode und nicht bestialischen Instinkten; wir gehen in allem wissenschaftlich vor.'"

Als Malaparte später, in Anwesenheit von Max Schmeling, seine für die Deutschen vernichtenden Eindrücke aus dem Warschauer Ghetto preisgibt, beruft sich der NS-Statthalter auf seine humanen Maßnahmen – um bei der anschließenden Besichtigung ein Judenkind, das sich unter der Mauer vorgewagt hat, eigenhändig zu erschiessen.

Se non é vero, é ben trovato? Die Eitelkeit des Daueranwesenden beim verdichteten Grauen ist zu spüren und macht seine Glaubwürdigkeit wanken. Anderseits wissen wir, über sechzig Jahre später und mit neuem Kriegsgräuel vom Balkan oder aus dem Irak versorgt, abermals mehr über die Höllenfahrt der Menschlichkeit im Kriegsinferno.

So sind wir etwa der Ungeheuerlichkeit jener "Kaputt"-Szene wieder nähergerückt, in welcher der kroatische Faschistenführer Ante Pavelic seinem Gast einen Korb vermeintlicher Austernmasse unters Gesicht hält und stolz erklärt: "Es ist ein Geschenk meiner getreuen Ustaschas: zwanzig Kilo Menschenaugen." Und auch die in der "Haut" geschilderten, an Hieronymus Bosch gemahnenden Szenen der Enthemmung und Selbsterniedrigung nach dem Einmarsch der amerikanischen Befreier in Neapel, die von Pest und Schwefel (des Vesuvausbruchs) begleitet werden, wirken spätestens seit Abu Ghraib wieder erschreckend real.

Abermals stand Malaparte, als sprachenkundiger Verbindungsoffizier zwischen der italienischen Armee und den alliierten Trupppen, im Mittelpunkt des Geschehens, von dem er berichtete. So wurde selbst die Geheimdienst-Offensive, bei der sich die Befreier die unierten homophilen Neigungen in den besetzten Ländern zunutze machten, mittlerweile durch die Erinnerungen von Allen Dulles, dem späteren CIA-Chef, bestätigt: Der Autor der "Haut" wurde ob deren Enthüllung besonders heftig befehdet.

Einen "Genüssling des Barbarismus" hat Thomas Mann einmal Ernst Jünger genannt, mit dem Malaparte nicht nur das frühe Ausreißertum als Freiwilliger in einen Krieg gemeinsam hat, der beide lebenslang nicht mehr losließ: Auch im Festhalten an einer Ästhetik des Schreckens, die Schock und Schönheit untrennbar miteinander verknüpft, stimmen diese Schriftsteller überein.

Indes, wo Malaparte, der dünkelhafte Narziss, nicht von seinem gewaltigen epischen Ekel vor dem "schwarzen Wind des Todes" ins Schreiben gehetzt wird, bleibt seine Prosa vergleichsweise zahm und züchtig. Davon zeugen seine jüngst unter dem Titel "Zwischen Erdbeben" auszugsweise auf Deutsch gesammelten Erlebnis- und Reiseberichte aus aller Welt, auch über das Nachkriegseuropa. Sie bekunden auch seine weiten ideologischen Wandlungen, die vom Futurismus über den Faschismus zum Kommunismus und schließlich, in der Sterbestunde, zum Katholizismus reichten.

So blieb Malaparte bis zuletzt nicht nur mit seinem Werk, sondern auch mit seiner janusköpfigen Persönlichkeit zugleich Zeuge und Beschuldigter vor dem Tribunal jener Geschichte des 20. Jahrhunderts, dessen Irrsinn er mit der Inbrunst eines Goya, Menzel oder Otto Dix abzubilden suchte.

Curzio Malaparte: Zwischen Erdbeben. Streifzüge eines europäischen Exzentrikers. Eichborn Verlag, Frankfurt a.M. 2007, 362 S., 30 Euro

Die beiden Romane "Kaputt" und "Die Haut" von Curzio Malparte sind im Paul-Zsolnay-Verlag, Wien, erschienen.

Oliver vom Hove , in Großbritannien geboren, aufgewachsen in der Schweiz und in Tirol. Lebt als Dramaturg, Literaturwissenschafter und Publizist in Wien.

Printausgabe vom Samstag, 14. Juli 2007
Online seit: Freitag, 13. Juli 2007 16:46:00

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