Wiener Zeitung Neu in der Linkmap:
 
  Wiener Zeitung Homepage Amtsblatt Homepage LinkMap Homepage Wahlen-Portal der Wiener Zeitung Sport-Portal der Wiener Zeitung Spiele-Portal der Wiener Zeitung Dossier-Portal der Wiener Zeitung Abo-Portal der Wiener Zeitung Suche Mail senden AGB, Kontakt und Impressum Das Unternehmen Benutzer-Hilfe
 Politik  Europa  Kultur  Wirtschaft  Computer  Wissen  extra  Panorama  Wien  Meinung  English  MyAbo 
 Lexikon Interview  Glossen  Bücher  Musik  Debatten 
Artikel aus dem EXTRA LexikonPrint this

Meister der Demontage des klassischen Kriminalromans: Am 20 April 2008 feiert der deutsche Autor und Journalist seinen achtzigsten Geburtstag

Kettenbach, Hans Werner: Alchemie der Ängste

Wider die Banalität des Kriminalromans: Hans Werner Kettenbach.  Foto: © Andreas Woitschützke/Diogenes Verlag

Wider die Banalität des Kriminalromans: Hans Werner Kettenbach. Foto: © Andreas Woitschützke/Diogenes Verlag

Von Christian Hoffmann

Aufzählung Viele Künstler träumen davon, die Lebenserfahrung des Alters mit der Schaffenskraft jüngerer Jahre verbinden zu können. Vergönnt ist dergleichen nur wenigen – und einer von diesen wenigen ist der Autor Hans Werner Kettenbach, der dieser Tage seinen achtzigsten Geburtstag feiert.

Sein jüngstes Buch, der Roman "Zu Gast bei Dr. Buzzard", erschien vor zwei Jahren. Es ist keineswegs nur der Nachhall einer Karriere von dreißig Jahren, sondern eher ein (vorläufiger) Höhepunkt. Die ganze Kunst Kettenbachs sammelt sich noch einmal in dem Roman über Hans Schumann, einem Architekten Mitte vierzig, der in die Südstaaten der USA reist, nach Savannah, um dort die Arbeit seines Büros bei einem Wettbewerb zu präsentieren. Begleitet wird er von seiner Frau und einem befreundeten Paar, das in den subtropischen Gefilden Urlaub machen will.

Die Handlung setzt mit dem Verschwinden der Ehefrau ein. Sie ist nicht mehr auffindbar, als Schumann von der Präsentation ins Hotel zurückkehrt; zugleich fehlt auch von dem Mann des begleitenden Paares jede Spur und es gibt einige Verdachtsmomente, die auf eine Entführung hinweisen.

Voodoo in Subtropen

Typisch Kettenbach ist, was danach auf 350 Seiten geschieht, nämlich die raffinierte Demontage eines möglichen Kriminalromans. Schumann, hin und her gerissen zwischen beruflichen Pflichten und der Sorge um seine Frau, stellt zwar Nachforschungen an, doch verlaufen alle kriminalistischen Fährten ins Leere.

In einem Klima von Voodoo und subtropischer Hitze kommt Schumann beim Wesentlichen an: bei der Enttäuschung über seine Ehe und dem Verdruss, den ihm sein Angestelltendasein bereitet. Nichts als ein banaler Seitensprung steckt hinter der vermeintlichen Entführung, und die Chance, sich beruflich selbständig zu machen, die sich im Laufe der Handlung ergeben hat, lässt Schumann ungenützt verstreichen. Kleinlaut resümiert er, typisch für so manchen der Durchschnittsmenschen aus der Welt des Hans Werner Kettenbach: "Ich kann nicht anders, glaube ich."

Die Kunst des Nicht-Kriminalromans, die der Autor in "Zu Gast bei Dr. Buzzard" so brillant vorführt, hat Kettenbach im Laufe der Jahrzehnte beim Schreiben seiner Romane entwickelt. Und damit hat er recht spät begonnen, nämlich im reifen Alter von fünfzig Jahren.

Geboren am 20. April 1928 in Bendorf am Rhein, überlebte Hans Werner Kettenbach zunächst den Weltkrieg, übte danach verschiedene Berufe aus, begann mehrere Studien und brach sie wieder ab. 1964 promovierte er schließlich mit einer historischen Dissertation über Lenins Theorie des Imperialismus und arbeitete in den folgenden Jahren als Journalist. Einige Jahre verbrachte er als Korrespondent in Bonn und New York und wurde später stellvertretender Chefredakteur des "Kölner Stadtanzeigers".

