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Artikel aus dem EXTRA LexikonPrint this

Zum 100. Geburtstag des Schriftstellers Wolfgang Koeppen

Ein Versager mit Niveau

Wolfgang Koeppen in den frühen neunziger Jahren. Foto aus dem unten genannten Ausstellungskatalog.

Wolfgang Koeppen in den frühen neunziger Jahren. Foto aus dem unten genannten Ausstellungskatalog.

Von Hermann Schlösser

Wolfgang Koeppen, einer der erfolgreichsten bundesdeutschen Schriftsteller, erschrieb sich seinen Platz in der Literaturgeschichte in den fünfziger Jahren: In den drei Romanen "Tauben im Gras" (1951) "Das Treibhaus" (1953), "Der Tod in Rom" (1954) schilderte er das Leben der deutschen Nachkriegsgesellschaft. Seine Prosa war zeitkritisch und poetisch, traurig und heiter, modern und romantisch, und seine dichterische Intensität unterschied sich markant von der nüchternen Reportersprache der "Gruppe 47".

Nach diesen drei Meisterwerken war der Romancier Koeppen am Ende. Er publizierte weiterhin lesenswerte Reisebücher, brillante Kritiken und Essays, sprachlich dichte autobiographische Fragmente. Romane konnte oder wollte Koeppen jedoch keine mehr schreiben, obwohl (oder weil?) sie von der literarischen Öffentlichkeit so dringlich erwartet wurden. ( Siehe dazu den Artikel unten.)

Hundert Jahre nach Koeppens Geburt am 23. Juni 1906, zehn Jahre nach seinem Tod am 15. März 1996, haben Günter und Hiltrud Häntzschel nun eine knappe, aber informative Biographie des Autors veröffentlicht. Sachlich referieren sie Koeppens Lebensumstände und entwerfen dabei zugleich ein Psychogramm des schwierigen Mannes.

Geboren wurde Wolfgang Koeppen als uneheliches Kind in Greifswald. Sein Vater zahlte Alimente, erkannte aber den Sohn niemals offiziell an. Die Mutter, Maria Köppen (das "oe" im Nachnamen legte sich der Autor erst später zu), ernährte sich und ihren Sohn mit Näharbeiten. Günter und Hiltrud Häntzschel zeigen, dass der junge Koeppen auf die Belastungen seiner Kindheit teils als Versager, teils als Rebell reagierte. Seine Schulleistungen waren mangelhaft, als Vierzehnjähriger wurde er aus der "Knaben-Mittelschule" ohne Abschluss entlassen. Dann arbeitete er als Buchhändlersgehilfe, fuhr zur See, versuchte sein Glück als Schauspieler und Dramaturg. Von 1927 an lebte Koeppen als Journalist in Berlin, schrieb schlecht bezahlte Feuilletons für den "Berliner Börsen Courier", verliebte sich glücklos in die umschwärmte Schauspielerin Sibylle Schloss und war traurig.

Gefördert von Max Tau, dem Lektor des Verlags Bruno Cassirer, verfasste der junge Journalist schließlich seinen ersten Roman. Er erschien 1934 unter dem Titel "Eine unglückliche Liebe" und handelte von dem Studenten Friedrich, der eine schöne Schauspielerin namens Sibylle verehrt, die von ihm nichts wissen will. So machte der Autor aus einer Niederlage im Leben einen Sieg in der Kunst.

Diese genuin dichterische Strategie der Lebensbewältigung hat Koeppen auch in seinem weiteren Leben beibehalten. Was immer er tat oder nicht tat – in seinem Selbstverständnis verwandelte es sich in Dichtung. So wurde Wolfgang Koeppen allmählich zum Kunstprodukt seiner Phantasie. Die Biographen berichten, dass sich der alte Koeppen in der Dichtung besser zurechtfand als in seiner Lebenswirklichkeit: "Zu Fragen nach seinem Schreiben kommen stets zitable, wunderschöne Statements, bei Fragen nach seinem Leben dagegen nimmt er aparte Umwege, liebt die Unschärfen, verschleiert poetisch die Fakten oder erfindet sie neu."

Die beiden Biographen verschweigen nicht, dass dieser kreative Umgang mit dem eigenen Leben auch zu einigen "Lebenslaufbegradigungen" führte. Vor allem dokumentieren sie ein problematisches Faktum, das der Germanist Jörg Döring 1993 in seiner Studie "Ich stellte mich unter, ich machte mich klein" erstmals bekannt gemacht hat: Koeppen hat die Zeit des Nationalsozialismus und des Zweiten Weltkriegs als gut bezahlter Drehbuchautor bei der "Bavaria-Filmkunst" überlebt – und nicht in irgendeinem halb legalen Untergrund, wie er selbst in seinen Interviews gerne andeutete.

Es ist also nicht zu bestreiten, dass Wolfgang Koeppen, dessen zeitkritische Romane gegen das Vergessen der Nazi-Vergangenheit polemisierten, selbst ein Verdränger gewesen ist. Doch nennt die lesenswerte neue Biographie auch einen Grund für diesen Widerspruch: Wenn sich Koeppen den Fragwürdigkeiten seines Lebens in aller Aufrichtigkeit hätte stellen können, dann wäre er wohl nicht der große Schriftsteller geworden, der er war. Zumindest seine vielen faszinierten Leser werden dies gewiss als mildernden Umstand gelten lassen.

Günter und Hiltrud Häntzschel: Wolfgang Koeppen. Leben Werk Wirkung. Suhrkamp BasisBiographie 12, Suhrkamp Verlag, Frankfurt 2006, 152 Seiten.

Printausgabe vom Samstag, 17. Juni 2006
Update: Freitag, 16. Juni 2006 16:50:00

Lexikon



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