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Artikel aus dem EXTRA LexikonPrint this

Vor 125 Jahren wurde der Schriftsteller Stefan Zweig geboren– er entsprach zeitlebens dem Ideal des geistigen, gebildeten Weltbürgers.

Stefan Zweig: Die innere Freiheit gestalten

Von Christina Zoppel

Jede Form des Exils wird für einen geistigen Menschen Antrieb zur inneren Sammlung", heißt es in Zweigs Miniatur "Cicero" (1939). Cicero, der mit "De re publica" den sittlichen Kodex des Gemeinwesens festgeschrieben hatte, war Julius Cäsar unterlegen und musste sich ins Privatleben zurückziehen. Doch hatte er dann Zeit, "die innere Freiheit zu suchen, zu finden und zu gestalten." Cicero verfasste sein Buch "De officiis", über die Pflichten des moralischen Menschen.

Stefan Zweig beginnt 1939 in der Londoner Emigration seine Erinnerungen zu schreiben: "Die Welt von gestern". Das 1944 posthum erschienene Buch wird zur Reminiszenz an ein kulturgläubiges, liberales Europa, das im Zweiten Weltkrieg zum Untergang bestimmt zu sein scheint. Dieses alte Europa ist die Welt, für die Zweig sich jahrzehntelang mit seinen Büchern eingesetzt hat.

1901, mit knapp zwanzig Jahren, veröffentlichte der 1881 geborene Sohn einer jüdischen Textilunternehmerfamilie seinen ersten Gedichtband ("Silberne Saiten"). Bereits kurz davor war er ins Feuilleton der "Neuen Freien Presse"– des führenden Blattes der österreichischen Bourgeoisie – aufgenommen worden, was Zweigs Entschlossenheit, Schriftsteller zu werden, bestärkte.

Nach Abschluss seines Studiums – Zweig hatte sich bemüht, "den Doktor philosophiae hinter sich zu werfen wie einen lästigen Kleiderfetzen" – reist er nach Paris, später auch nach London, Brüssel, Berlin, Italien, Spanien, Holland, USA, Indien. Er recherchiert in Bibliotheken, versorgt sich mit Eindrücken für Geschichten, und schließt Freundschaften: mit Georges Duhamel, Rainer Maria Rilke, Walter Rathenau, Romain Rolland und mit der Vorkämpferin der Emanzipation, Ellen Key. Zwischendurch erwirbt er sich ein "pied-à-terre", eine kleine Wohnung in der Kochgasse im 8. Bezirk in Wien. Hier lernt er die Schriftstellerin Friderike Maria von Winternitz kennen. Sie wird die praktische, tatkräftige Frau an seiner Seite.

Zweig ist von Anfang an ein Vielschreiber. Er übersetzt, verfasst Gedichte, Briefe, Kommentare, Essays, Biographien und Theaterstücke. Die "fast ängstlich sorgfältigen Seelenstudien" seines ersten Novellenbandes (1904) finden einen namhaften Rezensenten: "Zweig ist" , schreibt Hermann Hesse, "wenn auch als Erzähler noch nicht reif und fertig, eine besonders liebenswürdige Persönlichkeit, und das ist mehr als alle Technik wert." Karl Kraus spricht angesichts dieses Schaffensdranges von "kilometerfressender Energie".

Der Erste Weltkrieg bremst sie. Im Wiener Kriegsarchiv trifft Zweig u.a. auf Alfred Polgar und Franz Karl Ginzkey, später stößt ein verstörter Rilke dazu, der mit Ende dreißig noch in die verhasste Uniform gesteckt worden ist. Zweigs patriotisch-enthusiastische Gefühle versiegen endgültig auf einer Reise durch das zerstörte Galizien. Romain Rolland – für Zweig "das moralische Gewissen Europas" – gewinnt ihn für seine übernationalen Friedensinitiativen. Im Geiste Ciceros träumen sie " den ewigen Traum der Weltbefriedung durch Erkenntnis und Konzilianz" .

Zweigs dramatische Dichtung, "Jeremias" (1917), die Geschichte des ungehörten, friedfertigen Propheten des Alten Testaments, trifft den Nerv der Zeit. Alle wichtigen Bühnen sichern sich Aufführungsrechte – erst nach Kriegsende natürlich.

Verantwortlichkeit

Die Leichtigkeit der Vorkriegsjahre ist dahin, doch für Stefan Zweig ist etwas Wesentliches dazu gekommen: "ein neuer Mut und volles Gefühl der Verantwortlichkeit" . Mit Friderike und ihren Töchtern aus erster Ehe bezieht er 1919 das "Paschinger-Schlössl" auf dem Salzburger Kapuzinerberg. Im Lauf der nächsten Jahre erklimmen viele Prominente die 100 Stufen hinauf zum Haus. Thomas Mann, James Joyce, Paul Valéry, und Musiker, die die junge Festspielstadt besuchen: Richard Strauss, Arturo Toscanini.

Der erste Band der "Baumeister der Welt" (1920), mit Essays zu Balzac, Dickens und Dostojewski, begründet Zweigs Ruhm als einen der meistgelesenen und -übersetzten Schriftsteller der 20er und 30er Jahre. 1926 kreiert Zweig mit der Bearbeitung von Ben Jonsons "Volpone" wie nebenbei die Theatersensation des Jahres.

Eine an Freud geschulte "seelenwissenschaftliche" Einfühlung in die Figuren kennzeichnet sowohl die biographisch-historischen als auch die erzählerischen Texte Zweigs. Unter der meist wohlanständig-glatten Oberfläche der Helden und Heldinnen vibrieren die Nerven. Titel wie "Novellen der Leidenschaft" (1924) oder "Verwirrung der Gefühle" (1927) sind durchaus programmatisch gemeint.