Sein erster Roman, "Grand mit vieren", erschien 1977. Es geht darin um ein Bombenattentat in Paris, bei dem am Rande eines Staatsbesuchs ein Journalist ums Leben kommt. Dessen Kollege, Peter Grewe, versucht, die Hintergründe des Todesfalls auf eigene Faust zu klären. "Grand mit vieren" erfüllt noch alle Ansprüche, die gemeinhin an einen Kriminalroman gestellt werden. Es gibt einen Mord, einen Toten und ein paar Spuren.

Zunächst deutet alles darauf hin, dass das Attentat in Verbindung mit einer Konferenz über politischen Terror steht. Dann entdeckt Grewe eine Fährte, die zur Waffenlobby in Bonn führt, und macht schließlich die Bekanntschaft einer mit einem reichen alten Mann verheirateten Frau, die mit dem Getöteten in eine heftige Liebschaft verstrickt war. Sie ist es, die den Journalisten auf dem Gewissen hat, ihren Liebhaber, der darauf gedrängt hatte, dass sie sich scheiden ließ, und damit beinahe eine gewinnträchtige Ehe gesprengt hätte.

Wilde Hirngespinste

Nach dem Roman "Grand mit vieren" schreibt Hans Werner Kettenbach neben Drehbüchern für Fernsehkrimis (Kommissar Klefisch) bis zum Jahr 1994 sieben weitere Romane, in denen sein Kampf um die Form deutlich wird: der Kampf gegen die Banalität des Kriminalromans mit den Mitteln des Kriminalromans, nämlich mit seinen Rätseln und seiner auf Spannung zielenden Erzähltechnik.

Die Komposition späterer Bücher nimmt in jener Periode der kurze Roman "Minnie" vorweg, in dem die kriminalistische Spannung in aller Konsequenz nur noch aus den banalen Ängsten eines Durchschnittslebens abgeleitet wird.

Der deutsche Rechtsanwalt Wolfgang Lauterbach, der mit einem Mietwagen eine Reise zwischen Tennessee und Georgia im Süden der USA unternimmt, glaubt, in einem Motel flüchtenden Bankräubern begegnet zu sein. Von diesem Augenblick an entdeckt er immer mehr Indizien, die dafür sprechen, dass er als unfreiwilliger Zeuge eines Verbrechens in Gefahr ist. Besonders richtet sich sein Misstrauen gegen Minnie, ein dunkelhäutiges Mädchen, das sich ihm als Autostopperin aufdrängt.

Während Lauterbach sich immer tiefer in diese Hirngespinste verstrickt und immer ärgerlicher wird, je mehr er sich zu der jungen Frau hingezogen fühlt, versucht Minnie nach Kräften, ihm aus der Patsche zu helfen, in der er zu sitzen meint. Sie unterstützt ihn sogar bei einem Einbruch, bei dem er entlastendes Material zu finden hofft, wird mit ihm gemeinsam verhaftet und deckt ihn im Polizeigefängnis allen Misshandlungen zum Trotz durch hartnäckiges Schweigen. Sie ist das eigentliche Opfer der Geschehnisse und bleibt in Haft, weil man ihr andere Vergehen anhängen möchte, nachdem sich die Story von dem Bankraub in Nichts aufgelöst hat. Doktor Lauterbach steigt indessen in Nashville ins Flugzeug, um so schnell wie möglich nach Deutschland zurückzukehren.

Unheilvolles Netzwerk

Einen neuen Abschnitt in Kettenbachs Schaffen markiert das Jahr 1994, in dem der Roman "Davids Rache" erscheint. Von der ersten Seite an gerät der Leser immer tiefer in den Strudel der Ängste und Enttäuschungen der Hauptfigur, des Oberstudienrats Christian Kestner, der in der Ich-Form erzählt: "Ninoschwilis Brief hat ein seltsames Unbehagen in mir hervorgerufen. Es ist geradezu lächerlich, aber so etwas wie eine Ahnung nahenden Unheils beschlich mich schon beim Anblick des schmutziggrauen Umschlags, der heute Mittag, als ich nach fünf ekelhaften Unterrichtsstunden heimkehrte, auf der Konsole der Garderobe lag."

Vor dem Zusammenbruch des Ostblocks hatte Kestner an einer Studienreise nach Georgien teilgenommen, bei der er David Ninoschwili begegnet war und sich um ein Haar in eine Affäre mit dessen Frau Matassi verwickelt hätte, die vielleicht eine Agentin des Geheimdienstes KGB war, vielleicht aber auch nicht. Nun, da die Grenzen offen sind, kommt David seinerseits nach Deutschland, will angeblich einen Verlag für seine Manuskripte finden und erwartet von Kestner Gastfreundschaft.

Aus dem Unwillen Kestners gegenüber dem Besucher, der sich in seinem Haus breit macht und offensichtlich blendend mit Kestners Frau Julia versteht, entwickelt sich eine beklemmende Atmosphäre des Verdachts und des Misstrauens. Ist David Ninoschwili wirklich ein Mann des Geheimdienstes, der den Oberstudienrat missbraucht, um ein Netzwerk in Deutschland aufzubauen? Dient die Suche nach einem Verlag nur der Tarnung anderer Geschäfte? Hat vielleicht auch Kestners Frau Julia, die seinerzeit aus der DDR geflohen ist, mit der Stasi zu tun gehabt?

Das Unbehagen des zur Gastfreundschaft genötigten Oberstudienrates wird auf vielerlei Art gesteigert, durch melodramatische Medienberichte über die Stasi, durch den aktuellen Bürgerkrieg in Georgien und durch den Sohn Kestners, der sich zum Entsetzen des Vaters einer rechtsradikalen Gruppe angeschlossen hat und markige Bemerkungen über die Heldentaten der deutschen Wehrmacht am Kaukasus äußert.

Unverzerrtes Widerspiel

Die Raffinesse dieses Romans besteht in seiner Unentschiedenheit: Alle Interpretationen des Geschehens können zutreffen – oder auch nicht. Nachdem der Georgier auf offener Straße von unbekannten Tätern überfallen wird und als körperliches Wrack die Heimreise nach Tiflis angetreten hat, ist für Kestner, dessen Ehe an dem Ereignis zerbricht, nichts klarer geworden. Vielleicht war der Gast ein unschuldiger Flüchtling, vielleicht war er aber auch in Machenschaften des ehemaligen sowjetischen Geheimdienstes verstrickt.

Die Verwirrung und das Unbehagen des Oberstudienrates verkörpert in markanter Weise das Unbehagen, das die Westeuropäer nach dem Zusammenbruch des Ostblocks heimsuchte. In diesem Zusammenhang drängt sich die Bemerkung auf, in der Theodor Fontane die Aufgabe seiner Romane umreißt, nämlich "ein Leben, eine Gesellschaft, einen Kreis von Menschen zu schildern, der ein unverzerrtes Widerspiel des Lebens ist, das wir führen".

In drei meisterlichen Büchern vervollständigt Kettenbach in den folgenden zehn Jahren dieses "unverzerrte Widerspiel": "Die Schatzgräber", eine rund um die Suche nach einem vermeintlichen Schatz aufgerollte deutsche Familiengeschichte, "Die Konkurrentin", eine Schilderung der Intrigen, die die Kandidatur einer Frau für ein Bürgermeisteramt verhindern sollen, und schließlich "Kleinstadtaffäre", die dramatischen Verwicklungen, in die ein prominenter Schriftsteller gerät, der die politischen Intrigen einer Kleinstadt dokumentieren möchte.

Man mag es angesichts dieses üppigen Werkes aus den letzten Jahren kaum glauben, aber es stimmt: Hans Werner Kettenbach vollendet am 20. April 2008 tatsächlich schon das achtzigste Lebensjahr; und sehr zur Freude der wachsenden Leserschaft denkt er keineswegs ans Aufhören. Der nächste Roman soll 2009 bei Diogenes erscheinen.

Printausgabe vom Samstag, 19. April 2008
Update: Sonntag, 20. April 2008 15:26:00

Kommentar senden:
Name:

Mail:

Überschrift:

Text (max. 1500 Zeichen):

Postadresse:*


* Kommentare werden nicht automatisch veröffentlicht. Bitte beachten Sie unsere Regeln.
Die Redaktion behält sich vor Kommentare abzulehnen. Wenn Sie eine Veröffentlichung Ihrer Stellungnahme als Leserbrief in der Druckausgabe wünschen, dann bitten wir Sie auch um die Angabe einer nachprüfbaren Postanschrift im Feld Postadresse. Diese Adresse wird online nicht veröffentlicht.
Lexikon



Wiener Zeitung - 1040 Wien · Wiedner Gürtel 10 · Tel. 01/206 99 0 · Impressum · AGB