Mit "Joseph Fouché" (1929) beginnt einer der Schwerpunkte von Zweigs Schaffen, von ihm selbst ironisch als "Biographienfabrikation" bezeichnet. Dem Porträt des gewissenlosen Politikers Fouché folgt das "Bildnis eines mittleren Charakters", Marie Antoinettes Biographie (1931) wird seine bekannteste. Das meistverkaufte Buch Zweigs ist aber bis heute "Sternstunden der Menschheit" (1927). Die historischen Miniaturen schildern Schicksalsstunden von Entdeckern, Politikern, Künstlern, Wissenschaftern. Zweig findet in ihnen sein Ideal des schöpferischen Menschen.

Cicero ist einer von ihnen. Jedoch nutzt er seine welthistorische Stunde nicht. Nach der Ermordung Cäsars ergreift er nicht die Macht, Rom versinkt im Bürgerkrieg, seine ideale Republik bleibt ein Traum. Es ist die sich in der Geschichte ständig wiederholende "Tragödie des geistigen Menschen" , der, von innerer Verantwortung beschwert, im entscheidenden Moment nicht zum Tatmenschen werden kann.

In einer von Inflation und Arbeitslosigkeit gepeinigten Zeit deutet Zweig die ersten Erfolge der Nationalsozialisten noch als notwendige Revolte der Jugend. Kaum an der Macht, belehren sie ihn eines Schlechteren: Im Mai 1933 werden auch die Werke des jüdischen Bestsellerautors verbrannt.

Zweig "hätte gern auf diese Reklame verzichtet". Eine politische Äußerung lehnt er jedoch ab – auch in Klaus Manns Exilzeitschrift "Die Sammlung" zu publizieren, wäre für ihn eine solche gewesen. Klare Position bezieht er nur in seinem Text "Triumph und Tragik des Erasmus von Rotterdam" (1934). Dieses Porträt des Mannes zwischen Protestantismus und Katholizismus, der die Grenzen von Rasse, Religion und Staat zu überwinden sucht, zeigt ein Spiegelbild von Zweigs eigener Zerrissenheit in einer Zeit, deren Radikalisierung und Polarisierung mit Pazifismus zu begegnen gleich notwendig wie unzulänglich erscheint. "Es ist das nobelste Buch, dass Sie je geschrieben haben" , schreibt ihm sein Freund Joseph Roth.

Noch einmal von Neuem

Nachdem Gendarmen sein Haus nach Waffen durchsucht hatten, hat Zweig Österreich bereits 1934 verlassen. Er flieht damit zugleich vor Friderike. Ihr "Selbständigkeitsgefühl" ist ihm zu groß geworden. 1937 verkauft Friderike auf Zweigs Bitte das Salzburger Haus und seine Sammlung von Autographen (mit Manuskripten von Balzac, Flaubert, Nietzsche, Hölderlin, Freud.)

Österreichs Anschluss an Hitlerdeutschland verbittert Zweig. Zur Sorge um seine Familie kommt, dass sein "ganzes Opus noch einmal eingestampft wird und noch einmal von neuem angefangen werden soll" . Zweig fühlt bald die Trostlosigkeit des Exils, das kein freiwilliges mehr ist.

Er beginnt seine größte Unternehmung: die Biographie Balzacs, die er nicht mehr vollendet; einen Roman schließt er ab ("Ungeduld des Herzens", 1939). Doch seine Konzentration leidet darunter, dass er als "eine Art Büro" für Dutzende Österreicher fungiert, für die er Einreisevisa oder Aufenthaltserlaubnisse besorgt. Dabei sind Zweig und seine neue Gefährtin Lotte Altmann selbst Repressalien ausgesetzt. Erst Ende 1939, kurz nach ihrer Heirat, erhalten sie die beantragte britische Staatsbürgerschaft.

Im Sommer 1940 schifft sich das Ehepaar Zweig nach Brasilien ein. Schon 1936 hat der Autor als gefeierter Star aus Europa dort Vorträge gehalten und ist "sechs Tage lang Marlene Dietrich gewesen" . Nun ist die Flucht aus dem invasionsgefährdeten England überschattet von Zweigs Depressionen. In New York trifft er Friderike und Hermann Broch, die wegen seines bedrückten Zustands besorgt sind.

Schon im Mai hat Zweig in sein Tagebuch notiert: "Ich weiß, was uns nach dem Krieg bevorsteht – Hass für beides, dass man deutscher Sprache ist und Jude.(. . . ) Ich will nicht mehr und zögere nur, diesen Willen durchzusetzen." Trotzdem arbeitet Zweig an Biographien, an einem Brasilienbuch, an der "Schachnovelle". Schließlich lassen sich Lotte und Stefan Zweig 1941 in Petrópolis nördlich von Rio de Janeiro nieder. "Alles ist herrlich" , schreibt er an Felix Braun. "Esel ziehen mit Bananen an unseren Fenstern vorbei, Palmen und Urwald rings um uns (. . .). Was fehlt, sind Bücher und Freunde."

Aber die Macht des Wortes hat angesichts der Ereignisse versagt. Wie Cicero ist Stefan Zweig es "müde zu fliehen und müde zu leben". Seine ideale Republik – die des Geistes, der Freiheit, der Humanität – ist in ungreifbare Ferne gerückt. Gemeinsam mit Lotte sucht Stefan Zweig am 22. Februar 1942 Zuflucht im Freitod.

geboren 1971 in Bregenz, lebt als freie Autorin und Lektorin in Berlin.

Printausgabe vom Samstag, 25. November 2006
Online seit: Freitag, 24. November 2006 17:04:41

Lexikon



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